Lesemonat August  

«Und es war Sommer…» So heisst es in einem Lied und so war es auch. Es war heiss, es war sonnig, es war schön. Alles lud zum Geniessen ein und das habe ich getan. Daneben war ich aber auch fleissig, habe viel gelesen und vor allem geschrieben. Neben meiner Geschichte «Alles aus Liebe», die Stück für Stück auf «denkzeiten» erscheint, entsteht in meinem Kopf ein neues Buch und ich durfte einige Interviews realisieren. Das sind immer die guten Zeiten, die, in denen ich tätig bin. Manchmal muss ich mir dieses Tätigsein regelrecht erkämpfen, verfüge ich doch über eine sehr ausgeprägte Fähigkeit, nämlich die zur Prokrastination. Geholfen hat, dass ich die Arbeitszeiten fix in die Agenda eingetragen habe. Damit wurden sie quasi für mich verbindlich. Manchmal muss man sich selbst überlisten.

Meine Lektüre bewegte sich diesen Monat mehrheitlich im Krimi- und Thriller-Bereich. Und ich habe es geliebt. Ich fing mit sicheren Werten an (Nele Neuhaus, deren Reihe ich komplett lesen möchte), genoss ein wenig Krimi-Theorie, liess es abgründiger werden mit Fitzek, Faber und Bentow, um mich dann dem Verbrechen in heimischen Gefilden zuzuwenden (Zürich und Aarau). Mit Romy Fölck habe ich eine neue Liebe entdeckt, die mich in den September begleiten wird, und von Benedict Wells wurde ich berührt durch sein offenes, ehrliches, tiefgründiges Buch über sein Leben und Schreiben.

Wie war euer August? Was habt ihr gelesen? Und: Prokrastiniert ihr auch oder erledigt ihr die Dinge sofort?

Hier meine vollständige Leseliste

Nele Neuhaus: Tiefe WundenVergangenheit, die nie vergeht. Als der Holocaust-Überlebende Goldberg ermordet wird, machen Pia und Oliver eine mysteriöse Entdeckung: Eine Tätowierung am Arm des Opfers deutet darauf hin, dass dieses Angehöriger der SS gewesen war im Krieg. Bald kommt es zu zwei weiteren Morden aus dem Umfeld Goldbergs. Wie hängen diese zusammen und was ist das Ziel des Täters? Um die Antwort zu finden, müssen die Ermittler in die Vergangenheit eintauchen. 5
Nele Neuhaus: Die Lebenden und die TotenAls eine alte Frau ohne Feinde auf offenem Feld erschossen wird, stehen Pia und Oliver vor einem Rätsel, das noch grösser wird, als eine Frau durchs Küchenfenster auf dieselbe Weise umkommt. Zwischen den beiden gibt es keine Verbindung, doch sie sind nicht die letzten, es folgen weitere Tote, ein Zusammenhang wird sichtbar und die Suche nach dem Täter entpuppt sich als Suche nach der Nadel im Heuhaufen – weil sie sich zu sehr an das Offensichtliche halten. Werden sie weitere Morde verhindern und den Täter rechtzeitig schnappen können?5
D.P.Lyle: CSI-Forensik für DummiesEIn Überblick über die verschiedenen Gebiete und Aufgaben der Forensik, wie und wo sie eingesetzt werden, was sie beinhalten, wie sie zur Aufklärung einer Tat beitragen. Informativ, kompetent und gut lesbar geschrieben. Auch gut als Nachschlagewerk verwendbar.4
Sebastian Fitzek: AmoklaufIn einem Radiosender kommt es zu einer brutalen Geiselnahme. Ira Samin, selbst am Rande ihrer Kräfte und nach dem Suizid ihrer Tochter am Ende ihres Lebenswillens, muss als Psychologin verhandeln. Was niemand weiss: Ihre Tochter ist in der Gewalt des Amokläufers. Seine Forderung ist so klar wie schwer zu befolgen: Er will seine tote Verlobte sehen, ansonsten stirbt eine Geisel nach der anderen. Bald ist klar: Hinter all dem steckt eine Verschwörung,  es muss einen Maulwurf geben bei der Polizei – doch wer ist es und kann Ira das Leben ihrer Tochter und der anderen Geiseln retten?5
Henri Faber: AusweglosDrei Frauen hat er umgebracht, der Ringfingermörder, sie haben ihn nicht gefasst. Für Elias Blom und Mats Jäger war das das Ende ihrer Karriere, der eine wurde ins Einbruchsdezernat strafversetzt, der andere schied aus dem Dienst und stürzte ab. Nun gibt es wieder ein Opfer, alles scheint wie damals, nur gibt es nun auch einen Zeugen: Noah, erfolgloser Schriftsteller und Nachbar des Opfers, kam dem Mörder in die Quere und musste es selbst blutig büssen. Bald gibt es erste Zweifel: Ist Noah nicht nur Zeuge, sondern doch Täter? Welche Rolle spielt seine Frau dabei? Als wäre der Fall nicht schwierig genug, muss sich Blom auch noch mit dem ihm feindlich gesinnten Ermittlungsteam auseinandersetzen. 5
Sigrid Nunez: Die Verletzlichen – abgebrochenLose aneinandergereihte Erinnerungen an die Kindheit und wohl noch weiter, ich bin nicht über die jungen Jahre weggekommen, da mich das Buch nicht in seinen Bann ziehen konnte. Nirgends ein Halt, nirgends ein Zusammenhang, nirgends etwas, was mich irgendwie angesprochen hätte – oder zu wenig davon. 
Irvin D. Yalom: Wie man wird, was man ist – abgebrochenDer Autor erzählt sein Leben, erzählt von seiner Kindheit, seinem Studium, seiner Frau und wohl alles, was danach noch kommt. Er tut das sehr detailgetreu und persönlich, wie es sich gehört für eine solche Autobiografie. Irgendwann kommt in mir das Gefühl auf, dass ich nicht einem fremden Leben so genau beiwohnen möchte, ich hätte mir wohl ein paar Erkenntnisse mehr gewünscht, nicht nur das Aufzählen von Ereignissen. Wer sich für Yalom interessiert, wer gerne fremde Leben miterlebt, dem kann ich das Buch sehr empfehlen. 
Max Bentow: Der FedermannSie sind alle jung, blond und schön. Er schneidet ihnen die Haare ab, zerfleischt ihren Körper mit Messern, hinterlässt als Markenzeichen einen ausgeweideten Vogel ohne Federn. Der Berliner Kommissar Nils Trojan muss diesen verrückten Serientäter finden, bevor noch eine Frau sterben muss. Dass seine eigene Tochter in das Beuteschema passt, erhöht den Druck, zudem war da diese Warnung, dass auch Trojan selbst das alles nicht überleben wird. Blutig, temporeich und von der ersten bis zur letzten Seite packend.5
Oliver Thalmann: Mord im LandesmuseumFabio Montis Schwiegervater, der renommierte Anwalt Christian Huber, bittet ihn um Hilfe: Monti soll den Besitzer eines Bildes ausfindig machen, das er unbedingt erwerben will. Kurz darauf verschwindet just dieses Bild aus einer Ausstellung im Landesmuseum, wenig später wird dessen Besitzerin umgebracht. Wie hängen der Raum und der Mord zusammen? Als auch noch der Kurator der Ausstellung verschwindet und ein Erpresserbrief auftaucht, tappen die Ermittler vollends im Dunkeln: Welches Motiv steckt hinter all dem und wer hat ein Interesse? Monti ahnt noch nicht, dass die Aufklärung dieses Falls auch für ihn gefährlich werden kann.  5
Karen Sander: Der Sturm. Vernichtet – abgebrochen15 Jahre nach ihrer Ermordung tauchen zwei bis dahin verschollene Leichen auf, eine Kollegin wird vermisst, eine Buchhändlerin hat Albträume, Ermittlungen laufen kreuz und quer. In kurzen Kapiteln tauchen immer wieder neue Namen auf, ein roter Faden ist schwer zu finden. Vielleicht wäre es besser, wenn man die Reihe von Anfang an gelesen hätte und nicht erst mit diesem Band begonnen, aber ich kam nicht rein und war bald raus. 
Ina Haller: Aargauer GrauenEin Mitarbeiter ais Enricos Pharma-Unternehmen wird tot in seiner Wohnung aufgefunden. Bald stellt sich sein Tod als Mord durch eine Spinnenbiss heraus. Als kurz darauf Medikamente aus der Firma verschwinden, beschliessen Enrico und Andrina, die Sache selbst zu verfolgen, womit sie jemandem gewaltig auf die Füsse stehen und selbst in Gefahr geraten. Zudem stehen sie bei der Polizei plötzlich im Verdacht, selbst etwas mit allem zu tun zu haben. 5
Elisabeth Hermann: Zeugin der Toten – abgebrochenWir starten in einem Kinderheim, Drohungen des DDR-Regimes liegen in der Luft. Wir fahren fort in der Wohnung einer Toten, Judith ist als sogenannte Cleanerin zuständig, diese zu säubern. Danach finden wir uns in einem Fernsehstudio, brisante Akten sollen eine Bombe platzen lassen, weiter geht es bei Agententechtelmechteln und dann war ich raus. Keine Chance, in eine Geschichte hineinzukommen, keine Figur, mit der ich mich nur am Rande hätte identifizieren können, hätte ich vom Klappentext nicht gewusst, worum es gehen soll, hätte ich auf Seite 79 noch keinen Plan gehabt – nicht mein Ding. 
Romy Fölck: TotenwegAls ihr Vater zusammengeschlagen wird, fährt Frida nach vielen Jahren zurück auf den Hof in die Elbmark, um zu helfen. Dort trifft sie auf Haverkorn, der vor knapp 20 Jahren im Mord an ihrer Freundin ermittelt hat. Der Mörder wurde nie gefunden, die Tat hat das Dorf und seine Bewohner verändert. Hängen der Anschlag auf Fridas Vater und der frühere Mord zusammen? Frida will wissen, was passiert ist, doch dazu muss sie auch selbst Geheimnisse lüften, die sie seit bald 20 Jahren mit sich herumträgt. 5
Benedict Wells: Die Geschichten in unsNicht nur der Untertitel erinnert an Stephen Kings Buch «Das Leben und das Schreiben», das ganze Buch tut es. Trotzdem ist es nicht einfach eine Kopie. Benedict Wells schreibt offen wie nie über sein Aufwachsen, über seinen Weg hin zum Schriftsteller, der er heute ist. Er schreibt von seinen Plänen, von der Umsetzung, schreibt davon, wie ein Roman entsteht bei ihm und woran er anfangs scheiterte. Ein ehrliches, ein tiefgründiges, ein persönliches Buch. 5
Michaela Kastel: VerirrtVon ihrem Mann geprügelt flüchtet Felizitas mit ihrer Tochter zu ihrer Mutter. 12 Jahre haben sie sich nicht gesehen, noch immer sind die Monster präsent, die sie damals von zu Hause weggehen und nie mehr wiederkehren liessen. Nun ist es die einzige Zuflucht. Und noch immer sind da diese offenen Fragen, die Ängste, die Gefahren -und die grosse Frage: Wird ihr Mann sie finden? Und: Wem kann sie trauen? Wer sind die wirklichen Monster?5
Romy Fölck: BluthausAus dem Nichts taucht Fridas Freundin Jo auf dem Hof ihrer Eltern auf und verschwindet gleich wieder. Als in der Nähe eine Frau brutal umgebracht wird, fällt der Verdacht auf Jo. Dass sich diese kurz darauf das Leben nimmt, erhärtet diesen. Doch was hat das Ganze mit einem Mord von vor 20 Jahren zu tun? Frida setzt alles daran, den Fall aufzuklären, auch wenn sie zeitweilig an Jos Unschuld zweifelt. Dabei bringt sie sich mehr und mehr selbst in Gefahr. 5

Lesemonat Mai

«Sprich jetzt, bevor es zu spät ist, und hoffentlich kannst du so lange sprechen, bis nichts mehr zu sagen ist.» Paul Auster

Ich war sehr suchend und immer wieder findend, um wieder zu verwerfen und neu zu suchen. Und manchmal suchte ich nicht mal, merkte nur, dass ich noch nicht gefunden habe. Und ich ermahnte mich zu mehr Geduld und fand sie nicht. Das war die Grundstimmung im Mai. Zu schreiben, was diesen Monat sonst geprägt hat, fällt mir schwer, er ist mir bei all dem sprichwörtlich zwischen den Fingern zerronnen. Ich habe viel geschrieben, viel gelesen, wobei ich selbst die Fülle des Lesens nicht wirklich realisiert habe, sondern immer dachte, ich käme zu wenig dazu – die Liste belehrte mich eines Besseren. Was ich aber weiss: Es waren grossartige Lektüren.

