Zitate aus Büchern: Joseph Roth, April

«Die Aprilnacht, in der ich ankam, war wolkenschwer und regenschwanger. Die silbernen Schattenrisse der Stadt strebten aus losem Nebel zart, kühn, fast singend gegen den Himmel.» Josef Roth, April. Geschichte einer Liebe

Was für ein Einstieg in eine Geschichte, was für eine Sprachschönheit, was für eine Kunst. Für mich ist das Literatur in ihrer schönsten Form, weil die Liebe zur Sprache förmlich spürbar ist. 

Habt einen schönen Tag!

Bücher meines Lebens – zum Weltbuchtag

«Denn ich ohne Bücher bin nicht ich.» Christa Wolf

Heute ist Welttag des Buches, damit irgendwie auch mein Tag, denn es geht mir wie Christa. Diese Liebe zu Büchern, die nun schon so viele Jahrzehnte anhält, ist die Konstante in meinem Leben. Bücher haben immer einen Halt gegeben, ein Zuhause war immer erst eines, wenn meine Bücher da waren. Bücher sind für mich Türen zu Welten. 

Jagoda Marinic hat die wunderbare Sendung «Bücher meines Lebens» auf Arte. Ich nehme das Konzept als Vorbild und präsentiere hier die Bücher meines Lebens, wohl wissend, dass dies eigentlich ein Unterfangen ist, das nie endgültig und abschliessend ist, da einige vielleicht wechseln, andere fehlen, weil es zu viele würden. Und doch ist die Auswahl hier durchaus richtig und wichtig. Die Reihenfolge ist dem Moment geschuldet, wie sie in mein Leben traten:

Thomas Mann: Doktor Faustus – ich habe im Rahmen meiner Masterarbeit 9 Monate mit Thomas Mann gelebt, seine Musik gehört, alle Bücher gelesen, Biografien, Filme, alles von und über ihn aufgesogen
Rainer Maria Rilke: Gesammelte Gedichte – ich habe das Buch geschenkt bekommen und wirklich jedes einzelne Gedicht gelesen und für mich durchdacht und «analysiert»
Hannah Arendt: Denktagebuch – diese Frau und ihr Denken haben mich immer fasziniert. 
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht – ein Klassiker einer Frau, die mich tief in ihren Bann gezogen hat
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims – dieses Buch war für mich der Augenöffner schlechthin, ich erfasste, wie meine eigene Reise weitergehen soll

Welches sind eure Lebensbücher?

Habt einen schönen Tag!

Inspirationen für die Woche – KW 16

Beim Gang durch die Welt schnappe ich immer wieder Dinge auf, die mich inspirieren, die mich bewegen, die mich begeistern. Diese möchte ich mit uns teilen. Vielleicht findet ihr etwas für euch dabei.

Folgende Bücher kann ich ans Herz legen, sie haben mich begeistert beim Lesen:

Michael Schmidt-Salomon: Die Evolution des Denkens

«Tatsächlich hat ‘das Genie’ mit der realen Person, die im Zentrum des Verehrungskults steht, oft wenig gemein… Hinter dem Kult verbirgt sich jedoch ein tiefes menschliches Bedürfnis: Wir brauchen Vorbilder, um uns in unserem Leben zu orientieren. Sie sind Teil unserer Identität, sagen uns, wer wir sind oder sein könnten.»

10 grosse Denker, ihr Leben und Schaffen im Blick, um daraus Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Michael Schmidt-Salomon zeigt, dass all die klugen Geister ihr mutiges und neugieriges Denken und Forschen, ihre Unabhängigkeit, ihr Sinn für Vernetzung und ihr offener Blick sowie der Umstand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, zu den Denkriesen machte, als die wir sie heute sehen. Was können sie uns also zeigen, was uns für unsere Zeit nützt? Ein sehr informatives, kurzweiliges, packendes Buch.

