#abcdeslesens – R wie «Römische Fontäne» (Rainer Maria Rilke)

Borghese

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Rilke hat dieses Gedicht im Jahr 1906 in Paris geschrieben (es erschien in den «Neuen Gedichten»), er dürfte beim Schreiben aber an seine Reise nach Rom gedacht haben, wo er mit seiner Frau Clara war und oft den Borghese-Garten besucht hatte. Rilke empfand diesen Garten als Zuflucht, als Ort der Stille im lärmig-lauten Rom, mit dem er sich nicht richtig anfreunden konnte.

Das Sonett besteh aus einem einzigen Satz, der sich über die Strophen ergiesst, wie das Wasser es beim Brunnen tut. Wie bei seinen anderen Ding-Gedichten fehlt auch hier ein lyrisches Ich, der Brunnen steht für sich allein und das Wasser fliesst ungehindert. Es ist quasi eine Selbstbegegnung des Wassers mit sich selber, wir haben hier auch kein Geben und Nehmen wie zum Beispiel bei Meyers Gedicht zum selben Brunnen. Bei Rilke ist es ein Fliessen und wartendes Empfangen.

Zentral erscheint in diesem Gedicht die Ruhe, keine Hektik ist zu spüren, kein Lärm, alles ist langsam, leise, sanft. Es wird gewartet, sich geneigt, sich gezeigt, gelächelt. Zwei Becken liegen übereinander, aus dem einen neigt sich das eine leise und redet ebenso, das andere wartet und schweigt. Im Brunnen spiegelt sich ruhig sich ausbreitend der Himmel, fast verborgen. Er gehört da hin, denn er verspürt kein Heimweh, ist also nicht am falschen Ort – anders als Rilke in Rom. Und wohl auch anders als Rilke im Leben, war er doch ohne eigentliches Heim, immer auf der Durchreise und wohl doch mit einer Sehnsucht nach Heimat im Herzen.

Aus dem ganzen Gedicht dringt die Stille, derer Rilke so sehr bedurfte in dem hektischen Rom. Damit tut er schreibend das, wozu Gedichte beim Lesen so oft dienen können: Er schafft mit dem Gedicht einen wohltuenden Ort inmitten eines Raumes, in welchem er sich unwohl fühlt.

Zum Autor
René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.

Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

#abcdeslesens – P wie „Der Panther“ (Rainer Maria Rilke

Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris

Der Panther ist wohl eines der bekanntesten Dinggedichte Rilkes. Bei Dingggedichten werden leblose oder lebendige Objekte zum Sujet des Gedichts, sie tragen die Botschaft. Rilke gilt als Schöpfer der Dinggedichte, sie sind bei ihm vor allem in den Neuen Gedichten (1907/08) zu finden.

Der Panther hat drei Strophen mit je vier Versen, die als Reimschema jeweils den Kreuzreim aufweisen. Auffällig ist auch der Binnenreim in der dritten Zeile, des Weiteren die Häufung des Umlauts ä, welche dem Gedicht einen eigenen Klang geben. Der Rhythmus mit dem stets gleich bleibenden jambischen Metrum nimmt den Inhalt auf, er wirkt träge. Indem man das Gedicht laut liest, spürt man die Bewegung des Panthers förmlich. Man sieht und hört, wie er hinter Stäben hin und her geht, wie er ganz auf sich zurückgeworfen ist, weil da ausser tausend Stäben keine Welt mehr zu sein scheint.

Indem Rilke den Panther von aussen beschreibt, in der ersten Strophe den Blick, dann den Gang, schliesslich das Auge, von wo er im Herzen landet, legt er gleichzeitig die Innensicht des Panthers offen. Wie der Blick scheint auch der Panther müde, er läuft nur in dem ewig gleichen Rhythmus hin und her. Zwar sieht man noch die Kraft, die in ihm steckte, allein sie ist betäubt – wie es auch sein Wille ist.

Und doch gibt es Momente, da wird er wach, da sieht er ein Stück Welt, die ihm ins Herz dringt, wo alles wieder endet. Danach könnte das Gedicht wieder von vorne beginnen.

