#abcdeslesens – M wie „Mondnacht“ (Joseph von Eichendorff

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Es ist eine Mondnacht, doch kommt der Mond nur im Titel vor, im Gedicht fehlt er gänzlich, und doch deutet er auf das Thema das Gedichts hin: Die Sehnsucht, das zentrale Thema der romantischen Lyrik. Wonach aber wird sich hier gesehnt?

Das Gedicht beginnt mit einem Kuss des Himmels zur Erde, welche im Blütenschimmer daliegt und vom Himmel träumt. Darin ist das Bild des nachweltlichen Paradieses ersichtlich, es zielt auf ein Leben nach dem Tod, welches so schön ist, dass man schon auf Erden davon träumt.

Die zweite Strophe lädt und in eine Idylle ein. Wogende Ähren, rauschende Wälder, Luft zieht durch die Felder – oder auch der Atem der Welt, der Lebensatem. Am Himmel sieht man die Sterne stehen, der Mond wird dabei sein und die Welt beleuchten.

Aus dieser Idylle heraus spannt die Seele ihre Flügel auf und fliegt durch das nachtstille Land, sie verabschiedet sich von diesem und geht dem Himmel zu – der Mensch stirbt. In diesem Gedicht erscheint der Tod nicht als bedrohlich, nicht mal als Ende. Er leitet ein Heimkommen dahin ein, wo die Seele hingehört. Die Seele tritt in diesem Bild in die Ewigkeit ein, in ein Leben nach dem Tod, wo sie nach Hause kommt, wo sie an ihrem Platz ist.

Es ist ein tröstliches Bild, eines, das Hoffnung weckt im Angesicht des Todes: Es ist nichts verloren, es ist nichts zu Ende. Der Tod ist ein Übertritt in eine bessere Welt, wohin diese eine Seele vorausgegangen ist. Irgendwann werden wir ihr alle folgen.

#abcdeslesens – I wie „Ich bin traurig“ (Else Lasker-Schüler)

Deine Küsse dunkeln, auf meinem Mund.
Du hast mich nicht mehr lieb.

Und wie du kamst -!
Blau vor Paradies;

Um deinen süsesten Brunnen
Gaukelte mein Herz.

Nun will ich es schminken,
Wie die Freudenmädchen
Die welke Rose ihrer Lende röten.

Unsere Augen sind halb geschlossen,
Wie sterbende Himmel –

Alt ist der Mond geworden.
Die Nacht wird nicht mehr wach.

Du erinnerst dich meiner kaum.
Wo soll ich mit meinem Herzen hin?

Eine Liebe ist zu Ende, die noch vor kurzem ausgetauschten Küsse sind schon nur noch in dunkler Erinnerung. Es gab mal andere Zeiten, paradiesische, süsse, herzerwärmende, sie sind vorbei. Das lyrische Ich muss den Schein aufrechterhalten, das Herz rot anmalen, da die Liebe es nicht mehr rot färbt. Das Leben ist halb gewichen, es fühlt sich an, als wären sie beide halb tot. Selbst der Mond, der die Nacht beschienen hat, ist alt geworden und damit schwach, er vermag seine Arbeit nicht mehr zu tun, die Nacht liegt dunkel. Während das lyrische Ich hadert, trauert, sich erinnert, fühlt es sich selber vergessen und weiss nicht mehr, wohin mit dem eigenen Herzen, da der, dem dieses so zugewandt war, weg ist.

Wieder ein Gedicht einer unglücklich liebenden, ein Thema, das sich wie ein Leitfaden durch Else Lasker-Schülers Werk zieht. Kein Wunder, war sie doch selber zeitlebens auf der Suche nach Liebe und dies nie wirklich auf Dauer glücklich. Es wollte ihr nicht gelingen, eine Lebensliebe zu finden, wozu sie durchaus auch einen Beitrag leistete, war sie in ihrer doch sehr eigenwilligen Art wohl nicht ganz einfach und auch als Mensch schwer fassbar.

„Spielen ist alles.“

Man könnte sagen, sie bog sich ihre Welt zurecht, wie sie sie wollte, sie selber sah es wohl ihrer Devise gemäss als ein Spiel, das Erdichten eines eigenen Leben, so dass dieses Leben selbst schon dichterisches Kunstwerk zu sein schien. Das fing mit dem Geburtstag an, ging mit dem Geburtsort und der Herkunft generell weiter, hin zu Rollenspielen und Übernamen (so zog sie in bunten Gewändern als Prinz Jussuf Flöte spielend durch die Strassen), wo es wohl noch lange nicht endete. Sicher keine einfache Ausgangslage für eine Liebe.

Als Leser sieht man sich einer Trauer ausgesetzt, die kaum einen Ausweg sieht. Das lyrische Ich ist in dieser Trauer gefangen und es hat keine Ahnung, wie es aus dieser wieder rauskommen soll. Wie oft fühlt man sich in einer solchen Trauer allein, gerade weil der, welcher eigentlich da sein sollte, weg ist, gerade durch diesen Verlust. Als Lesender, wenn man selber in einer solchen Situation steckt, kann das tröstlich sein. Man sieht, dass man zumindest mit diesem Gefühl des Alleinseins, mit dieser Trauer um eine verlorene Liebe nicht alleine ist. Da war jemand, der diese Gefühle so gut kannte und der es geschafft hat, diese in ein wunderbares Gedicht zu verweben.

Zur Autorin
Else Lasker-Schüler wurde am 11. Februar 1869 in ELbertfeld geboren. Schon früh konnte sie lesen und schreiben, es scheint ihr wurde das Talent in die Wiege gelegt. 1899 veröffentlichte sie erste Gedicht mit Styx folgte 1901 ihr erster Gedichtband. 

Wie viele andere Juden war auch Else Lasker-Schüler eine Vertriebene des Nationalsozialismus. Um ihr Leben fürchtend, ging ihr Weg zuerst nach Zürich, später nach dem von ihr sehr geliebten Jerusalem. Geblieben ist sie dort allerdings nicht aus freien Stücken, ihr wurde die Rückreise verwehrt. Aus dem einst geliebten Land wurde ein schwieriger Ort: Deutsch war eine verpönte Sprache, so dass sie neben der Heimat Deutschland und all ihren Freunden da auch noch die Heimat der Sprache verlor.  Else Lasker-Schüler starb am 16. Januar 1945 und wurde auf dem Ölberg in Jerusalem begraben. Sie hinterlässt ein umfangreiches lyrisches Werk, Erzählungen und Dramen.