(Michael Schmidt-Salomon: Die Evolution des Denkens: Das moderne Weltbild – und wem wir es verdanken, Piper Verlag 2024)

Sarah Bakewell: Wie man Mensch wird

«Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches erachte ich als mir fremd.» Publius Terentius Afer

Sarah Bakewell rollt die Geschichte des Humanismus von Anfang an auf. Was heisst es, humanistisch zu denken und zu handeln? Worauf gründen Entscheidungen, was macht den Menschen aus? Ausgehend von der Idee, dass der Mensch im Kern gut sei, bildete sich vor über 700 Jahren eine Lebenshaltung aus, deren Ziel es ist, den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zum Menschen zu machen, der er ist: ein freies, glückliches, im Hier und Jetzt lebendes Wesen, dem das friedliche Miteinander am Herzen liegt, weswegen er auf Mitgefühl und Verantwortung setzt statt auf Gebote und Gesetze. Bakewell erzählt aus dem Leben verschiedener Literaten, Künstler, Denker und zeigt ihre Lebens- und Denkwege auf. Für mich etwas viel Geschichte und zu wenig Denken, was aber subjektiven Vorlieben geschuldet ist.

(Sarah Bakewell: Wie man Mensch wird: Auf den Spuren der Humanisten, C. H. Beck Verlag 2023)

Arthur Schnitzler: Die Traumnovelle

«So gewiss, als ich ahne, dass die Wirklichkeit einer Nacht, dass nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet.»

«Und kein Traum», seufzte er leise, «ist völlig Traum.»

Die Geschichte von Fridolin und Albertine, einem jungen Ehepaar mit einer kleinen Tochter, verbunden in einer innigen Beziehung, die Risse bekommt, als sie beschliessen, sich alles zu sagen. Die jeweiligen erotischen und Fantasien und Hoffnungen verwirren nicht nur jeden für sich, sondern führen auch zu emotionalen Abgründen miteinander. Was für eine Sprache, was für eine Welt, in die man da hineingerät: In die Tiefen des menschlichen Fühlens und Wünschen. Wo liegt die Wahrheit? Was ist wirklich gewollt, gelebt, was nur geträumt?

(Arthur Schnitzler: Traumnovelle – in verschiedenen Ausgaben, unter anderem SZ Bibliothek 2004)

Folgenden Podcast habe ich gehört:

Freiheit Deluxe mit Jagoda Marinić und Ilker Çatak

Hier geht’s zum Podcast

«Freiheit kommt mit Bewusstsein.» David Foster-Wallace (abgekürzt)

Ein Gespräch über Freiheit, über Ausgrenzung, darüber, ignoriert und ausgeschlossen zu werden. Es ist ein Gespräch über die blinden Flecken in der Gesellschaft, in welcher Exklusion schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass es nicht mehr auffällt – ausser, man ist betroffen. Es ist ein Gespräch darüber, wie wir mit mehr Bewusstsein unser Leben leben sollen, denn nur so sind wir frei. Und vieles mehr.

Das vollständige Zitat lautet:

„Die wirklich wichtige Art der Freiheit beinhaltet Aufmerksamkeit und Bewusstsein, Disziplin und Anstrengung, und die Fähigkeit, sich wirklich um andere Menschen zu sorgen, für Sie Opfer zu bringen, jeden Tag auf neue auf unzählige, kleine, unsittliche Arten und Weisen.“

Überhaupt möchte ich euch den Podcast von Jagoda Marinić ans Herz legen. Sie hat eine sehr warme, kompetente Art zu fragen und zuzuhören. Es sind Gespräche, die in die Tiefe gehen, die Persönliches ans Licht bringen und auch die Gesellschaft, wie sie ist, und unser Sein darin immer wieder hinterfragen.

In der ARD-Mediathek und bei SRF Play findet sich nun der von Daniel Kehlmann geschriebene Sechsteiler über Franz Kafka. Da kommt alles zur Sprache: Das Verhältnis zum Vater, die Beziehungen zu den verschiedenen Frauen, seine Freundschaft zu Max Brod – und vieles mehr. Ich bin sehr gespannt, ich habe die Serie noch nicht gesehen.

Hier geht’s zur Sendung

Zu Kafka werde ich in den nächsten Wochen sicher noch mehr schreiben.

Ich hoffe, ihr habt etwas gefunden, das euch anspricht. Wenn ihr Tipps für mich habt, immer nur her damit.