Der Erfolg des Gedichts kommt wohl unter anderem daher, dass man sich selbst erkennt in diesem Panther. Auch als Mensch ist man oft müde von all den Alltäglichkeiten des Seins, von (von aussen und innen gebildeten) Gefängnissen und Einschränkungen. Man folgt ewig gleichen Pfaden über Tage Wochen, Jahre, glaubt kaum mehr, dass es irgendwann anders sein könnte – ausser vielleicht dann, wenn ein kleiner Hoffnungsschimmer ins Herz sticht, ausgelöst durch ein Bild, ein Wort, einen Gedanken.

Danach nimmt das Leben wieder seinen Lauf. Und man geht ihn mit, Schritt für Schritt in all den Schranken, die um einen sind.

Zum Autor
René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.

Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

#abcdeslesens – K wie „Das Karussell“ (Rainer Maria Rilke)

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weisser Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
Nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiss ein Junge
und hält sich mit der kleinen heissen Hand,
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weisser Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber –

Und dann und wann ein weisser Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel.

Das Karussell erschien im Buch «Neue Gedichte». In ihnen fehlt mehrheitlich das lyrische Ich, der Schwerpunkt liegt auf dem Gesehenen. Das neue Sehen, das Rilke immer wichtiger wird, zeigt sich in diesen Gedichten gut: Es geht um das genaue Hinsehen, er will nicht einfach gedankenlos vorübergehen und dabei als Blick erhaschen, sondern das Ding an sich, wie es da ist, genau sehen. Das Ding löst sich dabei oft aus dem Alltagszusammenhang und kann eine neue Beziehung eingehen. Das gibt dem Leser Raum für Deutungen, ermöglicht eine Subjektivität des Interpretierens und appelliert an das schöpferisches Vermögen des Lesers.

Die in diesem Sehen und daraus Gedichte Schaffen sich zeigende Liebe zu den Dingen hat Rilke von Paul Cezanne, in dessen Bildern er die Liebe zum Tun an sich erkannte, nicht in der Darstellung von Gegenständen. Aus dem Fokus auf das Ding und nicht ein Ich oder ein Gefühl eines solchen Ichs resultiert ein sachliches Sagen, welches für diese Gedichte bezeichnend ist, im Gegensatz zu den oft emotionalen Gedichten der Vergangenheit. Worum geht es in diesem Gedicht?

Ein Karussell dreht sich Runde um Runde, die immer gleichen Figuren erscheinen. Sie drehen sich im Kreis, ohne Ziel, dienen dem reinen Vergnügen der darauf Reitenden und der Zuschauer. Ein roter Löwe ist zu sehen, einer mit Zähnen und einer Zunge, was zusammen mit seiner roten Farbe für die Aggressivität, die Kraft und Macht dieses Tieres spricht. Das Blau des Mädchens deutet auf dessen Unschuld, auch Schwäche. Es sitzt auf einem Hirsch, dem Tier, das für Mut und Stärke steht, auch für Verantwortung, wozu passt, dass das Mädchen aufgeschnallt ist.

Das Weiss des Jungen deutet auf seine Unschuld hin. Seine Hand ist heiss, er sitzt auf dem Machttier. Ob er nach der Macht greifen will? Steht er schon für die potentielle Gefahr, welche von erwachsenen Jungen ausgehen kann, wenn sie Macht übernehmen, Aggressionen schüren oder ausleben?

Und immer wieder kommt ein weisser Elefant. Unschuld, Friede, Reinheit in unseren Breitengraden, Trauer in asiatischen Ländern (deren Philosophie Rilke nicht fremd war). Die Wiederkehr des Tieres übernimmt die Bewegung des Karussells in die Sprache. Der Rhythmus des Gedichts tut dasselbe. Wir fühlen uns beim Lesen selber auf dem Karussell, tragen es mit unserem Atem voran. Ziellos wie das Karussell selber, einfach dem Ende des Drehens entgegen lesend. Und vielleicht sind auch wir vom Lesen atemlos.

