Ich hatte heute den ganzen Tag Ideen. Was will ich schreiben, wenn endlich Ruhe ist. Schreiben muss ich, ich warte den ganzen Tag auf den Moment, wenn alle schlafen, Ruhe einkehrt, nichts mehr muss, alles kann. Wenn meine Minuten kommen, die stillen, leisen, die, in denen keiner was will, keiner da ist, alle schweigen.
Ich wollte über das Schreiben schreiben, das mir so sehr Wunsch und Erfüllung ist, das Leben ist. Wollte über Thomas Mann schreiben, der das Schreiben als Lebensersatz nahm, weil er das Leben, das er leben wollte, nicht leben konnte, es sei denn, er hätte sich aus dem Platz werfen wollen, den er einnahm in der Gesellschaft. Schreiben war für ihn das Ventil für all die ungelebten, weil unlebbaren Gefühle und Lebensinhalte. Kunst stand dem Leben, dem Bürgertum gegenüber, war aber die einzige Art, wie er sein Leben leben konnte, leben wollte. Wie er das Leben ertrug.
Ich wollte über Arschengel (den Begriff bei Robert Betz stehlend) schreiben, die das eigene Leben so schwer machen, weil sie einem Hürden legen, negative Gefühle bringen, alles erschweren. Wollte die Erschwernis gutheissen, weil sie weiter bringt. Weil man nur durch das, was drückt, hinschaut und sieht, was man ändern könnte, müsste, dass es nicht mehr drückt. Und so viel über sich selber gelernt hätte dann.
Ich schrieb es. Das eine wie das andere. Löschte wieder. Ging in mich. Fand alles banal. Es sollte ausdrücken, wer ich bin, was ich will. Sollte eine Hymne an das Schreiben sein, das mir so sehr Lebensinhalt ist, dass ich ohne Schreiben nicht leben wollte, könnte. Und alles war nur flach. Entsprach nicht dem, was es sein sollte, was es war.
Am Anfang war das Wort. Danach kamen viele neue Anfänge, alle klingen gut. Kraft, Tat, Mut. Doch den ersten Anfang nahm das Wort. Erst daraus wuchs der Rest. Gesprochen ist es flüchtig. Erst geschrieben trägt es Kraft, Beständigkeit. Gesprochen ist es laut, ist es einehmend, dominant. Geschrieben hat es Musse, hat es Zeit. Und damit überdauert es. Lässt Gedanken zu, lässt die Ruhe sich ausbreiten. In mir selber und in anderen.
Was geschrieben steht, wird wahr. Seine Erscheinung, schwarz auf weiss macht es real. Schreiben ist Zeugnis von dem, was in einem ist, was raus muss. Und irgendwo sitzt einer, liest es und denkt: So ist es, ich sehe das auch so. Oder denkt: Nein, Schwachsinn, es ist genau anders. Und beide denken nach. Über sich und die Welt. Und ich tu es auch, wenn ich ihre Gedanken lese. Und so gewinnen wir alle. Jeder für sich. Die Welt entwickelt sich im Diskurs. Worte sind flüchtig, bis sie geschrieben sind. Und drum schreibe ich. Muss schreiben. Und danke dafür. Was täte ich ohne das?
Besser könnte man es wohl kaum ausdrücken!
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Ich danke dir!
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Schreibend die Schreibmühe zu beschreiben! Toll geschrieben ;-). Wäre froh, wenn ich schon nur normal schreiben könnte… Immer wieder spannend deinen Blog zu lesen!
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Schön zu lesen, danke!
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Du schreibst mir aus dem Herzen. Doch auch die niedergeschriebenen Wörter sind so flüchtig…
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Manche werden geschrieben, um wieder zu vergehen. Bei einigen ist es besser so, bei manchen ist es schade. Einige Worte sind in Stein gemeisselt, es gibt welche, die werden gar auswendig gelernt. Manche Worte hinterlassen einen bleibenden Eindruck oder zaubern ein Lächeln aufs Gesicht. Vielleicht regt das eine oder andere zum Nachdenken an, gibt etwas mit fürs eigene Leben.
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Als Tagesjournalist schreibst du fast immer Eintagsfliegendreck. Das ist frustrierend und erleichternd zugleich.
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Die Seite kenne ich nur als Freischaffende – und ich liebte sie, weil man direkt am Menschen dran war. Und oft kam danach eine Mail, ein Dankeschön für den Text. Das fand ich sehr schön und das fehlt mir heute doch ab und an sehr. Aber es ist vergänglich, das ist so.
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Manchmal erreicht man mehr mit Prosa. Ein Roman ist eine sehr schwere Geburt.
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Ich meinte eigentlich im speziellen die Lyrik, mein Fehler. Aber ich glaube, Du hast mich auch so verstanden.
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Ich habe dich verstanden, ja. In der Tat ist ein Roman eine schwere Geburt. Dazu kommt, dass ich vom Naturell her, vom Denken her eher prägnant und kurz bin. Icih bringe Dinge gerne auf den Punkt. Zu viele Worte, zu viel Auschmücken fällt mir oft schwer, weil ich immer denke, es lenkt vom Wesentlichen ab. Natürlich weiss ich, dass es das Wesentliche auch tragen kann, auch mal mildern und damit erst präsentabel machen kann. Ab und an braucht es auch viele Worte, um etwas wirklich umfassend zu sagen. Und doch: Ich liebe Lyrik. Je länger je mehr.
Noch im Studium konnte ich wenig damit anfangen, habe selber ein paar Spassgedichte gemacht, mehr nicht. Doch dann wurde ich per Zufall mit dem Virus infiziert: Zuerst das Geschenk eines Gedichtsbandes von Erich Fried, dann der Gesammelte Rilke.. und damit war es passiert.
Ich danke dir für deine Kommentare!
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