Habt eine gute Woche!

Elizabeth Strout: Am Meer

Inhalt

«»Ich war so traurig an diesem Abend; ich begriff mit einer Klarheit, wie nur zu wenigen anderen Zeiten meines Lebens, dass die Isolation meiner Kindheit, die Angst und die Einsamkeit, mich nie ganz loslassen würden. Meine Kindheit war ein einziger Lockdown gewesen.»

Als Covid ausbricht, bringt William, Lucy Bartons Exmann und noch immer bester Freund, diese aus der Stadt New York nach Maine, um sie vor dem Virus zu schützen. Was für ein paar Wochen geplant war, zieht sich hin. In einem Haus mit Meerblick verbringen sie den Lockdown, richten sich in einer Zweierbeziehung ein, die vor vielen Jahren wegen einer Affäre Williams zerbrochen ist.

Die Zurückgezogenheit von der Welt wird nur dann und wann durch Gespräche mit neugewonnenen Freunden oder Spaziergängen am Meer unterbrochen, dazwischen ist Lucy auf sich selbst zurückgeworden, es bleibt viel Zeit zum Nachdenken: Über die Vergangenheit, die eigene Herkunft, das Leben und den Gang der Welt. Ein Buch, das durch die Tage plätschert, Gedanken zum Nachdenken in den Lesefluss trägt und in dem man Seite für Seite tiefer in die Figuren und ihr Leben hineingesogen wird.

Gedanken zum Buch

«Auch das war also eine Tatsache. Er war immer noch William. Und ich war immer noch ich.
Aber wir waren auch sehr glücklich dabei. Das muss ich sagen.»

Menschen sind, wie sie sind. Sie werden sich zwar in gewissen Dingen verändern, doch darauf zu hoffen oder es gar zu erwarten, wäre ein Unding. Schlussendlich ist kein Mensch auf der Welt, um so zu sein, wie der andere ihn gern hätte, es ist an uns, mit einem Menschen, den wir mögen, ein Zusammenleben zu finden, das für beide funktioniert und beide in ihrem Sein respektiert und leben lässt.

«Wenn wir Glück haben, stossen wir auf jemanden. Aber wir prallen auch immer wieder voneinander ab, ein Stückchen zumindest.»

An einem anderen Menschen ist nie alles perfekt, es gibt immer diese kleinen Dinge, an denen wir uns stossen, über die wir uns ärgern. Oft sind es Kleinigkeiten und doch bringen sie in uns viel in Wallung. Lucy erinnert sich an Dinge von früher, an die kleinen Ärgernisse mit William, die nun, in der heutigen Situation, plötzlich anders auf sie wirken. Es kann sogar vorkommen, dass sie sich heute über die Dinge freut, die sie früher geärgert haben. Der Umstand, dass dies so ist, zeigt deutlich, dass es nicht die Dinge selbst sind, die ärgerlich sind, sondern wir es sind, welche sie so sehen. Vielleicht sollte man das im Hinterkopf behalten, wenn man sich wieder einmal über etwas ärgert.

«Die Frage, warum manche mehr Glück haben als andere – es gibt wohl keine Antwort darauf.

Sartre sagte, wir würden in die Welt geworfen und es sei an uns, diese dann für uns zu gestalten. Das mag einigen leichter fallen als anderen, nicht jeder ist mit den gleichen Talenten und Möglichkeiten ausgestattet. Fair ist das nicht, aber es ist alles, was wir haben. Es ist an uns, das Beste aus dem, was ist, zu machen.

«Woran liegt das, dass die Menschen so verschieden sind? Wir kommen mit einer bestimmten Veranlagung zur Welt, denke ich. Und dann treibt das Leben sein Spiel mit uns.»

Wie oft verurteilen wir Menschen, weil sie anders sind oder denken als wir, dabei ist es eine Tatsache, dass Menschen verschieden sind und dadurch auch die Welt um sich unterschiedlich wahrnehmen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, wird klar, dass sich ein Urteil über die Art eines anderen Menschen, nicht ziemt, vielmehr ist es für das gegenseitige Verständnis wichtig, zu versuchen, die Welt aus den Augen des anderen zu sehen.

