Helen Pluckrose, James Lindsay: Zynische Theorien

Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt

Inhalt

„Die Kernprobleme der Critical-Race-Theorie sind: dass sie Kategorien rund um das Thema Race wieder soziale Bedeutung zuschreibt und damit Rassismus entfacht, dass sie rein auf der Theorieebene argumentiert, dass sie sich auf das postmoderne Wissensprinzip und das politische Prinzip des Postmodernismus stützt, dass sie zutiefst aggressiv ist, dass sie ihre Relevanz für alle Aspekte sozialer Gerechtigkeit behauptet und dass sie nicht zuletzt von der Annahme ausgeht, Rassismus sei immer und überall gegeben.“

Ein neuer moralischer Kanon erobert die Universitäten und breitet sich in der Gesellschaft aus: Das System ist strukturell schlecht und gefährlich, Menschen sind historisch geprägt und damit in ihren Rollen festgeschrieben – Weisse sind per se Rassisten (und nur sie), Männer toxisch, Heterosexuelle rückständig und andere Formen der Sexualität unterdrückend und Sprache ist sexistisch und abwertend. Mit aggressiven Ansätzen und halbwissenschaftlichen Methoden versuchen Vertreter der sogenannten Social-Justice-Bewegung unter dem Deckmantel des Strebens nach mehr sozialer Gerechtigkeit und weniger Diskriminierung ein Weltbild zu zementieren, das keinen Widerspruch duldet.

Helen Pluckrose und Janes Lindsay nehmen sich in diesem Buch dieser Thematik an, analysieren die vorgebrachten Theorien und setzen sie in Bezug zu einem Liberalismus, welcher sich die gleichen Ziele auf die Fahnen schreibt, dies aber mit einem realistischeren Menschenbild und einer freiheitlicheren Methode, welche mit Dialog statt mit absolutistischen Argumenten agiert.

Herausgekommen ist eine tiefgründige Analyse des postmodernistischen Gedankenguts der Social-Justice-Bewegung, die sich auf die Fahnen schreibt, sich für die soziale Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung (in Bezug auf Race, Gender und Identität) einzusetzen, dabei die Deutungshoheit für sich proklamiert und der Sache an sich einen Bärendienst erweist auf diese Weise.

Weitere Betrachtungen

„Wenn beispielsweise von „Rassismus“ gesprochen wird, bezieht sich das Wort nicht auf rassistische Vorurteile, sondern vielmehr, nach Definition der Social-Justice-Bewegung, auf ein grundlegend rassistisches System, das die gesamte Gesellschaft durchzieht und weitgehend unsichtbar und unbemerkt bleibt; es kann nur von denjenigen erkannt werden, die Rassismus selbst erfahren oder die richtigen „kritischen“ Methoden erlernt haben, mit deren Hilfe sich dieser allgegenwärtige, versteckte Rassismus aufspüren lässt.“

Alle Weissen sind per se Rassisten. Ihre Hautfarbe macht sie dazu. Wenn sie sich einsetzen gegen Rassismus, wenn sie sich stark machen für Opfer von Rassismus, sind sie umso mehr Rassisten, da sie mit dem Einsatz nur (unterbewusst) ihre Schuld zu verdecken suchen. Jeder Weisse muss sich schämen. Das sind die Ansichten in Bezug auf Rassismus, wie sie von der Social-Justice-Bewegung vertreten werden. Analog argumentieren sie bei anderen Themen wie Gender und Sexismus. Sie argumentieren vordergründig sachlich und nachvollziehbar, oft mit akademischem Anspruch (dem Postmodernismus verpflichtet), allerdings immer unter Ausklammerung von Gegenargumenten, die sie nicht nur nicht berücksichtigen, sondern auch nicht hören wollen. Jegliche Art von Widerspruch wird als Rassismus, Sexismus oder Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung ausgelegt.

