Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker

Eine Utopie für die digitale Gesellschaft


„Dieses Buch möchte einen Beitrag dazu leisten, aus dem Fatalismus des unweigerlichen Werdens aus- und zu einem Optimismus des Wollens und Gestaltens aufzubrechen. Es möchte helfen, ein Bild einer guten Zukunft zu malen.“


Unsere Welt ist in einem schnellen Wandel und manchmal scheint es, alle schauen gespannt zu. Es gibt verschiedene Lager der Zuschauer, die, welche die Entwicklungen als Fortschritt hochjubeln, und die, welche auf Ängsten gegründete Horrorszenarien an die Wand malen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fortschreitende Digitalisierung unser Leben stark verändern wird, dass wir uns in vielen Lebensbereichen mit neuen Umständen auseinandersetzen müssen. Berufe werden wegfallen, neue werden kommen, wie die genau aussehen, steht noch in den Sternen, was aber sicher ist: Diese Veränderungen werden sich sicher nicht zugunsten von den jetzt schon sozial Schwachen auswirken, die Schere zwischen Arm und Reich wird sich vergrössern, wenn wir nicht dagegen steuern und in einer humanen Weise auf die neuen Möglichkeiten reagieren.


„Die Digitalisierung wird bereits von allen Volkswirtschaften als Macht anerkannt. Und es ist hohe Zeit zu zeigen, wo die Weichen liegen, die wir jetzt richtig stellen müssen, damit sie sich in einen Segen und nicht in einen Fluch verwandelt. Denn die Zukunft KOMMT nicht! […] die Zkunft wird von uns GEMACHT! Und die Frage ist nicht: Wie WERDEN wir leben? Sondern: Wie WOLLEN wir leben?“


Richard David Precht zeichnet ein sehr realistisches Bild der aktuellen Situation, der vierten industriellen Revolution, welche in vollem Gange mit noch offenem Ausgang ist. Er ruft dazu auf, sich nicht hinter Fortschrittglauben und Ängsten zu verstecken, sondern aktiv die Idee einer wünschenswerten Welt zu schaffen, in welcher Maschinen nicht zur Optimierung oder zum Ersatz von Menschen werden, sondern diese unterstützen.

Er weist weiter auf die Chancen der Digitalisierung hin, welche es dem Menschen ermöglichen könnte, vom Arbeiten im Lohnhamsterrad zu einem selbstbestimmteren und erfüllteren Leben zu kommen, was allerdings nur mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zu verwirklichen wäre, da gerade die wegfallenden Berufe in vormaligen Ausbildungsberufen ein würdevolles Leben ansonsten verunmöglichen würden. Precht nennt seine Lösungsansätze selber eine Utopie, beklagt aber den negativen Klang, den dieses Wort heute hat. Wenn wir den Begriff der Utopie als das sehen, was wir uns wünschen würden, könnten wir es uns aufs Papier schreiben und damit anfangen, das Leben und dessen Bedingungen und Umstände so zu gestalten, dass aus der Utopie die nächste Wirklichkeit wird.

„Jäger, Hirten, Kritiker“ greift ein aktuelles Thema auf und vermittelt auf gut lesbare und verständliche Weise Hintergründe und Aussichten. Die Sprache ist ab und zu etwas gar plakativ und flapsig, die Ausführungen zu umfassend, doch die Grundbotschaft ist eine durchaus gute und bedenkenswerte.

Fazit:
Ein gut lesbares Buch über ein aktuell brennendes Thema, bei dem weniger mehr gewesen wäre, das aber viele bedenkenswerten Ansätze für den Umgang mit einer noch unsicheren Zukunft vermittelt.

Zum Autor:
Richard David Precht wird 1964 in Solingen geboren. Nach dem Abitur studiert er Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte und promoviert 1994 in Germanistik mit der Dissertation Die gleitende Logik der Seele. Ästhetische Selbstreflexivität in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Precht arbeitet fünf Jahre als Wissenschaftlicher Assistent in einem kognitionspsychologischen Forschungsprojekt, hält danach Vorträge und Vorlesungsreihen an unterschiedlichen Universitäten und Kongressen und wird 2011 Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg, 2012 Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin. Daneben schreibt er für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften Essays, moderiert seit 2012 die Sendung „Precht“ im ZDF. Von ihm erschienen sind unter anderem Wer bin ich – und wenn ja, wieviele? (2007), Liebe . Ein unordentliches Gefühl (2010), Die Kunst, kein Egoist zu sein (2010), Warum gibt es alles und nicht nichts (2011), Anna, die Schule und der liebe Gott (2013).


Angaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag; Originalausgabe Edition (23. April 2018)
ISBN-Nr: 978-3442315017
Preis: EUR 20; CHF 29.90

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Digitalisierung und Bildung

Nutzte man früher Papieragenden, verwaltet man heute die Termine elektronisch. Papierbücher sehen sich in Konkurrenz mit eReadern, Bibliotheken mit Buchbeständen rüsten um. Der Liebesbrief weicht der eMail, Anrufe werden durch Whatsappnachrichten ersetzt. Wir sind angekommen – in der digitalen Welt.

Die oben genannten Veränderungen sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Dass ich heute auf meinem iPad herumtippe, statt auf Papier zu kritzeln, heisst noch wenig. Digitalisierung geht weiter.

Anfänge der Digitalisierung
Anfänglich ging es in der Tat darum, analog verfügbare Daten digital zugänglich zu machen. Erstens sind digitale Daten einfacher zu teilen und von überall einzusehen, zweitens stellen sie auch eine Sicherung von teilweise dem Verfall ausgelieferten Beständen dar. Zudem ist es einfacher, in digitalen Dokumenten zu suchen als analog. Auch die Verarbeitung ist deutlich einfacher und auch umfangreicher möglich. Dass das Ganze noch zusätzlich Platz sparte, kam obendrauf. Digitalisiert wurden Texte, Bilder, Tondokumente, Filme.

Die Digitalisierung oben genannter Daten führte zu einer ständig verfügbaren, von überall und zu jeder Zeit zugreifbaren Masse an Wissen. Eine Gefahr für den Menschen. Was eine Maschine weiss, die systematisch mit Wissen gefüllt werden kann, übersteigt um ein Weites das, was ein Mensch sich merken kann. Die Maschine vergisst nicht (es sei denn, das System liegt ab, aber dafür gibt es Backups, die ja hoffentlich jeder regelmässig macht). Der Mensch vergisst nicht nur, er kann sich schon viel gar nicht merken. Schon gar nicht so schnell und schon gar nicht endlos und umfassend.

Unser Schulsystem
Schaut man auf unsere Lehrpläne, sieht man hauptsächlich eines: Was an Wissen muss in welchem Zeitraum in Kinderköpfe gepaukt werden. Man behandelt Kinder also wie Computer, indem man sie mit Wissen füttert, das sie dann auf Abruf wieder ausspucken müssen. Das mag kurzfristig bei Prüfungen noch gelingen (ob es sinnvoll ist, sei dahingestellt und wird hier nicht weiter thematisiert), mittel- und langfristig führt es nur zu einem: Wir bilden unsere Kinder zu Unterlegenen aus. Kein Kind wird je mit einem Computer mithalten können. Wenn das Kind mit all dem angehäuften Wissen aus der Schule kommt – und wir gehen vom Optimalfall aus, dass es noch alles weiss, nichts vergessen hat – , wird es nie mit der abrufbaren Informationsmasse eines Computers mithalten können.

Was heisst das? Überall, wo ein Computer Menschen ersetzen kann, wird der Mensch ersetzt. Wenn wir nun unseren Kindern das beibringen, was der Computer besser kann, setzen wir sie durch unsere Bildungsmassnahmen auf die Ersatzbank. Zwar können diese Kinder sicher nett im Smalltalk mit ihrer Allgemeinbildung brillieren, sie können das Brutverhalten von Singvögeln erklären, die Flüsse in den Kontinenten einzeichnen, wenn sie Humor haben, sogar unterhaltsam darlegen, wieso beim Aufeinandertreffen gewisser Chemikalien eine Explosion entsteht. Nur: Das wird ihnen im Arbeitsleben wenig helfen.

