Wer ich bin und was ich will

Ich bin von Grund auf ein nachdenklicher Mensch. Hinterfrage viel, das Leben und vor allem mich selber. Immer wieder lege ich auf den Prüfstand, was sich einfach so bietet im Leben, höre dabei oft, ich denke zu viel.  Ich kann nicht aus meiner Haut.

Als  mein Mann und ich uns trennten, verlor ich nicht nur meine Familie, wie ich sie mir vorstellte, sondern auch die ganze an meinem Mann hängende Familie. Irgendwie gehörte die nicht mehr zu mir, zumal schon eine neue Frau an meines Mannes Seite stand, die nun eben da rein gehörte. Der Kontakt wurde weniger, wenn überhaupt, bestand er nur noch über meinen Sohn, der noch immer in dieser Familie zu Hause war. Seine Grosseltern waren ihm nahe und sollten es bleiben.

Mein Schwiegervater wurde krank. Ich erfuhr davon von Ferne, blieb aber in eben dieser, da ich nicht in etwas hinein wollte, das nicht mehr meines war. Die Krankheit wurde schlimmer, sie führte zu einem Punkt, an dem klar war, dass es nicht mehr gut, sondern langsam aber sicher dem Ende zu gehen wird. Da konnte ich nicht mehr fern bleiben, ich ging zu ihm. Ich sah, was ich ihm (immer noch) bedeutete und spürte, was er mir bedeutete. Ich bin froh, habe ich den Schritt gemacht, auch wenn es nun sehr schmerzhaft ist, ihn gehen zu sehen.

Das Ganze lässt mich nicht kalt, es hat viel bewirkt. Ich bin noch nachdenklicher geworden. Hinterfrage mich und mein Leben, wie es war. Frage mich, was kommt und was ich von diesem Rest des Lebens haben möchte. Es ist endlich. Das ist mir bewusst. Ich habe keine Angst vor meinem eigenen Tod. Lange fürchtete ich ihn, weil ich ein Kind habe. Dieses wird nun selbständiger, es käme klar. Insofern: Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Nicht, dass ich es mir wünschte, aber es ist kein Drama für mich, dass es so sein könnte.

Was habe ich gelernt? Ganz vieles, dies nur ein Teil davon:

  • Das Leben ist endlich – man muss es leben, wenn es da ist
  •  Man sollte sich dann für die Menschen Zeit nehmen, die einem wichtig sind, wenn sie da sind – es könnte zu spät sein sonst
  • Dinge immer nur aufzuschieben, weil ja alles Zeit hat, könnte ein Aufschub für immer sein –zudem verschenkt man schlicht Zeit damit
  • Man sollte mit seinen Gefühlen nicht hinterm  Zaum halten, es könnte sein, dass sie erwidert werden, ohne dass man es weiss
  • Das Leben ist zu kurz für Spiele
  • Das Leben ist zu kurz für faule Kompromisse
  • Selbst wenn alles traurig ist, es gibt immer etwas Schönes, Wichtiges, Lehrreiches in allem
  • Finde heraus, was du wirklich willst und geh den Weg

Habe ich was vergessen? Vermutlich ganz viel. Ich sehe einiges klarer heute, bereue gewisse Entscheidungen, Handlungen, Versäumnisse, werde sie nicht rückgängig machen können. Alles hat mich an den Punkt gebracht, an dem ich heute bin. Was bleibt ist, ehrlich zu mir selber zu sein, hinzuschauen, wo Fehler passierten, die mir selber einzugestehen (wenn möglich und nötig auch anderen gegenüber) und die Zukunft anzugehen. Ehrlich, mutig, authentisch.

Zu feste Bänder

Eines Morgens wachte sie auf und merkte, dass sie im falschen Film war. Der Film ging schon lange, es war nicht mehr ganz ersichtlich, wann er begonnen hatte, sich in eine Richtung zu entwickeln, mit der sie eigentlich nicht übereinstimmte. Sie war in diesem Film langsam vom Regisseur zum Statisten geworden. War sie je Regisseur gewesen? Sie hatte es bis vor kurzem meistens gedacht. Oder vielleicht hatte sie auch gar nicht gedacht, sondern hatte sich treiben lassen. Schon da nicht Fährmann, eher treibendes Holz.

Sie sitzt im Bett und träumt von neuen Ufern. Von Ufern, die anders wären als die Festung, in der sie gerade sass. Sie sah Landstriche, die hell und sonnig waren, die ein Gefühl von Freiheit in sich trugen. Sie sah ein neues Leben an einem neuen Ort vor sich und sie zeichnete dieses Leben in den buntesten Farben, in allen Formen, auf alle Weisen. Sie griff in die Farbtöpfe, kleckerte, klotzte ab und an gar. Weg mit den Hindernissen, weg mit den Hemmnissen. Sie dachte an all ihre Träume und Wünsche, dachte an das Leben, das sie mal leben wollte und sah hin, wo sie gelandet war. Und die Schere dazwischen liess sie in Abgründe blicken.