Nachdem ich mit André Gorz die Liebe gefeiert habe und berührt wurde, tauchte ich in die Welt Simone de Beauvoirs zurück, las von ihren Reisen, Lektüren, ihrem Schreiben und der politischen Lage ihrer Zeit. Mit Lena Gorelik erforschte ich, was Herkunft bedeutet und wie sie uns prägt. Bei Sartre erfuhr ich mehr über dessen Kindheit und bewunderte seine grossartige Sprache, seinen Humor. Ich tauchte in das Leben von Paul Auster ein, nachdem er selbst gestorben war, und habe mich verliebt in seine Sprache und seine Art des Erzählens. Ich litt mit Tove Ditlevsen und war erschüttert über Salman Rushdies Bericht darüber, wozu Menschen in der Lage sind und was sie damit bewirken. Zum Glück fand Salman Rushdie einen guten Umgang damit: Er schrieb darüber. Und ich las übers Schreiben und Stehlen und Sterben und Erzählen – ach, es war so viel und es war grossartig.

Im Juni stehen noch einige Memoirs an, zudem möchte ich mal wieder historische oder Gesellschaftsromane lesen. Ein paar liegen schon bereit, sie werden mit mir nach Spanien reisen, denn es ist wieder so weit. Leider nicht für lange dieses Mal.

Was habt ihr im Mai gelesen? Habt ihr schon (Lese-)Pläne für den Juni?

Die ganze Mai-Liste findet sich hier:

André Gorz: Brief an G. Geschichte einer LiebeNach achtundfünfzig gemeinsamen Jahren schreibt André Gorz seiner Frau Dorine diese wundervolle Liebeserklärung, die voller Tiefe, Wärme, Poesie ist. Die Liebe dieser beiden Menschen ist förmlich spürbar und sie rührt zeitweise zu Tränen. Bei aller Liebe geht André Gorz aber auch hart mit sich ins Gericht und schilt sich einiger Fehler, denen er mit dieser Schrift entgegenwirken möchte. Berührend!6 von 5
Simone de Beauvoir: Alles in allemSimone de Beauvoir geht weiter in ihrer Lebensgeschichte, dieses Mal nicht mehr ganz chronologisch, sondern oft auch thematisch. Im Grossen und Ganzen behandelt sie die 60er-Jahre, erzählt von gemeinsamen Reisen mit Sartre, von ihrer Beschäftigung mit Musik, Kunst und Kultur, von ihrem Schreiben und sehr intensiv auch von den globalen politischen Ereignissen. 5
Lena Gorelik: Wer wir sindWas nehmen wir mit, wenn wir fliehen müssen, was lassen wir zurück? Wie prägt uns unsere Herkunft, unsere Familie, wie sind wir mit ihr verbunden? Die Geschichte eines Aufwachsens als Tochter und Enkelin, als Mitglied einer Familie mit all ihren Brüchen, Umbrüchen, Erlebnissen und Prägungen. Ein persönliches Buch, das sich Erinnerungen entlang tastet, diese durch das Schreiben verständlich und erfahrbar macht. Der Sog der Sprache, die so eigen ist, zieht am Anfang in die Geschichte herein, lässt dann aber nach und nach und ein Gefühl der Länge auftauchen. 4
Yasushi Inoue: Meine Mutter – abgebrochenIm Alter zieht die Mutter des Autors zu ihm und seiner Familie. Das Buch handelt von diesem Zusammenleben mit der älter werdenden Mutter mit all ihren Vergesslichkeiten und Eigenheiten, sowie von Gedanken darüber und über die Vergangenheit und die Erinnerungen daran. Mich hat es nicht überzeugt, das Buch blieb seltsam blass und distanziert, so dass ich keinen wirklichen Zugang fand. 
Jean-Paul Sartre: Die WörterSartres Erinnerungen an seine Herkunft, auf seine Familie, auf seine Schreibanfänge und darauf, was ihm das Schreiben bedeutet, wofür es steht. Ein sehr analytischer, selbstkritischer, teilweise ironischer, schonungslos offener Blick auf sich selbst und die eigenen Eigenheiten und auch Selbstüberschätzungen.5
Gisèle Halimi: Alles, was ich bin. Tagebuch einer ungeliebten TochterGisèle Halimi schreibt über ihr Aufwachsen mit einer Mutter, die sie nicht liebt. Sie analysiert, wie es zu dieser fehlenden Liebe kommen konnte, wie das ihre Kindheit, ihr Aufwachsen und ihr Sein prägte. Was bewirkte dieses Ungeliebtsein in ihrem Leben, wie beeinflusste es ihre Ziele und ihre Haltung im Leben. Sie breitet ihr Leben von der Kindheit bis zum Tod der Mutter aus und lässt den Leser durch das Erzählen der Geschichten, wie alles war, teilhaben.3
Rebecca F. Kuang: YellowfaceAthena Liu und June Hayward sind seit ihrem gemeinsamen Literaturstudium Freundinnen, beide streben sie eine Karriere als Schriftstellerin an. Während Athena der Erfolg nur so zufliegt, will June der Durchbruch nicht gelingen. Beim Feiern eines weiteren Erfolges erstickt Athena vor Junes Augen und diese wittert ihre Chance: Sie stiehlt deren fertiges Manuskript und gibt es nach intensiver Umarbeitung als eigene Geschichte heraus. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, doch dann droht der Diebstahl aufzufliegen. Ein Buch Themen wie das Schreiben, den Buchmarkt, Rassismus, Aneignung und die Frage, wer Autor eines Werkes ist. Und vieles mehr. 4
Paul Auster: Bericht aus dem InnernPaul Auster erinnert sich an seine Kindheit, an sein Aufwachsen und seinen Weg hin zum Schreiben. Er spricht sein kleines Ich an, geht in den Dialog mit ihm, erzählt ihm, was war und wie er es aus der heutigen Sicht sieht. Und er nimmt den Leser mit auf diese Reise, die eine persönliche ist, eine Reise in sein Inneres, das er herausholt und sichtbar werden lässt.6 von 5
Veronika Reichl: Das Gefühl zu denkenGeschichten vom Lesen, davon, wie das Lesen und die Lektüre das eigene Leben prägen, wie sie ins Leben eingreifen, weil man sich dem Lesen hingibt und nach Antworten sucht, die man schlussendlich nicht in den Büchern, sondern in den eigenen Gedanken zu diesen finden. Veronika Reichl hat diverse Interviews und Gespräche zum Thema Lesen geführt und diese in die in diesem Buch enthaltenen Erzählungen fliessen lassen. 3
Paul Auster: WinterjournalPaul Auster erzählt aus seinem Erwachsenenleben, er zählt auf: Seine Behausungen, seine Lieben, seine Verletzungen, seine Reisen, Begegnungen mit dem Tod und vieles mehr. Es sind dieses Mal mehr die äusseren Dinge im Blick, und doch prägen auch die ganz tief. Davon handelt dieses Buch.5
Marjan Slobo: Der leere Himmel. Lob der Einsamkeit – abgebrochenMarjan Slobo erkundet das Gefühl der Einsamkeit, sieht es in einer mangelnden Verbundenheit mit der Welt begründet und vor allem auch in der menschlichen Fähigkeit des Selbst-Bewusstseins, durch welches wir diese mangelnde Verbundenheit und die Gefühle, die diese hervorruft mittels Sprache wahrnehmen. Sie beruft sich dabei auf Daniel Dennett, verweist auf Philosophen und Literaten, Filme und Musik. Sie mäandert in ihrem Text durch die verschiedensten Bereiche, ohne die konzis auf das Thema zu beziehen, so dass es an Stringenz fehlt. Viele Wiederholungen, falsche Schlüsse (die Logik stimmt nicht) und eine gewisse Ziellosigkeit führten zum Abbruch meinerseits. Schade, das Thema hätte mich interessiert. 
Tove Ditlevsen: AbhängigkeitTove Ditlevsens Erinnerung an ihre Ehen, ihr Abdriften in die Abhängigkeit nach Schmerzmitteln und anderen Medikamenten. Die Geschichte einer Flucht in eine Scheinwelt, weil die wirkliche nicht ertragbar war, die Geschichte des Kampfes, sich mit der Wirklichkeit wieder zurechtzufinden und den Weg aus der Sucht zu schaffen. Ein eindringlicher Roman, der einen durch die Sprache, durch die Unmittelbarkeit, mit der das beschriebene Leben aus den Zeilen spricht, fesselt und nicht mehr loslässt.5
Salman Rushdie: KnifeIn «Knife» schildert er seine Geschichte rund um den Anschlag auf sein Leben. Er schreibt von der Erschütterung durch die wieder aufgebrochene Gefahr, über den Schmerz beim Angriff und den weiteren beim Bewusstsein, womit er die Zukunft seines Lebens umgehen lernen muss. Er schreibt aber auch von der Kraft der Liebe und wie diese ihn durch all das Leid hindurchtrug. Er schreibt offen, zeigt sich verwundet und verwundbar. Er berührt, bewegt, erschüttert, hallt nach. Ein Buch, das mich mit jeder Faser meines Körpers und Fühlens ergriffen hat. Bis in die Träume hinein.5
Oskar Negt: Überlebensglück – abgebrochenOskar Negt ist es gelungen, aus einer durch Flucht geprägten Kindheit auf dem Bauernhof den sozialen Aufstieg ins Bildungsbürgertum mit Universitätsabschluss zu schaffen. Davon handelt diese Autobiografie. Sie beleuchtet die Hintergründe, weswegen die einen als Gebrochene und Opfer, die anderen als Kämpfer und Gesunde aus schwierigen Lebensumständen hervorgehen. Er schaut auf Theorien und behandelt Philosophien und schafft damit eine Distanz zum Gegenstand einer Autobiografie – zu sich selbst. Ich habe ihn verloren in all den Zeilen und irgendwann abgehängt. 
Sigrid Nunez: Sempre SusanEin sehr persönliches Porträt von Susan Sontag. Sigrid Nunez ist 25, als sie beginnt, für Susan Sontag zu arbeiten. Bald zieht sie bei ihr ein, ist die Freundin von deren Sohn, mit dem sie zusammen ist.  Ein Zusammenleben, das aufreibend ist, das sie in eine Mutter-Sohn-Dynamik hineinzieht, in welcher eine dritte Person einen schweren Stand hat. Es ist ein schonungsloser Blick, aber kein verletzender, ein ehrlicher, unverstellter, der sowohl Hochachtung wie auch Unverständnis ausdrückt, die Sigrid Nunez Susan Sontag in verschiedenen Situationen entgegenbringt. 4
Joan Didion: Wir erzählen uns Geschichten, um zu lebenEssays über sich, ihr Leben und die Welt – vor allem auch die der Kunst und des Films, der Künstler und Bohemiens – um sich. Einblicke und Analysen, persönlich und klar, ein unverstellter Blick auf die Wirklichkeit Amerikas in den Sechzigerjahren.4
Nelio Biedermann: Anton will bleibenNach seiner Krebsdiagnose überlegt Anton, wie er das verbleiende Jahr verbringen könnte, um in die Geschichte einzugehen, schliesslich sollte nach seinem Tod etwas von ihm zurückbleiben. Er versucht sich im Schreiben, mit Fotografieren, Malen, Philosophieren. Er schliesst neue Freundschaften, macht eine Reise, überzeugt einen Jungen mit Selbstmordabsicht von der Schönheit des Lebens. Nur der ewige Ruhm, der scheint ihm nicht gegönnt. Oder doch?4
Andreas Kilcher: Kafkas WerkstattEin Blick hinter die Kulissen von Kafkas Schreiben. Wie haben sein Leben und Lesen sein Schreiben inspiriert? Wie durchzogen sie seine Texte? Eine Analyse seiner Lektüren, Interessen und der historischen und lebensnahen Kontexte und daraus abgeleitet ein Bezug zu einzelnen Texten. Der Schreibprozess selbst bleibt leider eher aussen vor, einige Redundanzen lassen das Ganze etwas langatmig wirken, aber es ist eine informative und kompetente Annäherung an Kafkas Schreiben und ein Hinweis auf eine andere Lesart von dessen Werk. 4
Mely Kiyak: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens anPapa Kiyak hat Krebs. Die Tochter kümmert sich. Sie spricht mit den Ärzten, kocht Essen, will für ihn da sein, redet gut zu und hat selbst keine Kraft. Sie weint plötzlich in den unmöglichsten Situationen, kämpft immer wieder an allen Fronten, wütet über die Bedingungen von Migranten. Und zwischendurch lässt sie sich von ihrem Papa Geschichten erzählen. Von früher. Von der Familie. Berührend. Bewegend. Tief. 5

Lesemonat April 2024

«April Laut flötet der Wind durch den Haselnußstrauch,
Schneeflocken durchwirbeln den Hain,
Bald Hagel, bald Regen und eisiger Hauch,
Bald lachendster Lenzsonnenschein.
Ich weiß ja, daß kurz dieser Sonnenblick dauert,
Daß Hagel und Regen und Schneefall schon lauert
Und Nordwinds erstarrendes Wehn,
Und dennoch mich freudige Hoffnung durchschauert,
Es ist ja so schön, ja so frühlingshaft schön.»

