Mein Buch „Genozidleugnung als ethisch-moralisches Problem“ befasst sich mit dem Thema der Genozidleugnung und mit der Frage, welche ethischen, moralischen und rechtlichen Folgen diese in einer liberalen Gesellschaft haben müsse. Das Fazit sieht vor, dass moralisch eine Genozidleugnung ganz klar zu verurteilen sei, dass es auch rechtlich angegangen werden müsse. Die Frage, ob es dazu eines expliziten Strafrechtsartikels bedürfe, wurde dahingehend beurteilt, dass sowohl eine Bejahung wie auch eine Verneinung dieser Frage begründbar sei. Dies ist in er Tat so. Im Buch musste ich aufgrund diverser Umstände die These vertreten, dass ein solcher Artikel obsolet sei, da die rechtliche Verurteilung auf anderen wegen vollzogen werden könnte. Persönlich vertrete ich eher eine veränderte Sicht. Diese ist in diesem hier abgeänderten Fazit nachzulesen:
Ein Mensch, dem in seinem Leben ein traumatisierendes Unrecht wiederfährt, trägt dieses Unrecht in sich mit in die Gegenwart und in die Zukunft. Es wird immer Teil seiner selbst sein, bedarf einerseits einer Aufarbeitung, damit der Mensch überhaupt weiter existieren kann und dieses Trauma ihn nicht überwältigt, und andererseits stellt das traumatische Unglück einen Teil seiner Persönlichkeit dar, prägt es sein Wesen unweigerlich. Spricht man nun von historischem Unrecht in der Grössenordnung von Völkermord, welcher wie im Falle des Holocaust sogar Millionen von Menschen das Leben kostete, welcher die Menschen über viele Jahre hinweg in grossem Leid leben liess und der ganze Völker ins Unglück stürzte, so hat dieses Unglück nicht nur eine prägende Wirkung auf die einzelnen Individuen, sondern auch auf die ganzen Völker. Die von dem Unrecht betroffenen Menschen fühlen sich durch ihr Schicksal verbunden, die Völker fühlen sich durch dasselbe geprägt.
Nach der Herrschaft eines Unrechtsregimes geht es darum, einen adäquaten Umgang mit historischem Unrecht zu finden. Es geht darum, sich als neue Regierung zu positionieren und zu signalisieren, dass man sich von dem Unrecht des Vorgängerregimes distanziert. Es geht weiter darum, das Unrecht, das geschehen ist, zu verarbeiten und ihm mit den nötigen Massnahmen entgegen zu treten.
Sowohl für die Opfer wie für die Nachfahren der Opfer historischen Unrechts ist dieses Unrecht auch nach Beendigung der Unrechtshandlungen noch präsent. Die Erinnerung an dieses Unrecht ist etwas, das sie umtreibt. Nun gibt es verschiedene Reaktionen auf historisches Unrecht bei den Überlebenden, die einen schweigen, weil sie die Emotionen, die mit dem Unrecht verbunden sind, nicht mehr weiter ertragen, sie haben innerlich abgeschaltet, um sich nicht ständig neu überwältigen zu lassen. Andere jedoch sehen es als ihre Pflicht an, an das Unrecht zu erinnern, da nur die Überlebenden noch Zeugnis ablegen können von dem Schrecklichen, was passiert ist. Sie sehen es als ihre Pflicht gegenüber ihren Mitopfern an, welche nicht mehr sprechen können, weil diese das Unrecht nicht überlebt haben. Und diese Pflicht zur Erinnerung, die trägt auch die Gesellschaft nach einem historischen Unrecht wie Völkermord. In dem man die Erinnerung an das Unrecht aufrechterhält, zeigt man den Opfern des Völkermords, dass man ihren Opferstatus anerkennt und sie in ihrem Unrecht, das ihnen widerfahren ist, annimmt. Die Erinnerung und die Stellungnahme, dass das, was passiert war, Unrecht war, ist ein Dienst an den Opfern, eine Pflicht an den Opfern, welcher von den Überlebenden und der Gesellschaft als Ganzes gefordert ist.