Was noch dazu kommt: Die Digitalisierung schreitet voran. Heute werden nicht mehr nur Daten und Fakten von analog auf digital umgestellt, heute ist es möglich, Simulationen von realistischen Situationen herzustellen. Computer sind in der Lage, auf Aussagen zu reagieren und sie antworten. Zu einem grossen Prozentsatz angepasst und kompetent.

Was nun?
Fassen wir zusammen: Computer speichern mehr Daten als sich ein menschliches Hirn merken kann. Computer können diese schneller abrufen. Sie sind zudem so vernetzt, dass von überall zu jeder Zeit auf die Daten und Fakten zugegriffen werden kann. Computer werden mehr und mehr interaktiv, auch sprachlich. Ich frage was, der Computer antwortet. So kann ich von Computern Wissen erfragen, Zimmer in Hotels buchen oder aber einen Tisch fürs Abendessen.

Die Forschung geht weiter. Es gibt mittlerweile Computer, die die Körpersprache lesen und darauf reagieren können. es existieren Roboter, die aussehen wie Menschen (auf Wunsch wie ein bestimmter Mensch mit den diesem typischen Ausdrucksweisen, seiner Stimme und mehr). Die Technik rüstet auf.

Wo bleibt der Mensch?
Mit Wissen werden wir keine Chance haben. Mit ganz viel anderem auch nicht. Die Maschine holt uns ein. Was bleibt sind Beziehungen, sind Werte, sind Fähigkeiten. Klar kann ein Computer von Liebe, Mitgefühl und Hingabe erzählen, er lebt sie nicht, er vermittelt sie nicht. Was menschlich bleibt, sind unsere tief inneren Qualitäten. Vielleicht will uns die Digitalisierung lehren, uns wieder darauf zu besinnen? Vielleicht wäre es an der Zeit, unsere Kinder auf das einzustimmen, was wirklich zählt, darauf, wo sie Experten sind und sein werden. Vielleicht ist es an der Zeit, zu merken, dass reines Faktenwissen anhäufen nicht lernen heisst. Und dass es vor allem nichts bringt.

Fazit
Die Digitalisierung ist unglaublich spannend, sie treibt unsere Welt in immer schnellerer Zeit zu immer neuen Ausgangslagen. Das macht Angst. Immer mehr übernehmen Computer Dinge, die mal von Menschen ausgeführt wurden. Menschen wurden ersetzt durch Maschinen, es werden mehr werden. Es wäre an der Zeit, umzudenken. Und wo müsste man damit nicht anfangen, wenn nicht in der Schule? Einfach neu iPads statt Notizblöcke zu verteilen reicht nicht aus, um mit der Digitalisierung mitzuhalten. Umdenken ist gefordert. Und dann sind iPads toll. Man kann damit auch spielen, kreativ sein. Nutzt man sie zur reinen Checkliste für erfolgte Leistungen, kann man auch zum Notizblock zurückkehren.

Was wir von der künstlichen Intelligenz für die Schule lernen können

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind Begriffe, die seit einiger Zeit durch die verschiedenen Medien schwirren, mal werden sie euphorisch zu den Hoffnungsträgern der Zukunft erklärt, mal wird durch sie in düsteren Szenarien der Untergang der Menschheit prognostiziert. Die Wahrheit liegt – wie so oft wohl – irgendwo in der Mitte. Was sicher wichtig ist für die nächste Zeit: Wir müssen einen Umgang mit der sich immer schneller verändernden Umwelt finden, wir müssen erkennen, wie wir uns mit ihr – und auch durch sie – entwickeln können.

