Petra van Cronenburg
Petra van Cronenburg studierte Theologie und Judaistik und ist ausgebildete Redakteurin. Sie lebt seit über 20 Jahren als freie Autorin, PR-Texterin und Übersetzerin in Frankreich. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind interkulturelle multimediale Projekte zwischen Frankreich, Deutschland und Russland. Als deutschsprachige Buchautorin ist sie zweigleisig unterwegs: Bei Verlagen wie Hanser und Suhrkamp-Insel ebenso wie im Self Publishing. Ein eigener Verlag ist in Gründung. Von ihr erschienen sind unter anderem Lavendelblues (2012), Alptraum mit Plüschbär (2012; Wiederauflage des Printromans Stechapfel und Belladonna), Wassili Schukowski: Romantiker zwischen den Welten (2013) und Elsass. Wo der Zander am Liebsten im Riesling schwimmt (2013).
Petra von Cronenburg hat sich bereit erklärt, mir ein paar Fragen zu ihrem Schreiben, dem Weg dahin sowie ihren Ansichten zum Literaturbetrieb heute zu beantworten. Beim Antworten kam sie ins Erzählen, was das Interview lebendig und authentisch macht. Darüber freue ich mich sehr:
Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biographie erzählen?
Würde ich Bücher schreiben, wenn ich die erste Frage beantworten könnte? Meine öffentliche Biografie gibt’s in jedem Buch und auf der Website.
Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für Ihr Schreiben?
Ich habe nichts anderes gelernt. Spaß beiseite … ich bin als Kleinkind mal zum Arzt geschleppt worden, weil ich stundenlang eine „Geheimschrift“ auf Papier kritzelte, anstatt brav Bilder zu malen. Der Arzt verschrieb mir alte Tapetenrollen und ich war selig, dass ich mich nicht mehr kurz fassen musste. Das lernte ich erst in der Ausbildung zur Redakteurin. Dann war da diese heiße Geschichte, deren Recherchematerial sich auf meinem Schreibtisch so häufte, dass es mit 120 Zeilen einfach nicht machbar war. Freunde fragten mich: „Warum machst du nicht ein Buch daraus?“ Also schrieb ich völlig naiv einen 700-Seiten-Wälzer, den ich dann für meinen ersten Verlag auf unter 200 Seiten kürzen musste.
Es gibt diverse Angebote, kreatives Schreiben zu lernen, sei es an Unis oder bei Schriftstellern. Ist alles Handwerk, kann man alles daran lernen oder sitzt es in einem? Wie haben Sie gelernt zu schreiben?
Ich hatte das Glück, einen Deutschlehrer gehabt zu haben, der auf Lehrpläne pfiff und uns bereits besten Creative-Writing-Unterricht gab. Im Theologiestudium lernte ich wissenschaftliches Schreiben, Rhetorik und Predigen. Danach kam die Ausbildung zur Journalistin in Print und Radio, später PR. Eine Menge Handwerk also, multimedial dazu.
Das Handwerk kann man also lernen, trotzdem gehören eine gewisse Begabung und vor allem Leidenschaft dazu. Die besten Lehrer sind auch in solchen Berufsausbildungen das permanente Lesen und Üben, das Lernen aus Fehlern.
Was man meiner Meinung nach nicht von anderen lernen kann, ist der künstlerische Ansatz, eine Verschiebung der Wahrnehmung. Da muss man an sich selbst arbeiten, das Leben, Begegnungen mit besonderen Menschen, als Lehre nehmen. Man kann aber Bücher schreiben, ohne Künstler zu sein.
Schriftstellerei ist wie Klavierspielen. Mit viel Üben und Handwerk kann man trotz mäßiger Begabung durchaus Familie und Freunde begeistern, vielleicht auch mal in der Öffentlichkeit auftreten. Aber ein Solopianist auf den großen Bühnen der Welt braucht sehr viel mehr. Das lehrt einen keine Schule: Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen, Leidenschaft, Selbstkritik, Eigendistanz sind gefragt.
Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Schreiben Sie einfach drauf los oder recherchieren Sie erst, planen, legen Notizen an, bevor Sie zu schreiben beginnen?
Das kommt aufs Buch an, aber meist bin ich Gesamtchaotin, sprich, ich mache alles einigermaßen gleichzeitig.
Wann und wo schreiben Sie?
Meist tagsüber. Am Computer. Notizen jederzeit und überall.
Hat ein Schriftsteller je Feierabend oder Ferien? Wie schalten Sie ab?