„Dessen [Liberalismus] wichtigsten Grundsätze bestehen in politischer Demokratie, in der Einhegung und Begrenzung der Regierungsmacht, der Entwicklung universeller Menschenrechte, rechtlicher Gleichheit erwachsener Bürger, Meinungsfreiheit, dem Respekt für die gesellschaftliche Bedeutung von Meinungsvielfalt, offenen Debatten, Evidenz und Vernunft der Trennung von Kirche und Staat und der Religionsfreiheit.“

Soziale Gerechtigkeit ist ein Ziel, das schon der Liberalismus anstrebt und zwar mit Argumenten, die auf einem Menschenbild von Freien und Gleichen basiert, die wissenschaftlich fundiert und zielorientiert sind. es geht beim Liberalismus darum, dass Individuen im Zentrum stehen und gemeinsam für eine Welt kämpfen, in welcher gleiche Rechte und keine Diskriminierung vorherrschen. Der Postmodernismus geht weiter:

„Es geht um die Rekonstruktion der Gesellschaft nach dem Vorbild einer Ideologie, die sich selbst als „Social Justice“ bezeichnet.“

Der Postmodernismus unterstellt, dass die Gesellschaft unterlaufen ist von althergebrachten Strukturen, die nur von den Eingeweihten wahrgenommen und von den anderen geglaubt werden müssen. Die Argumentation des Postmodernismus zeichnet nicht nur das Bild des Menschen als ein für allemal festgeschrieben ohne eigene Möglichkeit des Hinterfragens und sich Positionierens, sie ist auch zutiefst demokratiefeindlich, da sie einen Dialog per se ausschliesst. Sie weist totalitäre Ansprüche auf und ist nur schon deswegen höchst bedenklich.

Persönlicher Bezug

„Wir vertreten die Ansicht, dass die Methoden der Social-Justice-Forschung einen immensen wissenschaftlichen wert haben und die Sache der Menschheit beträchtlich voranbringen können (nicht zuletzt was die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit betrifft), wenn sie reformiert und wissenschaftlich hieb- und stichfest gemacht werden.“

Soziale Gerechtigkeit ist ein grosses Thema und eines, dass die Menschen theoretisch und als Betroffene seit Menschengedenken beschäftigt. Immer wieder gab es Bewegungen, die sich mit viel Kraft für mehr Rechte einsetzte, immer wieder kam es auch zu Fortschritten, welche aus der Gesellschaft eine immer gerechtere machten: Rassismus ist im Gesetz verankert, Chancengleichheit für Männer und Frauen ebenfalls, Gewalt aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religion und mehr wird geahndet, sexistisches Verhalten ebenfalls. Dass nach so vielen Jahrzehnten der Prägung in vielen Köpfen noch alte Rollenmodelle und damit auch Verhaltensmuster präsent sind, verwundert nicht. Statt aber diese grundsätzlich fest- und zuzuschreiben, damit Gräben zu errichten und eigentlich mit derselben Argumentation zu agieren, die man eigentlich bekämpfte, wäre es sinnvoller, die tatsächlichen Missstände zu benennen, sie dadurch ins Bewusstsein zu rufen und Methoden zu entwickeln, wie man ihnen beikommen könnte.

Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mensch sich ändern kann, dass er zwar in eine Welt geworfen wird, die er sich nicht ausgesucht hat, dass er durchaus auch geprägt wird von dieser Welt, dass er aber die Fähigkeit hat, sich und die Welt zu hinterfragen und sich in dieser Welt nach seinen Werten zu positionieren. Ich halte es mit dieser Sicht mit Sartre, welcher befand, dass man sich selber erschaffen kann, dass dies die anzustrebende Freiheit ist, die aber eine Verantwortung mit sich bringt, nämlich die Verantwortung für das eigene Sein. Damit wäre keiner durch irgendein äusseres Merkmal ein für alle Mal festgeschrieben, sondern es bestünde die Möglichkeit einer Veränderung, was sich im Miteinander zeigen könnte und zu einer gerechteren Welt führen könnte.

Fazit
Ein tiefgründiges, differenziertes und doch gut lesbares Buch über über das postmodernistische Gedankengut der Social-Justice-Bewegung, die der sozialen Gerechtigkeit einen Bärendienst erweist mit ihren aggressiven und absolutistischen Argumenten. Sehr empfehlenswert.

