Was lange währt…

Bob Dylan erhielt den Nobelpreis für Literatur. Das könnte eine einfache Nachricht sein, doch es war mehr. Nicht nur regte sich der Literaturzirkus auf, dass ein Musiker reüssierte, er holte den Preis nicht ab. Und man wurde nicht müde, zu schimpfen. Gegen die Wahl, gegen sein Verhalten. (Hier der Artikel, dass er ihn doch abholt: LINK)

Wenn man das Auswahlverfahren für den Nobelpreis mal aussen vor lässt (es wäre bei Murakamis neustem Buch schön nachzulesen), bleibt die Frage: Was ist Literatur? Im Schimpfen gegen diese Wahl wurden viele Literaten genannt, die den Preis so lange verdient, aber nie bekommen haben. Wenn es denn schon ein Musiker sein sollte, man zeigte sich quasi kompromissbereit, wieso er? Wären nicht auch andere wählenswert gewesen?

Zur ersten Frage: Was anderes soll Literatur sein, als ein künstlerischer Text? Ob der gesungen, laut oder leise gelesen wird, kann wohl kaum das Kriterium sein – zumal: Brecht hat viele seiner Texte zu Musik geschrieben, Hölderlin und Zeitgenossen wurden oft vertont. hier nun zu motzen, das sei quasi der Preis vor die Säue geworfen, ist etwas gar neidbesessen.

Nun wird also Bob Dylan auserkoren. In einem alles andere als neutralen Verfahren (ich verweise erneut auf besagtes Buch, schlicht, weil ich alles andere suchen müsste, das hier grad greifbar habe und das Beschriebene für richtig empfand). Muss er nun springen? Und jubilieren? Alles fallen lassen? Wieso sind solche Auszeichnungen so wichtig? Vor allem für die, welche es eh schon geschafft haben? Sehnen sich nicht viel mehr die danach, die eben nicht dort sind? Und erachten dann das Verhalten desjenigen, der es für sich geschafft hat, als Affront, weil sie nie da sein würden?

In der ganzen Debatte um diesen Nobelpreis fällt mir nur immer ein Wort ein: Neidkultur. Es gibt KEIN Kriterium gegen die Wahl. Literarischer Text ist Literatur. Wenn er gut ist, sogar grosse. Ob da dann noch Noten unterlegt werden oder nicht, macht aus dem Text nicht weniger Literatur. Sonst müsste man das Heideröslein – das ich als gesangliches Nichttalent unter Qualen singen musste – zur Nicht-Literatur erklären. Man sollte Herrn Goethe ausbuddeln und schauen, was er dazu sagte.

„Sorry Wolfgang, nachdem nun Töne zum Text kamen, können wir dein Gedicht nicht mehr als Literatur anerkennen.“

Herr Goethe würde wohl laut lachen und sagen:

„Who cares?“

Weil er es konnte. Er tauschte sich ja auch mit Herrn Schiller aus, kritisierte dessen Werk und liess diesen mit seinem ebenso umgehen. Man lebte ein Miteinander und wuchs gegenseitig. Heute gönnt man sich nichts, es könnte ein anderer mehr vom Kuchen bekommen. Mit dieser Haltung verlieren alle. Am meisten man selber.

An dieser Stelle nochmals herzliche Gratulation an Bob Dylan. Der Preis war – ungeachtet der Umstände der Sprechung – mehr als verdient. Und wer das nicht glaubt, soll sich mal an die Analyse der Texte machen. Dann sprechen wir weiter.

Was ist Literatur?

Bob Dylan kriegt den diesjährigen Literaturnobelpreis. Einige jubeln, einige finden „endlich“ und ganz viele regen sich auf. Sie meinen, das sei keine Literatur. Sie weinen um die verpassten Chancen von Roth und Murakami. Der Buchhandel weint mit, weil er nun keine Bücher verkauft.

Aber: Wann ist Literatur Literatur? Hört ein Text auf, Literatur zu sein, wenn er musikalisch unterlegt wird? Muss Literatur zwischen Buchtexten stehen? Sind Gedichte Literatur und wo ist ihre Grenze zum Musiktext?

Musiktexte sind Literatur. Dass sie bislang ignoriert wurden, könnte man auch bemängeln. Literatur will sich immer wieder neu erfinden, liest man heutige Romane, lesen die sich anders als noch vor einigen Jahren. Und man jubelt darüber und schilt die, welche dem alten Roman nachtrauern einen Ewiggestrigen. Und dann, wenn Literatur weiter gefasst wird, als sie es grad für richtig halten, dann hört der Fortschrittsgeist auf? Dann möchte man die Literatur zwischen Deckel pressen und in Schubladen verstanden wissen?

Zudem: Ist der Literaturnobelpreis echt dazu geschaffen, einer Branche Einkünfte zu verschaffen? Wohl kaum. Dafür haben wir noch den Buchhandelspreis, den kann man gerne so steuern, dass er einträglich ist.