Sieht man im Karussell das Leben, so zeigt sich, dass vieles sich immer weiterdreht, ohne Unterbruch. Verschiedene Phasen lösen sich ab, eine nach der anderen kommt neu in den Blick, immer wieder erleben wir Wiederholungen. Der Trost an diesem Kreislauf liegt darin, dass das, was kommt, auch wieder geht. Das gilt für die schönen Momente, aber auch für die schwierigen. Und immer wieder wird es gut. Und wir lächeln. Und vergessen vielleicht, dass das Ganze ein zielloses, ein blindes Spiel ist, das in sich aber doch eine Schönheit trägt. Wie dieses Gedicht.

Zum Autor
René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.

Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter

Im Wallstein Verlag ist eine neue Ausgabe des wunderbaren Buches «Briefe an einen jungen Dichter» von Rainer Maria Rilke erschienen. Rilke ist in der Lyrik einer meiner Lieblinge, in diesen Briefen gibt er tiefe Einblicke in sein Schaffen, in sein Fühlen, in sein Verständnis von Kunst und vom Leben. Was treibt ihn um, was bedeutet Dichtung für ihn? Wo finden sich die Ideen, Inspirationen? Worauf kommt es an? Wann ist ein Kunstwerk gut? Zu dieser Frage meint Rilke:


„Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs, liegt sein Urteil, es gibt kein anderes.“

Die Notwendigkeit kann nur aus dem Schaffenden selber kommen, er muss ein „ich muss schreiben“ in sich spüren und merken, dass ein Leben ohne dieses nicht möglich wäre für ihn. Und weiter:

„Der Schaffende muss eine Welt für sich sein und alles in sich finden und in der Natur, an die er sich angeschlossen hat.“

Es bedarf also keines Suchens im Aussen, keiner Anleitungen, Urteile und Kritiken, sondern der Einkehr, des genauen Hinschauens, was im Schaffenden selber angelegt ist.

Entstanden sind diese 10 Briefe in den Jahren 1903 – 1908. Sie richteten sich an Franz Kappus, ein junger Dichter, welcher sich vom Meister Rat erhoffte. Mit diesem Ansinnen war Kappus nicht allein, Rilke erhielt viele Briefe mit Fragen zur Kunst, zum Schreiben oder zum Leben allgemein. Er hat diese alle sehr sorgfältig beantwortet, so dass er in seinem Leben auf ein Briefwerk von um 15’000 Briefen kam – es gibt viele Stimmen, die seine Briefe dem literarischen Werk zurechnen wollen und sie diesem auch ebenbürtig sehen. Diese zehn Briefe sprechen dafür.

Die Briefe an den jungen Dichter wurden zum ersten Mal erst nach Rilkes Tod veröffentlicht, im Jahr 1929. Sie wurden in der Folge ein Ratgeber für viele Künstler und Kreative. In dieser Neuerscheinung sind zum ersten Mal auch die Briefe von Franz Kappus abgedruckt (ausser dem ersten, mit dem alles begann). Damit ist der ganze Austausch noch klarer ersichtlich, Rilkes Antworten haben nun einen klareren Kontext erhalten.

Das Buch ist wunderschön gestaltet, das Cover allein ist ein kleines Kunstwerk. Der fundierte Kommentar und das Nachwort von Erich Unglaub rundet alles ab und es ist ein Buch entstanden, das auf der ganzen Linie eine wahre Freude ist.

Zu diesen Briefen über das Dichten und Dichtersein passt ein Gedicht Rilkes wunderbar:

Der Dichter
Du entfernst dich von mir, du Stunde.
Wunden schlägt mir dein Flügelschlag.
Allein: was soll ich mit meinem Munde?
mit meiner Nacht? mit meinem Tag?

Ich habe keine Geliebte, kein Haus,
keine Stelle, auf der ich lebe.
Alle Dinge, an die ich mich gebe,
werden reich und geben mich aus.

Angaben zum Buch:
Verlag: Wallstein; 1. Edition (8. März 2021)
Gebundene Ausgabe: 148 Seiten
ISBN-Nr.: 978-3835339323
Zu kaufen in jeder Buchhandlung vor Ort oder online u. a. bei AMAZON.DE oder beim WALLSTEIN VERLAG

Rainer Maria Rilke: Nennt ihr das Seele…

Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
in euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
um Beifall bettelt und um Würde wirbt,
und endlich arm ein armes Sterben stirbt
im Weihrauchabend gotischer Kapellen, –
nennt ihr das Seele?

