Aus dem Atelier: Poesie der Malerei

„Gedichte sind Bilder des Lebens in Klänge gepackt, sie sind der pulsierende Atem des Lebens im Rhythmus der Sprache.“

Das schrieb ich als Klappentext zu meinem Gedichtband, der vor vielen Jahren in Buchform erschienen ist. Ich habe viele Jahre keine Gedichte mehr geschrieben, habe mich auch von Schreiben grossenteils verabschiedet. Bücher spielen nach so vielen Jahren, in denen sie zentral waren in meinem Leben, nur noch eine kleine Rolle, es sei denn, sie handeln von Kunst. Oder beinhalten Gedichte. Die lese ich nach wie vor.

Seit ich mich (endlich) wieder der bildenden Kunst zugewandt habe, tat ich dies in einer eher konkreten, realitätsnahen Weise. Ich machte persönliche Abbilder dessen, was ich sah, übersetzte die Welt auf eine durch eigene Stilmerkmale repräsentierte zweidimensionale Fläche. Immer wieder änderten die Motive, ich suchte mehr Sinn, mehr Bedeutung im Dargestellten. Und merkte irgendwann: Wenn ich immer nur im konkreten bleibe, dann ist es wirklich nur das: ein Abbild.

Ich habe mich lange gegen die Abstraktion gewehrt. Landläufig kursiert eine Meinung: Wer nicht zeichnen kann, wirft ein paar Flecken auf die Leinwand und nennt es Kunst. Dass das nicht für alle abstrakten Künstler gilt, war mir klar, doch die Gefahr, in die Ecke gedrängt zu werden, war mir zu gross. Bis ich merkte: Bedeutung kann nur haben, was wirklich meine Sprache ist. Abbilder zu generieren reicht mir dafür nicht. Ich bewundere noch immer die grosse Zeichenkunst, die naturgetreuen Wiedergaben der Welt, doch mein Weg wird das nicht sein. Und so breche ich auf zu neuen Gefilden, tauche ein in die Abstraktion.

Ich merke, wie mehr Freiheit und Freude im Tun aufkommt. Ich merke, wie die Dinge wieder mehr ins Fliessen kommen, dass das Spiel wieder einen grossen Anteil im Tun hat. Ich weiss nicht, wann ich erste Versuche davon zeigen werde. Bis dahin werde ich hier anderes zeigen: meine täglichen Porträts, die ich noch immer mit Tinte und Freude zeichne, Alltagsskizzen, inspirierende Trouvaillen sowie alles, was mir sonst noch in den Sinn kommt.

Fast vergessen: Was das Zitat vom Anfang mit der abstrakten Kunst zu tun hat? Für mich ist die Abstraktion dasselbe wie das Gedicht im Vergleich zur Prosa: Eine Reduktion, eine andere Sprache im Umgang mit der Welt. Abstraktion ist für mich die Poesie der Malerei.


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13 Kommentare zu „Aus dem Atelier: Poesie der Malerei

  1. (Fast) Selbstverständlich bin ich für Prosa anderer Meinung als Sie – aber aus denselben Gründen. Es gibt eben auch Romandichtung, und um die geht es. Jedenfalls mir. Denken Sie an Brochs Tod des Vergil, Eckers Fahlmann, Pynchons Gravity’s Rainbow, Th. Manns Joseph und seine Brüder, Aragons Blanche ou l’oubli, Rushdies Satanische Verse; viele solche Bücher ließen sich anführen. Allerdings sind sie, zugegebenermaßen, zur Zeit nicht mehr in Deutschland en vogue. Hier grassiert ein sogenannter Realismus, der nicht mal einer ist.