KI und Digitalisierung sind nicht per se schlecht oder gut, sie sind. Sie wurden von Menschen entwickelt und sind nun dadurch ein Bestandteil unseres Lebens – und das wohl in zunehmendem Masse. Um damit umgehen zu können, ist es wichtig, zuerst einmal zu verstehen, worum es sich dabei überhaupt handelt, und dann zu erkennen, wo sie uns nützen können und wo sie uns in unserem Denken mehr behindern. Die Automatisierung von Entscheidungen, Abläufen und Prozessen kann sowohl für den einzelnen Menschen als auch für Unternehmen eine Chance sein, die Gesellschaft kann davon profitieren – wichtig dafür ist allerdings, dass wir uns bewusst sind, welche Entscheidungen wir wirklich Maschinen überlassen wollen und können, und welche wir doch lieber in Menschenhand wissen.
Was ist künstliche Intelligenz?
KI ist grundsätzlich als Software zu verstehen, welche in einer steuerungsfähigen Hardware sitzt. Die Software lernt in Verbindung mit der Hardware Dinge aufzunehmen, zu analysieren und in eine Handlung umzusetzen. Nach einem solchen Ablauf evaluiert das System das Ergebnis: Wenn es zum gewünschten Ziel führt, wird das Ganze als funktionierender Ablauf gespeichert, Problemen werden entsprechend festgehalten. Aus solchen Abläufen lernt das System also, was funktioniert und was nicht, so dass aufgrund von Wahrscheinlichkeitsrechnungen in nächsten Situationen das anzuwendende Handlungsprinzip immer mehr und besser angepasst werden kann und leistungsfähiger funktioniert.

Die Fähigkeit, die eigenen Ergebnisse zu analysieren und sich aufgrund gewonnener Daten immer weiter selber zu verbessern, stellt den grossen Unterschied zur herkömmlichen Programmierung dar. Während man früher das Wissen aus Menschenköpfen in Maschinen speiste, damit aber auch die Grenzen des Einspeisbaren quasi selber setzte, können sich verselbständigende Mechanismen nun über diese Grenzen hinaus entwickeln. Neu setzt der Mensch nur noch den Rahmen, die Maschine ist dann innerhalb dieses Rahmens selbstlernend.

Es geht also nicht mehr darum, Theorien und Regeln einzuspeisen, sondern Ziele zu definieren, so dass Computer dann durch verschiedene Beispiele, Ergebnisanalysen und Feedbackketten lernen, ob sie die vom Menschen gesteckten Ziele erreichen können. Die Abkehr von der reinen Wissenseinspeisung anhand von festgesetzten Regeln und Theorien hin zur Entwicklung von sich durch Zielorientierung selber steuernden und weiter entwickelnden Systemen hat in der Informatik zu einer Weiterentwicklung geführt, die immer schneller immer bessere Ergebnisse liefert.

Was wir daraus für die Schule ableiten können
Im herkömmlichen (Frontal-)Unterricht werden Kinder wie früher Computer mit Wissen gespeist. Sie sind quasi die Trägerplatinen, auf welche nun Daten geschrieben werden sollen. Das System schreibt vor, welche Daten relevant sind, welche nicht. Durch den entsprechenden Druck wird sichergestellt, dass die Kinder dies aufnehmen und damit mehrheitlich ausgelastet sind. Für mehr bleibt wenig Zeit und oft auch wenig Interesse, da in den Köpfen steckt: „Das brauchen wir nicht für die Prüfung.“

Dadurch, dass Computer technisch besser in der Lage sind, Daten zu speichern, sie dies erstens schneller, zweitens zuverlässiger und drittens langfristiger können, sind sie dem Menschen immer überlegen in dem Punkt. So gesehen bilden wir unsere Kinder zu Verlierern gegen die Maschine aus. Es verwundert also auch nicht, dass der Mensch, der sich damit konfrontiert sieht, dass jede Maschine besser kann, was er kann, und dieser Vorteil auch immer mehr genutzt wird in der Wirtschaft, Angst um seine Zukunft hat. Statt aber in der Angst zu verweilen, könnte man etwas ändern.

Statt an dem Punkt stehen zu bleiben, den die Computerindustrie überwunden hat, könnte man sich nach ihrem Beispiel weiter entwickeln. Kinder wären dann keine Träger, die gefüllt werden müssen, sondern selber denkende Systeme, denen man den passenden Rahmen geben muss, in welchem sie Ziele erreichen können. Idealerweise wären das selbstgesteckte Ziele aufgrund eigener Interessen und persönlicher Neugier, aber auch vom Lehrplan definierte Ziele, welche mit der nötigen Faszination vermittelt werden, können Antrieb genug sein, den Forscherdrang junger (und auch älterer) Menschen anzustacheln und sie auf die Lern-Reise bringen.

Wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, Fähigkeiten zu entwickeln, die sie selbstbestimmt agieren lassen, wenn sie darauf merken, dass sie es selber in der Hand haben, dadurch auch die Verantwortung tragen für das, was sie tun und damit erreichen, gibt das ein Gefühl einer Selbstwirksamkeit. Während die Maschine rein analytisch Wahrscheinlichkeiten berechnet und das weitere Handeln daraus ableitet, kommt beim Menschen die Freude hinzu, welche den Antrieb für neue Herausforderungen noch zusätzlich stärkt.

Auf diese Weise, so bin ich überzeugt, können Menschen über (ihre selber gedachten und von aussen gesetzten) Grenzen hinauswachsen. Sie können sich auf die ihnen mögliche Weise entwickeln. Auf diese Weise könnte sich auch die Angst abbauen, dass Maschinen ihren Platz einnehmen können, denn Maschinen können viel, das dem Menschen eigen ist, nicht. Das sieht man aber mehrheitlich dann, wenn man nicht versucht, aus Menschen (schlechtere) Maschinen zu machen. Man sieht es dann, wenn man den Mensch in seinem Menschsein akzeptiert, stärkt und vor allem: leben lässt.

Julian Nida-Rümelin, Nathalie Weidenfeld: Digitaler Humanismus

Eine Ethik für das Zeitalter der künstlichen Intelligenz

Ein digitaler Humanismus transformiert den Menschen nicht in eine Maschine und interpretiert Maschinen nicht als Menschen. Er hält an der Besonderheit des Menschen und seiner Fähigkeiten fest und bedient sich der digitalen Technologien, um diese zu erweitern, nicht um diese zu beschränken.

NidaDigitalDigitalisierung und künstliche Intelligenz sind die Schlagworte der Zeit. Die technische Entwicklung schreitet in immer schnellerem Tempo voran, der Mensch sieht sich einer sich immer schneller sich verändernden Welt gegenüber. Das wirft Fragen auf: Wird der Mensch bald durch Maschinen ersetzt? Was bleibt für den Mensch noch zu tun, wenn Maschinen alles übernehmen? Diese Fragen machen Angst. Auf der anderen Seite ist die technische Entwicklung spannend, bietet sie doch Chancen und weckt die Euphorie, was bald alles machbar sein wird.

Der Digitale Humanismus, wie Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld vorstellen, will eine Brücke schlagen zwischen der angstbesetzten Untergangsstimmung und der Euphorie. Der digitale Humanismus ist technik- und menschenfreundlich, er setzt auf die menschliche Vernunft, welche die Chancen gut nutzen kann, aber auch um die Grenzen digitaler Technik weiss. Die beiden Autoren vergleichen die digitale Gegenwart und mögliche Zukunft immer wieder mit Beispielen aus der Science-Fiction-Welt, zeigen auf, welche Vorstellungen einer digitalen Welt vormals als Mythen existierten, wo sie heute schon Realität geworden sind.

Das Buch behandelt eine ganze Bandbreite an relevanten Themen rund um die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz, alles immer mit literarischen und filmischen Beispielen untermalt sowie philosophisch analysiert und in einen grösseren Rahmen eingebettet. Dabei wird sichtbar, dass die digitale Technologie viele Vorteile bietet, dass uns künftig Roboter immer mehr zur Hand gehen und diverse Abläufe abnehmen können. Auch die Grenzen werden schlüssig aufgezeigt, der Unterschied Mensch – Maschine herausgearbeitet. So sind Menschen nicht einfach wandelnde Algorythmen, sondern durchaus entscheidungsfähige Wesen mit der Fähigkeit, zu denken. Das unterscheidet sie vom Computer, der keine eigene Denkleistung hat. Selbst die selbstlernenden und -optimierenden Maschinen sind nicht autonom denkend, sondern funktionieren nur nach vordefinierten Regeln. Was also wie eine eigenständige Denkleistung aussieht, ist in Tat und Wahrheit nur eine Simulation. Das gleiche trifft auch auf Gefühle zu.