«Merkwürdig, wie das Hirn sich weigert, gewisse Dinge aufzunehmen, bis es bereit dafür ist.»

Wie oft kommt es vor, dass man sich fragt, wieso man etwas nicht früher gemerkt, gesehen oder getan hat. Im Nachhinein scheint alles klar, nur damals war es dies nicht. Und vielleicht musste es so sein. Alles hat seine Zeit und für manche Dinge ist es zu früh oder zu spät. Wir können nie nachholen, was wir irgendwann verpasst haben, und vielleicht können wir auch nicht vorgreifen, wenn etwas schlicht noch nicht an der Reihe ist.

Fazit
Ein stilles Buch, ein Buch, das zum Mitfühlen und Mitdenken anregt. Ein Buch über Verluste, Wiederentdeckungen und die Liebe. Grosse Leseempfehlung!

Zur Autorin
Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Sie zählt zu den großen amerikanischen Erzählstimmen der Gegenwart. Ihre Bücher sind internationale Bestseller. Für ihren Roman »Mit Blick aufs Meer« erhielt sie den Pulitzerpreis. »Oh, William!« und »Die Unvollkommenheit der Liebe« waren für den Man Booker Prize nominiert. »Alles ist möglich« wurde mit dem Story Prize ausgezeichnet. 2022 wurde sie für ihr Gesamtwerk mit dem Siegfried Lenz Preis ausgezeichnet. Elizabeth Strout lebt in Maine und in New York City.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Luchterhand Literaturverlag (14. Februar 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 288 Seiten
  • Übersetzung :  Sabine Roth
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3630877488
  • Originaltitel ‏ : ‎ Lucy by the Sea

Suzie Miller: Prima Facie

Inhalt

«Ich kann nicht anders als mich zu fragen: Wie ist es möglich, dass ich hier bin? Niemand hatte je daran geglaubt, dass ich hier landen würde. Den ganzen Sommer über haben Erwachsene zu mir gesagt, wie viel ‘Glück’ ich hätte, ‘so eine Gelegenheit zu bekommen’, immer hoben sie mein Glück hervor, ohne anzuerkennen, wie hart ich dafür gearbeitet habe.»

Tess kämpft sich mit Ehrgeiz und viel Arbeit durch die sozialen Schichten, kann mit einem Stipendium in Cambridge studieren und später in eine angesehene Kanzlei in London eintreten. Sie merkt, dass sie aus einer anderen Klasse stammt, es wird ihr überall bewusst: «Weil man mir anmerkt, dass ich nicht hierher gehöre.»

Sie versucht, sich anzupassen, die Verhaltensweisen anzueignen, die es braucht, um dazuzugehören, und sie verschafft sich Respekt durch ihre Leistung und ihr Können. Alles läuft auf graden Schienen, bis ein einziger, verhängnisvoller Abend alles zunichtezumachen scheint und ihre ganze Welt aus den Fugen gerät. Was soll sie tun? Was steht auf dem Spiel? Ist sie bereit, den Preis für ihre Überzeugungen zu bezahlen?

Gedanken zum Buch

Es gibt Bücher, die gehen tief. Die bewegen, die erschüttern, die verstören. Sie dringen in dein Innerstes und wühlen es auf. Das ist mir mit diesem Buch so gegangen. Hatte ich am Anfang noch Mühe, reinzukommen, weil mir der Stil nicht entsprach – zu kalt, zu sachlich, zu erklärend, zu aufzeigend, zu wenig persönlich -, wurde ich nach und nach reingezogen, immer mehr, immer tiefer. Und ich merkte, dass genau dieser Stil am Anfang wichtig war. Er zeigte etwas, eine Haltung, eine Rolle, ein Konstrukt, das Risse bekam, das erschüttert wurde. Durch einen Abend. Durch ein Erlebnis. 

«Vielleicht sind Leute wie ich nur besonders empfänglich für diesen Ton, den Männer in Machtpositionen anschlagen, wenn sie an einem zweifeln. Es ist schwer zu erklären, wenn man die leichte Herabsetzung nicht selbst wahrnimmt.»