Hermann Löns

Was für ein Monat. Weil: Irgendwie so nichtssagend. Blass. Nur das Wetter machte ihm alle Ehre. Es war durchzogen, durchtrieben. Ich schwitzte, fror, zog Schichten über Schichten, zog sie wieder ab. Hängte Winterkleider weg, um sie wieder zu holen. Und sonst? Ich weiss es schlicht nicht. Ich habe gelesen, mehr als im März. Ich habe geschrieben. Ich war getrieben. Nichts Neues. Wusste nicht ganz, wohin. Auch nicht neu. Ich glaube, es gibt hier nichts weiter zu sagen. Er war nicht schlecht, der April, lassen wir die Bücher sprechen. Meine Highlights. Und nun wird es schwierig, denn es war ein toller Lesemonat. Jedes Buch hätte einen Sonderstatus verdient. Fast jedes. Die Highlights… Trommelwirbel:

Michael Schmidt-Salomon, «Evolution des Denkens». Zuerst dachte ich, das Verhältnis Biografie/Geschichte zu den Gedanken falle für mich zu einseitig aus, ich hätte mehr über die Gedanken erfahren wollen. Doch das änderte schnell. Es griff alles ineinander über und gerade der Blick auf die Lebensumstände zeigte die Motivation der einzelnen Denker. Ein Buch zum Mitdenken, zum Staunen, zum immer mal wieder «Aha, so war das» denken. Ein grossartiges Buch, eines, das gelesen werden sollte.

Sigrid Nunez, «Der Freund». Ich gebe zu, ich hätte am Anfang fast abgebrochen. Zu abgehackt, zu wenig klar. Ich kam in keinen Lesefluss. Irgendwas sagte mir, ich solle dranbleiben. Zum Glück. Was hätte ich verpasst. Ein Buch, das für mich einen richtigen Sog entwickelte. Es weckte Gedanken, Gefühle. Ganz grosses Kino.

Elke Naters, «Alles ist gut, bis es das dann nicht mehr ist». Irgendwie war es kein Highlight. Und irgendwie doch. Ich kann nicht sagen, was mich weiterlesen liess. Ich kann auch nicht sagen, womit ich immer wieder haderte. Es ist ein Buch, mit dem ich ständig im Clinch lag. Und ist nicht auch gerade das grossartig bei einem Buch? Irgendwie.

Was habt ihr im April gelesen? Kennt ihr das, dass ihr Bücher lest, die ihr irgendwie nicht fassen könnt?

Hier die ganze Liste:

Tessa Hadley: Das Jahr der Veränderungen – abgebrochenKate zieht zurück an den Ort ihrer Kindheit, um ihre Mutter zu pflegen, zu der sie eine merkwürdige Nicht-Beziehung zu haben scheint. Sie trifft auf ihre Jugendliebe, die in Eheproblemen steckt, dessen Sohn, der sich angezogen fühlt und wird bei all dem immer mehr von der Vergangenheit eingeholt. Alles plätschert vor sich hin, das einzige, was sich in dieser eher eintönigen Geschichte abhebt, ist die Sprache, die vom Stil her sehr prägnant ist. Allerdings muss einem dieser Sprachstil liegen, sonst ist es noch schwerer, das Buch mit Genuss zu lesen.
Arthur Schnitzler: Die TraumnovelleDie Geschichte von Fridolin und Albertine, einem jungen Ehepaar mit einer kleinen Tochter, verbunden in einer innigen Beziehung, die Risse bekommt, als sie beschliessen, sich alles zu sagen. Die jeweiligen erotischen und Fantasien und Hoffnungen verwirren nicht nur jeden für sich, sondern führen auch zu emotionalen Abgründen miteinander. 5
Michael Schmidt-Salomon: Die Evolution des Denkens10 grosse Denker, ihr Leben und Schaffen im Blick, um daraus Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Michael Schmidt-Salomon zeigt, dass all die klugen Geister ihr mutiges und neugieriges Denken und Forschen, ihre Unabhängigkeit, ihr Sinn für Vernetzung und ihr offener Blick sowie der Umstand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, zu den Denkriesen machte, als die wir sie heute sehen. Was können sie uns also zeigen, was uns für unsere Zeit nützt? Ein sehr informatives, kurzweiliges, packendes Buch.5
Simone de Beauvoir: Auge um AugeSimone de Beauvoir hinterfragt in diesen Essays die Welt und die Menschen, die in ihr agieren. Durch den Krieg politisiert und der Überzeugung, dass es Pflicht ist, sich in dieser Welt zu positionieren und zu engagieren, schaut sie kritisch auf den Menschen und seine Glaubenssätze, hinterfragt Begriffe wie Moral, Strafe, Rache, Hass und mehr. Sie legt dar, was der Existenzialismus ist und was er will und blickt auf die Literatur, und was sie uns zeigen kann, wo Philosophie stockt. 5
Sarah Bakewell: Wie man Mensch wirdSarah Bakewell rollt die Geschichte des Humanismus von Anfang an auf. Was heisst es, humanistisch zu denken und zu handeln? Worauf gründen Entscheidungen, was macht den Menschen aus? Ausgehend von der Idee, dass der Mensch im Kern gut sei, bildete sich vor über 700 Jahren eine Lebenshaltung aus, deren Ziel es ist, den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zum Menschen zu machen, der er ist: ein freies, glückliches, im Hier und Jetzt lebendes Wesen, dem das friedliche Miteinander am Herzen liegt, weswegen er auf Mitgefühl und Verantwortung setzt statt auf Gebote und Gesetze. Bakewell erzählt aus dem Leben verschiedener Literaten, Künstler, Denker und zeigt ihre Lebens- und Denkwege auf. Für mich etwas viel Geschichte und zu wenig Denken, was aber subjektiven Vorlieben geschuldet ist. 4
Anne Pauly: Bevor ich es vergesseAls Anne Paulys Vater stirbt, müssen sie und ihr Bruder die Formalitäten regeln und die Abdankung planen. Die Konfrontation mit dem toten Vater, mit den Erinnerungen an die vielfältigen Erfahrungen, Gefühle, Erlebnisse aus der gemeinsamen Vergangenheit sowie die Aufarbeitung der zurückbleibenden Gefühle an diesen Menschen, der so viele Seiten in sich trug, vom gewaltvollen Alkoholiker über den Liebhaber von Gedichten bis hin zum Interessierten für Spiritualität und östliche wie westliche Philosophien handelt dieses Buch. Es ist ein Buch über Liebe, Gewalt, Trauer und Trost, es ist ein Buch über Abschied und ein Buch über eine Beziehung zwischen Vater und Tochter.5
Patrick Kaczmarczyk: Raus aus dem Ego-Kapitalismus. Für eine Wirtschaft im Dienst des MenschenEine konzise Analyse des kapitalistischen Systems heute mit ihren Ungleichheiten und prekären Auswüchsen für viele Menschen. Eine Darlegung der neoliberalen Glaubenssätze mit ihren falschen Versprechungen und zerstörerischen Auswüchsen sowie der Wirkweise von Ideen in der Gesellschaft. Als Lösungsweg wird ein Kapitalismus propagiert, der sich weniger an der Gewinnmaximierung einzelner Weniger, sondern an einer christlichen Ethik des Miteinanders orientiert. Ein fundierter Augenöffner und eine kompetente Analyse, die am Schluss für einen Agnostiker zu bibellastig wurde. 4
Julia Korbik: SchwesternEine Darstellung des Feminismus, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat, die Vorstellung einzelner Feministinnen und Strömungen. Eine Analyse der Schwierigkeiten, die ihn seit jeher begleiten, allen voran die Konzentration auf das Trennende, die Exklusion statt Integration von unterschiedlichen Bedürfnissen und Kampfthemen. Und nicht zuletzt ein Aufruf zu mehr Miteinander, zu emphatischem Hinhören und gemeinsam Einstehen für die Sache, die allen gemeinsam ist: Eine gerechtere Welt mit mehr Gleichberechtigung – für alle. Nichts Neues, aber das Alte gut zusammengefasst. 5
Simone de Beauvoir: Der Lauf der DingeSimone de Beauvoir erzählt von ihren Reisen mit Sartre, von ihrer Beziehung zu Nelson Algren und Claude Lanzman sowie verschiedenen Bekanntschaften und Freundschaften. Sie breitet ihre Angst vor dem und die Melancholie über das Altwerden aus und zeichnet ein Bild ihrer Zeit mit den Kriegen, politischen Zerwürfnissen, der Stimmung der Menschen und den Lebensumständen generell. Es ist ein persönliches Buch und ein Zeitzeugnis gleichzeitig. 5
Didier Eribon: Eine ArbeiterinDidier Eribons erzählt von seiner Mutter, vordergründig, in tat und Wahrheit erzählt er mehr von sich und seinem Verhältnis und Verhalten der Mutter gegenüber. Er liefert eine Sozialstudie dessen, was es heisst, alt zu sein, Minderheit zu sein, einer unteren Klasse zuzugehören, er zeigt die Zerwürfnisse und Schwierigkeiten in Familien, und er ruft dazu auf, den Alten eine Stimme zu geben, denen, die keine eigene mehr zu haben scheinen, weil keiner mehr hinhört. Nicht sein bestes Buch, trotzdem sehr lesenswert. 4
Sigrid Nunez: Der FreundAls ihr Freund stirbt, hinterlässt er nicht nur eine grosse Lücke in ihrem Leben, sondern auch seinen vor Trauer depressiven Hund, eine Deutsche Dogge. Abgesehen davon, dass sie Gefahr läuft, ihre Wohnung in New York zu verlieren, weil da keine Hunde erlaubt sind, wollte sie nie einen Hund haben. Sie war Katzenmensch. Die Geschichte eines Zusammenwachsens, einer Liebe, die tief geht und viel ans Licht holt. Gedanken zum Schreiben, zum Tod, zu Liebe und Freundschaft – und eine Geschichte vom Loslassen. 5
Colombe Schneck: Paris-Trilogie: Ein Frauenleben in drei RomanenAls Tochter einer bürgerlichen jüdischen Familie wächst Colombe ohne Sorgen zu haben und welche bereiten zu wollen auf. Als sie mit 17 ungewollt schwanger wird, stellt das all dies in Frage: die Herkunft, die Sorglosigkeit, den Drang, perfekt sein zu müssen, um geliebt zu werden. Viele Fragen tauchen auch auf, als ihre beste Freundin Héloise fiel zu früh stirbt. Waren sie wirklich so stark und emanzipiert gewesen, wie sie sich immer gaben? Und was, wenn man erst 50 werden muss, um eine intensive, vielleicht gar glückliche Liebe zu erleben? Was sagt das über einen selbst aus? Drei Geschichten aus einem Leben, erzählt mit einem klaren Blick, Offenheit und Gefühl.4
Catherine Cusset: Janes Roman – abgebrochenEie Frau erhält ein Paket mit einem Manuskript, in welchem sie ihre eigene Geschichte liest und sich fragt, wer sie so gut kennt, dass er die innersten Gedanken und Geheimnisse kennt. Was spannend klingt, hat mich leider in der Umsetzung nicht gepackt, so dass ich abgebrochen habe. 
Lea De Gregorio: Unter Verrückten sagt man duLea De Gregorio erträgt das Lebe nicht mehr, sie wird verrückt und kommt in die Psychiatrie, nachdem man sie entmündigt hat: Alle entscheiden nun für und über sie, sie ist allem ausgesetzt, Entscheiden, Medikamenten, Behandlungen, Massnahmen. Ist das der richtige Weg zur Heilung? Wie sah das früher aus? Was ist richtig, was falsch? Welchen Stellenwert hat sie noch in der Gesellschaft? Ein wichtiger und guter Blick über unseren Umgang mit Menschen, die nicht in der von uns definierten Norm leben.4
Elke Naters: Alles ist gut, bis es das dann nicht mehr istAls Elke Naters Mann Sven stirbt, verliert sie nicht nur den wichtigsten Menschen in ihrem Leben, sondern das Leben, wie es bislang war, mit ihm. Sie beschreibt in ihrem Buch, wie sie mit diesem Verlust umgeht, wie die Trauer sie übermannt, welche Gedanken sie umtreiben. Sie hat ein Buch geschrieben, das tief ist, das persönlich ist, das mitnimmt, bewegt, berührt, aber auch Mut machen kann. Das Leben geht weiter. Und es ist gut. Nur anders. Irgendwie hat mich das Buch runtergezogen, es lastete zu schwer über weite Strecken. Der positivere Schluss konnte das nicht mehr ändern. 4

Lesemonat März 2024

„…eine Haltung, die ich mir instinktiv zu eigen gemacht hatte und die ich nie mehr ablegen wollte: Im Zweifelsfall auf Sieg setzen, den Leuten und den Umständen vertrauen ist besser, als sich vor ihnen zu hüten.“ Simone de Beauvoir

Was kann ich vom März sagen? Er war schön, es war alles gut, und doch ist er irgendwie an mir vorbeigerauscht. Ich habe so wenig gelesen, wie selten, noch weniger geschrieben. Ich habe mir viel Gedanken gemacht, das schon, Notizbücher wurden gefüllt. Aber ja, vielleicht ist auch nur die Bücheranzahl klein, ich habe vor allem ein Buch sehr intensiv gelesen: Simone de Beauvoirs zweiten Band ihrer Memoiren. Am liebsten hätte ich gleich weitergelesen im dritten, doch ich war in Spanien, der Zugriff auf meine Bücher fehlte also. Das hole ich bald nach.