Muss man denn abschalten? Wenn ich nicht tippe oder recherchiere, hört mein Gehirn ja nicht auf, die Welt zu betrachten oder in einen inneren Dialog zu treten mit Figuren, Eindrücken, Inhalten. Das macht verdammt viel Spaß, mehr als die Animation in einem Ferienpark.
Was bedeutet es für Sie, Autor zu sein? Womit kämpfen Sie als Schriftsteller, was sind die Freuden?
Auf meiner Visitenkarte steht: „Schreiben ist Atmen. Bücher sind Leben.“ Darin liegt die Beglückung. Und darin, wenn in jenem magischen Moment Personen oder Geschichten ihr Eigenleben entwickeln. Bei den Kämpfen unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht sehr von anderen: Man kämpft mit den eigenen Unzulänglichkeiten, mit schlechten Tagen und immer häufiger mit den lausigen wirtschaftlichen Bedingungen, weil Kreativberufe heutzutage immer weniger wertgeschätzt werden.
Selfpublishing und E-Books haben den Buchmarkt in Aufregung versetzt. Man hört kritische Stimmen gegen Verlage wie auch abschätzige gegen Selfpublisher. Wie ist deine Meinung dazu?
Ich halte diese künstlich hochgepuschten Grabenkämpfe für reine Zeitverschwendung. Wir Autoren sollten möglichst gute Bücher schreiben, möglichst professionell arbeiten. Als Self Publisher bin ich selbst Verlegerin, muss Profis zukaufen für Lektorat, Grafik etc. Bei Büchern im Self Publishing strebe ich die gleiche Qualität wie mit Verlag an.
Ich suche mir den besten Weg je nach Projekt aus. Mein erstes Self-Publishing-Projekt entstand, weil der Verlag kurz vor Produktion Pleite ging. Sollte ich da auf vier Jahre Arbeit verzichten? Ich bringe meine Backlist aus Publikumsverlagen selbst heraus und gestalte gerade ein E-Book, dessen Printausgabe zeitgleich im Insel Verlag erscheint. Solche Partnerschaften sind Zukunftsmusik für mich.
Sie schreiben Bücher zu den unterschiedlichsten Themen in verschiedenen Genres, angefangen bei Büchern zur Kultur über Reisebücher hin zu Frauenromanen. Gibt es ein Lieblingsgenre? Wie kam es zu der Vielfalt?
Ich sehe mich selbst gar nicht als so vielfältig. Meine Spezialität ist das erzählende, literarische Sachbuch mit den Schwerpunkten Kultur, Kunst und Geschichte. Wie „Das Buch der Rose“ oder „Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt“ und „Faszination Nijinsky“. Dank Self Publishing werde ich die schöne Form des Essays wieder vermehrt nutzen können, das läuft in Verlagen schlecht.
Naja … und manches schreibt man auch mal fürs schnöde Geld, Frauenromane etwa. Aber diese Phase ist vorbei.
Woher holen Sie die Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt man viel, sieht man viel. Aber wie entsteht plötzlich eine Geschichte daraus? Was inspiriert Sie?
Der Musenkuss ist womöglich ein Märchen. Vor Jahren fragte mich eine Verlegerin, ob ich mir vorstellen könne, über die Balletts Russes zu schreiben. „Ich und Ballett, ich habe doch keine Ahnung?“, war meine spontane Antwort. Aber die Avantgarde ist eins meiner privaten Lieblingsthemen. Nach der ersten Recherche „biss“ mich die Story und ich sagte zu. Meist begegne ich bei der Recherche Nebenthemen und Menschen, bei denen mir mein kleiner Finger sagt: „Das ist es! Das will leben!“ Die stecken dann im nächsten Buch.
Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiographisch. Das stimmt sicher in Bezug darauf, dass man immer in dem drin steckt in Gedanken, was man schreibt. Wie viel Petra van Cronenburg steckt in ihren Geschichten und Büchern? Stecken Sie auch in Ihren Figuren? Gibt es eine, mit der Sie sich speziell identifizieren?
Das zu erforschen überlasse ich posthum den Literaturwissenschaftlern. Und im Sachbuch habe ja nicht ich drinzustecken, sondern eine wahrscheinliche Möglichkeit von Realität. Extrem nahe steht mir Vaslav Nijinsky, obwohl ich kein schwuler russischer Balletttänzer bin, der irgendwann verrückt wurde. Aber ich habe sehr viel von ihm über das Künstlerdasein erfahren und durch das Buch wundervolle Menschen kennen gelernt.