Suzie Miller hat einen Roman geschaffen, der die sozialen Unterschiede und die Klassenschranken in den Blick nimmt. Sie zeigt auf, wie verschieden die Lebenswirklichkeiten in unterschiedlichen Klassen aussehen, erzählt davon, welche Abgründe es zu überwinden gilt, will man sich in einer anderen Klasse als der der eigenen Herkunft bewegen. Es sind oft subtile Kleinigkeiten, und doch können sie ganze Lebenswege definieren.

«Prima facie- lat. Für dem Anschein nach, auf den ersten Blick.»

Das Buch gewährt Einblicke in das Rechtssystem und die diesem zugrunde liegenden Prinzipien und Strategien. Was für das Recht gilt, zieht sich aber oft auch durch das normale Leben. Recht und Leben wirken aufeinander, bedingen einander, beeinflussen sich gegenseitig. Wie oft urteilen wir danach, wie etwas auf den ersten Blick scheint? Wir gehen aus von den vorgefertigten Bildern in unserem Kopf, die meist ein Relikt einer jahrelangen Prägung durch ein System sind, in dem wir gross wurden und das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wir nehmen diese Vor-Verurteilung nicht mehr wahr, wir glauben, die Welt zu sehen, wie sie ist, und sehen doch immer nur die Welt, wie wir sie sehen, weil wir sind, wie wir sind, wie wir geworden sind.

Dieses Buch ist ein Augenöffner. Es zeigt, wie wir uns in Systeme hineinziehen lassen und sie oft fraglos übernehmen, weil uns die passenden Argumente, die sie stützen, gleich mitgeliefert werden und überzeugen. Es heisst nicht, dass diese Systeme grundsätzlich falsch sind, dass sie nicht eine Möglichkeit sind, wie die Welt gesehen werden kann, aber sie sind eben genau das: Eine Möglichkeit und nicht die absolute Wahrheit und einzige Sicht.

Am Schluss dieses Buches sassen die Tränen locker. Es ist ein Buch, das sich setzen muss, das nachhallt. Eine grosse Leseempfehlung.

Fazit
Ein wichtiges Buch, ein Buch, das aufzeigt, wie viel vom Patriarchat in unseren Systemen steckt und wie wir uns dem immer wieder unterwerfen. Sehenden Auges. Es zeigt, was es heisst, Mut zu haben, hinzustehen, aufzubegehren. Und wie wichtig es ist. 

Zur Autorin und zur Übersetzerin
Suzie Miller, geboren in Melbourne, hat Jahre lang als Strafverteidigerin gearbeitet, mit besonderem Augenmerk auf sexuellen Missbrauch. Ihr Stück, auf dem ihr Roman basiert, gewann alle großen Preise Australiens sowie den Olivier Award, die wichtigste Auszeichnung im britischen Theater. »Prima facie« ist ihr erster Roman.

Katharina Martl, geboren 1987, übersetzt aus dem Englischen und den festlandskandinavischen Sprachen. Sie lebt in München.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Kjona Verlag; 1. Edition (29. Januar 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 352 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3910372214
  • Originaltitel ‏ : ‎ Prima facie



Daniel Kehlmann: Lichtspiel

Inhalt

G.W.Pabst hat es geschafft. Er konnte Europa mit seiner Frau und seinem Sohn rechtzeitig verlassen und in den USA das tun, was er liebte: Filme machen. Der Erfolg hält nur kurz, zudem ist seine Mutter noch in Österreich und nicht bei bester Gesundheit. Mit seiner Familie reist er zurück, um die Mutter in ein Sanatorium zu bringen und dann – so gibt er vor – zurück in die USA zu gehen. Er bleibt, kommt in die Mühlen der Nazis, dreht fortan unter deren Augen. Der rote Pabst von einst plötzlich ein Nazizudiener?