Sie beschloss, dass es nicht so weiter gehen konnte, dass die gemalten Bilder nicht nur Bilder bleiben sollten, sondern Realität werden. Sie wollte es angehen, wollte endlich auch im Leben aufwachen, nicht nur am Morgen nach einer wenig erholsamen Nacht. Sie wollte endlich leben, nicht nur überleben. Sie machte sich auf, voller Tatendrang, ging in den Tag hinein, im Hinterkopf die neuen Ziele, die neuen Welten. Sie wollte Neues finden, Aufregung, Abwechslung, sie wollte ihr Leben finden, es ausfüllen, nicht als Füllmittel für die Leben anderer dienen.

Und sie traf auf Menschen, fühlte sich endlich wieder frei und unbeschwert. Sie fühlte sich beflügelt, spürte, wie ihr Herz vor Aufregung Salti schlug. Sie spürte das Kribbeln im Bauch, fühlte sich verliebt in dieses neue Leben. Dass auch ein Mensch in ihren Blick kam, der dieses Gefühl verstärkte, liess das neue Leben noch besser werden.   Sie sah, dass es möglich war, sah, dass ihre Träume lebbar waren, das Leben mehr bereit hatte als sie in ihrem Gefängnis lebte. Sie sah, dass sie ihr Leben selber in die Hand nehmen und wieder fühlen konnte, wieder lebendig sein durfte und Wünsche Erfüllung finden können.

Sie müsste nur noch die letzten Bänder zum alten Leben abschneiden und nach vorne in das neue Leben gehen. Ein Schnitt und sie wäre frei und könnte ganz hineingehen. Nochmals neu anfangen. Sie blickte zurück und sah, was alles nicht gut war. Sie schaute nach vorne, sah, was alles lockte. Und doch: sie schaffte es nicht, die Bänder zu zerschneiden. „Was, wenn alles nur Schein ist und zerbricht? Was, wenn alles eine Illusion?“ Das Schlechte kannte sie, das hatte sie lange gelebt und sich dabei nicht nur schlecht gefühlt. Es war zwar nicht ihr Wunschleben, aber es war die Sicherheit des Bekannten. Sie versuchte eine Zeit lang, beides parallel laufen zu lassen. Doch der Spagat zehrte an allen Sehnen und Nerven. Und so legte sie sich zurück ins Bett, zog die Decke über den Kopf, verabschiedete sich von dem neuen Leben und flüchtete sich in die Dunkelheit der Nacht.

Ringe des Lebens

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

(Rainer Maria Rilke)

Draussen dämmert es, Mondlicht im See. Der Tisch ist gar klein und alles ist eng. Eine blassgelbe Blume kämpft gegen Schein, die Kerze soll Stimmung bringen, nimmt noch mehr Raum. Beide sind Schranke zwischen uns drin, stehen so da, nehmen uns ein. Da passt keine Hand durch, kein falsches Wort. Alle kommen sie durch die Blume hindurch.

„Hast du auch Hunger?“, du schaust zu mir hin, mit schwarzbraunen Augen, so gross und so ernst. Mir ist grad nach andrem, ich weiss nicht wonach. Irgendwo ist mir die Gewissheit verloren, was ich nun will  und was ich auch kann. Essen ist wohl die einfachste Wahl, alles andere erscheint mir so schwer. Etwas Rotwein könnt’ helfen, die Klippen zu weichen, den Kanten die Schärfe abziehn.

Das letzte Mal hier war ich im anderen Leben, mit einem anderen Mann. Ich war glücklich, dachte, ich könnte es sein. Dachte an Ankommen, an Friede und Heim. Wo vorher die Leere, ein pestscharzes Loch, schien Licht nun und Zukunft, was wollte ich noch? Vorher da suchte ich, Raum und auch Zeit. Verlor mich oft selber, um anders zu sein. Mich gefunden, verloren, neu erfunden, neu verwirkt. Aus jedem Scheitern habe ich Lehren gezogen, sie mitgenommen, gedacht, nun weiss ich es besser, die nächste Etappe in Angriff genommen, wieder gefallen. Und dann der Hafen. Der breite, grosse, mich einnehmend, verschlingend. Ich habe mich hingegeben. „Willst du mich ganz?“ Und wie ich es wollte. Hoch auf dem Berg mit Blick über alles. Ich war so frei, ich wollte es sein. Ich lief mit offenen Augen hinein ins Verderben. Wieso denk’ ich noch dran? Ich sitz’ hier mit dir.

„Magst du auch Wein?“ Unbedingt will ich, denn Wein ist so gut. Lässt die Gedanken anhalten, sie kreisen nicht mehr. In Ringen, der eine dem anderen nach, immer grösser, immer weiter. Ein Stein fiel ins Wasser, zog sie um sich, einen ganz klein, den nächsten darum. Sie werden grösser, fliessen aus, blenden aus, was da noch war. Mittendrin, da spiegelt sich noch immer der Mond.