Eine Leugnung dieser schrecklichen Vergangenheit kommt dabei einem erneuten Unrecht gleich. Wurden während des Völkermords Menschen und ganze Volkstämme umgebracht (in der Absicht, diese schlussendlich sogar vollständig auszulöschen), so versucht Völkermordleugnung nun auch noch den letzten Rest zu eliminieren, nämlich die Erinnerung an das Unrecht und damit auch die Erinnerung an die diesem zum Opfer gefallenen Menschen. Die Leugnung vernichtet dabei quasi in letzter Konsequenz und stellt so eine eigentliche Fortsetzung des Völkermordes dar.
Unter diesen Gesichtspunkten ist es moralisch gefordert, historische Wahrheit über historisches Unrecht zu erinnern, anzuerkennen und Leugnung desselben nicht zu tolerieren. Es darf nicht angehen, dass Menschen, die ein solches historisches Unrecht erlitten haben, ein zweites Mal zum Opfer gemacht werden und dass das historische Unrecht seine Fäden in die Gegenwart spannt.
Scheint die moralische Position klar, so steht die rechtliche Handhabe des Problems unter grösseren Fragezeichen. Die Frage, die sich hier hauptsächlich stellt ist, ob in einer liberalen Gesellschaft das Grundrecht der freien Meinungsäusserung eingeschränkt werden darf und jemand dafür bestraft werden darf, dass er behauptet, ein historisches Unrecht wie Völkermord hätte nie statt gefunden oder dieses wird nur schon verharmlost und unter andere Vorzeichen gesetzt. Ist es zulässig, eine Meinung unter Sanktion zu stellen? Und wenn ja, wo zieht man die Grenzen? Stellt der Holocaust eine Sonderform von Völkermord dar, da die Zeit des Nationalsozialismus und die darin verübten Verbrechen zu einer ganzen Reihe Folgen führten, welche die heutige Zeit prägen (Zu nennen wären Gesetzesreformen, Staatsgründungen, etc.).
Folgt man der Argumentation dieser Arbeit, so kann Völkermordleugnung durchaus über den Paragraphen der Beleidigung und unter Umständen auch über Rassismusgesetze und gar als Verstoss gegen Grundrechte wie die Verletzung der Menschenwürde rechtlich verfolgt werden und man könnte sagen, ein eigener Völkermordparagraph wäre insofern hinfällig. Allerdings erscheint das erstens im Hinblick auf die Schwere des historischen Verbrechens unangemessen, dass etwas, das als eigentliche Fortführung desselben qualifizieren kann, nur über Umwege rechtlich belangt wird, und andererseits wäre es auch im Hinblick auf die Positionierung eines Staates und seiner Regierung angemessen, hier direkt und ohne Umwege zu reagieren. Völkermordleugnung stellt ein Unrecht dar, indem es die menschliche Würde antastet und Menschen erneut viktimisiert, welche schon einmal Opfer wurden. Sie stellt zudem eine Infragestellung einer heute eingenommenen gesellschaftlichen und politischen Haltung ein, dass solches Unrecht wie Völkermord nicht toleriert wird, dass es nie mehr passieren darf und man sich heute dagegen stellt. Würde man Völkermordleugnung akzeptieren und ihr nicht begegnen, setzte man so ein Signal in die entgegengesetzte Richtung und das wäre nicht gewünscht und kann im Interesse der gegenwärtig wie auch der zukünftig Lebenden nicht gewünscht sein. Zu argumentieren, dass Völkermordleugnung der freien Meinungsäusserung unterstellt sein müsse und somit von einem Grundrecht gedeckt sei, welches man nicht rechtlich antasten dürfe, wäre dabei eine Affront, da die freie Meinungsäusserung vor allem deswegen zum Grundrecht wurde, um genau solche Zustände, wie sie zu den Zeiten herrschten, die man nun durch die Leugnung verherrlichen oder verharmlosen will, in Zukunft nicht mehr möglich machen zu können.
Sandra, du schreibst echt gut. Ich kann’s gut lesen und verstehen, obwohl dieses Thema wirklich schwierig und komplex ist.
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