Gedankensplitter: Das Wichtige im Blick behalten

«Manchmal ist man nicht in der Lage, zu erkennen, dass so etwas wie Zufriedenheit möglich ist, weil diese Zufriedenheit so klein wirkt neben dem Glück, das man sich wünscht.» Daniel Schreiber, Zuhause

Es gibt die Diskussion, ob ein Glas halb voll oder halb leer ist. Aus der Antwort werden dann die möglichsten und unmöglichsten Schlüsse gezogen, ganze pseudopsychologische Profile lassen sich mal ernst, mal spasseshalber erstellen. Ich denke, es ist weniger relevant, welche Antwort wir geben, als dass wir uns überhaupt mit dieser Frage befassen. Sie setzt voraus, dass wir einerseits überhaupt ein Glas haben und auch die Möglichkeit, es zu füllen. Wir nehmen das selbstverständlich. Den Mangel sehen wir erst im Umstand, dass das Glas nicht ganz voll sein könnte.

Wir leben in unseren Welten und nehmen oft das als selbstverständlich, was wir haben. Wir sind daran gewöhnt und hinterfragen es nicht mehr. Wir sehen nicht die Vorteile, die wir anderen gegenüber haben, wir schätzen nicht all das, was gut ist, da es nicht in Frage gestellt ist. Stattdessen streben wir nach mehr. Ein grösseres Auto, noch eine Handtasche, das 40. Paar Schuhe und vieles mehr stehen auf der Liste der Dinge, die uns zu unserem vermeintlichen Glück noch fehlen.

Und oft sind wir so sehr mit diesen Wünschen beschäftigt, dass wir das verpassen, was wir schon haben. Dann stürzen wir das Glas runter, egal ob halb voll oder halb leer, und geniessen nicht mal wirklich den Inhalt desselben.

Gier und Glück

Gier ist eine der Todsünden, sie wird als übersteigertes Streben nach Habenwollen, als Raffsucht bezeichnet. Sucht ist eine Krankheit, insofern müssten wir uns fragen: Ist unsere Gesellschaft wirklich krank? Einer Sucht verfallen, aus der sie nicht mehr herausfindet? Welche Therapie kann helfen? Abstinenz? Schicken wir sie einfach mal zu den AG – den Anonymen Gierigen, wo sie sich gegenseitig vorstellen und von Ihrem Streben erzählen können?

„Hallo, ich bin Karl. Ich habe schon Millionen, doch ich brauche mehr.“

Haben hat Sein ersetzt. Suchte man früher zu sein, denkt man nun, dieses sei nur über das Haben zu erreichen. Nicht mehr Sein oder Haben heisst es, sondern Sein durch Haben – vermeintlich. Und da niemand entdeckt, dass man nicht mehr als sein kann, will man immer noch mehr haben, um mehr zu sein. Doch mehr wovon? Wohlstandsbauch? Eher unsexy, wobei ab einem gewissen Haben ist das in gewissen Kreisen nicht mehr relevant, da fungiert das Haben als Kraft der Anziehung.

Fakt scheint zu sein: Haben macht nicht glücklich. Gemunkelt wird schon lange, dass zumindest Geld nicht glücklich macht, aber auch Haben insgesamt scheint es nicht zu tun. Denn wäre man glücklich, dann wäre man zufrieden, vor allem mit dem, was man hat. Doch man will mehr Haben. Man will krankhaft viel haben, verfällt einer Sucht, immer noch mehr haben zu wollen. Wie anders ist es zu erklären, dass gewisse Manager nach Millionensalären über Jahren noch goldene Fallschirme verlangen, im Wissen (und intelligent genug sind sie, sie müssen es wissen), dass das hohe Wellen schlagen wird? Das Wissen verleitet sie, zuerst alles abzustreiten, dann alles spenden zu wollen (wieso es dann überhaupt nehmen?) und am Schluss zu verzichten. Nicht etwa aus Grossmut, nein, weil fast keine andere Wahl blieb. Und weil sie wohl schon neue Wege zu neuem Haben vor sich sehen.

Wozu also das Haben? Es ist wohl der sicherste Wert, den man sieht. Das Sein wankt, es ist unsicher, man weiss nicht, wo sich orientieren, da zu viele Stimmen reden, wie es aussehen müsste. Eine innere, eine alte der Eltern, eine der Firma, eine von irgendwelchen Idealvorstellungen, eine weitere von Freunden, Umfeld, Feinden…wohin hören? Da scheint es einfacher, sich dem schnöden Haben zuzuwenden. Das hat man oder hat man nicht. Dass man das Sein trotzdem vermisst, nagt von tief drin nach aussen – immer neue Höhlen. Und jedes gefühlte Loch lässt die Sucht, mehr haben zu wollen, von Neuem grösser werden. Bloss nicht ins Loch fallen, es schnell zuschütten mit Haben. Daran kann man sich eine Weile halten, bis es nicht mehr reicht und neues Haben her muss. Um neue Löcher zu stopfen. Das Sein findet man so nie, wirkliche Freunde auch nicht. Aber immerhin gibt es Halt. Für kurz. Für einen selber. Rundherum fühlen viele Löcher im Bauch ob dieser Gier des Habenwollens. Doch darauf kann man keine Rücksicht nehmen. Man hat eigene Löcher zu stopfen.