Gedanken zum Buch
Daniel Kehlmann wollte keine Biografie schreiben, er schrieb einen Roman, den er um die Figur des Georg Wilhelm Pabst herum konstruierte. Interessiert hat ihn dabei, was möglich gewesen wäre, was vielleicht wirklich so stattgefunden hat, vielleicht auch nicht. Er erschafft also keine neue Welt, sondern durchforstet eine reale Welt nach ihren Möglichkeiten, die nicht immer verwirklicht worden sind. Es ist dabei nicht interessant, was wirklich passiert ist, zählen tut nur, ob die Welt, die Kehlmann konstruiert hat, in sich stimmig ist. Das ist ihm gelungen. In einer wortgewandten Sprache, in sprechenden Bildern, mit lebendigen Figuren zeichnet uns Daniel Kehlmann die Zeit von damals nach und lässt uns erfahren, was es heisst, sich in Fallstricken zu verfangen, aus denen man nicht mehr kommt.

«Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, was man will. Wichtig ist, Kunst zu machen unter den Umständen, die man vorfindet.»

Redet Pabst sich die Dinge schön? Sucht er eine Rechtfertigung für all die kleinen Entscheide, die ihn schlussendlich dahin brachten, wo er heute ist? Den Gegner des Naziregimes, den roten Pabst hatte man in eine Rolle gezwängt, die er nie hatte haben wollen, die er nun aber gezwungen war, auszufüllen. Zwar machte er keine Propagandafilme, aber er diente diesem System. Hatte er eine Wahl? Jetzt noch? Wo hätte er noch anders abbiegen können und war stattdessen den Weg hinein ins Verderben gefahren? Ist es an uns, zu urteilen, zu verurteilen? Vom sicheren Sofa aus, so viele Jahre später? Noch vor einigen Jahren wäre die Antwort wohl noch anders gewesen als heute. Wir stehen wieder vor Brüchen und Umbrüchen, vor Bewegungen, Spaltungen und latenten Gefahren, die an vielen Orten schon Realität geworden waren. Was tun wir heute? Wie viel unterscheidet uns von seiner Haltung damals?

Sicher ist: Seine Kunst stand für Pabst zuoberst. Ihr ordnete er alles unter, für sie fällte er Entscheidungen, die im Nachhinein ungünstig waren, bis er an einem Punkt angelangt war, von dem aus es kein Zurück mehr gab. Aus dem sicheren Exil kam er zurück nach Deutschland, setzte seine Frau und seinen Sohn dieser Atmosphäre aus und brachte alle in Gefahr – wenn er nicht spurte.

«Sie verkennen die Lage. Ich diskutiere nicht. Wenn Sie nur die geringste Idee hätten, was ihnen blühen kann, würden Sie es nicht mal versuchen.»

Der Regisseur Pabst, der keine Widerworte duldet, der bestimmt, wann ein Film gut ist und der Szenen immer wieder neu drehen lässt, ist selbst ind er Position, dass ein Nein nicht mehr gilt.

Fazit
Ein grossartiger Roman um den bekannten Regisseur Georg Willhelm Pabst, erzählt in einer wunderbaren Sprache und allen Zutaten, die Literatur gross machen. Für Puristen vielleicht ein paar Längen zu viel, für Epiker ein Hochgenuss.

Zum Autor
Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, wurde für sein Werk unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Sein Roman Die Vermessung der Welt war eines der erfolgreichsten deutschen Bücher der Nachkriegszeit, und auch sein Roman Tyll stand monatelang auf den Bestsellerlisten und gelangte auf die Shortlist des International Booker Prize. Daniel Kehlmann lebt in Berlin.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Buchverlag; 3. Edition (10. Oktober 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 480 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3498003879
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3498003876

Vernachlässigung von Kriminalromanen

«…Sie sind gewiss nicht ohne Gesellschaft bei Ihrem Wunsch, dass ‘man etwas gegen die Isolierung und Benachteiligung des Kriminalromans in den Buchbesprechungen tun könnte’.»*

Das schrieb Raymond Chandler im Januar 1944 an James Sandoe, seines Zeichens Kriminalromankritiker der New York Herald Tribune und Professor für Klassische Literatur und Bibliographie an der University of Colorado. Was die beiden umtrieb, hat sich bis heute nicht geändert: Der Kriminalroman wird von den Literaturkritikern mehrheitlich gemieden, wenn nicht gar verschmäht. Für sie – und sie sind damit nicht allein – gibt es verschiedene Arten von Schreiben: Das anspruchsvolle und das banale, das, woraus Literatur entsteht, und das, was blosse Unterhaltung und damit minderwertig ist.