    Grüße, ANH

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    1. Prosa ist wunderbar, vor allem die klassische. Da gehe ich mit Ihnen vollkommen einig, habe ich sie doch nicht umsonst studiert und immer geliebt. Wo ich ihnen auch zustimmen muss: Die gegenwärtige Literatur ist leider weit davon entfernt (mehrheitlich), sie ergiesst sich in immer gleichen Befindlichkeitsgeschichten mit leicht unterschiedlichem Klang. Vielleicht hat mich auch das ermüdet nach doch vielen solcher Bücher. So oder so: Ich freue mich über die Lyrik und auch das Malen, die Literatur ist sicher nicht für immer eher im Hintergrund, dafür hat sie mich zu lange begleitet.

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      1. Das finde ich gar nicht, dass sich die Literatur in immer gleichen Befindlichkeitsgeschichten ergeht. Auf der einen Seite haben wir die höchst amüsante Gesellschaftskritik z.B. von Bella Mackie „What a Way to Go“ und Plum Sykes „Wives Like Us‘, auf der anderen Seite Allan Garners „Treakle Walker“, der geschickt spielerisch Mittelalter und Moderne verbindet und die neueren philosophischen Romane von Knausgård. Das sind nur einige Beispiele, die nicht in deine kulturpessismistische Geste passen. Einen ganz hervorragenden Roman, der auch nicht in deine Bewertung passt, ist „Orbital“ by Samantha Harvey (Booker Prize 2024).
        Dieser Kulturpessimismus ist ein Klischee, das ich oft bei meinen deutschen Studenten sah.

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        1. Ich bekenne mich schuldig – das war zu abgekürzt plakativ und zu kulturpessimistisch. Natürlich gibt es wunderbare zeitgenössische Literatur, neben deinen wären viele andere zu nennen. Vielleicht habe ich selbst zu viele der von mir genannten gelesen und auch bei neuen Verlagsvorschauen ähnliche entdeckt. Mea culpa, Asche auf mein Haupt.

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          1. Hi Sandra
            das geschieht ja leicht, dass man beim Bloggen schnell einen unreflektierten, spontanen Eindruck niederschreibt. Das ist ein Nachteil dieses Mediums.
            Don’t worry
            The Fab Four of Cley
            🙂 🙂 🙂 🙂

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          2. Hallo Klausbernd
            Ja, das ist wohl so. Ich habe wohl gerade getan, was ich der Literatur vorwarf: Aus einer Befindlichkeit heraus geschrieben. Unwissenschaftlich, aber ja, den Anspruch habe ich in diesem Blog auch nicht. Trotzdem müsste ich nicht gleich alles vergessen, was ich im Studium mal lernte (wenn das auch ein anderes Leben scheint mittlerweile).

            Herzliche Grüsse, auch an die anderen drei der Fab Four, Sandra

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          3. Hallo Sandra,
            ich habe auch vor ewigen Zeiten u.a. Germanistik und Linguistik studiert und dann das an der McGill University mit einem Stipendium der kanadischen Regierung mehrere Jahre lang gelehrt. Beim Bloggen versuche ich, mein Wissen über Literatur und Semiotik einfließen zu lassen, spielerisch, so hoffe ich.
            Herzliche Grüße zurück vom kleinen Dorf am großen Meer
            Klausbernd 🙂
            Dina, Siri & Selma lassen auch grüßen.

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          4. Das habe ich auch studiert, nach der Dissertation (die ich allerdings in Philosophie mit literarischem Exkurs machte) die Akademie verlassen. Auch ich habe über viele Jahre über Literatur gebloggt und versucht, Literatur und ein wenig Wissen dazu zu vermitteln. Davon habe ich mich aber ja nun abgewendet. Eigentlich sind mir die Bilder das Zentrale, die Texte wollte ich erst gar nicht, dann sind sie doch immer entstanden und nun gehören sie halt teilweise auch dazu.

            Ich kann seit einiger Zeit keine Prosa mehr lesen. Irgendwie ist da keine Resonanz mehr, schwer zu beschreiben. Vielleicht kommt das irgendwann wieder, aber im Zentrum wird für mich immer die bildende Kunst stehen fortan.

            Liebe Grüsse ans Meer
            Sandra

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