Zu den Lesehighlights:
Nach einem fulminanten Start mit Elizabeth Strouts «Am Meer», das ich wirklich geliebt habe, kamen einige Enttäuschungen. Und dann wieder ein Highlight: Connie Palmen, die ich sowieso sehr liebe, schreibt in «Vor allem Frauen» von ihren Leselieben. Am liebsten hätte ich gleich alle selbst gelesen, ein Effekt, den ich das Schneeballprinzip des Lesens nenne: Von einem Buch kommt man auf fünf weitere Bücher, die dann wiederum je fünf mit sich bringen. Und so füllt sich die Liste der Bücher, die noch gelesen werden wollen, immer mehr. Nach nochmals einer Enttäuschung noch das ganz grosse Highlight mit Simone. Es war doch ein sehr guter Lesemonat, wenn ich das nun so Revue passieren lasse. Deshalb liebe ich solche Leserückblicke, sie dienen oft auch der eigenen Erinnerung.

Die ganze Liste

Elizabeth Strout: Am MeerAls Covid ausbricht, bringt William, Lucy Bartons Exmann und noch immer bester Freund, diese aus der Stadt New York nach Maine, um sie vor dem Virus zu schützen. Was für ein paar Wochen geplant war, zieht sich hin. In einem Haus mit Meerblick verbringen sie den Lockdown, richten sich in einer Zweierbeziehung ein, die vor vielen Jahren wegen einer Affaire Williams zerbrochen ist. Die Zurückgezogenheit von der Welt wird nur dann und wann durch Gespräche mit neugewonnenen Freunden oder Spaziergängen am Meer unterbrochen, dazwischen bleibt viel Zeit zum Nachdenken: Über die Vergangenheit, die eigene Herkunft, das Leben und den Gang der Welt. Ein Buch, das durch die Tage plätschert, Gedanken zum Nachdenken in den Lesefluss trägt und in dem man Seite für Seite tiefer in die Figuren und ihr Leben hineingesogen wird. 5
Jonathan Lee: Joy – abgebrochenJoy kommt nach Hause, die Tür steht offen, sie schimpft innerlich über ihren nachlässigen Mann, hört ein Geräusch in der Küche, kann es nicht zu ordnen. Inhaltlich banal langweilig, sprachlich bemüht witzig  hat mich das Buch leider gar nicht angesprochen. 
Katie Kitamura: Intimitäten – abgebrochenDie Erzählerin kommt nach Den Haag, wo sie am Gerichtshof arbeiten will, Sie besucht eine Freundin, hat einen Freund, reflektiert im inneren Monolog ihr Leben, Denken, Fühlen. Nach 52 Seiten ist noch nicht mehr als das passiert, das hat meine Geduld zu sehr strapaziert.
Connie Palmen: Vor allem FrauenEine Auseinandersetzung mit Literatur, mit verehrten Schriftstellerinnen, mit den Gefühlen beim Lesen, der Verbundenheit. Immer auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst, dem eigenen Leben, Empfinden, Schreiben. es sind vor allem Frauen: Virginia Woolf, Sylvia Plath, Joan Didion und weitere – aber auch ein Mann, Philip Roth. Ein persönliches, ein tiefgründiges Buch, eines, das eintauchen, mitdenken und fühlen lässtr. 5
Sibille Aleramo: Eine Frau – abgebrochenWas für ein Anfang. Eine Vater-Tochterbeziehung, wie sie authentischer nicht hätte erzählt werden können. Alles spielte mit: Die Fixierung auf den Vater, die Überhöhung seiner Person, die Geringschätzung der Mutter, das Gefühl der eigenen Grösse durch die Beachtung durch den Vater, die Klassengesellschaft, in welcher der Vater eine seltsam unzuordenbare Rolle spielte, bei welcher aber doch Respekt (wenn auch oft nur vordergründig) mitspielte.    Dann bröckelte das Bild des Vaters und damit auch die Glaubwürdigkeit der Geschichte. Zwischen mir als Leserin und dieser Figur ist eine regelrechte Entfremdung eingetreten, so dass ich ihrem Leben nicht mehr weiter folgen wollte. Schade. Der Anfang war grossartig!
Bernhard Schlink: Das späte LebenMartin erfährt von seinem Arzt, dass er nicht mehr lang zu leben hat. Seine Gedanken gehen zu David, seinem kleinen Sohn, und Ulla, seiner jungen Frau. Er überlegt, was er ihnen zurücklassen kann und beschliesst, für David Briefe zu schreiben. Er schreibt über den lieben Gott, über die Liebe, über Gerechtigkeit, über den Tod. Er baut einen Komposthaufen, findet heraus, dass Ulla eine Affäre hat und macht irgendwie weiter, wie bisher. Auf Gefühle, etwas Berührendes, Bewegendes wartet man vergeblich beim Lesen, das Buch und seine Figuren bleiben merkwürdig flach und blass. 3
Simone de Beauvoir: In den besten JahrenDie autobiografische Erzählung von Simone de Beauvoirs über ihr Leben ab 20, das ihr endlich die ersehnte Freiheit gibt. Es ist die Erzählung ihrer Beziehung zu Sartre, zu ihren Beziehungen und Freundschaften, die sich über die Jahre bilden. Es ist ein Schreiben über ihr eigenes Schreiben und das Ringen um die ersten Romane sowie ein Blick in das Erstarken des Nationalsozialismus und den Ausbruch des Weltkrieges, wie die Kriegsjahre sich auf das Leben und die Gesinnung der Menschen auswirkte, sowie die Analyse der eigenen Verwandlung von einem apolitischen hin zu einem politisch engagierten Menschen.5
Julia Korbik, Julia Bernhard: Simone de BeauvoirGraphic Novel über das Leben (und ein wenig auch das Denken) von Simone de Beauvoir. Ein ansprechender und gut gewählter Einblick in die Biografie einer der grössten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Die Illustration besticht durch eine schöne Bildsprache und eine stimmige Farbgebung.5

Lesemonat Februar 2024

Er ist der kürzeste Monat des Jahres, aber dieses Jahr schien es fast, als ob er beweisen wolle, dass viel reingeht. Die Agenda zum Bersten voll, die Termine überschlugen sich, manchmal überschnitten sie sich gar. Und dann war es plötzlich still. Für einen Augenblick hielt alles an, die Welt schien zum Stehen zu kommen, nur um dann in noch grösserer Frequenz zu laufen. Unglücksfälle bei Menschen, die einem wichtig sind, lassen plötzlich alles obsolet erscheinen, man ist zurückgeworfen auf die Verletzbarkeit des Lebens. Langsam gibt es zum Glück ein Aufatmen, zurück bleiben eine grosse Dankbarkeit und Demut.

Ich war bei all dem froh um meine kleinen Zeit- und Rückzugs-Oasen für mich, die ich mit Schreiben, Lesen und viel Nachdenken füllen konnte. Und doch ist all das irgendwie in blasser Erinnerung. Beim Anschauen meiner Leseliste erinnere ich mich wieder, all die Bücher gelesen zu haben, erinnere mich an die Eindrücke dabei und die Freude über gute Sätze, einnehmende Geschichten und mehr. Die Bücher führten mich wieder zu menschlichen Abgründen, zu persönlichen Lebenserfahrungen, es waren Reisen in die Vergangenheit und auch Einblicke in die Welt heute. Es waren Enttäuschungen dabei, aber auch und vor allem viele Highlights, allen voran

  • Suzie Miller: Prima Facie – die Erzählung einer jungen Frau, die Klassengrenzen überschreitet, Karriere macht, sich ein Leben aufbaut und dann vor der Entscheidung steht, ob sie für ihre Überzeugung einstehen und das Risiko eingehen soll, all das aufs Spiel zu setzen.
  • Monika Helfer: Die Jungfrau – Monika Helfer erzählt von ihrem Aufwachsen und denkt denkt dabei zurück an ihre Freundschaft mit Gloria.

Die komplette Liste:

Chandler, Raymond: Die simple Kunst des MordensIn Briefen, Essays, Notizen und mehr äussert sich Raymond Chandler über sich und sein Schreiben, er behandelt Themen wie die Filmwelt und das Verlagswesen wie auch das Handwerk des Schreibens und den Kriminalroman. Er zeigt sich dabei authentisch, ehrlich direkt und teilweise bitterböse, analytisch und auch kritisch.  Ein wunderbar unterhaltsames Buch, welches nicht nur einen Blick auf diverse Themen rund um das Schreiben eines Kriminalromans und alles, was damit in irgendeiner Form zusammenhängt wirft, sondern auch den Autoren Raymond Chandler erfahrbar macht in seinem Schreiben und Denken, mit all seinen Eigenarten. 5
Diporreta, Luca: Sankt Galler SpitzenEigentlich wollen Robert Keller (Leiter der Kripo St. Gallen) und Lea, seine Partnerin ein gemeinsames Wochenende im Wellnesshotel am Bodensee verbringen, doch eine Leiche macht diesem ein vorzeitiges Ende. Mia Schneider, Chefdesignerin der Textilfirma Vadiana, wird vergiftet aufgefunden und Robert Keller ist gefordert. Seine Ermittlungen führen ihn in die Kreise einer angesehenen Textildynastie. Das Opfer, erst überall beliebt, scheint sich einige Feinde gemacht zu haben, doch Robert Keller tappt im Dunkeln. Was hat er übersehen? Ein solider und unterhaltsamer Krimi nach bewährtem Muster.4
Meyer, Thomas: Hannah Arendt. Die BiografieDer Versuch, Hannah Arendts Leben und Werk nicht in Bezug auf die Aktualität heute, sondern aus ihrer Zeit heraus vorzustellen, wobei die 20 Jahre nach der Emigration nach Paris die prägendsten seien. Entstanden ist eine eher langatmige Wanderung durch das Leben und Schreiben einer herausragenden Philosophin, die keine offensichtlichen Ziele oder Absichten zu kennen scheint. Leider sehr unbefriedigend. 
Shalev, Zeruya: Nicht ich – abgebrochenWorum es wirklich geht, fand ich beim Lesen der ersten 27 Seiten nicht. Einige schöne Sprachbilder, eine abstruse Geschichte – ein Buch, in das ich schlicht nicht reinfand
von Schirach, Ferdinand, Alexander Kluge: Die Herzlichkeit der VernunftZwei kluge und klare Denker unterhalten sich über aktuelle Themen, berufen sich auf die grossen Philosophen Sokrates, Voltaire, Kleist und mehr. Sie sprechen über Schuld und Scham, über Freiheit und Verantwortung, über das Leben und die Politik. Wunderbar tiefgründig und zum Nachdenken anregend. 5
Helfer, Monika: Die JungfrauMonika Helfer erinnert sich an ihre Freundin Gloria, erinnert sich an eine Frau, mit der sie in ihrer Kindheit befreundet war und es auf eine Weise blieb trotz räumlicher Trennung später. Schreibend tastet sie sich an die eigenen Erinnerungen heran, versucht das Bild der Freundin lebendig werden zu lassen. Sie tut es in einer eigenwilligen, mal brutal klaren, dann wieder poetisch verschlungenen Sprache. 5
Miller, Suzie: Prima FacieTess kämpft sich mit Ehrgeiz und viel Arbeit durch die sozialen Schichten, kann mit einem Stipendium in Cambridge studieren und später in eine angesehene Kanzlei in London eintreten. Sie merkt, dass sie aus einer anderen Klasse stammt, es wird ihr überall bewusst. Sie versucht, sich anzupassen, die Verhaltensweisen anzueignen, die es braucht, um dazuzugehören, und sie schafft sich Respekt durch ihre Leistung und ihr Können. Alles läuft auf graden Schienen, bis ein einziger, verhängnisvoller Abend alles zunichte zu machen scheint und ihre ganze Welt aus den Fugen gerät. Was soll sie tun? Was steht auf dem Spiel? Ist sie bereit, den Preis für ihre Überzeugungen zu bezahlen? Ein wichtiger Roman, der aufrüttelt und den Blick auf die Fehler im System öffnet.5
Kehlmann, Daniel: LichtspielG.W.Pabst hat es geschafft. Er konnte Europa mit seiner Frau und seinem Sohn rechtzeitig verlassen und in den USA das tun, was er liebte: Filme machen. Der Erfolg hält nur kurz, zudem ist seine Mutter noch in Österreich und nicht bei bester Gesundheit. Mit seiner Familie reist er zurück, um die Mutter in ein Sanatorium zu bringen und dann – so gibt er vor – zurück in die USA zu gehen. Er bleibt, kommt in die Mühlen der Nazis, dreht fortan unter deren Augen. Der rote Pabst von einst plötzlich ein Nazizudiener? Sprachlich grossartig, anfangs wirklich einnehmend, dann Längen entwickelnd. 4
Andreas Gruber: Dinner in the Dark. Achtzehn Crime-StorysDie ersten Kurzgeschichten waren spannend, mitreissend, das Ende blieb bis am Ende offen und es gelang Gruber, kurz vor Schluss noch eine Wendung hinzubringen, die alles in einem neuen Licht zeigte. Dazu seine sprachlich schönen Wendungen und Bilder. Grossartig. Die Sprache blieb, die Spannung verschwand nachher. Langes und seichtes Geplätscher endete jeweils in einem nicht ganz erwarteten Ende, doch selbst das hatte kaum eine Anlehnung an eine Kriminalgeschichte. Schade. Ein fulminanter Start mit einem abrupten Ende schon früh im Buch. 3
Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten – abgebrochenAtemberaubend sollen sie sein, ein Stück Weltliteratur. Leider musste ich dieses dahinplätschernde Nicht-Geschehen nach kurzem abbrechen. Es nahm mir nicht den Atem, als Weltliteratur hätte ich es auch nicht bezeichnet. Schade. 
Bärbel Reetz: Emmy Ball-Hennings. Leben im VielleichtEigentlich eine tragische Geschichte: Eine Mädchen, eine junge Frau mit Tatendrang, Visionen, Träumen und Zielen, die den Mut hat, all diese zu verfolgen, die in die Welt aufbricht, sich alles erkämpfen muss und dabei unten durch geht, die tanzt, dichtet, liebt, sich verkauft, abstürzt, im Gefängnis landet, sich immer wieder aufrappelt. Sie beweist immer wieder, dass sie etwas kann, viele verehren sie – und doch reicht es nie zum Leben, knapp nur zum Überleben. Bärbel Reetz zeichnet das Leben und Schaffen der Emmy Hemmings nach, wobei sie zu viel Gewicht auf all die Figuren um sie herum und zu wenig auf Emmy selbst schaut. Dadurch ist eine sehr langatmige, oft verwirrende, zeitlich hin und her springende Biografie entstanden, welche den Menschen Emmy Hemmings nicht wirklich fassbar macht. 3.5