Oft sassen wir oben am Berg und sahen den Mond. Wir sahen den See und träumten die Welt, die Luftschloss nur war. Versprochen war Stahl. So hart er auch ist, so sicher wirkt er. Zurück blieb ein Hauch, ein nichts war mehr da. Hier sitze ich nun und alles ist neu. Du bist da, verstehst mich sogar, wie keiner es tat. Gleiche Themen, gleiche Träume. Ich vermisse den Stahl, sehe nur Luft. Mir fehlt der Glaube, wie kann das besteh’n?

Ich sag’s durch die Blume. Du verstehst es wohl nicht. Vielleicht ja auch doch, willst es nur nicht. Du glaubst an die Zukunft, bist lebensfroh. Ich beneid’ dich darum, ich wär’ auch gern so.  In mir dreh’n die Kreise, sie schaukeln sich hoch. Soll ich ihn wagen, kann ich es tun? Noch einmal kreisen, zum wievielten Mal? Ertrag ich den Fall, wenn er denn kommt? In mir wächst Wehmut in Kreisen heran, die weder Wein noch Salat retten kann. Mir fehlt die Gewissheit, mir fehlt auch der Mut. Ich kreise im Alten, das kenne ich gut.  Und wenn es dann scheitert, dann bin ich geübt, nichts wird mehr töten, es ist schon erprobt.

Macht der Gewohnheit

Wie oft verharrt man in Situationen, die einem nicht gefallen, die einen leiden lassen, die weh tun. Wie oft versagt man sich ein Glück, das eigentlich zum Greifen nah sein könnte, das man sich aber nicht zu greifen getraut. Wieso? Weil man dafür etwas aufgeben müsste. Etwas, das da ist, das man kennt. Man kennt es mit all seinen negativen Seiten, all seinem Schmerz, all seinen Schwierigkeiten. Aber man kennt es.

Das Neue klingt toll, aber was, wenn es nicht hält?Was, wenn es auch schwierige Seiten hat, die man nicht kennt? Solche, die man erst erfahren muss, damit umgehen lernen muss? Mit den alten Schwierigkeiten hat man sich – mehr schlecht als recht, aber doch – arrangiert. Drum bleibt man dabei, leidet vor sich hin, sucht weiter nach dem Glück, um es jedes Mal wieder gehen zu lassen, wenn man nur eine blasse Ahnung davon hat. 

Lebe deine Träume, träume nicht dein Leben.

Es klingt so gut, es klingt so wahr und vor allem klingt es einfach. Aber alles andere als das ist es. Man wünscht sich ein Leben nach seinen Plänen, nach seinen Massstäben, nach seinen Zielen. Erfüllt soll es sein, voller Liebe, voller Zufriedenheit, lebendig.

Leben bedeutet immer auch Veränderung. Mal im Kleinen, mal etwas grösser. Wir jedoch halten krampfhaft fest, was ist. Brechen ab und an vielleicht in Gedanken aus, vielleicht auch ein wenig real, um dann schnell und unbemerkt wieder zurück zu krebsen. Im Schoss der Gewohnheiten, des Althergebrachten fühlen wir uns geborgen. Ein Gefühl, das wir nicht mehr im Stande sind, uns selber zu geben, weil wir uns und der Welt nicht trauen, weil sie so gross, so schnell, so unbeständig scheint. Alles, was wir haben, ist das, was ist. Und wir krallen uns förmlich fest. Nichts soll entgleiten. Auch wenn es nicht wirklich das ist, was wir uns wünschen.  Es ist alles, was wir haben. Und:

Schlimmer geht immer.

Allerdings könnte es auch besser werden. Wenn man sich traute, wenn man sein Leben in die Hand nimmt und versucht, das aus seinem Leben zu machen, was man sich davon auch wirklich erhofft. Dazu hilft es, auch mal hinzusehen, was ist. Das Leben ist nicht einfach, wie es immer war, man hat es selber in der Hand, es aktiv mitzugestalten, wie es sein soll. Ab und an bedeutet das, Abschied nehmen von lieb gewonnen oder nur einfach vertrauten Gewohnheiten. Etwas zu wagen, einen Schritt nach vorne zu gehen. Nicht jeder Schritt geht direkt ins Glück, einige gehen auch in die Irre. Doch wäre ein Verharren im Leid, im ungewollten Leben wirklich besser?

Drum wünsche ich mir fürs neue Jahr Mut, Zuversicht, Willenskraft und gutes Schuhwerk, um meinen Weg zu gehen. Ich wünsche mir die eine oder andere Hand, die mir hilft, wenn ich falle, hoffe auf viel Licht, damit ich den richtigen Weg sehe und auf viel Freude, ihn mit leichtem Herzen gehen zu können. Ich wünsche mir gleich gesinnte, gut gewillte Wegbegleiter und auch das eine oder andere Hindernis, damit ich die Leichtigkeit des Seins im Gegenzug zu schätzen weiss.