Aus dem Bücherregal: Alessandra Mattanza, «Street Art»


Von Wänden, die sprechen – ein Buch über den Freiheitsdrang einer Kunstform, die nie stillsteht.

Einleitung
Street Art ist mehr als Farbe an der Wand – sie ist Ausdruck, Protest, Lebensgefühl. Alessandra Mattanzas Street Art führt Leserinnen und Leser in die globale Szene urbaner Kunst ein. Die Reise geht von Lissabon bis Seoul, von New York bis São Paulo. In großformatigen Fotografien und persönlichen Texten porträtiert sie Künstlerinnen und Künstler, ihre Werke und Motive. Das Buch zeigt, wie Street Art öffentliche Räume prägt, gesellschaftliche Fragen reflektiert und Städte zu lebendigen Leinwänden macht. Mattanza vermittelt die flüchtige, kraftvolle Energie dieser Kunstform und eröffnet einen Blick auf die Menschen, die sie gestalten.

Kunst als Zeugnis der Zeit


„Street Art ist nicht nur Bild, sondern Zeitgeschehen. Alles vergeht, und gerade darin liegt ihr Reiz.“ – Alessandra Mattanza

Mattanza führt durch Metropolen und Randzonen, überall dort, wo sich Kreativität Bahn bricht, wo Mauern zu Tagebüchern werden und Beton zu Leinwand. Sie begegnet Künstlerinnen und Künstlern, die mit Sprühdose, Pinsel oder Schablone arbeiten, mit Worten, Symbolen oder stillen Zeichen. Ihre Texte sind mehr als Begleitkommentare: sie erzählen von Begegnungen, von Gesprächen in Ateliers, auf Dächern, in stillen Hinterhöfen. Es sind Miniaturen über Menschen, die Kunst als Lebensform begreifen – spontan, widerständig, lebendig.

Vergänglichkeit als Prinzip
Street Art, das wird in diesem Buch spürbar, besteht nicht nur aus Bildern, sie be- und durchleuchtet Zeitgeschehen. Nichts bleibt, alles vergeht – und genau darin liegt ihr Reiz. Mattanza fängt diesen flüchtigen Moment ein, ohne ihn festzunageln. Ihre Fotografien sind kraftvoll werden ergänzt durch eine ruhige, teilweise fast poetische Sprache: Beobachtungen über Farbe, über Orte, über die Beziehung zwischen Kunst und Stadt. In dieser Balance von Dokumentation und Empfindung liegt die Stärke des Buches.

Kunst zwischen Protest und Poesie
Die porträtierten Künstlerinnen und Künstler kommen aus unterschiedlichen Kontinenten, ihre Themen reichen von politischem Widerstand über soziale Ungleichheit bis zu reiner Lebensfreude. Street Art ist immer beides – Ausdruck und Aufbegehren. Sie kann Schönheit sein, wo man sie nicht erwartet, und Kritik, wo man sie überhört. Das Buch macht sichtbar, dass Street Art längst mehr ist als subversive Geste: Sie ist Teil der globalen Kultur, eine Sprache ohne Übersetzungspflicht, verstanden von allen, die hinschauen.

Stärken und Schwächen
Mattanzas Stärke liegt in ihrem Blick – und in ihrem Vertrauen in die Kunst. Sie beschreibt nicht aus der Distanz der Theoretikerin, sondern aus der Nähe der Beobachterin. Ihre Porträts sind sinnlich, die Fotografien eindrucksvoll komponiert, das Layout großzügig und atmend. Es entsteht ein Sog, der Leserinnen und Leser mitten in die pulsierende Welt der urbanen Kreativität zieht.
Doch gerade diese Fülle ist zugleich eine kleine Schwäche: Die Vielzahl an Stimmen und Bildern lässt kaum Raum für tiefere kunsthistorische oder gesellschaftspolitische Analyse. Wer nach theoretischen Bezügen oder einer vertieften Reflexion über Ästhetik, Raum und Macht sucht, wird sie nur andeutungsweise finden. Aber vielleicht ist das kein Mangel, sondern Programm. Mattanza will nicht sezieren, sie will zeigen. Sie vertraut der Wirkung des Bildes, dem Moment, der Energie der Straße – und genau darin liegt der Zauber dieses Buches.