Lesemonat November

Was für ein trüber Monat das war. Konnte ich das Grau in Grau der Welt anfangs noch leichtnehmen, schlug es mir mehr und mehr auf die Seele. Ich merke, wie es mich runterzieht, ich immer mehr kämpfen muss, um etwas Leichtigkeit im Alltag zu spüren. Dinge gehen mir näher, belasten mich mehr. Ich dachte, dieses Jahr verschont er mich, der Winterblues, doch er zeigt sich unerbittlich.

Ich habe diesen Monat eine Weile wenig gelesen, mit vielen Büchern (wie mit dem Winter) gekämpft. Dann kam wieder mehr Lesefreude auf, ich hoffe, ich kann sie in den Dezember mitnehmen. Das Genre wird sich mehrheitlich ändern, ich habe mich wieder Krimis zugewandt und tauche immer mal wieder mit Freude in Kinderbücher ein. Ich freue mich, wenn ihr mich auch auf dieser Lesereise weiterbegleitet. Nun aber erst mal zu meinen Novemberbüchern:

Ich bin mit Homeira Qaderi nach Afghanistan gereist und blieb erschüttert zurück nach dieser Lektüre, die mir die Augen öffnete über Zustände, die ich zwar geahnt, aber nie in dem Ausmass gekannt habe. Ich bin mit Lizzie Doron in die Welt von Rivi eingetaucht, habe Paul Austers Baumgartner beim Weiterleben nach dem Tod seiner Frau beigewohnt. Ich las, wie man auch nach einer schwierigen Kindheit die Möglichkeit hat, sein Leben in die Hand zu nehmen (Levithan/Niven) und schwelgte mit Ronja im Leseglück (was für eine wunder-wunder-wundervolle Geschichte). Mit Kwiatowski fing ich den Kaugummidieb und fuhr mit dem Zug nach Malma, um eine Familiengeschichte zu ergründen. Mit Milo habe ich das Zimmer aufgeräumt und daneben gelesen, wie man solche wunderbaren Bücher macht.

Hier die vollständige Liste:

Natalie Goldberg: Schreiben in Cafés. Kreatives SchreibtrainingEin Buch für alle, die schreiben wollen. Es geht mehr darum, ins Schreiben zu kommen, als eine technische Anleitung. Es ist ein motivierendes, persönliches, inspirierendes Buch mit vielen kleinen Tipps, die dazu führen, loszuschreiben, denn: Das wichtigste, um schreiben zu lernen, ist schreiben. – Eine Relektüre. Das erste Mal hat es mich mehr überzeugt, nun fand ich vieles zu esoterisch und «geplaudert». Trotzdem lesenswert.4
Homeira Qaderi: Dich zu verlieren oder michHomeira wächst in Herat, Afghanistan auf. Als Mädchen in einem rückständigen, konservativen, Frauen diskriminierenden Patriarchat lernt sie schnell, dass sie als Mädchen keine Rechte hat, dass sie als Mädchen nicht zählt. Als die Taliban ihr auch noch das Liebste nehmen, die Bücher und die Möglichkeit, zur Schule zu gehen, zeigt sich endgültig ihr Kampfgeist. Sie will sich diesem System nicht unterordnen. Dieser Widerstand führt zu einigen gefährlichen Situationen für sie und ihre Familie. Schlussendlich kann sie sich nicht mehr widersetzen, das Leben der ganzen Familie steht auf dem Spiel. Homeira wird verheiratet. Kurz scheint doch alles einen guten Lauf zu nehmen, doch dann wird alles noch schlimmer.4
Terézia Mora: Muna – abgebrochenDie Geschichte klang vielversprechend, eigentlich war der Anfang auch interessant, aber die endlosen Beschreibungen von Abschmink-, Massage- und anderen Programmen, zusammen mit anderen eher langweiligen Ausführungen haben mich gleich verloren. 
Jesse Falzoi: Creative Writing. Texte und Bücher schreiben16 Lektionen hin zum Schreiben eines Textes oder gar eines Buches. Es geht über die Entwicklung eines Plots über die des Protagonisten bis hin zum stimmigen Aufbau, alles mit Übungen zur praktischen Umsetzung sowie Ideen, wie man ins Schreiben kommt. 4
Lizzie Doron: Nur nicht zu den LöwenRivis Haus, in dem sie ihr Leben lang wohnte, wird abgerissen, sie muss raus. Sie fängt an zu schreiben. Sie schreibt Briefe an Menschen, die ihr Unrecht taten, schreibt über ihre Erinnerungen, ihre Herkunft, ihr Leiden, ihre Einsamkeit. Und sie kämpft. Gegen den Abbruch, dagegen, Opfer zu sein. Und immer liegt über allem die Möglichkeit, dass alles viel schöner war, als sie sich erinnert, und vielleicht kommt es auch schöner, als sie befürchtet.
Nach anfänglichem Kampf und Fast-Abbruch nahm das Buch Fahrt auf und zog mich in seinen Bann. 
4
Paul Auster: BaumgartnerFast zehn Jahre ist es her, dass Baumgartners Frau Anna gestorben ist. Zehn Jahre, in denen er scheinbar wie früher weiterlebte, und doch war nichts mehr wie früher. Baumgartner stürzt sich in die Arbeit, in immer neue Buchprojekte. Er liest alte Dokumente von Anna, erinnert sich an sie, ihre gemeinsame Geschichte, an das Leben, als es noch seines war. Eines Tages träumt er von Anna. Fast scheint ihm, der Traum wäre Wirklichkeit. Nach diesem Traum ist alles anders. Nun fühlt er sich frei, sein eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen. 4
David Levithan, Jennifer Niven: Nimm mich mit dir, wenn du gehstBea und Ezra wachsen bei ihrer Mutter und dem gewalttätigen Stiefvater Darren auf. Gewalt und Abwertungen sind an der Tagesordnung. Eines Tages ist Bea verschwunden. Keiner weiss wohin. Bis sie via Mail mit Ezra Kontakt aufnimmt. Im Mailaustausch kommen mehr und mehr die Schrecken des Aufwachsens zur Sprache, das Schreiben dient dem Erinnern, der Erkenntnis, dem Herausfinden, wer Bea und Ezra sind und was sie vom Leben erwarten (können und wollen). Und über allem steht immer die Frage: Wie geht es nun weiter? Wohin führt der Weg in Freiheit?4
Astrid Lindgren: Ronja RäubertochterRonja, die Tochter des grossen Räuberhäuptlings Mattis, kann sich nichts schöneres vorstellen, als im Wald herumzutoben. Sie kennt die Gefahren und stellt sich ihnen mutig entgegen. Eines Tages trifft sie auf Birk, den Sohn der gegenerischen Räuberbande. Das Verbot, einander sehen zu dürfen, wollen die beiden Räuberkinder nicht hinnehmen. Gemeinsam brechen sie in ein eigenes Leben auf. Damit stellen sie nicht nur ihr eigenes Leben auf den Kopf, sondern auch das der beiden Räuberbanden. Und: So ein Leben allein in der Wildnis ist gar nicht so einfach. 5
Kathleen Glasgow: How to make friends with the dark – abgebrochenTiger wächst bei ihrer Mutter auf. Obwohl die finanziellen Verhältnisse prekär sind, kommen sie immer klar, sie sind ein eingeschworenes Team. Als Tiger in einer Schublade versteckt Mahnungen findet, wird sie unsicher. Zudem ärgert sie sich immer mehr über deren Kontrollwahn, bis es zu einem Streit kommt. Und dann ist die Mutter tot. Tiger fühlt sich allein in dieser Welt.
Die Sprache zog mich nicht ins Buch, zudem ist es zu episch, zu langatmig, und müsste verdichtet werden. 
Michael Wrede, Annabelle von Sperber: …und dann? Wie Kinderbücher Gestalt annehmenWie entsteht eigentlich ein Kinderbuch? Welche Arten gibt es, was zeichnet sie aus? Wie sieht der Schreib- und Gestaltungsprozess aus und wie wird aus einer Geschichte schlussendlich ein Buch? Diese und weitere Fragen werden in diesem wunderschön gestalteten Buch behandelt. 5
Jürgen Banscherus: Ein Fall für Kwiatkowski. Die KaugummiverschwörungOhne Milch und seine Lieblingskaugummis geht gar nichts bei Kwiatkoski. Als diese plötzlich regelmässig aus dem nahegelegenen Kiosk gestohlen werden, kann er das nicht auf sich beruhen lassen: Er hat einen neuen Fall.
Kurzweilig, witzig und liebenswert.
5
Alex Schulman: Endstation Malma (r)Ein Mädchen fährt mit seinem Papa im Zug nach Malma. Ebenso tut es ein Ehepaar, welches Glück nur noch im Präteritum kennt, und eine junge Frau, die Antworten auf ihre Fragen sucht. *Endstation Malma», das sind drei Geschichten, die sich wie drei Stränge zu einem Zopf verbinden. Dreimal fahren wir als Leser mit den Protagonisten nach Malma, dreimal werden Zeugen von Beziehungen, ihren Tiefen und Abgründen und ihren Dynamiken. Wir nehmen Teil am Leben einzelner Menschen und machen uns mit ihnen auf die Suche nach den Antworten auf ihre brennenden Lebens-Fragen.4
Ole & Paul: UnfairMilo muss sein Zimmer aufräumen und er findet das unfair. Er steigert sich förmlich in dieses Gefühl hinein. Ein Spielzeugritter will ihn mit Tadel und guten Argumenten belehren und zur Vernunft bringen. Damit kommt er bei Milo nicht weit. Da mischt sich das Schlaf-Schaf ein. Es zeigt Milo, dass jeder einen anderen Blick auf die Welt hat und jeder seine eigenen Schwierigkeiten mit sich trägt. Es ist manchmal gar nicht einfach, zu sagen, was fair und was unfair ist. Und gibt es schlussendlich nicht etwas, das über allem steht und viel wichtiger ist?4

Lesemonat September

Die Zeit rast. Vor knapp drei Wochen bin ich nach Spanien geflogen, zu meinem zweiten Arbeitsplatz. Vor dem Fenster rauscht das Meer, der Wind lässt die Oberfläche kräuseln, die Palmen wiegen sich im Wind – und ich lese und schreibe. Ich habe mir für diesen Aufenthalt viel vorgenommen, bislang läuft es gut. Und wenn es gut läuft, geht es mir gut. Ich geniesse die Ruhe hier, das ungestörte Arbeiten. Und das Lesen, was immer dazugehört. Im September ist viel an Lektüre zusammengekommen.

Ich habe mit bell hooks geschaut, was Heimat ist und wo man hingehört, und das Thema mit Daniel Schreiber weiter vertieft. Das Thema ist auch bei Annie Ernaux (ich liebe sie) und Herta Müller (eine ganz spannende Frau) präsent. Ich habe lesend an verschiedenen Leben teilgenommen (unter anderem bei Deborah Levy, die mir so oft aus dem Herzen schrieb) und mich intensiv mit dem Schreiben und verschiedenen Schreibprozessen auseinandergesetzt.