Schau ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
in der die Welten weite Wege reisen,
mir ist: ich trage ein Stück Ewigkeit
in meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
und will hinauf und will mit ihnen kreisen …
Und das ist Seele.

Die Grundfrage hinter vielen von Rilkes Gedichten ist eine anthropologische: Was/Wie ist der Mensch? Oft verortet er ihn ganz explizit zwischen Engel (reines Geisteswesen, spirituelles Bewusstsein) und Tier (pure körperlichkeit, Instinktwesen). Zwischen diesen Polen sitzt der Mensch und er ist in diesem Dazwischensein ein Mängelwesen. Hier spricht er nur noch den Mangel an: Was der Mensch Seele nennt, deckt nie das volle, mögliche Bewusstsein ab, es ist ein begrenztes, kleines Etwas, das noch dazu auf das Falsche ausgerichtet ist.

«Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt in euch?»

Es finden sich Worte wie Narr, betteln, arm, alles ist nur gewollt, es wird nur um Würde geworben, sie wird nie erreicht, selbst das Sterben ist würdelos, es ist nur arm. Eine Seele, die den Namen verdiente, wäre grösser, sie würde über die Begrenzungen des irdischen Lebens hinausreichen:

«ich trage ein Stück Ewigkeit / in meiner Brust»

«und will hinauf und will mit ihnen kreisen…
Und das ist Seele.»

Rilke stellt eine grosse Frage, nämlich die, was wirklich ein gutes Leben ist, eines, das mit den richtigen Werten und Ansprüchen gelebt wird. Setzen wir nicht viel zu oft auf das falsche Pferd, indem wir uns von Beifall und Aufmerksamkeiten anderer abhängig machen, anstatt auf unseren eigenen Wert zu vertrauen und in uns zu ruhen?

Das Problem dabei ist doch oft, dass wir uns beweisen wollen, dass wir uns für die Anerkennung auch mal so verbiegen, dass wir selber gar nicht mehr wirklich durchscheinen, sondern nur noch als Erfüllung einer gefühlten Erwartung durchs Leben gehen: Nur: Wer kriegt dann den Beifall? Doch nicht wirklich wir, sondern nur das, was wir, um anderen zu entsprechen, vorgeben, zu sein. Das ist kein Leben aus vollem Herzen, das wir führen, das ist Bemühen darum, in fremdbestimmte Schubladen zu passen.

Ein Leben aus eigenem Antrieb, ein Leben aus vollem Herzen wäre ein Leben, in welchem wir für uns selber einstehen, an uns selber glauben, zu uns selber schauen. Damit nicht gegen andere, aber für uns. Nur so können wir Selbstwirksamkeit erfahren, nur so können wir authentisch leben, nur so können wir als der, der wir sind, geliebt werden. Und nur so ist es möglich, Eigenverantwortung zu übernehmen, da wir das, was wir tun, aus vollem Herzen tun, und dann auch dahinter stehen.

«Und das ist Seele»

Rainer Maria Rilke: Was mich bewegt

Nach meinem kürzlichen Text zum Thema Geduld möchte ich hier die wunderbaren Worte von Rilke nachreichen Geduld. Wer könnte sich schöner und tiefer ausdrücken, als der grosse Meister:

Man muss den Dingen
Die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann; alles ist austragen –
und dann
Gebären…
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit …
Man muss Geduld haben,
gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages in die Antwort hinein.

Rezension: Heimo Schwilk – Rilke und die Frauen. Biografie eines Liebenden

Rilke – auf der ständigen Suche nach der Mutter?

Rilke, bekannt für seine wunderbaren und tiefgründigen Gedichte, wurde in seinem Leben und Dichten hauptsächlich von Frauen beeinflusst. Frauen säumen sein Leben, darunter Namen wie Lou Andreas-Salomé, Clara Westhoff, Marie von Thurn und Taxis und viele mehr. Angefangen hat aber alles mit Sophia Rilke – quasi das ganze Übel nahm da seinen Lauf. Eine zu enge Beziehung sei es gewesen, die den kleinen Rilke und später auch den jungen Mann gefangen hielt, prägte bis in die tiefsten Tiefen.