Ein Atlas der Gegenwart
Street Art ist prachtvoll gestaltet, ein ästhetisches Vergnügen, aber zugleich ein Stück Zeitdiagnose. Mattanza beschreibt die Mauern dieser Welt wie eine Chronik unserer Epoche – voller Widersprüche, Farben, Schichten. Ihre Essays sachlich und doch persönlich und gut lesbar, nie belehrend, nie nach Effekten haschend. Man spürt, dass sie Street Art nicht aus der Distanz betrachtet, sondern aus tiefem Interesse an dieser Kunstform, welche sie als Ausdruck von Freiheit in einer oft von Regeln erdrückten Welt sieht.

Fazit
Alessandra Mattanzas Street Art ist ein Plädoyer für den offenen Blick. Für Kunst, die nicht abgeschlossen ist, sondern wächst, ergänzt oder übermalt wird, verschwindet und wiederkehrt. Ein Buch, das sich nicht nur an Kunstliebhaber richtet, sondern an alle, die verstehen wollen, wie Kunst auch sein kann fernab von Galerien und Museen: mitten im Leben, mitten in der Stadt. Und vielleicht ist das die schönste Botschaft dieses Bandes: Kunst ist dann am lebendigsten, wenn sie allen gehört.

Zur Autorin
Alessandra Mattanza ist Kunsthistorikerin, Autorin und Kuratorin. Sie lebt in Italien und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit zeitgenössischer urbaner Kunst. Neben Ausstellungen und Vorträgen veröffentlicht sie Bild- und Textbände, in denen sie Künstlerinnen und Künstler aus der Street-Art-Szene porträtiert. Mattanza legt besonderen Wert darauf, die Dynamik, den Kontext und die gesellschaftliche Bedeutung der urbanen Kunst sichtbar zu machen.

Angaben zum Buch:

  • Herausgeber ‏ : ‎ Prestel Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 10. April 2018 Auflage ‏ : ‎ 2.
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 256 Seiten

Aus dem Atelier: Rationaler Abgesang

Die westliche Welt ist eine mehrheitlich rationale. Alle Schöngeistigkeit wird einerseits bewundert, gilt aber andererseits als lebensfern und fällt damit durch die Raster (der Bildung, der Finanzierung, der gesellschaftlichen Relevanz, etc.) des allgemeingültig als anzustrebendes Leben Bewerteten. Viele Jahre war ich als Philosophin mittendrin in dieser rationalen Welt, diskutierte, argumentierte, feierte Kant und Konsorten, studierte wissenschaftliche und historische Zusammenhänge, wirtschaftliche Bedingungen und gesellschaftliche Abgründe. Wie viel Kraft es mich gekostet hat, merkte ich erst bei meinem ersten Ausbruch – damals in die östliche Welt des Yoga und Buddhismus, dann später immer wieder durch Ausflüchte in die Kunst. 

Das Schöne am Älterwerden ist, dass ich mittlerweile vieles hinter mir lassen darf, dass mich nicht mehr so sehr kümmern muss, was andere denken oder über mich sagen (und doch tut es das noch viel zu sehr, ich arbeite dran).  Dafür, dass mir die Worte abhanden gekommen sind, kamen nun doch wieder viele zusammen. Es werden wohl mitunter weniger werden, denn ich merke, die Suche nach Worten lässt mich ganz schweigsam zurück. 

Habt einen schönen Tag. 

Aus dem Atelier: Eine Birne ist eine Birne ist…

„Jedes Mal, wenn ich ein Stillleben male, stelle ich begeistert fest, dass ich abertausend Dinge sehe. Welches soll ich auswählen? Je mehr ich betrachte und darüber nachdenke, desto mehr sehe ich.“ David Hockney

Ich bin jüngst in die Welt der Stillleben eingetaucht, am Anfang stand die Birne. Ich habe sie in diversen Varianten gemalt und gezeichnet und immer wieder kam ein neues Bild einer Birne heraus. Ist alles die gleiche Birne? Sind es verschiedene Birnen? Sind es Birnen, wie ich sie sehe?

Als eine Betrachterin seines Bildes Franz Marc mal sagte, Pferde seien gar nicht blau, meinte er nur: „Das ist auch kein Pferd, das ist das Bild eines Pferdes.“

Vielleicht ist es genau das, was ich wir oft vergessen: Wir sehen gar nicht die Welt, wir sehen nur das Bild, das wir uns von ihr machen? Das Bewusstsein könnte dazu beitragen, offener gegen andere Weltbilder zu werden.