Die AutorInnen
Helen Pluckrose ist liberale Publizistin, Gründerin der Plattform „Counterweight“ und ehemalige Chefredakteurin des „Areo Magazine“. Sie hat zahlreiche Essays über die Postmoderne, die kritische Theorie, den Liberalismus, Säkularismus und Feminismus verfasst. Pluckrose lebt in London, England.

James Lindsay ist Mathematiker und Buchautor. Seine Essays sind in zahlreichen Zeitungen und Magazinen erschienen, darunter das „Wall Street Journal“, die „Los Angeles Times“ und „Time“. Lindsay lebt in Tennessee, USA.

Angaben zum Buch
Herausgeber: C.H.Beck; 1. Edition (17. Februar 2022)
Taschenbuch: 380 Seiten
ISBN-Nr.: 978-3406781384

Susan Arendt: Rassismus begreifen

Vom Trümmerhaufen der Geschichte zu neuen Wegen

Inhalt

«Die Meinungsfreiheit lässt ausreichend Raum dafür, etwas als rassistisch oder eben auch nichtrassistisch zu bezeichnen. Am Ende aber ist Rassismus keine Meinung, sondern eine Macht und Herrschaftsstruktur, die vermittels Privilegierung und Diskriminierung Leben bewertet, beeinflusst, beeinträchtigt und beendet.»

Rassismus ist ein Thema, das uns seit vielen Jahrzehnten beschäftigt und nie ganz zum Verschwinden gebracht werden konnte. Zwar gab es immer wieder Bewegungen, die sich dagegen einsetzten, es wurden auf verschiedenen gesellschaftlichen und auch politischen Ebenen Fortschritte erzielt, doch sind auch heute noch rassistisches Verhalten und rassistisch motivierte Gewalt an der Tagesordnung.

Susan Arndt geht dem Thema Rassismus auf den Grund, sie analysiert dessen Entstehungsgeschichte und die gegenwärtige Situation, um so zu einem besseren Verständnis kommen, da nur dieses helfen wird, Rassismus erfolgreich zu bekämpfen.
 
Weitere Betrachtungen

«Zur Geschichte der Menschheit gehört es, dass sich Gesellschaften immer wieder geopolitisch voneinander abgrenzen – mit allen dazugehörigen Konflikten und Kriegen, Eroberungen und Okkupationen, Ent- und Besiedlungen sowie Erzählungen, dass die Anderen anders seien. kulturell, religiös oder körperlich, in gegebenen Verschränkungen.»

Gruppen definieren sich durch das Gemeinsame, welches sie gerne dadurch besonders herausschälen, dass sie sich von anderen abgrenzen. Die Anderen sind dann die, welche abgewertet werden müssen, um die eigene Gruppe an die Macht zu stellen. Dies ist im Laufe der Geschichte immer wieder passiert, dieses Denken hat sich kulturell und sozial tief eingegraben. Dass etwas, das so lange gewachsen ist, sich in den einzelnen Köpfen sowie in gesellschaftlichen und politischen Institutionen festgesetzt hat, liegt auf der Hand.

„So wie Frauen nicht als Frauen geboren, sondern dazu gemacht werden… werden auch Männer vom Patriarchat dazu geformt, wie Männer zu ticken. Analog dazu werden Menschen beispielsweise in Schwarze oder weisse Positionen hineinsozialisiert – ob sie nun (so) möchten oder nicht. …Diese existieren unabhängig davon, ob sie wahrgenommen oder reflektiert werden.“

Argumente wie dieses hört man heute oft von postmodernistischen VertreterInnen der sogenannten Social-Justice-Aktivistinnen. Es wird damit ein Menschenbild zementiert, das dem Menschen die Selbstreflexion und die Möglichkeit einer Veränderung, wo nötig und gewünscht, absprechen. Ein so geartetes Menschenbild schreibt alle Macht gegebenen Strukturen zu, welchen der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Das ist eine bedenkliche und von mir abgelehnte Sicht. Ich bin der Überzeugung, dass der Mensch durchaus in der Lage ist, sein Tun zu hinterfragen (ich behaupte nicht, dass dies in jedem Fall passiert) und sich entsprechend zu verhalten. Ansonsten wäre eine Verbesserung von gegenwärtig als Missstand wahrgenommenen Situationen gar nicht möglich. Die Geschichte zeigt, dass dies nicht stimmt.