Als nicht denkende und fühlende Einheiten stehen Computer und Roboter jenseits der Moral. Weder können sie selber moralische Urteile fällen, noch unterliegen sie moralischen Bewertungen. Sie werfen aber insofern moralische Fragen auf, als die technischen Entwicklungen den Menschen vor neue Herausforderungen stellen: Wie kommuniziert man mit Maschinen? Wie kommuniziert man als hinter Maschinen sitzendes Wesen mit anderen ebensolchen Wesen. Es werden zudem weitere Fragen aufgeworfen wie die Anforderungen an die Bildungssysteme, die Gefahren für unsere Demokratie im Zeitalter der immer mehr zurücktretenden vielfältigen journalistischen Medien und der vermehrten Nutzung des Internets.

Nida-Rümelin/Weidenfeld gelingt ein umfassender, kompetenter, gut verständlicher Überblick über das Gebiet des digitalen Humanismus mit Blick auf die Herausforderungen der Digitalisierung auf die gegenwärtige Welt. Der Spagat, sowohl Leser mit philosophischem Vorwissen als auch Fachfremde zu erreichen, ist den beiden gut gelungen. Dass dabei zusätzlich darauf verzichtet wurde, utopische Zukunftsszenarien zu entwerfen oder den Menschen zur (bald entwerteten und aussortierten) Maschine zu erklären, spricht zudem für das Buch.

Fazit:
Eine aktuelle, wichtige und komplexe Thematik fundiert und verständlich präsentiert. Philosophie, wie sie sein sollte: dem Leben dienend, nicht als abgehobener Selbstzweck ein Dasein im Elfenbeinturm pflegend. Absolut empfehlenswert.

Zum Autor:
Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld
Julian Nida-Rümelin wird am 28. November 1954 geboren und wächst in einer Künstlerfamilie in München auf. Nach seinem Abitur 1974 studiert er an den Universitäten München und Tübingen Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaften und promoviert 1983 beim Münchner Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller. Es folgt 1989 die Habilitation und Stellen an diversen Unis in Deutschland und der USA. Von 1998 bis 2001 ist Julian Nida-Rümelin Kulturreferent der Stadt München und folgt im Jahr 2004 dem Ruf der LMU und besetzt zuerst den Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie am Geschwister-Scholl-Institut, seit 2009 einen Lehrstuhl für Philosophie an der LMU. Von ihm erschienen sind unter anderem Über die menschliche Freiheit (2005), Demokratie und Wahrheit (2006), Philosophie und Lebensform (2009), Verantwortung (2011), Der Sokrates Club. Philosophische Gespräche mit Kindern (2012), Philosophie einer humanen Bildung (2013).
Er leitet den Bereich Kultur am Zentrum Digitalisierung Bayern.

Nathalie Weidenfeld studierte amerikanische Kulturwissenschaft und promovierte an der FU Berlin. Sie verfasste Romane und Sachbücher und arbeitete als Lektorin und Filmwissenschaftlerin.

Angaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Piper Verlag (4. September 2018)
ISBN-Nr: 978-3492058377
Preis: EUR 24; CHF 37.90
Zu kaufen in jeder Buchhandlung vor Ort oder online u. a. bei AMAZON.DE und BOOKS.CH

Gefahr Internet – der Dieb lauert hinterm Bildschirm

Kürzlich hörte ich, dass man vorsichtig sein müsse. So mit den sozialen Medien. Wenn man schreibe, dass man in den Ferien sei, locke das Diebe an. Die Polizei warnt. Das ist nicht neu, natürlich wusste ich das. Aber doch. Ich fragte mich. Was mach ich denn nun? So bildtechnisch? Nehme ich hier Bilder auf, die ich dann reinstelle, wenn ich woanders bin, um dann dort Bilder von hier reinzustellen? Bin ich damit so klug, die potentiellen Diebe zu irritieren? Noch besser: Ich mache nur noch Blumenbilder – kein Mensch weiss, wo die Blume steht. Nur bin ich nicht Florist. Vielleicht sollte ich ganz aus den Sozialen Medien raus. Sind ja eh so virtuell und kaum real. Blöderweise habe ich ganz viele wunderbare Kontakte hier, die durchaus real sind. Auch in der Virtualität. Im Zeitalter der Digitalisierung ist die Unterscheidung virtuell – real sowieso ein wenig wie wenn man sagt, dass nur das ganz sauber ist, das man von Hand wäscht, nie die Maschinenwäsche.

