Sophie Schönberger: Zumutung Demokratie

Ein Essay

Inhalt

«Die ‘Herrschaft des Volkes’ setzt voraus, dass sich so etwas wie ein ‘Volk’ im Sinne einer demokratischen Gemeinschaft erst einmal konstituiert und als Kollektiv begreift.»

Eine Demokratie braucht, um wirklich gelebt zu sein, Gemeinschaft. Diese bedarf der Bereitschaft des Einzelnen, sich mit anderen zu verbinden und diese zu bilden. Es geht darum, den anderen als Verschiedenen und doch Gleichen zu akzeptieren und durch eine offene Kommunikation einen Gemeinsinn herauszubilden, der für alle verbindlich ist, auch wenn nicht alle derselben Meinung sind.

Diese Bereitschaft fehlt in der letzten Zeit, die Konfliktfähigkeit hat abgenommen und die Akzeptanz für andere Meinungen schwindet. Wie kam es dazu, dass das Vertrauen in den Staat mehr und mehr schwindet, und was können wir dagegen tun? Wie stark darf der Staat eingreifen in die Kommunikationsmöglichkeiten und -inhalte der Bürger, wo ist die Grenze der Freiheit des Einzelnen im Hinblick auf ein funktionierendes Miteinander?

Diesen und anderen Fragen geht der vorliegende Essay nach.  

Gedanken zum Buch

«Die Hölle sind die Anderen.»

Das wusste schon Sartre und es hat sich bis heute nicht geändert, im Gegenteil. Die anderen, die man nicht versteht, führen dazu, dass es eine Zumutung darstellt, mit ihnen zusammen zu leben. Dieses Nicht-Verständnis führt zu Abgrenzungen, zu Ausgrenzungen, zu Blasenbildungen und Meinungspolaritäten. Dies wird umso mehr verstärkt durch die aktuelle Zeit, in welcher persönliche Begegnungen immer mehr den digitalen weichen.

„Demokratie braucht Gemeinschaft.“

Um da Abhilfe zu schaffen, bedarf es der persönlichen Begegnung. In sozialen (Kommunikations-)Räumen, die den Anderen erfahrbar und dadurch vertrauter machen, entsteht ein besseres Gefühl für die Pluralität und doch Gleichheit der verschiedenen Mitglieder der Demokratie. Aus diesem Verständnis heraus kann sich die Gemeinschaft bilden und entwickelt einen Sinn für gemeinsame Interessen und Ziele für das Zusammenleben.

„Denn die elementaren Mindeststandards des Miteinanderredens, die das Strafrecht vorgibt, müssen auch in Zeiten des Medienwandels effektiv durchgesetzt werden, damit die Kommunikation in der demokratischen Gemeinschaft funktionieren kann. Diese Aufgabe muss der Staat auch als Mittel der Demokratiesicherung selbst wahrnehmen.“

Der Staat hat sich zu lange zurückgehalten bei der Einmischung in die kommunikativen Möglichkeiten und Auswüchse der digitalen Medien. Dadurch ist eine Kommunikationskultur entstanden, in welcher Blasenbildung, Meinungsmanipulation und Aggression sich ausbreiten konnte. Die notwendige Verantwortung für Eingriffe in diese den demokratischen Prozess gefährdenden Auswüchse überliess der Staat bislang zu stark privaten Akteuren. Die Sicherung der Demokratie verlangt aber eine staatliche Regulierung durch klare und rechtlich verbindliche Vorschriften, denn sie sind auch das demokratische Mittel und damit die Sicherung der Demokratiesicherung.

Fazit
Ein wichtiges Buch darüber, was Demokratie bedeutet, woran es heute mangelt und was man dagegen unternehmen kann. Ein Aufruf für mehr Akzeptanz, demokratieförderliche Kommunikation und wirkliche Begegnung.

Angaben zur Autorin
Sophie Schönberger ist Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Ko-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ C.H.Beck; 1. Edition (16. Februar 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 189 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3406800085

Tagesgedanken: Die Welt teilen

Da sitzt man so in dieser Welt und mit einem leben viele andere ebenfalls da. Man hat sie nicht ausgewählt, man kennt sie häufig gar nicht, sie sind mitunter sehr verschieden von einem selbst – und man versucht, irgendwie damit klarzukommen. Die eigene Sicht wird in Frage gestellt, die eigenen Überzeugungen treffen auf fremde. Damit umzugehen ist nicht immer leicht und oft kommt es dadurch zu Streit. Wir vergessen schnell einmal, dass wir als die, welche wir sind, nur das sehen, was in unserem Blickfeld ist, weil wir stehen, wo wir stehen. Der andere steht vielleicht anders, sieht dadurch andere Facetten, die von uns aus unsichtbar sind. Und doch beharren wir gerne auf unserer Sicht – sie ist schliesslich alles, was wir haben. Denken wir. Als die Einzelnen, die wir sind.

Wir könnten mehr haben. Und es wäre wichtig und nötig, dies zu sehen und uns entsprechend zu verhalten. Wir sind nicht nur Einzelne, wir sind auch ein Teil eines Ganzen, einer Gemeinschaft. Wenn wir als die zusammenleben wollen (und wir haben quasi keine andere Wahl), müssen wir einen Weg finden, die Welt nicht nur zu bewohnen, sondern sie zu teilen. Dann entstünden

«Gemeinschaften, in denen das, was allgemein, jeder und jedem zukommend und für alle verbindlich ist, nicht etwas Vorausgesetztes und vermeintlich Selbstverständliches ist, sondern ein erst in Praktiken und Beziehungen herzustellender Bezugspunkt, den wir teilen müssen, um ihn zu erfahren: gekommen, um zu bleiben.»

Wir müssen realisieren, dass wir einander brauchen, denn keiner schafft alles allein. Hannah Arendt sagte, dass wir ohneeinander verloren wären. Dies sollten wir uns hinter die Ohren schreiben. Wir alle haben das gleiche Recht, auf dieser Welt zu wohnen, wir alle möchten das möglichst friedlich tun. Wir haben es in der Hand, in was für einer Gemeinschaft wir leben wollen, denn wir tragen unseren Anteil dazu bei. Es ist an uns – wie Sabine Hark schreibt:

«Gemeinschaftlichkeit dergestalt zu imaginieren, dass neue, transversale und nicht an der Grenze der menschlichen Spezies Halt machende Verwandtschaften zwischen Verschiedenen, die doch füreinander Gleiche sind, wirklich werden.»

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Buchtipp: Sabine Hark: Gemeinschaft der Ungewählten. Umrisse eines politischen Ethos der Kohabition, edition suhrkamp, Berlin 2021.