„Wenn man da sagt, was dieser Mann schreibt, sei keine Literatur, könnte man ebensogut auch sagen, ein Buch, das einem Lust zum Lesen mache, könne nichts taugen.
Wenn ein Buch, gleich welchen Genres, eine gewisse Intensität der künstlerischen Darstellung erreicht, wird es Literatur. Diese Intensität kann sich im Stil zeigen, in der Situation, in den Charakteren, im inneren Ton oder in der Idee, oder in einem halben Dutzend anderen (sic!) Dingen.“

Nun gibt es durchaus Krimis, die in der Tat seicht und belanglos sind, die daherkommen wie nach einem vorgegebenen Raster und in Rekordzeit geschrieben. Es gibt aber auch die literarisch und sprachlich wertvollen, die inhaltlich und stilistisch anspruchsvollen, die durchdachten, durchkomponierten, die durchaus den Begriff Literatur verdienen. Und: Nicht alles, was als Literatur daherkommt, ist auch ein Meisterwerk schreiberischer Genialität.

«Die Franzosen sind das einzige Volk, das ich kenne, für die Schreiben in erster Linie Schreiben ist.»*

Oft sieht es auch so aus, als ob das, was sich gut verkauft, von vornherein abgewertet ist, kann es doch nicht für den höheren Geschmack bestimmt sein, wenn so viele es gut finden. Dass diesem Ansinnen eine unglaubliche Arroganz innewohnt, ist offensichtlich: Nur der auserlesene Kreis der Verstehenden ist in der Lage, so wirkt es zumindest, den wahren Wert von Literatur zu verstehen. Nur das erlauchte Grüppchen der Intelligenten weiss die hohe Literatur zu schätzen. Sobald es jeder versteht, kann es – so die scheinbar logische Folge – nur banal sein.

Ich zitiere in solchen Fällen immer gerne den wunderbaren Philosophen Harry G. Frankfurt:

«Bullshit!»

(Nun entspricht natürlich auch dieser Ausdruck nicht dem elaborierten Code der Bestimmer und Leser der gewählten Literatur, aber damit kann ich durchaus leben, zumal ich mich immerhin auf einen Philosophieprofessor berufen kann.

*zitiert nach Raymond Chandler: Die simple Kunst des Mordens, Diogenes Verlag, Zürich 1975.

Lesemonat Januar

Gerade erst sind wir ins neue Jahr gestartet und schon ist der erste Monat Geschichte. Ich bin unter spanischer Sonne ins neue Jahr genutzt, habe den Jahreswechsel dazu genutzt, Altes abzuschliessen und zu sehen, was ich mir vom Neuen erhoffe. Ich habe mir überlegt, was ich vom neuen Jahr will und mich darauf festgelegt – um am Schluss des Monats zu merken, dass das so nicht passt. Das meinte wohl Wilhelm Raabe mit seinem Ausspruch:

«Alles in der Welt geht in Wellenlinien. Jede Landstrasse und so weiter. Wehe dem, der überall ein Lineal anlegt.»

 Ich habe viel gelesen, nachgedacht, geschrieben, ich habe dabei neue Erkenntnisse gewonnen und eigentlich bekannte wieder hervorgeholt. Bei all dem habe ich viel über mich gelernt:

  • Ich lasse mich ungern beschränken, mache es aber manchmal selbst, nur um zu merken, dass ich es nicht mal dann mag. Ich habe zu viele unterschiedliche Interessen, um mich auf etwas festzulegen. Vielleicht meinte Simone de Beauvoir ihren Satz genau so: «Ich möchte vom Leben alles.»
  • Ich darf mir ruhig mehr zutrauen.
  • Ich muss nicht perfekt sein, ich bin gut so, wie ich bin. (das wird wohl ein lebenslanger Lernprozess)

Es war ein guter Monat, Spanien hat mir gutgetan und der Abschied fiel schwer. Mittlerweile bin ich wieder in der Schweiz angekommen, auch innerlich, und geniesse es, hier in eine andere Welt einzutauchen mit mehr Kultur, was ich auch sehr geniesse. Leider ist das Leben nicht nur bunt und hell, auch traurige Vorfälle bleiben nicht aus. Mit einem solchen endete dieser Monat, das wird noch eine Weile nachhallen. Was bleibt, ist die Dankbarkeit für das Gute in meinem Leben, und Hoffnung und auch Zuversicht, dass es ein gutes Jahr werden wird. Ich werde es auf meine Weise beschreiten.

