Ingeborg Gleichauf: Jetzt nicht die Wut verlieren.

Max Frisch – eine Biografie

Inhalt

«Es scheint eine Leidenschaft zu sein, die sich da entwickelt, unabhängig von äusserem Erfolg. Da will und muss sich einer Luft verschaffen, sich ausdrücken, sich aufteilen auf mehrere Stimmen, Rollen entwerfen, die man für das Leben halten könnte.»

Max Frisch war ein Zweifelnder. Ein Suchender. Er war ein Mensch voller Gegensätze und ein Mensch der Sprache, mit denen er all das zu erfassen suchte. Diesem Menschen hat sich Ingeborg Gleichauf in der vorliegenden Biografie auf eine persönliche, kenttnisreiche und poetische Weise angenommen. Sie beleuchtet das Leben und Schaffen eines Menschen, bei dem beides nicht zu trennen ist, weil ohne das Leben und seine Erfahrungen das Schreiben nicht möglich wäre, ohne das Schreiben ein Leben ebenso wenig. Zumindest könnte es ohne die Sprache und das Schreiben nicht verstanden werden.

In chronologischer Reihenfolge begleiten wir Max Frisch durch sein Leben, seine Reisen, seine Beziehungen und seine Werke, die jeweils kurz dargestellt werden. Entstanden ist ein romanhaft anmutendes Buch, welches für ein junges Publikum genauso zugänglich und aufschlussreich ist wie für ein erwachsenes.

Gedanken zum Buch

«Diese Frage nach sich selbst, nach dem, was man ist und sein könnte: Bereits der junge Frisch sieht hierin ein existenzielles Problem.»

Max Frisch wurde oft vorgeworfen, er drehe nur um sich, er sei quasi sein einziges Thema, um das er nachher alles geschrieben hat. Dass dies sicher zu kurz gegriffen ist, liegt auf der Hand, allerdings ist nicht zu bestreiten, dass das Thema der (eigenen) Identität eines seiner zentralen war. Was ist der Mensch und wer kann er sein? Wie steht er in der Gesellschaft und was bedarf es, darin und nicht am Rand zu stehen? Gerade die letzte Frage beschäftigte ihn stark, schwankte er doch in jungen Jahren zwischen seiner Sehnsucht nach Bürgerlichkeit, nach Zugehörigkeit, und seinem Drang, Schriftsteller, und damit am Rande stehender Beobachter, zu sein.

«Wie man sich doch immer in die Quere kommt, wenn man eigentlich ‘sachlich’ sein soll. IN allem, was man schreibt, ist man selbst enthalten. Und so ist das Schreiben, auch das journalistische Schreiben, immer eine Möglichkeit, mir und meinen Erfahrungen auf die Spur zu kommen.»

Schon Goethe sagte, dass alles Schreiben autobiographisch sei. Das bedeutet nicht, dass einer immer nur die eigene Lebensgeschichte schreibt, sondern es bleibt nicht aus, dass sich im Schreiben die eigenen Gedanken, Erfahrungen und Gefühle widerspiegeln. Frisch sah sich denn auch als Beobachter, als Augenmensch war ihm das klare (Hin-) Sehen wichtig. Wirklich gesehen und erfahren, vor allem aber verstanden, hat er die Dinge aber nur, wenn er für sie eine Sprache gefunden hat.

«Mit dem Seltsamen des Lebens umgehen wird für ihn bedeuten, sich vor allem sprachlich damit auseinanderzusetzen.»

Das Schreiben war immer auch sein Weg zu sich selbst, sein Weg zum klareren Verständnis. Daneben war es aber auch die Möglichkeit des Ausdrucks. Ohne einen solchen, so Frischs Überzeugung, sei das Leben kaum ertragbar. Frisch selbst sagte einst, dass Schreiben sei wie Reisen, indem er durch die Sprache aus sich herausgehe, um schliesslich wieder bei sich zu landen.

«Nichts ist dem Menschen so fern als das eigene Ich, er ist sich selbst das Fremde, daher kommt er sich gerade dann näher, wenn er in einen grossen Abstand zu sich tritt.»

Dass es notwendig ist, sich selbst auf die Spur zu kommen, führt Max Frisch auf den Umstand zurück, dass man sich eigentlich fremd ist. Wir leben in unserem Alltag und bewegen uns oft unbewusst in ihm. Viele unserer Reaktionen und Handlungen sind Automatismen, sind Gewohnheiten geschuldet. Max Frisch gibt sich damit nicht zufrieden, er will tiefer gehen, sich kennenlernen, herausfinden, wer er wirklich ist. Dazu dient ihm das Schreiben. Das ist auch eines der Hauptthemen seines Schreibens: Identität sowie die Verortung des Ichs in der Welt. Am besten gelingt das in Frischs Augen durch das Theater, weil dies immer eine Auseinandersetzung mit sich und der Gesellschaft darstellt. Das Stückeschreiben ist eine Form von Zeitzeugenschaft, die sich aktuellen Themen wie sozialer Ungerechtigkeit, den Fesseln des bürgerlichen Lebens und der Freiheit zuwendet.

Max Frisch erfindet keine neuen Welten, er beobachtet die vorhandene genau. Er ist ein Augenmensch, der sich im Sehen schult und das so Erfahrene in Sprache, in Sprachbilder umformt. SO geht er als Sehender durch die Welt, beobachtet sie, die Menschen in ihr und das Zeitgeschehen. Doch erst, wenn er es schafft, das alles in Sprache zu fassen, kann er es verstehen, existiert es im tatsächlichen Sinn.

Fazit
Ingeborg Gleichauf ist eine leicht zu lesende, dadurch auch einem jungen Publikum zugängliche, fast schon romanhafte, und doch fundierte Biografie gelungen, die einen sehr persönlichen Blick auf Max Frisch offenbart.

Zur Autorin
Ingeborg Gleichauf wurde 1953 in Freiburg geboren, studierte Germanistik und Philosophie und promovierte über Ingeborg Bachmann. Sie veröffentlichte erfolgreiche Biographien, darunter Hannah Arendt (2000), Sein wie keine andere. Simone de Beauvoir (2007) und Denken aus Leidenschaft (2008). Zuletzt erschien bei Nagel und Kimche Jetzt nicht die Wut verlieren. Max Frisch – eine Biografie (2010).
Ingeborg Gleichauf wurde 1953 in Freiburg geboren, studierte Germanistik und Philosophie und promovierte über Ingeborg Bachmann. Sie veröffentlichte erfolgreiche Biographien, darunter Hannah Arendt (2000), Sein wie keine andere. Simone de Beauvoir (2007) und Denken aus Leidenschaft (2008). Zuletzt erschien bei Nagel und Kimche Jetzt nicht die Wut verlieren. Max Frisch – eine Biografie (2010).

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Verlag Nagel & Kimche AG; 2. Edition (16. August 2010)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3312009893

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