Es war ein bereichernder Monat, ein Monat, in dem ich mich in meiner Lektüre sehr oft wiederfand, ein Monat, der inspiriert war und mir gut tat. Das absolute Lesehighlight war Edouard Louis mit «Abschied von Eddy» – eine wunderbare Entdeckung für mich. Auf ihn kam ich durch Didier Eribon, der mich auch dazu inspirierte, Annie Ernaux nochmals eine Chance zu geben, nachdem ich beim ersten Versuch wenig angetan war – dieses Mal hat sie mich gepackt (es scheint für Bücher eine richtige Zeit zu geben, sie passen nicht immer ins eigene Leben). Sie gehört also zu den Lesehighlights dazu, ebenso Deborah Levy und Daniel Schreiber.

Ich bin auch heute noch dankbar für Didier Eribons Buch «Rückkehr nach Reims», es hat in mir viel zum Klingen gebracht, es hat viel angestossen. Was für eine Wirkung doch Bücher haben können. Ich liebe es!

Was waren eure Lesehighlights im September?

Die ganze Liste:

bell hooks; dazu gehören. Über eine Kultur der Verortungbell hooks wächst in Kentucky auf, verlässt den ländlichen Staat, um in der Stadt ihr Leben weg von der Arbeiterklasse und im universitären Umfeld zu führen. Sie schreibt vom Wunsch, dazuzugehören, von Rassismus, der auf dem Papier abgeschafft, doch im Leben präsent wie eh und je ist. Sie schreibt vom Trost der Natur, vom Wert der Familie, der Kunst und des sorgsamen Umgangs mit Menschen und der Welt. Sie träumt von einer Welt des Miteinanders, einer Welt der Zugehörigkeit ohne Rassismus und Segregation. Und sie schreibt von ihrer Rückkehr nach Kentucky, den Ort, den sie überall hin mitgenommen hat durch die verinnerlichten Werte und Muster, und wo sie sich nun niederlassen will. 4
Noam Chomsky im Gespräch mit Emran Feroz: Kampf oder Untergang. Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssenDer grosse Denker unserer Zeit über die Gefahren der Klimakrise und eines Atomkrieges, über die manipulative Macht von Massen- und sozialen Medien, über die selbstgemachte Zerstörung unserer Welt. Er behandelt die Notwendigkeiten einer neuen Form von Bildung, die zu mündigen, kritischen Menschen führen ebenso wie die Hoffnung, die im Menschsein und dessen Fähigkeiten begründet ist. Wir tragen gute und schlechte Seiten in uns, wir haben die Wahl, welche wir stärken und wie wir sie einsetzen. 4
Daniel Schreiber: ZuhauseIst Zuhause nur eine romantische Verklärung, eine Illusion, oder können wir es finden? Ist es ein Ort oder einer Gefühl? Ist ein Zuhause eine Einschränkung und damit Feind der Freiheit, oder doch erstrebenswert? Was braucht ein Ort, um zu einem Zuhause zu werden, und was tragen wir dazu bei? Wie wirken sich Orte auf uns aus, und wie bringen wir uns in sie ein? Diese und weitere Fragen über das Leben, das Ankommen, das Wohnen, das Sein behandelt Daniel Schreiber in diesem wunderbaren Essay.5
Annie Ernaux: Erinnerung eines MädchensDie Geschichte eines Mädchens und einer jungen Frau auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben, ihr Heranwachsen mit Wünschen, Träumen, Verletzungen und Scham. Der Blick von Heute auf das Gestern, der Versuch, sich selbst in der eigenen Vergangenheit zu finden und zu durchleuchten, schreibend, und dabei dieses Schreiben selbst immer wieder zu hinterfragen. Ein Herzensbuch!5
Annie Ernaux: Die SchamEin Erlebnis 1952, das die Welt in ein Davor und ein Danach einteilt. Die Erfahrung, dass es zwei Welten gibt, eine unten und eine oben, zu der sie, als eine von unten, nie gehören wird. Die Scham dieser Erkenntnis, die Scham, die sich im Leben festsetzt, die sich in den Zellen des Körpers speichert und immer wieder hervorbricht. All das sind die Themen dieses Buches, das aus Erinnerungen und Reflexionen des schreibenden Erinnerns besteht – Erinnerungen an die Schulzeit, an das Leben zu Hause, an die Eltern, an sich selbst.4
Carolin Emcke: Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und GerechtigkeitWas lässt sich erzählen und wer kann es tun? Für wen erzählen wir und wem wollen wir erzählen? Für wen können wir sprechen und wieso sollen wir es tun? Carolin Emcke fragt nach den Geschichten des Lebens, beleuchtet das Sprechen von Schrecken und Leid. Sie zeigt den Wert der geteilten Geschichten für das Leben und das Überleben, denkt über die Sprache als Verbindung zwischen den Menschen nach. Es sind die Geschichten, die uns als Menschen ausmachen, wir sollten sie teilen. Ein persönliches, ein tiefgründiges, ein zum Nachdenken und Selbst-Erinnern anregendes Buch. 5
Herta Müller: Lebensangst und WorthungerHerta Müller über ihr Schreiben, wie dieses vom Leben und ihrer Herkunft geprägt ist, und über ihre Zusammenarbeit mit Oskar Pastior für das Buch «Atemschaukel».4
Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts1913 – ein Jahr des Aufbruchs und doch zeichnet sich auch ein ein Untergang an. Oswald Spengler prognostiziert ihn. Doch nicht nur das: Karl Kraus verliebt sich, Rilke leidet, Kafkas Heiratsantrag geht in die Hose und vieles mehr passiert in der Welt der Musiker, Literaten, Denker. Florian Illies zeichnet ein wunderbares Panorama des Jahres 1913.5
Gabriele von Arnim: Der Trost der SchönheitEin Buch vom Sehen und vom Fühlen, von der Milde des Alters, von der Gelassenheit, die sich einstellt und doch immer wieder mit Affekten durchbrochen wird. Vom Sich-Einrichten im Leben und seinen Umständen, vom Geniessen der kleinen Dinge, vom Sich-Freuen an den Blumen am Wegesrand, den Wolken am Himmel, dem Buch auf dem Tisch und der Zeit, die bleibt. Und vom Atmen. Und Fühlen. Vom Allem. Und nichts. 3
Uwe Timm: Von Anfang und Ende. Über die Lesbarkeit der WeltWo fängt ein Schriftsteller an, wo hört er auf, wie schuf Gott die Welt und wann war sie wirklich gut? Wann ist ein Buch gut und womit hadert der Schriftsteller bis zum schlussendlichen Gefühl, dass es nun gut sei? Von der Idee zum Schreiben, vom Hadern mit dem Text, vom Neuschreiben und Umschreiben, von all dem erzählt Uwe Timm in diesem Buch und gibt Einblicke in die Schreibprozesse seiner Bücher.4
Robert Menasse: Die Zerstörung der Welt als Wille und VorstellungIm Rahmen der Frankfuter Poetikvorlesungen erzählt Robert Menasse von seinem Schreiben – so dachte ich, wurde aber eines Besseren belehrt. Menasse zeichnet ein Zeitbild, ein Bild der politischen Gesinnung der Gesellschaft, ein Bild von Kapitalismus, Globalisierung und Demokratie, vom falschen Verständnis der Menschen und Polarisierung der Moral. 2
Heinz Bachmann: Ingeborg Bachmann, meine Schwester. Erinnerungen und BilderHeinz Bachmann erzählt aus dem Familienleben, erzählt über das Aufwachsen mit Ingeborg, über seine Beziehung zu ihr, über ihr Leben, ihre Beziehungen. Die Erinnerungen führen nach Wien, Paris, Rom, Zürich und immer wieder auch nach Klagenfurt. Das Buch ist eine Liebeserklärung an die verstorbene Schwester, man spürt die Verbindung der beiden. Wirklich neu ist kaum etwas davon, trotzdem berührt das Buch durch die persönliche Note des Bruders. 5
Alexander Mäder: Journalistisches SchreibenEinführung in die Praxis des journalistischen Schreibens, von der Recherche über die Absicherung der Fakten hin zu Stilfragen ist alles mit Beispielen aus der Praxis anschaulich gemacht und theoretisch erläutert. Alexander stellt die verschiedenen Formen journalistischer Texte vor und gewährt Einblicke in die tägliche Arbeit von Journalisten in Redaktionen wie auch als freie Mitarbeiter. Kompetent, sachlich, auf den Punkt.  5
Edouard Louis: Das Ende von EddyEddy wächst in einem kleinen Dorf im Norden Frankreichs auf, in welchem männliche und weibliche Rollen klar definiert werden. Als schwuler kleiner Junge aus einer armen Familie sieht er sich schon früh Spott, Abwertung und Gewalt ausgesetzt. Er versucht all das wegzulächeln, versucht sich bis zur Selbstverleugnung anzupassen, bis er merkt, dass es eine andere Lösung geben muss. Ein grossartiges Buch!6 von 5
Beate Rössler: Autonomie. Ein Versuch über das gelungene LebenBeate Drössler analysiert, was Autonomie mit einem gelungenen Leben zu tun hat, wieso ein glückliches Leben nicht immer ein gelingendes ist. Sie beleuchtet den Sinn von Tagebüchern für die Selbsterkenntnis sowie deren Beziehung zur Autonomie, ebenso zeigt sie auf, wie Freiheit und Ambivalenzen mit Autonomie zusammenhängen. Welche Voraussetzungen müssen für ein autonomes Leben gegeben sein, und: Gibt es sie wirklich oder ist sie eine Illusion?4
Deborah Levy: Was das Leben kostetDie Ehe ist zerbrochen, das alte Leben ist vorbei. Es gilt, ein neues aufzubauen, in einem neuen Zuhause und im neuen Leben anzukommen und sich da einzurichten. Deborah Levy erzählt aus dieser Zeit des Umbruchs, erzählt von den Gedanken, Gefühlen, Herausforderungen und immer wieder auch vom Schreiben. Ein wunderbares Buch, ein tiefgründiges Buch, ein Buch zum mitfühlen, mitleben, mitdenken. 5
Hans-Ulrich Treichel: Der Entwurf des Autors. Frankfurter PoetikvorlesungHans-Ulrich Treichel erzählt in fünf Vorlesungen im Rahmen der Frankfurter Poetikvorlesungen von seinem Werden als Schriftsteller. Er nimmt den Zuhörer/Leser mit auf eine Reise aus der Kindheit ins Erwachsensein, von der Lyrik in die Prosa, durch Stationen wie Berlin, Kreta, Rom und immer auch wieder zurück in den Osten, nach Ostwestfalen. Ein persönliches Buch voller Einblicke in das Werden, Schreiben und Leben.  5

Lesemonat Juli 2023

Der Juli begann im warmen, sonnigen Spanien, ging dann bald in der zuerst warmen, sonnigen, dann kühleren und verregneten Schweiz weiter. Es war ein Monat voller Emotionen, tiefer Gedanken, grosser Lebensfragen und neuer Erkenntnisse. Ich habe mich vier Wochen ziemlich zurückgezogen, habe innerlich und äusserlich aufgeräumt, mich in die Lese- und Schreibarbeit gestürzt, und es wirklich genossen, die Zeit mit mir für mich zu gestalten. Ich bin mir aber bewusst, dass ich dies in der wunderbar privilegierten Position mache, Menschen im Leben zu haben, die da sind, die einen Rahmen und ein Beziehungsgefüge geben, in dem ich aufgehoben bin. Der August steht vor der Tür und damit zieht auch der Alltag wieder ein – und auch das wird wieder schön sein.

Mein Lesemonat war sehr philosophisch-politisch, also ganz so, wie es mir gefällt. Es war teilweise sehr schwere Kost drunter, die so manche Rauchwolke aus dem Hirn aufsteigen liess, aber insgesamt war es ein bereichernder Monat. Ich habe mit Charles Taylor die Quellen des Selbst erforscht, bin dem Ursprung dieses Konstrukts nachgegangen, um nachher mit Franz Wuketits zu fragen, wie viel Moral überhaupt menschlich ist und wie diese zustande kommt. Ich habe mich mit dem Bösen beschäftigt und mit der Freiheit, habe mich des Wertes der Menschenrechte nochmals versichert, die in den Geschlechter- und epistemischen Ungerechtigkeiten sicher oft tangiert werden, habe mich mit Demokratie und der notwendigen Pluralität in dieser befasst, damit, wo und wie wir fremd sein können und andere zu Fremden machen. Und ich bin mit Julian Nida-Rümelin einig gewesen, dass all das in der Schule gelernt und gelebt werden sollte, so dass das letzte Buch eigentlich komplett hätte markiert werden können.

So kann es weitergehen.

Was waren eure Lesehighlights im Juli?

