Leseerlebnis – Ingeborg Bachmann: «Senza Casa»

Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen

«Ständig bewohnt von Gefühlen
Gespinst voll von Gespinsten
wehenden, flatternden, zerrissenen
veränderlichen, denen ich ein
mangelhaftes Haus aus Fleisch und Wasser und Muskel
und Haut gebaut hab.»

Es gibt wohl kaum eine Zweite, mit der ich mich so verbunden fühle, weil ich mich in ihren Zeilen immer wiedererkenne, wie Ingeborg Bachmann. Das ist sicher auch der Grund, wieso ich an keinem Buch von ihr oder über sie vorbeikomme. Ich muss sie haben, ich muss in sie eintauchen, ich muss mehr erfahren. Und finde immer auch mich in den Texten.

«Einbruch des Vergangenen in die Intensität. Die Liebe: das Zurückrufen der Liebe aus einer Zeit, in der sie es nicht war.»

«Senza Casa» ist wohl eines der persönlichsten Bücher. Hier finden sich Notate aus ihren Tagebüchern, hier finden sich ihre tiefsten Gedanken, Gefühle, aufgeschrieben aus der Situation heraus, wie sie gerade auftauchten, sich drehten und damit Ingeborg Bachmann umtrieben. Liest man es als erstes Buch, um ihr näher zu kommen, stösst man in die Tiefe vor, sieht sich mit Gefühlen konfrontiert, die man nicht zuordnen kann, die aber für sich Bilder auslösen. Liest man es vor dem Hintergrund eines schon vorhandenen Wissens über ihr Leben, Denken und Schaffen, finden sich zusätzlich Bezüge zu diesem, weiss man die einzelnen Stellen zuzuordnen.

«Allein sein. Frei sein.»

Ein Herzensbuch, das ich nur ans Herz legen kann. All denen, die eine spannende, wunderbare und sehr eigensinnige, eigenwillige Frau näher ergründen wollen.

Ich hebe mein Glas auf Max Frisch

„Dass es ein unsagbares Glück ist, leben zu dürfen, und dass wohl nirgends die Leere sein kann, wo dies Gefühl auch nur einmal wirklich errungen worden ist, dies Gefühl der Gnade und des Dankes.»

Zu spät, aber von Herzen hebe ich mein Glas auf Max Frisch, der gestern 113 Jahre alt geworden wäre. Ich habe mich immer wieder mit ihm als Menschen, mit seiner Biografie und Interviews beschäftigt, habe seine Fragebögen beantwortet, bin in sein Werk eingetaucht. Ich mag ihn, er ist mir in seinem Denken, in seiner Art, die Dinge anzugehen, sie zu hinterfragen, nah. 

Er war kein Heiliger, was ihm oft zum Vorwurf gemacht wurde. Vor allem die Beziehung zu Ingeborg Bachmann wurde ihm zu Lasten gelegt, war sie durch ihr Leiden und ihren mysteriösen Tod später ein vermeintlich offensichtliches Opfer. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte, wie so oft. Sein Satz, der auch zum Titel des Briefwechsels wurde, hat viel Wahres:«Wir haben es nicht gut gemacht.»
Was er gut gemacht hat, sind seine Werke, die ich immer wieder lesen kann und immer wieder Neues finde, das mich begeistert. Frei nach Gretchen: Wie haltet ihr’s mit Max Frisch?
Habt einen schönen Tag!

Mehr zu Max Frisch:

Gepsräche mit Max Frisch: Der unerkannte Geliebte

«Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält…» (Tagebuch 1, 27)

Jemanden zu sehr zu kennen, bedeutet danach, dass das Lebendige einer Art Starre weicht. Wenn ich denke, jemanden durch und durch zu kennen, dann weiss ich, wie er ist, was er tut, ich muss nicht mehr hinschauen, mich nicht mehr interessieren, es steht alles fest.

«Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben, solang wir sie lieben.» (Tagebuch 1, 27)

Die Liebe führt dazu, immer weiterzugehen, tiefer zu tauchen, den anderen in seinem Sein zu durchschauen. Nur wird das nie gelingen, weil alles, was die Natur hervorbringt, unerschöpflich ist, schrankenlos, wie es Max Frisch ausdrückt «alles Möglichen voll».

Vielleicht ist es aber auch so, dass wir den kennen, den wir nicht lieben, weil wir nur soviel erkennen wollen, wie sich uns darbietet. Wir haben gar nicht den Wunsch, tiefer zu tauchen, immer mehr zu kennen. Wir sind weniger forsch forschend, eher zurückhaltend erkennend und annehmend. Die kleinen Eigenheiten, die tiefen Geheimnisse, sie offenbaren sich erst in der Nähe, deren grösste die Liebe darstellt.

Max Frischs Tagebücher

«Der verehrte Leser – einmal angenommen, dass es ihn gibt, dass jemand ein Interesse hat, diesen Aufzeichnungen und Skizzen eines jüngeren Zeitgenossen zu folgen, dessen Schreibrecht niemals in seiner Person, nur in seiner Zeitgenossenschaft begründet sein kann…»

In Max Frischs Tagebüchern sucht man vergebens nach persönlichen Befindlichkeiten, Alltagserlebnissen oder kränklichen Zuständen. Es mag sein, dass Max Frisch sein Tagebuch für eine potenzielle Leserschaft geschrieben hat, zumindest klingt sein Vorwort in den veröffentlichten Büchern so. Er spricht den Leser an und wünscht sich, dass dieser die Reihenfolge beachte, da diese wichtig sei für das Verständnis der Zusammenhänge. Da ist also einer, der einerseits gelesen werden wollte, aber nicht auf eine beliebige Weise, sondern auf die seinem Schreiben angemessene – in seinen Augen.

Auch wenn die Leserschaft beim Schreiben mitgedacht ist, bleibt das Tagebuch doch ein Übungsplatz. In ihm notiert Max Frisch seine Gedanken, kämpft mit der Sprache als Art und Weise des möglichen Ausdrucks für das Vorgefundene, Bedachte, für das Zeitgeschehen. Schreiben, so ist sich Max Frisch sicher, ist ein Ordnen der Gedanken und ein Verstehen derselben. Es hilft, sich selbst und der Welt auf die Spur zu kommen, indem man sie in Sprache fasst.

Die Tagebücher von Max Frisch sind so gesehen literarische Formen. In ihnen steckt eigentlich der ganze Frisch schon drin, sein Gesamtwerk ist hier in den Hintergründen, in den Grundthemen und -gedanken angelegt.

Ich werde mich in der nächsten Zeit vermehrt mit Max Frisch auseinandersetzen und werde auch hier sicher über den einen oder anderen Gedanken von und zu ihm, über das eine oder andere Buch oder Thema schreiben.