Habt einen schönen Tag!

Aus dem Atelier: Keine Kunst

„Das ist doch keine Kunst, das ist viel zu gefällig. Das geht höchstens als Dekoration durch.“

„Kunst muss eine Aussage haben, sie muss eine kritische Auseinandersetzung sein mit der Welt. Sonst ist es nur belanglose Malerei.“

„Mal mal Menschen, das ist die wahre Kunst.“

„Blumen sind typische Frauenmalereien. Kunst ist was anderes.“

„Ist das nur nach Referenz gemalt oder hast du das aus dem Kopf gemacht?“

„Wie lange hast du dafür gebraucht?“

Fragen, die so auf einen einströmen. Und ich frage mich dann, wieso all das so wichtig ist? Was hat es auf sich mit der Kunst? Einerseits werden Künstler belächelt und gesellschaftlich nicht ernst genommen, tun sie doch etwas nicht Systemrelevantes, andererseits wird ein Mythos um den Künstler und sein Tun gebildet, welcher zum Sockel wird, auf welchen man gehoben werden muss – vorgeblich von denen, welche sich die Deutungshoheit in dieser Sache zuschreiben.

Aber es ist da wohl wie überall, wo es menschelet, wie wir Schweizer so schön sagen: Die Kritik am anderen und an dessen Tun ist sehr bequem und drum genehm, hebt sie einen selbst doch über ihn und wird zur Selbstbestätigung. Schliesslich muss der Messlattensetzer doch am oberen Ende derselben stehen, von da aus misst er ja. Dumm ist eigentlich nur eines: Das alles zu ernst zu nehmen. Noch dümmer: Sich davon beeinflussen zu lassen. Machen wir nicht, oder?

Habt einen schönen Tag!

Aus dem Atelier: Sichtweisen

Wenn eine Zeichnung entsteht, was war zuerst? Eine Botschaft, die ihren Ausdruck suchte? Ein Ausdruck, die sich durch die Interpretation erschliesst? Was will der Künstler sagen? Und was sagt er? Was liest der Betrachter? Soll er was sehen? Ich glaube, Picasso war es, der sinngemäss fragte, ob der, welcher nach der Bedeutung eines Kunstwerks sucht, auch nach dem Bedeutung des Vogelgesangs fragt. Nun ist das natürlich ein denkbar schlechter Vergleich, da der Vogelgesang in der Tat eine Aussage hat, für einen Zweck, nämlich dem der Kommunikation existiert. So rational war aber die Frage nicht.

Ich glaube ja, dass Kunst da entsteht, wo keine Absichten mehr sind. Da, wo man nicht etwas ausdrücken will, drückt sich etwas aus, das da ist. Das ist nicht so esoterisch gemeint, wie es klingt, ich denke nicht an eine übersinnliche Macht oder höhere Quelle, sondern an all das, was im Menschen drin ist und sich einen Weg nach draussen bahnen will. Die einen schreiben es sich von der Seele, die anderen reden, die Dritten malen, einige kochen, putzen, laufen…

Und selbst wenn dieses Bild ein Ausdruck von etwas Innerem ist, heisst das nicht, dass der Betrachter genau das auch sehen kann oder gar muss. Ist es nicht viel interessanter, zu hören, was der Betrachter hört, als das, was der Künstler wollte? Dadurch würde etwas offensichtlich, was wir im Alltag oft vergessen: Es gibt verschiedene Sichten auf den gleichen Gegenstand. Um die richtige zu kämpfen ist eigentlich eine Unsinnigkeit, die zu nichts als Zwietracht führt. Eine Wahrheit gibt es nicht. Oder wie Heinz von Förster sagte:

„Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.*

Aus dem Atelier: Sonnenstrahl

„Ein Sonnenstrahl reicht hin, um viel Dunkel zu erhellen.“ Franz von Assisi

Es muss nicht immer viel und gross sein, oft sind es die kleinen Dinge, die grosses Bewirken. In er japanischen Philosophie „Ikigai“ gibt es die fünf Säulen, wobei die vierte besagt, man solle sich an kleinen Dingen freuen. Wie viel Gutes wäre plötzlich in der Welt, würden wir das nicht übersehen bei unserer Suche nach dem Besseren?