Was ich ganz klar habe, ist eine Art „Lebensthema“. Ich nenne es „Grenzgängereien“, in jeglichem Wortsinn. Es hat sicherlich damit zu tun, dass viele meiner Vorfahren gezwungen oder freiwillig mit dem Koffer in der Hand ins Ungewisse reisten – und ich als echte Grenzgängerin im Dreiländereck, nach Frankreich emigriert, diese Tradition fortführe. Nichts davon geplant …
Viele Autoren äußern sich politisch, verpacken auch politische Meinungen in Ihre Bücher. Hat ein Schriftsteller einen politischen Auftrag?
Für einen Auftrag braucht es Auftraggeber. Wer könnte das sein?
Und kann man unpolitisch sein, wenn man sich mit dem Leben beschäftigt, der Kunst, der Kultur?
Wenn Nijinsky und Strawinsky mit einem Theaterskandal ganz Paris bis in die russische Botschaft hinein aufmischten, dann ist Tanz hochpolitisch. Wenn Europa vor dem Ersten Weltkrieg von Paris bis Petersburg reichte und kulturell von kosmopolitischer Offenheit und Migranten aller Richtungen profitierte, dann ist das hochpolitisch. Dazu brauche ich aber keine explizit politischen Bücher zu schreiben …
Einige Ihrer Bücher behandeln die leidvollen Seiten des Lebens, Einsamkeit, Sehnsucht. Ist Leid und Düsterheit einfacher zu beschreiben als Glück oder fühlen Sie sich der Seite näher? Ist das Leben generell eher düster als hell?
Ich suche eigentlich krampfhaft nach einem Kurs: „Erfolgreich Pessimist werden in nur zwei Tagen“, denn mein Optimismus geht mir manchmal selbst auf die Nerven. Aber Menschen sind in meinen Augen am spannendsten und unverfälschtesten, wenn man ihre Brüche betrachtet, wenn sie vor einer Umwälzung oder einem vermeintlichen Abgrund stehen oder ihre Verletzlichkeit nicht verstecken. Das zeigt ihre innere Stärke, ihre künftigen Möglichkeiten, ihre Schönheit. Mich interessieren die ganz Besonderen. Das sind selten Menschen mit einem Leben wie in einer Vorabendserie.
Nijinsky ist so ein ganz Starker in all seiner Verletzlichkeit: Als man ihm das Tanzen nimmt, malt er voller Körperlichkeit. Als man ihm das Malen nimmt, schreibt er, Weltliteratur übrigens. Und vielleicht war seine psychische Krankheit die konsequente Fortführung, seinen eigenen inneren Seelentanz nie verraten zu müssen?
Karen in „Alptraum mit Plüschbär“ verliert ihre Ehe, reibt sich an den dämlichen Instant-Glücksversprechen unserer Zeit – und daran wächst sie. Dahlia steht vor dem wirtschaftlichen Ruin und zieht sich gemeinsam mit Freunden auf unverhoffte Art selbst aus dem Sumpf. Das ist der Alltag vieler Menschen. Ist das nicht auch Glück, wenn man so einen Berg bewältigt? Wenn man scheitert und wieder aufsteht?Wenn Frauen am Pool sitzen, sich einen Millionär anlachen und man sich durch den Plot kichert … das ist nicht mein Genre. Solche Figuren langweilen mich, sie entwickeln sich nicht wirklich.
Was muss ein Buch haben, dass es Sie anspricht?
Eine packende Story (auch im Sachbuch) und Niveau. Oder richtig gut gemachten, herrlich schauderhaften Trash.
Gibt es Bücher/Schriftsteller, die Sie speziell mögen, die Sie geprägt haben?
Ich würde gern erzählen können wie eine durchgeknallte Kreuzung aus Jonathan Safran Foer, Olga Tokarczuk, Walt Disney, Aleksandar Hemon, Colum McCann, sämtlichen russischen Klassikern und den großen jüdischen Erzählern.
Wenn Sie einem angehenden Schriftsteller fünf Tipps geben müssten, welche wären es?
1. Lesen lesen lesen.
2. Üben üben üben.
3. Nie die Eigendistanz und Kritikfähigkeit verlieren.
4. Mit sehr offenen Sinnen intensiv leben.
5. Die eigene Stimme entwickeln, nicht verschütten lassen. Durchaus auf Menschen achten, die einem dabei bewahrend Tutor sein können.
Ich bedanke mich herzlich für dieses Interview!
Petra van Cronenburg ist im Netz zu finden unter:
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