Was mach ich denn nun? Klar: Gefahren gibt es, die Polizei warnt. Aber auch wenn mein Haus dunkel bleibt, wenn ich weg bin, sind das Zeichen. So reale. Wenn jemand vor Ort beobachtet, hat er Zeichen. Mehr als virtuell, denn ich bewege mich doch durchaus mehr zu Fuss als über die Tasten – man glaubt es kaum. Sicher ist es nicht ganz geschickt, öffentlich lesbar zu schreiben, dass man an dieser oder jener Adresse wohnt, nun von jetzt bis dann weg ist, um dann irgendwann wiederzukommen. Man könnte das als Einladung lesen als Dieb: Komm doch vorbei, es steht dir alles zur Verfügung, keiner greift ein.
Früher gab es ähnliche Warnungen. Es wurden Alarmanlagen, Lichtzeitschaltuhren, regelmässig vorbeischauende Nachbarn empfohlen, wenn man in die Ferien fuhr. Diebe beobachten Gewohnheiten und reagieren auf sich verändernde. Am besten wäre es, man hätte keine Gewohnheiten, sondern lebte sein Leben so ziemlich unnachvollziehbar – eine regelmässige Arbeit fiele da auch flach. Man hat sich selten an all die Ratschläge gehalten, sondern sein Leben gelebt und gehofft, dass nichts passiert. Und statistisch lag man damit gut. Es wird in weniger Haushalten nicht eingebrochen als eingebrochen wird.
Daran hat sich nichts geändert, allerdings sind halt die Möglichkeiten der Diebe durch die Digitalisierung andere geworden. Und damit änderten sich auch die Ratschläge. Nun würde ich natürlich niemandem zu einem leichtsinnigen Verhalten raten, nur: Wenn wir uns in allem, was wir tun und machen, einschränken, weil jemand das ausnutzen könnte, machen wir uns schon im Vorfeld zum Opfer eines Täters, von dem wir noch nicht mal wissen, ob er einer wird bei uns. Vorsicht ist geboten. Aber: Wenn diese das eigene Leben so einschränkt, dass man es nicht mehr leben kann, ist der Preis eventuell zu hoch.
Klar kann man sich aus den sozialen Medien zurückziehen. Klar kann man alles verschweigen, was das eigene Leben betrifft. Klar kann man zurück zu analog gehen oder aber Lügenkonstrukte aufbauen, um die Welt da draussen zu irritieren. Nur: Wo bleibt dann noch die Authentizität? Wo das eigene freie Leben?
Was man ins Netz stellt, steht da. Man muss sich also sicher klar sein, ob man das da haben will oder nicht. Und wieso. Im Zeitalter der Digitalisierung muss uns aber schlicht bewusst sein: Es ist kaum mehr was versteckt und privat. Wir hinterlassen Spuren und die werden getrackt. Wirklichen Schutz bringt da wohl nur eine abgelegene Alphütte ohne Empfang. Nur: Wollen wir so leben?
Das Leben ist und bleibt ein Risiko. Ich würde nun auch nicht alle Türen offen lassen, vor der Hütte eine Tafel mit der Aufschrift „Immer nur reinkommen und bedienen“ – aber: Ich möchte mein Leben weiter frei leben. Und ich mag meinen Austausch auf menschlicher Ebene im Netz, zumal daraus immer auch ganz wunderbare Beziehungen entstanden sind. In ganz unterschiedlichen Ausprägungen: Reichend von Schreib- und Herzensverbindungen, hin zu Freundschaften vor Ort bis hin zu Lebensbeziehungen. All das wäre wohl durch verschleiernde Bilder und kryptische Botschaften nicht passiert. Was für ein Verlust.
Drum: Es gilt sicher, achtsam zu sein, was man ins Netz stellt, aber: Die Authentizität darf nicht leiden. Wir müssen uns den neuen Gefahren stellen. Der Weg kann nicht Selbstverleugnung sein, sondern Reaktion auf neue Gefahren. Da sind wir heute gefordert. Wie gehen wir mit den Geistern um, die wir riefen.