Heute werde ich die Sonne wohl in mir finden müssen, denn draussen ziert sie sich. Etwas Farbe kann da helfen.

Habt einen schönen Tag!

Aus dem Atelier: Go Girl

„Ich suche nicht, ich finde.“ Pablo Picasso

Immer wieder habe ich mich dabei ertappt, dass ich krampfhaft versuchte, „mein Ding“ zu finden. Und ich schwirrte vom einen zum anderen und immer bleibt nach einer kurzen „Heureka-Euphorie“ ein ernüchtertes „Nein, doch nicht“ zurück. Und dann machte ich einfach wieder, was mir in den Sinn kam, und merkte, dass eigentlich alles da war. Ich es nur sehen und als „mein Ding“ erkennen müsste. Und dann schaute ich manchmal zurück auf all die Ausflüge meiner Suchereien und sah, dass in all diesen auch durchschien, was ich tue, wenn ich eben aus mir heraus arbeite und nicht nach etwas im Aussen suche.

Ich bin aus meinem früheren Leben in der Akademie so gewohnt, dass man sich abstützen, dass man bei andern suchen muss, dass man belegen und bewerten, zielorientiert vorgehen muss, dass es mir immer wieder schwer fällt, aus mir heraus frei zu arbeiten. Ich habe gemerkt, dass mir das am besten gelingt, wenn ich die Ansprüche loslasse und denke, ich übe nur. Und plötzlich ist da was, das mir gefällt. Von dem ich denke: „Genau so.“

Pablo Picasso sagte mal, Inspiration müsse einen beim Arbeiten finden. Das trifft für mich auch zu. Je mehr ich mache, desto mehr kommt alles ins Fliessen. Wenn ich aber zu viel denke, kommt alles ins Stocken.

Habt einen schönen Tag!

Aus dem Atelier: Femme fatale

«Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr man die Welt liebt, desto schöner wird man sie finden.» Christian Morgenstern

An den Klagen über die grausame Welt mag viel dran sein. Zu allen Zeiten hat es sie gegeben und jede fand die ihre besonders schlimm. Zu allen Zeiten gab es aber auch Schönes und Gutes. Es liegt an uns, worauf wir den Fokus richten wollen.

Ich bin überzeugt, dass das Leben ein glücklicheres ist, wenn man den Fokus auf das Schöne legt. Wie sagte schon Epiktet: Es gibt Dinge, die wir nicht ändern können, weil sie nicht in unserer Hand liegen. Und es gibt Dinge, die liegen in unserer Hand, sie können wir steuern. Steuern können wir mehrheitlich nur unseren Blick auf das, was ist, nicht aber dass es ist.

Und so habe ich beschlossen, mich fortan (noch mehr) dem Schönen zuzuwenden. Anderes gibt es ja wahrlich schon genug, darum muss ich mich nicht auch noch kümmern. Ich fange gleich mit dem Wochenende an.

Habt einen schönen Tag!

Aus dem Atelier: Abstecher in die Modewelt

In den letzten Tagen habe ich einen Abstecher in die Welt der Mode, genauer der Modeillustration gemacht. Fasziniert von verschiedenen Künstlern, liess ich mich treiben, zeichnete mit klareren Linien, «zog meine vormals nackten Frauen an», liess sie gehen, stehen, tanzen. Ich experimentierte mit einem illustrativeren Stil und irgendwie gefiel mir das Aufgeräumte, die klaren Strukturen. Weniger Chaos, weniger Dreck, weniger Unordnung – sowohl auf dem Papier wie auch im Atelier. Als ordnungsliebender Mensch kam mir das sehr entgegen.

Und plötzlich merkte ich eine innere Unzufriedenheit. Da fehlte plötzlich was. Etwas, das mir die Kunst vorher gegeben hat: Die Freude am Erforschen. Ich hatte mein Grundthema verloren, nämlich den Menschen in seiner Welt und seinem Sein einen Ausdruck zu geben. Ich hatte ihn im wahrsten Sinne verkleidet.

Heute habe ich ihn wieder entkleidet. Gewisse Dinge werde ich aber mitnehmen aus der Zeit. Und genau das ist das Schöne, das wohl auch zu (meine)m Weg gehört: Immer wieder Neues erforschen, um dann mitzunehmen, was passt und wegzulassen, was doch nicht meins ist.

