Aus dem Atelier: Sichtweisen

Wenn eine Zeichnung entsteht, was war zuerst? Eine Botschaft, die ihren Ausdruck suchte? Ein Ausdruck, die sich durch die Interpretation erschliesst? Was will der Künstler sagen? Und was sagt er? Was liest der Betrachter? Soll er was sehen? Ich glaube, Picasso war es, der sinngemäss fragte, ob der, welcher nach der Bedeutung eines Kunstwerks sucht, auch nach dem Bedeutung des Vogelgesangs fragt. Nun ist das natürlich ein denkbar schlechter Vergleich, da der Vogelgesang in der Tat eine Aussage hat, für einen Zweck, nämlich dem der Kommunikation existiert. So rational war aber die Frage nicht.

Ich glaube ja, dass Kunst da entsteht, wo keine Absichten mehr sind. Da, wo man nicht etwas ausdrücken will, drückt sich etwas aus, das da ist. Das ist nicht so esoterisch gemeint, wie es klingt, ich denke nicht an eine übersinnliche Macht oder höhere Quelle, sondern an all das, was im Menschen drin ist und sich einen Weg nach draussen bahnen will. Die einen schreiben es sich von der Seele, die anderen reden, die Dritten malen, einige kochen, putzen, laufen…

Und selbst wenn dieses Bild ein Ausdruck von etwas Innerem ist, heisst das nicht, dass der Betrachter genau das auch sehen kann oder gar muss. Ist es nicht viel interessanter, zu hören, was der Betrachter hört, als das, was der Künstler wollte? Dadurch würde etwas offensichtlich, was wir im Alltag oft vergessen: Es gibt verschiedene Sichten auf den gleichen Gegenstand. Um die richtige zu kämpfen ist eigentlich eine Unsinnigkeit, die zu nichts als Zwietracht führt. Eine Wahrheit gibt es nicht. Oder wie Heinz von Förster sagte:

„Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.*


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6 Kommentare zu „Aus dem Atelier: Sichtweisen

    1. Das gebe ich sehr gerne frei, danke dafür. Da gehe ich auch gleich mal schauen. Ich habe auch lange gerne fotografiert, möchte schon lange wieder damit beginnen, aber noch fehlt mir ein wenig… Gelegenheit und Thema. Ich weiss es nicht. Und meine Kamera habe ich nicht mehr. Zwar macht mein Handy mittlerweile die besseren Fotos, wenn man so will, und doch ist es nicht dasselbe.

      Die Seite ist nicht mehr aktuell, aber hier siehst du einige meiner Fotos: https://sandravonsiebenthal.com/

      Liebe Grüsse zu dir
      Sandra

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  1. Ich meine wie du, dass es nicht „die Wahrheit“ gibt. Doch was ist das Gegenteil? Willkür? Deine Zeichnung ist nicht willkürlich, sondern Linien, Farben, Flächen sind sinnvoll gesetzt, und auch ich als Betrachterin kann mich nicht unabhängig davon verhalten. Ich werde unbedingt die Gestalt einer zurücklehnenden Frau wahrnehmen. Und das ist die Wahrheit der Zeichnung. Wie ich diese Gestalt mit ihren Farben etc in mich aufnehme und verarbeite, das hängt von meinen Sinnen und meiner Seelenbeschaffenheit ab, und mein ästhetisches oder auch moralisches Urteil hängt von meinen Einstellungen und Erfahrungen mit künstlerischem Ausdruck ab. Ich bilde mir eine „MEINung“, die ich für „die Wahrheit“ halte, obgleich es nur „MEINe Wahrheit“ ist. So ungefähr sehe ich das mit der Wahrheit.

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    1. Danke für deine Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich teile deine Sicht uneingeschränkt. Ich glaube nicht, dass man mit der Intention, etwas beim Betrachter zu wecken, die Linien und Farben setzt. Aber beide tun es. Und bei jedem etwas anderes, je nachdem, was im Betrachter angelegt ist.

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