Hier die komplette Leseliste:

Charles Taylor: Die Quellen des SelbstEin Blick auf die Entwicklung der menschlichen Moral und ihren Bezug zum Selbst (-bild) des Menschen. Wie hat sich die Identität des Menschen entwickelt, worauf gründet seine Auffassung dessen, was es heisst, ein handelndes Wesen zu sein. Sehr ausführlich, sehr tief in der Philosophiegeschichte verankert, ab und zu geht der rote Faden gefühlt verloren und es bleibt am Schluss das Gefühl, was nun damit anzufangen sei. Aber: ein Grundlagenwerk, das die verschiedenen philosophischen Standpunkte kompetent zusammenführt. 4
Franz Wuketits: Wie viel Moral verträgt der MenschEine Studie zur Moral, welche nie universal und absolut ist, sondern immer konstruiert von Menschen in bestimmten Gruppen, getrieben von egoistischen Wünschen. Verabsolutierung von Moral zusammen mit Macht wird gefährlich. Viel Geplauder, viel Populismus, einige gute Gedanken, aber mehrheitlich nichts Neues. 3
Bettina Stagneth: Böses DenkenMit Kant und Hannah Arendt auf der Suche nach der Moral, sie zwischen dem radikalen Bösen und der Banalität desselben einpendeln, für eigenes Denken plädieren und Moral als Gefühl der inneren Stimmigkeit sehen, als Hoffnung auf eine bessere Welt, indem wir als aufgeklärte Menschen unseren eigenen Verstand gebrauchen und nicht blinden Gehorsam an den Tag legen. Gute Gedanken in einem Buch über ein spannendes Thema, und doch wurde ich nicht warm damit. Der Sprachstil war zu plauderhaft. 3
Gerhart Baum: FreiheitEin kluges, kleines Buch darüber, was Freiheit bedeutet und was sie von uns fordert. Freiheit ist dem Menschen als Sehnsucht eingeschrieben, wir müssen an einer Welt arbeiten, welche diese möglich macht, eine Welt, in der unsere Werte unser Handeln leiten zugunsten von mehr Gleichheit und Teilhabe, von freiem Leben für alle. Freiheit ist auch eine Verantwortung, nämlich die Missstände zu sehen und dazu beizutragen, sie zu beheben. 5
Gerhart Baum: MenschenrechteEin Blick auf die Menschenrechte, auf ihre Geschichte, auf ihre Notwendigkeit, auf ihre Probleme, und darauf, wie wir für eine bessere Zukunft für die Menschenrechte einstehen müssen. Menschenrechte sind immer Einmischung, aber diese ist notwendig, im die Menschenwürde zu bewahren – für alle. Viele Berichte aus Baums eigener Erfahrung aus seiner Arbeit für die Menschenrechte, aktuelle Analysen. Ab und zu dringt die Parteipolitik durch, aber nie dominant. 4
Scherger, Abramowski, etc.: Geschlechterungleichheiten in Arbeit, Wohlfahrtsstaat und FamilieEine Festschrift für Karin Gottschall mit diversen Aufsätzen zum Thema der Geschlechterungleichheiten. Beleuchtet werden institutionelle, arbeitsmarktstechnische und familiäre Umstände und die jeweiligen Geschlechterverhältnisse. Die Aufsätze sind qualitativ sehr unterschiedlich, von in Wissenschaftssprache verpackten Alltagsweisheiten hin zu analytisch interessanten Erkenntnissen ist alles dabei3
Wendy Brown: Wir sind jetzt alle Demokraten… (in: Demokratie? Eine Debatte)Ist Demokratie zu einer symbolbeladenen leeren Hülse verkommen, in die jeder seine Hoffnungen  stecken kann? Ein Blick auf das Kranken unserer Demokratien, dessen Gründe und die offene Frage: Ist Demokratie wirklich (noch) die richtige Staatsform? Es gilt, genau hinzusehen, was wir wollen, können und was für eine wirkliche Demokratie nötig wäre. 5
Michel Friedman: FremdEine Vergangenheitsbewältigung in Bruchstücken, formal fast lyrisch anmutend, doch es sind mehr Worte. Es sind Fetzen, die sich Zeile für Zeile zu Gefühlen und Bildern formen. Man darf es nicht einfach schnell lesen, sonst lenkt die Form zu sehr vom Inhalt ab. Man muss es langsam, am besten laut (noch besser vorlesen lassen), lesen – und fühlen. Dann berührt es. Tief in der Seele, es bewegt und macht nachdenklich. Und sprachlos.  5
Hadija Haruna-Oelker: Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denkenEin Buch darüber, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die keine Anderen mehr kennt, sondern durch mehr Offenheit, durch die Anerkennung von Menschen in ihrer Diversität, durch gegenseitige Solidarität und Unterstützung ein Verbündetsein von Menschen mit all ihren Verschiedenheiten anstrebt. Dazu bedarf es der Bereitschaft, zuzuhören, Vorurteile, auch eigene, zu entdecken und zu verlernen, um ein neues Miteinander zu lernen. 5
Eva Lohmann: Das leise Platzen unserer TräumeEin Paar, das sich auseinander gelebt hat, er geht schon lange fremd. Doch trennen können sie sich nicht. Eine alleinerziehende Mutter, die Geliebte, denkt an die Frau, deren Mann in ihrem Bett liegt, spricht mit ihr in Gedanken. Lesend gerät man immer tiefer in die Geschichte hinein, denkt mit, fühlt mit, ist gefangen, kann nicht loslassen. Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen mag.5
Miranda Fricker: Epistemische UngerechtigkeitBei Ungerechtigkeit dürfe man nicht nur materielle Kriterien gelten lassen, sondern auch die Glaubwürdigkeit von Menschen sei ungerecht verteilt, weil soziale Vorurteile zu einer Marginalisierung bestimmter Gruppen und der Zugehörigen (Frauen, Arme, POC, etc.) führen. Nur indem wir uns dessen bewusst werden, und je einzeln und auch in Institutionen und Systemen die eigenen Vorurteile erkennen und für die Beurteilung von Zeugnissen ausschalten, können wir identitätsstiftende Machtsysteme ausschalten. Alles in allem nichts Neues in eine hochkomplexe Sprache verpackt und (zu) ausführlich mit Argumenten und Verweisen abgestützt. 3
Julian Nida-Rümelin: Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidetWie steht es um unsere Demokratie und was müssen wir tun, um die Demokratie wieder lebendig zu gestalten. Und: Wo müssen wir damit anfangen? Demokratie ist abhängig von demokratischen Bürgern. Demokratisches Verhalten muss gelernt werden und das sollte in den Schulen beginnen – nicht als Wissensvermittlung, sondern durch direkte Erfahrung. Generell bedarf es einer dringenden Umgestaltung unserer Schulen, um diese wieder als Ort des freudigen Lernens für Schüler zu machen, an welchem diese zu demokratischen, selbstwirksamen, aktiven Demokraten werden, die das gemeinsame Leben und die gemeinsame Politik gestalten. Das Buch sollte Pflichtlektüre in Lehrerzimmern, in Schulbehörden und bei Eltern werden.     5+

Lesemonat Mai 2023

Nachdem im April ein Lesehighlight dem anderen folgte, war der Mai etwas durchzogener. Ich hatte teilweise Mühe, überhaupt zu lesen, fand in viele Bücher nicht rein, unwissend, ob es an mir, an den Büchern, an beiden gelegen hat. Zum Glück besteht das Leben nicht nur aus Lesen, auch wenn das eine wunderbare Sache ist, denn: Ansonsten war es ein grossartiger Monat, der mir unter anderem ein wunderbares Fest mit Musik und Tanz (nur schon beim Drandenken juckt es wieder in den Beinen) auf einem Schiff beschert hat, von dem ich sicher noch lange zehren werde.

Lesend bin ich mit einigen Frauen in deren Vergangenheit gereist, habe mir mit anderen Gedanken über unsere Gesellschaft und die Demokratie gemacht. Ich habe überlegt, was es heisst, am eigenen Platz zu sein und welche Freiheit es ist, da auch bleiben zu dürfen. Ich studierte über soziale Schichten und deren verfügbaren Räume nach, wurde mir einmal mehr darüber bewusst, was es heisst, arm zu sein, und wieso wir als Gesellschaft vor Armut nicht die Augen verschliessen dürfen.

Hier die komplette Leseliste:

Ulrike Draesner: Die Verwandelten – abgebrochenEine tote Mutter, ein adoptiertes Kind, eine Grossmutter, ein Heim der Nazis, viele Namen, manchmal mehrere für eine Person – die Geschichte springt von Person zu Person, von einer Situation zu einer anderen, durch Orte und Zeiten, so dass man kaum einen Zusammenhang findet, geschweige denn einen roten Faden. 
Annika Büsing: Nordstadt – abgebrochenIch-Erzählung einer jungen Frau, flapsig, naiv, mündliche Sprache, spätpubertär-trotzig klingend – es ging mir schlicht auf die Nerven. 
Bruno Heidlberger: Mit Hannah Arendt Freiheit neu denken. Gefahren der Selbstzerstörung von DemokratienEine Darlegung des politischen Denkens Hannah Arendt, die Kritik daran sowie die Gedanken, die auch heute noch aktuell und wichtig sind. Es fehlt ein wenig der rote Faden, doch es ist ein guter und interessanter Überblick, der zeigt, dass diese Denkerin noch wichtig ist.4
Birgit Birnbacher: Wovon wir lebenEine junge Frau aus einem kleinen Dorf geht in die Stadt, um Krankenschwester zu werden. Sie geht in dem Beruf auf, bis ihr ein Fehler unterläuft und sie entlassen wird. Sie geht zurück in ihr Elternhaus, hofft, von ihren Eltern aufgefangen zu werden, doch die Mutter ist nach Sizilien weg und der Vater hofft, von ihr betreut zu werden. Sie ringt körperlich und seelisch nach Luft, sieht sie sich doch all dem, was sie hinter sich gelassen zu haben glaubte, erneut ausgesetzt. Sie ist gefordert, ihren Platz im Leben zu finden. 5
Ulrike Guérot: Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollenEin Aufruf zu mehr Offenheit für andere Meinungen, ein Aufruf für mehr Dialogbereitschaft und Schaffung öffentlicher Räume, um die Demokratie und damit auch unsere Freiheit zu bewahren, statt autoritären Systemen die Hand zu reichen. Im Grundsatz ein guter Ansatz, oft zu populistisch und plakativ, sowie mit fragwürdigen Thesen, welche nirgends abgestützt werden. 3
Bruno S. Frey/Oliver Zimmer: mehr demokratie wagen. für eine teilhabe allerAufbauend auf einer Rede Willy Brandts legen die Autoren ihre Sicht auf die aktuelle Demokratie dar, erklären, wieso Repräsentation und Demokratie nicht gleichzusetzen sind und zeigen Lösungen auf, wie Bürger und Bürgerinnen wieder zu mehr Teilhabe an der Demokratie motiviert werden können. Gute Ansätze, aber mich haben die endlosen Ausführungen historischer Beispiele immer wieder abgehängt. Ein klarerer roter Faden und eine stringentere Argumentation wäre mehr gewesen. 3
Sophie Schönberger: Zumutung DemokratieEin Essay darüber, dass Demokratie auf Gemeinschaft beruht, die dann entsteht, wenn der Einzelne bereit ist, sich mit anderen in diese zu integrieren, die Pluralität anzunehmen und auch auszuhalten. Demokratie ist dann eine Zumutung, wenn der andere nicht verstanden wird, die gemeinsame Basis und das gemeinsame Verbundensein im Staat fehlt. Abhilfe schafft die persönliche Begegnung, die Möglichkeit von sozialen (Kommunikations-)Räumen, die den anderen erfahrbar und dadurch vertrauter machen. 5
Doris Knecht: Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habeEine alleinerziehende Schriftstellerin mit Zwillingen, die bald ausziehen, erinnert sich an ihr Leben. Sie erinnert in kleinen Episoden an Zeiten aus ihrer Kindheit, aus der Jugend, an ihre Beziehungen. Sie ist sich nie ganz sicher, was davon wirklich erinnert und was vergessen und neu erfunden ist. Und manches ist wirklich vergessen. Es ist eine Zeit des Umbruchs: Die Kinder ziehen aus, ihr Leben allein beginnt – nur wo soll es stattfinden?5
Eva von Redecker: BleibefreiheitWas, wenn Freiheit nicht mehr als Bewegungsfreiheit räumlich, sondern als örtliches Bleiben zeitlich gedacht würde? Wie muss diese Zeit gefasst und gefüllt, wie erfüllt sein, damit sie die Freiheit erlebbar macht, sie überhaupt gewährt? Was, wenn wir das Leben nicht mehr vom Tod her denken, sondern von der Geburt? Wenn in jeder Geburt ein neuer Anfang und damit eine Freiheit des sich neu Erschaffens läge? Wenn wir immer wieder neu geboren und damit frei in der eigenen Gestaltung wären? Das sind die Fragen, denen Eva von Redecker in diesem Buch nachgeht. Es ist ein Sammelsurium an Gedankengängen und Ausflügen, irgendwie fehlt die praktische Relevanz und wirkliche Antwort, aber es ist eine Fundgrube an weiterzudenkenden Ideen und Konzepten.4
Claire Marin: An seinem Platz sein. Wie wir unser Leben und unseren Körper bewohnen.Welchen Platz nehme ich ein auf dieser Welt? Wie stehe ich in der Zeit und im Raum, im Gefüge von Gesellschaft, Familie, Umfeld? Welche Prägungen hinterlassen Räume in uns und gibt es diesen einen, sicheren Platz, der unserer ist? Ein Nachdenken über die Räume unseres Lebens, ausserhalb und in uns selbst. 5
Stine Volkmann: Das Schweigen meiner MutterVier Schwestern treffen sich für die Beisetzung der Urne ihrer Mutter auf Langeoog, der Insel, welche in der Kindheit die schönsten Erlebnisse beheimatete, bis zu einem Sommer, in dem ein Erlebnis alles mit einem Schlag verändert. Waren die vier vorher ein eingeschworenes Team, gingen sie danach innerlich und mehr und mehr auch äusserlich getrennte Wege.Bei diesem Zusammentreffen brechen alte Wunden auf, Vorwürfe, die im Raum stehen, werden ausgesprochen, die Erinnerung wird wieder lebendig. Doch: Hat sie sich in den einzelnen Köpfen wirklich richtig eingenistet? Ein mitreissender Roman mit authentischen Charakteren, einem guten Spannungsbogen in einer flüssig lesbaren Sprache, der gegen Ende etwas an Tempo verliert 4
Franz Xaver Baier: Der Raum. Prolegomena zu eienr Architektur des gelebten RaumsEin tiefer Blick auf die Architektur verstanden nicht als blosse Konstruktion von Häusern, sondern als Schlüssel zur Wirklichkeit. Was macht einen Raum zum Raum, aus welchen Gesichtspunkten heraus ist er wahrzunehmen und was macht diese Wahrnehmung aus dem Raum? Zum Nachdenken anregend, komplex, teilweise verwirrend, originell und Augen öffnend.4
Dieter Lamping: Hannah Arendt. Leben für die FreundschaftDas Porträt von Hannah Arendt aufgrund der von ihr gepflegten Freundschaften. Ihre wichtigsten Freundinnen und Freunde werden vorgestellt und das, was die jeweilige Freundschaft ausmachte anhand von Zitaten und beleuchtet. 3
Brigitte Reimann: Die Geschwister – abgebrochenDie Geschichte einer kleinbürgerlichen Familie in der DDR, von den drei Geschwistern fliehen zwei wegen mangelnder Zukunftsaussichten in den Westen. Ein Bild der gesellschaftlichen Zustände der ehemaligen DDR sowie des Lebens mit Mauern – real und in den Köpfen. Mich hat es zu wenig angesprochen, die verschiedenen Zeitwechsel machten das Lesen zeitweise schwierig. 
Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen RadikalismusPlessner thematisiert verschiedene Formen menschlichen Zusammenlebens, stellt dabei Gemeinschaft und Gesellschaft gegenüber, indem er der Gesellschaft als offenes System verbundener Menschen, die das Zusammenleben immer wieder neu entwerfen den Vorzug gibt. Es plädiert im Umgang miteinander für Diplomatie und Takt, da dieser zu einem wohlwollenden und feinfühligen Miteinander führt. 4
Esther Schüttelpelz: Ohne mich – abgebrochenEine junge Frau richtet sich nach der Trennung von ihrem Mann wieder neu ein – in ihrer Wohnung und in ihrem Leben. Diese schnoddrige, mit Flüchen und Kakophonien durchsetzte mündlich anmutende Sprache war für mich nicht lesbar. Abbruch nach wenigen Seiten (zweimal versucht mit demselben Ergebnis)
Daniela Brodesser: ArmutDie persönliche Geschichte der Autorin, wie sie und ihre Familie in die Armut gerieten. Zahlen und Fakten zur Armut in Österreich und Deutschland, die Beschreibung, womit betroffene zu kämpfen haben und was Armut aus Menschen und mit Menschen macht. Das Buch versucht, Aufmerksamkeit für ein Thema zu gewinnen, das noch zu sehr als Tabu behandelt und mit Vorurteilen belastet ist. Es fehlt ein wenig die praktische Hilfe, so bleibt es hauptsächlich das Zeugnis einer Betroffenen, das betroffen macht. 3
Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und KlassenBourdieu untersucht den sozialen Raum, analysiert, durch welche Kriterien sich Gruppen bilden und was sie zusammenhält. Er thematisiert die verschiedenen Kapitalsorten, welche für die Klassenzuteilung ausschlaggebend sind, und wie sich Repräsentation einer Klasse legitimiert. Die Materie wäre nicht so komplex, wie sie durch die unglaublich unverständliche Sprache dargestellt wird. 3
Katharina Mevissen: Mutters Stimmbruch – abgebrochenEine älterwerdende Frau, deren Mann und Kinder ausgezogen sind, die aber doch als einzige Identität die der Mutter der Erzählerin hat. Herbst ist im Leben und im eigenen Körper, mit beidem kämpft sie und das auf eine so schräge, komische Art, dass es nach einem kurzen Amüsement den Reiz verloren hatte, zumal kein Bezug herzustellen war aus dem eigenen Erleben, Empfinden, aus eigenen Erfahrungen. 
Heinz Bude: Das Gefühl der WeltWorauf gründen Stimmungen in der Welt und wie wirken sie sich aus? Heinz Bude geht diesen Fragen in sehr loser und wenig analytischer Weise eher plaudernd nach, es fehlt ein roter Faden und auch ein Ergebnis. Nett zu lesen, aber es bleibt wenig haften.3