Habt einen schönen Tag!

Das Bild entstand nach einer Fotografie des Modehauses Chloé.

(Die Zeichnung habe ich eingescannt, um verschiedene Farbvariationen auszuprobieren. Den für solche Dinge eigens angeschafften Scanner einzurichten, war eine Herausforderung für sich….)

Ernst Ludwig Kirchner (6. Mai 1880)

«Der Maler malt die Erscheinung der Dinge, nicht ihre objektive Richtigkeit, ja er erschafft neue Erscheinungen der Dinge.» Ernst Ludwig Kirchner

Ein glückliches kann es wohl nicht nennen, blickt man auf das Leben von Ernst Ludwig Kirchner. Geboren am 6. Mai in Aschaffenburg, wo er das Abitur machte und danach Architektur studierte und auch zum Abschluss brachte. Statt sich diesem Beruf zu widmen, begab er sich voll in die Kunst, gründete zusammen mit Emil Nolde, Max Pechstein und Cuno Amiet die Künstlergruppe «Die Brücke». War er zuerst von den Impressionisten inspiriert, wandelte sich sein Stil schnell in Richtung Expressionismus, für welchen er bis heute als prominentes Aushängeschild gilt.

Leider blieb ihm die gebührende Anerkennung verwehrt, so dass er Dresden den Rücken kehrte und nach Berlin zog. Auch da war er nicht zufrieden mit der Resonanz, so dass er sich selbst unter Pseudonym Kritiken schrieb. Das mangelnde Interesse hielt ihn nicht davon ab, ein umfangreiches Werk zu schaffen. Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Schaffenskraft. Er diente zuerst als Freiwilliger, danach als Rekrut, doch war er dem Druck nicht gewachsen und erlitt einen Nervenzusammenbruch, aus welchem wohl die ihn bis zum Schluss begleitende Drogenabhängigkeit resultierte.

Die bunten Farben von Kirchners Werken können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein Leidender war. Er litt an der mangelnden Aufmerksamkeit, an Krankheit, am Leben.
Der Zweite Weltkrieg stürzte ihn schliesslich vollends in die Verzweiflung. Die Nationalsozialisten deklarierten sein Werk als entartete Kunst, seine Werke wurden aus den Museen entfernt, viele sogar zerstört.

«Ich hoffte immer, dass Hitler für alle Deutschen wäre, und nun hat er so viele und wirklich ernsthafte gute Künstler deutschen Blutes diffamiert. Das ist sehr traurig für die Betroffenen, denn sie, die ernsthaften darunter, wollten alle und haben geschaffen für Deutschlands Ruhm und Ehre.» Ernst Ludwig Kirchner

Die Aussage zeugt nicht nur von politischer Ignoranz und prominentem Nationalstolz, sie weist auch andere bedenkliche Andeutungen auf, welche an dieser Stelle aber nicht Thema sein sollen. Es bleibt Kirchners Leiden an der Situation, die er, seit 1917 in Davos (Schweiz) zwar von Ferne, aber doch gefühlt unmittelbar erlebte. Seine Morphinsucht verschlimmerte sich, nachdem er vorher davon weggekommen war, bis er sich am 15. Juni 1938 mit einem Schuss ins Herz das Leben nahm. So lautet zumindest die ärztliche Diagnose, an welcher es doch verschiedene Zweifel gibt.

Aus dem Atelier: Scham

«Das Schöne, auch in der Kunst, ist ohne Scham nicht denkbar.» Hugo von Hofmannsthal

Als ich nach Zitaten über die Scham suchte, hatte ich natürlich etwas im Sinn. Allerdings entsprach das in keiner Weise dem, was ich gefunden habe. Scham, so landläufig die Ansicht, sei es bei Philosophen, Literaten oder in Religionsbüchern, wird als Zier und gebührliches Empfinden gesehen. Sie ist quasi der Hüter der Moral, der Wächter über Zucht und Ordnung.

Nun kann ich dieser Sicht durchaus etwas abgewinnen, doch mir ging es um etwas anderes: Um die Scham, die wir oft verspüren, wenn es um unsere Unzulänglichkeiten und vermeintlichen Unperfektheiten geht. Wir verstecken sie so gut wie möglich, verstecken damit uns selbst auch, denn indem wir diesen Teil verbergen, dringt nur noch eine halbherzige Version unserer selbst nach draussen. Wir vermitteln ein Bild, das nur in Teilen uns entspricht.