Der Schlüssel zu Rilkes beziehung zum weiblichen Geschlecht ist sein Verhältnis zur Mutter.

Er hätte sich drum nie ganz auf eine andere Frau einlassen können, hätte wenn, dann eher mütterliche Typen gesucht um die Distanz zur Mutter zu überbrücken, nachdem er von ihr weggegangen war.

Rilke sehnt sich lebenslang nach der innigen Liebe, die er als Kind gegenüber seiner Mutter empfand. […] Der junge Dichter suchte eine Ersatzmutter, die nicht einreisst, sondern aufbauen hilft; der er nicht Lebensmut zusprechen muss, sondern zu der er aufschauen darf, um zu lernen und zu wachsen.

Oder:

Rilke liebte die Frauen wie ein Sohn die eigene Mutter. Deshalb erschrak er, wenn es in der Liebe zum Letzten kommen sollte. Er floh vor dem Feuer der Leidenschaft, das seine Briefe und Gedichte entfacht hatten.

Er hätte Frauen mehr dafür benützt, sie in seine Gedichte zu verstricken, denn in sein Leben. Der problemhafte Umgang mit Frauen führe im Grunde darauf zurück, dass Rilke eigentlich selber lieber ein Mädchen wäre. Dies die These von Heimo Schwilk. Und über allem schwebte immer Rilkes Hässlichkeit, die der Autor der vorliegenden Biographie nicht müde wird, zu betonen. Einige Zeugnisse:

Rilke war kein schöner Mann, erst in seinen späteren Lebensjahren gewannen seine weichen, mit den wulstigen Lippen und dem fliehenden Kinn irgendwie auch karikaturhaften Züge einen Anflug reifer Männlichkeit.

[…] dieser blasse Bursche […]

[…] dieser scheue, zur Hingabe bereite, feminin wirkende junge Mann mit dem ungesunden Teint und den suggestiven Augen […]

Zwar habe er ‚seelenvolle Augen’, aber einen dünnen Hals, schmale Schultern und keinen Hinterkopf (zitiert aus Lou Andreas-Salomés Tagebuch)

Rilke mag von unscheinbarem Äusseren gewesen sein und auch kein Adonis, allerdings entbehrt das Buch jeglicher Notwendigkeit, dies so herauszustreichen.

Das Buch verschafft in der Tat einen Überblick über die wichtigen Frauen in Rilkes Leben (es ist nicht vollständig, aber das ist wohl ein Anspruch, der nicht erfüllt werden wollte). Eine wichtige Quelle für dieses Werk waren die vielen Briefe, die Rilke geschrieben hat und die ein gutes Zeugnis abgeben. Das hebt diese Biografien von vielen der grossen Rilke-Biografien ab, die noch vor Erscheinen der zweibändigen, sorgfältig kommentierten Edition seiner Briefwechsel erschienen sind. Schwilke verweist auch immer wieder auf das Werk des Dichters, stellt Bezüge zwischen seinen Frauengeschichten und diesem her, bleibt dabei aber eher blutleer und vor allem immer lieblos. Insgesamt wirkt alles wie zusammengesucht, in eine Reihe gepackt und hingeschrieben. Der Geist des Werkes und des Dichters springt mich aus diesem Buch nicht an.

Fazit:
Solide Biografie mit dem Fokus auf Rilkes Beziehung zu Frauen. Fundiert recherchiert, zeugt von Sachkenntnis des Autors, wirkt aber trotz einiger interessanter Aspekte etwas uninspiriert und lieblos.

Zum Autor
Heimo Schwilk
Heimo Schwilk, geboren 1952 in Stuttgart, Dr. phil., ist Autor zahlreicher Bücher über Politik und Literatur. Seine großen Biografien über Ernst Jünger und Hermann Hesse wurden im In- und Ausland hoch gelobt. Er war lange Jahre Leitender Redakteur der Welt am Sonntag und lebt in Berlin. 1991 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis für herausragenden Journalismus ausgezeichnet.

Angaben zum Buch:
Schwilkrilke_und_die_frauenGebundene Ausgabe: 336 Seiten
Verlag: Piper Verlag (9. März 2015)
ISBN-Nr.: 978-3492056373
Preis: EUR 22.99 / CHF 31.90

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