Arthur Schnitzler: Die Traumnovelle

«So gewiss, als ich ahne, dass die Wirklichkeit einer Nacht, ja dass nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet.»

«Und kein Traum», seufzte er leise, «ist völlig Traum.»

Was ist Realität? Was Traum? Ist, was wir im Wachen erleben, unsere Wirklichkeit oder zeigt die sich im Traum, wenn das Denken ausgeschaltet ist und sich die unbewussten Regungen an die Oberfläche bewegen, sich da zeigen, wirken, sicht- und fühlbar werden, um dann wieder zu verblassen bei Erwachen, gar oft ganz zu verschwinden? Arthur Schnitzler ist nicht der erste, den diese Frage bewegt. Schon Georg Büchner hat sie aufgeworfen. Sein «Lenz» schwankt auch zwischen Wachen und Traum, fragt sich danach, was blosses Spiel und Rolle, und was Realität ist.

Fridolin und Albertine leben mit ihrer kleinen Tochter ein glückliches Leben. Sie sind innig verbunden, einander zugetan. Als sie eines Tages beschliessen, sich alles sagen zu wollen, bekommt die heile Welt Risse. Albertine erzählt Fridolin von einem Traum, der ihn verwirrt und verstört. Die traumhaften erotischen Fantasien seiner Frau stellen alles, was er bislang von ihr und ihrer Beziehung zueinander glaubte, in Frage. In einer inneren Aufgewühltheit streift er durch die Strasse, sucht nach eigener Befriedigung. Die Erlebnisse dieser Nacht hallen tief nach, doch sieht er seinen Verrat an der Ehe mit Albertine ungleich geringer als den Albertines, die ihm von einem weiteren Traum erzählt, wodurch für Fridolin ihr Betrug klar und ein weiteres glückliches Zusammenleben unmöglich erscheint. Er sinnt nach Rache, sucht nach Möglichkeiten dafür und will Albertine schliesslich alles erzählen.

Und über allem steht die Frage: Was ist wirklich Wirklichkeit? Was ist blosser Traum?

Gedanken zum Buch

Zum ersten Mal las ich die Geschichte im Rahmen meines Studiums, als ich es mir zur Aufgabe machte, für die Abschlussprüfung Schnitzlers Gesamtwerk zu lesen. Vom Professor mit hochgezogener Augenbraue gefragt, ob ich das nochmals überdenken wolle in Anbetracht des Umfangs, bestätigte ich die Wahl und habe das nie bereut. Beim Wiederlesen weiss ich, wieso: Die Sprache Schnitzlers ist von einer Schönheit, wie man sie in der heutigen Literatur nicht mehr findet. Sein Blick in die menschliche Psyche, sein Erzählen, das einen in das Unbewusste seiner Figuren eintauchen lässt, sind grossartig. Schnitzler vermag, einen den Menschen in seiner ganzen Seinsfülle sehen zu lassen, er konfrontiert mit den unbewussten Beweggründen des menschlichen Handelns und öffnet den Blick für das, was im Menschen vorgeht.

Es gelingt ihm dabei aber auch, ein Zeugnis seiner Zeit und der Gesellschaft zu liefern. Ohne den Moralzeigefinger zu schwingen weist er auf die Doppelmoral im menschlichen Denken und Urteilen hin, zeigt die Rollen, in welchen die einzelnen Figuren verstrickt sind, und hinterfragt deren Aufrichtigkeit. Auf diese Weise gelingt es ihm, den Menschen in seinem Sein an sich und im Miteinander zu präsentieren, wodurch der Leser immer auch auf sich selbst zurückgeworfen wird, indem er merkt, dass dies auch ihn selbst betrifft.

Schnitzler ist für mich ein sicherer Wert. Zu ihm kann ich immer greifen, wenn ich eine Leseflaute habe, wenn ich wieder eine sichere Lesefreude erleben möchte. Er enttäuscht mich nie.

Zum Autor

Arthur Schnitzler wird am 15. Mai 1862 in Wien geboren, besucht da das Gymnasium und studiert anschliessend Medizin. Er arbeitet erst als Assistenzarzt und in Kliniken, später eröffnet er eine eigene Praxis. Schon da ist er der Literatur zugewandt. Sein Leben war bewegt, viele Frauen säumten seinen Weg. Schrieb er anfänglich hauptsächlich Dramen, wandte er sich später mehr Erzählungen zu. Allen gemeinsam war sein Blick auf die Innenperspektive der Menschen, die psychologische Sicht auf ihr Leben. Schnitzler starb am 21. Oktober 1931 an einer Hirnblutung. Von ihm erschienen sind unter anderem Der Reigen, Fräulein Else, Das weite Land, ThereseAnatol.

Kurzes Porträt Arthur Schnitzlers: HIER