Das ist sicher gut und sinnvoll als Selbstschutz in gewissen Momenten, doch oft kann einem dieses Verhalten auch behindern. Wir stehen uns damit selbst im Weg, weil wir uns nicht trauen. Wir fürchten uns vor unseren Fehlern, fürchten uns vor den Reaktionen darauf, und wagen nicht, was wir eigentlich gerne tun und sein würden.

Das liegt sicher mit daran, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Fehler und Scheitern verteufelt werden, etwas, das es nicht geben darf. Wie schade. Wie oft zeigen sich gerade in Fehlern oder Dingen, die nicht gelingen neue Wege und Möglichkeiten? Kreativität entsteht da, wo dem freien Ausprobieren nichts im Wege steht. Und meiner Meinung nach entsteht dann das Schöne. In der Kunst und im Leben.

Habt einen schönen Tag!

Crazy Birds: Verrücktes Huhn

«Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.» Mark Twain

Habt ein schönes Wochenende!

Dieser Vogel ist Teil einer ganzen Serie, die in einer früheren Schaffensphase entstanden ist. Da ich ein neues Projekt in diesem Stil begonnen habe, möchte ich ein paar der Vögel nochmals aufleben lassen, weil sie für mich wichtig sind und ich sie nach wie vor liebe. Viele davon sind auch schon in neue Zuhause weggeflogen. Leider habe ich es verpasst, sie fotografisch festzuhalten. Das hole ich nun mit den noch vorhandenen nach.

Aus dem Atelier: Studien und Stile

«Meine Bilder sind Gleichnisse und nicht Abbilder.» Ernst Ludwig Kirchner

Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit wird oft als höchstes Kriterium für Bilder gewertet. Bei näherem Betrachten stellt sich jedoch die Frage, ob das wirklich stimmt. Ich bin sehr dafür, eine realistische Darstellung im Hinblick auf Proportionen und Flächenwirkungen zu üben und zu können. Einfach ein Strichmännchen zu zeichnen und zu behaupten, das sei eben der eigene Ausdruck und die Sicht auf den Menschen, greift mir persönlich zu wenig tief. Allerdings denke ich, dass es dann auch weitergehen sollte. Zwar achte ich das Handwerk von Menschen, die fotorealistisch zeichnen und malen können, sehr, bewundere es auch (vor allem auch die Disziplin und Ausdauer, die darin steckt), allerdings fehlt mir da immer der künstlerische Ausdruck, die persönliche Bildsprache, der Künstler im Werk.

Wie seht ihr das?

Habt einen schönen Tag!

Aus dem Atelier: Stiller werden

«Alles vei ihnen redet, nichts gerät mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?» Friedrich Nietzsche

Ich habe lange überlegt, eine Pause einzulegen hier und in den sozialen Medien. Ich habe mich nun dagegen entschieden (vorerst), trete aber kürzer. Ich möchte nicht im Akkord liefern müssen, sondern mir die Zeit und Ruhe geben und nehmen, meine Kunst weiterzudenken, weiter zu entwickeln. Ich möchte frei und spielerisch die Möglichkeiten erkunden, Formen und Linien entstehen und Farben fliessen lassen.

Der tägliche Gedanke, was ich davon präsentieren und vor allem auch, was ich dazu sagen möchte, kostet Zeit und Energie. Und er übt einen Druck aus, der mich müde macht. Mit dem Titel «Tagesbild» habe ich wohl zusätzlich die Erwartung geweckt, die Bilder kämen auch wirklich täglich. Und wie es meinem Naturell entspricht, enttäusche ich Erwartungen ungern. Dabei war es nie so angedacht. (Darum nun neu: Aus dem Atelier)

Frei nach Nietzsche werde ich also weniger gackern und mehr Eier brüten. Es wird nicht still hier, aber stiller. Ab und zu mache ich auch Ausflüge ins Bücherregal, stöbere in Bildbänden, lasse mich inspirieren, tauche in die Bildwelten grosser Künstler ein. Auch darüber möchte ich ab und zu berichten. Vielleicht finden auch andere darin Inspiration.

Ich wünsche euch einen guten Start in diese kurze Woche.