Die Mütze des Riesen

Es war einmal ein König, der hatte eine wunderschöne Tochter. Ihr Haar war glänzend wie sein Goldschatz, ihre Haut rosig zart und ihre Augen leuchteten wie zwei klare Bergseen. Auch war sie sehr intelligent und weltgewandt. Doch der König konnte keine Freude an ihr haben, denn er fand keinen Bräutigam für sie, den zu nehmen sie bereit gewesen wäre. Ihre Ansprüche waren nämlich sehr hoch. Der Mann, der ihr Zukünftiger sein wollte, musste zuerst eine schwere Mutprobe bestehen.

In einem Tal, nicht weit weg vom Königsschloss, lebte in einer Höhle ein gewaltiger Riese. Jeden Abend verliess er seine Höhle, um sich Nahrung zu besorgen. Mit seinem riesigen Schatten legte er dabei Finsternis über das ganze Tal und versetzte so die Bewohner desselben in Angst und Schrecken versetzt, ob nicht sie selbst sein nächstes Mahl darstellten. Die Mutprobe bestand nun darin, dem Riesen seine Mütze wegzunehmen und sie der Prinzessin zu bringen. Doch um diese zu bekommen, müsste man ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, denn erschiessen nützte nichts, der Riese hatte den Ruf, unsterblich zu sein.

Schon mancher junge Mann war in das Tal geritten, doch alle waren sie wieder umgekehrt, als sie den gewaltigen Schatten sahen.

Eines schönen Tages ritt ein junger Bauernsohn auf seinem Maulesel zum Schloss. Er hatte von der Schönheit der Prinzessin gehört und konnte seither nicht mehr schlafen, entbrannt vor Liebe zu ihr. Als er vor den König gelassen wurde, sagte er: „Ihre Majestät, ich werde den Riesen besiegen und ihrer Majestät, der Prinzessin, die Kappe besorgen. Bereitet schon alles zur Hochzeit vor!“

Und so ritt er am folgenden Tag auf seinem Maulesel in das Tal hinein. Dort besuchte er die Dorfälteste und wollte etwas über den Riesen von ihr wissen. Auch hatte er gehört, sie hätte magische Kräfte.

Die Alte sprach zu ihm: „Mein Sohn, glaubst du wirklich, dir wird gelingen, was so viele vor dir vergeblich versuchten? Fühlst du dich mutig genug, wenn der Schatten über das Tal gleitet, nicht einfach wegzurennen, sondern dich dem Riesen zu stellen?“ Der junge Bauernsohn antwortete: „Ja, ich werde es schaffen, denn ohne die schöne Prinzessin ist mein Leben nichts mehr wert.“

Da sprach die Alte: „Nun gut, du scheinst die Fähigkeiten zu haben, um die Mütze zu erhalten. Ich will dir helfen.“ Und sie gab ihm einen Kranz aus Rosen, den er nur aufzusetzen brauchte und schon wäre er unsichtbar.

So setzte sich der Jüngling unter einen Baum und wartete dort, bis die Sonne genug tief stand, damit der Riese seine Höhle verliess. Schon bald war es soweit. Eine Finsternis, wie man sie in der dunkelsten Nacht nicht kennt, legte sich über das Tal. Eine Gänsehaut lief dem Jungen über den Rücken. Noch zögerte er, ob er es wirklich wagen sollte. Doch dann dachte er an die schöne Prinzessin, und mutig wagte er den Aufstieg zur Höhle. Als er oben war, legte er sich den Rosenkranz auf den Kopf und wartete in der Höhle auf die Heimkehr des Riesen. Inzwischen war es Nacht geworden. Doch der Riese kam nicht.

Plötzlich kam ein kleines Zwerglein auf die Höhle zu, in einem Körbchen trug es Beeren. Als es in die Höhle herein kam, nahm der Jüngling den Rosenkranz vom Kopf, so dass er wieder sichtbar wurde. Wie der Zwerg ihn sah, zuckte er zusammen und fing an zu zittern.

Da sagte der Jüngling zu ihm: „Hab keine Angst, ich tu dir nichts. Aber sag, wie kommt es, lieber Zwerg, dass du mich fürchtest, jedoch den Riesen nicht, der hier haust?“ Der Zwerg antwortete ihm: „Hier wohnt gar kein Riese, das alles ist ein Irrtum. Ich will es dir erklären. Früher lebte ich im Tal bei den Menschen. Doch weil ich so klein bin, haben sie mich immer gequält. Da habe ich Angst bekommen und bin in diese Höhle geflüchtet. Aber von irgendwas muss ich leben und so gehe ich abends, wenn niemand mehr hier heraufkommt, Beeren sammeln. Da die Sonne um diese Zeit sehr tief steht, wird mein Schatten aber so gross, dass er das ganze Tal bedeckt und die Menschen in Angst versetzt. Das tut mir leid, denn ich möchte sie nicht erschrecken, doch ich kann es nicht ändern, denn ich fürchte mich vor ihnen. Wenn ich am Tag meine Höhle verliesse, würde ich vielleicht einen treffen.“

Das verstand der Bauernsohn und er sagte zum Zwergen: „Hör zu, ich brauche unbedingt deine Mütze, um sie der Prinzessin zu bringen. Aber ich will dir auch helfen. Wie du siehst, tue ich dir nichts. Vor mir brauchst du dich nicht zu fürchten. Komm mit mir ins Schloss. Ich ernenne dich zu meinem Schatzmeister. Dort wird dir auch bestimmt niemand anders etwas tun.“

Der Zwerg war einverstanden, und so zogen die beiden los. Beim Schloss angekommen erklärte er dem König und der Prinzessin alles. Gleich am nächsten Tag wurde Hochzeit gefeiert und alle waren glücklich. Der junge Bauernsohn, der nun König war, liess die Alte, die ihm den Rosenkranz gegeben hatte, zum Schloss rufen. Sie hatte gewusst, dass hinter dem vermeintlichen Riesen nur ein Zwerg steckte. Zum Dank für ihre Hilfe durfte auch sie am Schlosshof bleiben, als Beraterin des Königs. Und so lebten sie noch viele Jahre glücklich und zufrieden.