Lebenskunst: Kraft tanken

Meine Grossmutter war eine sehr lebenstüchtige und weise Frau. Sie hatte viel Humor, dachte pragmatisch («Mir geht es gut denn wenn ich denke, es geht mir nicht gut, geht es mir nicht besser.») und war überhaupt nicht religiös. Umso mehr erstaunte mich, dass sie oft am Sonntag in die Kirche ging. Ich fragte sie mal, wieso. Sie meinte, wenn sie auf der Bank sitze, wisse sie, dass sie nun einfach eine Zeit Ruhe für sich hätte. Dann denke ich sie über sich und das Leben nach und tanke Kraft für die nächste Woche. 

Nun hätte sie das natürlich überall machen können. Eine einsame Bank irgendwo wäre noch ruhiger gewesen, da keiner predigt und niemand links und rechts sitzt. Aber für sie musste es die Kirche sein. Ich denke, dass da doch mehr dahinter steckte. Dass da eine Verbindung spürbar war zu etwas Grösserem, wie auch immer geartet.

Für meine Grossmutter war die Kirche ein Kraftort. Sie war ein Ort, an dem sie auftanken konnte für sich und für das Leben, das viel von ihr forderte. Andere Menschen haben andere Kraftorte. Für den einen sind es die Berge, der andere tankt am Meer auf, Bäume, Steine, alles können Kraftorte sein. Mein wichtigster Kraftort ist die Yogamatte. Egal, wie müde ich bin – körperlich oder geistig -, meine Zeit auf der Matte ist mir heilig. Die Zeit auf der Matte gehört nur mir. Hier atme ich, fühle ich, bin ich und finde immer viel über mich heraus. Mein Körper zeigt mir tagtäglich, wo ich stehe, wo meine Grenzen sind, womit ich auch kämpfe. Ich muss nur hinsehen.

Ich bin dankbar für diesen Ort. Ich bin dankbar dafür, Zeit für mich zu haben, mir die nehmen zu können. Und ich bin dankbar für all die Erkenntnisse, mit denen ich von der Matte steige. Das ist für mich zentral: Yoga findet nicht (nur) auf der Matte statt, es ist das, was ich von der Matte mit ins Leben mitnehme. Es gab in all den Jahren, die ich nun auf meinem Yogaweg bin, kaum einen Tag ohne Yoga. Das Schöne an der Yogamatte ist, dass man sie überall ausbreiten kann. Und manchmal muss es nicht mal eine Matte sein, es reicht schon ein Stück Boden und die Bereitschaft, sich die Zeit für sich zu nehmen.

Was ist dein Kraftort? Wo und wie tankst du wieder auf, wenn die Batterien leer sind?

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