Lesemonat Februar – Ein Rückblick

Schon wieder ist ein Monat vorbei. Es war zwar der kürzeste Monat des Jahres, doch ich habe viel gelesen, einiges vielleicht nicht mit der Aufmerksamkeit, die es verdient hätte, was vor allem dem Umstand geschuldet war, dass ich mich langsam in meinen Lesewünschen wieder weiterbewegt und endlich – nach einer langen Leseflaute diesbezüglich, die mich ob ihrer Länge verunsichert und auch geschmerzt hat – wieder zur Literatur zurückgefunden habe. Schon Thommie Beyer hat einen guten Anfang gemacht, aber Eric-Emmanuel Schmitts Monsieur Ibrahim hat die Liebe zur Literatur mit einer Wucht zurückgebracht.

Wenn ich im Nachhinein zurückblicke, ist es schon erstaunlich, wie viel mir Literatur bedeutet. Als sich der Zugang für mich verschlossen hatte, fehlte ein wichtiges und grosses Stück in meinem Leben. Die Liebe zu Büchern war noch da, die Liebe zum Lesen entfaltete sich in anderen Bereichen, die mir durchaus auch wichtig sind, und doch…

Ich bin diesen Monat nach Südfrankreich gereist, um in einem Sommerhaus fünf eigentlich Fremde und doch Verbundene zu beobachten, habe mir Zuspruch geholt, mich nicht zu verbiegen, habe die Blumen des Korans gesucht und mit Rosa den kleinen Oskar begleitet. Ich habe mit den Denkern der Frankfurter Schule philosophiert und mit vier Philosophinnen nach der Freiheit gesucht. Ich habe den Wert des Nichtstuns erforscht und Hannah Arendts Menschenbild ergründet. Danach musste ich mal schnell schauen, ob ich die Welt noch retten kann, um dann in die dramatische Liebe von Ingeborg Bachmann und Max Frisch einzutauchen – die war nicht zu retten.

Der März wird ein durch und durch literarischer Monat werden hier – ich freue mich drauf. Kennt ihr Leseflauten? Wie geht ihr damit um?

Die meine komplette Liste:

Thommie Bayer: Sieben Tage SommerMax lädt fünf Menschen in sein Sommerhaus ein, wo er sie treffen will. Diese fünf Menschen haben vor vielen Jahren seinen Weg gekreuzt, einer hat ihm das Leben gerettet, die anderen vier hatten dabei geholfen, dass diese Geschichte für alle gut ausging. Anja ist damit betraut, die fünf zu bewirten und Max zu berichten, wie alles läuft. Max wird nicht auftauchen – doch: Was hat er vor?    Das Buch war leicht zu lesen, es plätscherte dahin. Am Schluss bleibt ein wenig das Gefühl, dass die Erwartungen an das Ende nicht erfüllt wurden. Aber trotzdem unterhaltsame Lektüre.4
Ichiro Kishimi, Fumitake Koga: Du musst nicht von allen gemocht werden. Vom Mut, sich nicht zu verbiegenDie Lehre Adlers in einen Dialog zwischen einem jungen Mann und einem Philosophen verpackt. Eine interessante Herangehensweise, um die Inhalte dieser Lehre, wenn sie auch ein etwas flacher Vergleich zu Sokrates ist. Adlers These, dass das Leben immer zielgerichtet gelebt wird und die Ursachen nicht in der Vergangenheit liegen, werden ebenso thematisiert wie die Bedeutung von Minderwertigkeitsgefühlen, horizontale und vertikale Beziehungen und der Wert von Mut, Selbstvertrauen und Engagement für andere, wenn es darum geht, glücklich sein zu wollen. 4
Eric-Emmanuel Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des KoranEin Buch wie ein warmer Mantel ums Herz, eine Streicheleinheit für Gemüt und Seele. So viel Liebeswürdigkeit, so viel Tiefe, so viel Menschlichkeit. Und so viel Humor bei allem Ernst, der in den Themen liegt.5
Eric-Emmanuel Schmitt: Oskar und die Dame in RosaEine tief menschliche Geschichte über das Leben, das Lieben und das Sterben. Eine kleine, feine, Erzählung.5
Wolfgang Martynkewicz: Das Café der trunkenen Philosophen. Wie Hannah Arendt, Adorno & Co. das Denken revolutionierten.Ein hervorragendes Zeitzeugnis, ein Zeugnis der Lebens- und Denkensstränge herausragender Denker in den dunklen Zeiten der Kriege und im Exil, und ihrer Verschränkungen und gegenseitigen Befruchtungen wie Ablehnungen. Dafür, dass Arendt so prominent im Untertitel steht, ist wenig Arendt im Buch vorhanden. 4
Wolfram Eilenberger: Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933-1943Mit Blick auf Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Ayn Rand und Simone Weil zeichnet Wolfram Eilenberger ein Bild der Zeit zwischen 1933 – 1943 und zeigt auf die philosophischen Wege, welche die vier Philosophinnen einschlagen, ihre Hindernisse, ihren Kampf, ihr Leben und Denken. 4
Byung-Chul Han: Vita Contemplativa. Oder von der UntätigkeitEine Antwort auf Hannah Arendts «Vita activa», in welcher das Tun dem Sein eher im Wege steht als dieses begründet, in welchem der Untätigkeit der Wert zukommt, zur Besinnung zu führen und damit zu einem Dasein als wirklichem Sein in der Welt. 4
Lea Mara Esser: Vom Schweigen des Guten. Hannah Arendts Theorie der MenschlichkeitDas Gute müsse neu gedacht werden. Dies will Lea Mara Esser zeigen anhand von HA, die sie in den Dialog mit Walter Benjamin treten lässt und wozu sie eine Unmenge an Verweisen, Zitaten, Meinungen, Analysen heranzieht. Zwar finden sich durchaus alle wichtigen Begriffe Arendts, doch wird im Buch mehr die offenbare Belesenheit und Zitierwütigkeit sichtbar als eine stringente Argumentationskette. So entsteht zumindest, was Esser als Philosophieren deklariert: Es herrschen nur Fragen vor, die Antworten bleiben aus. 3
Thomas Seibert: ExistenzphilosophieBegriff und Entwicklung (von Kierkegaard, Stirner, Nietzsche über Jaspers und Heidegger zu Sartre und in die Postmoderne) der Existenzphilosophie in einer unglaublich mühselig zu lesenden Fassung. Das war reiner Kampf durch die Seiten, keine Freude. 3
Eberhard Rathgeb: Die Entdeckung des Selbst. Wie Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard die Philosophie revolutioniertenDrei Philosophen gingen dahin und haben sich lebend und schreibend dem Selbst-Sein gewidmet. Sie haben sich selbst als Experimentierfeld genommen und daraus ihre Theorien entwickelt, wie einer wird, wer er ist und worauf es ankommt im Leben als Selbst. Sie schrieben damit gegen all die Philosophen an, die das Individuum in den Dienst der Gesellschaft und der Wirtschaft stellten, sie schrieben gegen eine Zeit an, in welcher Rationalität und Vernunft das Gefühl und das Er-Leben verdrängen wollten.4
Thomas Metzinger: Bewusstseinskultur. Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare KriseWie muss sich unsere Gesellschaft, wie müssen wir uns ändern, damit wir mit dieser sich anbahnenden globalen Krise umgehen können? Metzinger plädiert für eine Bewusstseinskultur, in welcher die Menschen gemeinsam nach einer Form des Lebens suchen, mit welcher der Krise begegnet und die eigene Selbstachtung und Würde bewahrt werden können. 4
Bettina Storks: Die Poesie der LIebe. Ingeborg Bachmann & Max FrischEine Romanbiografie über eine grosse Leidenschaft, eine Liebe, die im Sturzflug endete. Es ist die Geschichte zweier Poeten, die so unterschiedlich in ihrem Sein und Schreiben waren, dass sie nicht zusammen sein konnten, ohne sich gegenseitig immer wieder zu verletzen und nach und nach zu zerstören. 5