«Weil es der Lebenssinn des Rassismus ist, aus dem Herzen von weisser Macht und Herrschaft heraus weisse Überlegenheit zu behaupten und Weisse zu privilegieren, können Schwarze, die das anzweifeln oder gar Schwarze Überlegenheit postulieren, nicht rassistisch sein.»

Auch dieses Argument ist abzulehnen. Es wäre ein Messen mit unterschiedlichen Massstäben. Zwar ist es in der Tat so, dass – gerade durch die Geschichte – die weissen Privilegien durchaus mehr vertreten sind, der Rassismus auch heute noch oft von Weissen ausgeht, doch zeigt auch da die Geschichte, dass nicht „nur“ die Hautfarbe Grund für Rassismus ist, und dass es nicht vertretbar ist, einem Menschen aufgrund seiner Zugehörigkeit welcher Art auch immer Eigenschaften zuzuschreiben.
 
 
Persönlicher Bezug

«Rassismus ist ein System, und in diesem tragen Individuen zwar Mitverantwortung, können es aber auch nicht einfach so verlassen. Umgekehrt heisst das, dass Rassismus zwar nicht durch ein blosses Wollen Einzelner ad acta gelegt werden kann, es aber dennoch auf jede*n ankommt. Es bedarf also systemischer Prozesse, die individuell mitgetragen werden, und individueller Initiativen, die systemische Prozesse anstossen und tragen.»

Ich habe in diesem Buch oft die postmodernistische Sicht auf das Problem des Rassismus beanstandet, da es einerseits zu Widersprüchen im Buch selber führte, andererseits auch eine Rollenverteilung in Stein meisselt, die einerseits auf einem falschen Menschenbild beruht, wie ich denke, andererseits aber keinem hilft. Indem man versucht, Schwarze zu Opfern, Weisse zu Tätern zu machen, nimmt man beiden die Möglichkeit einer Selbstwirksamkeit. Schwarze könnten sich nach dieser Sicht nie selber wehren, sie bedürften eines Systems, das sich ihnen annimmt und für sie die Steine aus dem Feuer holt. Das würde die Schwarzen zu unmündigen, hilflosen Wesen machen und sie in ihrem Selbstverständnis herabsetzen. Weisse dahingegen wären in ihrer Täterrolle, die sie – so heisst es – oft gar nicht sehen, festgeschrieben und könnten sich nicht verändern, da alles, was sie tun, durch ihr Weiss-Sein bereits rassistisch wäre.

Ich bin der Meinung, dass Rassismus durchaus noch ein systembedingtes, strukturelles Problem ist, da das Denken noch in zu vielen Köpfen sitzt. Es ist aber auch ein individuelles, indem jeder selber für sein Denken und Tun insofern verantwortlich gemacht werden muss, dass es ihm frei steht, es zu hinterfragen und gegebenenfalls zu ändern. Insofern vertrete ich die Ansicht, dass wir auf allen Ebenen ansetzen müssen: Der Mensch selber muss sein eigenes Tun hinterfragen, dazu bedarf es des Bewusstseins für die Missstände und die eingeprägten Sichtweisen. Dieses Bewusstsein zu schaffen ist wichtig und nötig und da können aufklärerische Texte helfen. Es braucht aber auch eine Analyse der heutigen Systeme, um unterschwellig vorhandenen Rassismus aufzudecken und zu bekämpfen. Dies können wir nur gemeinsam schaffen, Schwarze und Weisse, die miteinander für die eine gerechte Gesellschaft einstehen.

Fazit
Ein grundsätzlich informatives, ausführliches, gut recherchiertes Buch über Rassismus, was er bedeutet und wie er entstanden ist. Dabei zu oft mit postmodernistischen Argumenten agierend, was zu Widersprüchlichkeiten führt. Empfehlenswert.
 
Autorin
Susan Arndt ist Professorin für englische Literatur- und Kulturwissenschaft und Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth.
 
 
 
Angaben zum Buch
Herausgeber: C.H.Beck; 1. Edition (2. November 2021)
Gebundene Ausgabe: 477 Seiten
ISBN-Nr.: 978-3406765544