Meine Bücher

Ich habe mich mit Mord und Totschlag durch den Monat bewegt, bin menschlichen Abgründen auf die Spur gekommen und dabei durch die verschiedensten Orte der Welt gekommen. Meine Highlights:

  • Nele Neuhaus: Eine unbeliebte Frau
  • Kristen Perrin: Das Mörderarchiv
  • David Baldacci: Long Shadows
  • Nicola Upson: Mit dem Schnee kommen der Tod
  • Josephine Tey: Der letzte Zug nach Schottland

Hier die vollständige Liste:

Kristen Perrin: Das MörderarchivAls junges Mädchen hört Frances von einer Wahrsagerin, dass sie einmal ermordet werden wird. Sie glaubt dieser Weissagung und ist auf der Hut, umso mehr, als ihre Freundin Emilie plötzlich verschwindet. Hatte das ihr gegolten? Als sie viele Jahre später wirklich ermordet wird, vermacht sie ihr grosses Vermögen zu einem Teil ihrer Nichte oder dem Neffen ihres verstorbenen Mannes – je nachdem, wer von ihnen den Mord aufklärt. Annie macht sich sofort auf die Suche, gerade die richtige Aufgabe für eine angehende Krimi-Schriftstellerin. Hinweise erhofft sie sich aus dem Tagebuch ihrer Tante, wodurch sie auch mehr über Emilies Verschwinden damals kommt. Die Suche nach dem Mörder bringt sie selbst auch in Gefahr. 5
Elizabeth George: Mein ist die RacheWas als romantisches Verlobungswochenende geplant war, wird du einer mörderischen Angelegenheit. Zuerst stirbt ein Journalist, der sich als Frauenheld einige Feinde gemacht hat, danach gibt es einen weiteren Toten, der Verdacht wandert vom einen zum anderen. Mittendrin noch eine Frau zwischen zwei Männern. grossartiger Spannungsbogen, stimmige und authentische Figuren, eine mitreissende Geschichte. 5
Elizabeth George: MeisterklasseDas Folgebuch zu „Wort für Wort“. Elizabeth George offenbart ihren persönlichen Schreibprozess von der Idee über die Recherche hin. zu ersten Entwürfen und deren Überarbeitung bis zum fertigen Buch. Sie macht mit Beispielen die Theorie anschaulich und bietet mit Übungen die Gelegenheit, das Gelesene auszuprobieren. 5
Nele Neuhaus: Eine unbeliebte FrauEin Oberstaatsanwalt bringt sich mit einer Ladung Schrott um, eine junge Frau stürzt sich von einem Turm. Schnell stellt sich heraus, dass sie keinen Selbstmord begangen hat, sondern umgebracht wurde. Die Suche nach dem möglichen Täter bringt eine Menge Feinde ans Licht, niemand scheint die Frau wirklich gemocht zu haben. Bodenstein und Kirchhoff müssen ihren ersten gemeinsamen Fall lösen und verlaufen sich dabei mehrfach, während sie Einsicht in immer tiefere Verstrickungen und Verbrechen gewinnen. Grossartiger Plot, stimmige Figuren, gut umgesetzt. 5
Ruth Ware: Zero days – abgebrochenDie Sprache hat mich nicht gepackt, im Gegenteil. Ich war nach kurzem so genervt, dass ich abbrach.
Sebastian Fitzek: MimikDie Mimikresonanzexpertin Hannah Herbst wird von einem gefährlichen Killer aus dem Gefängnis entführt. Er behauptet, sie habe ihre Familie brutal ermordet, es existiert sogar ein Video mit dem Geständnis. Nur: Sie kann sich an nichts erinnern und schwankt zwischen der Angst, es könnte stimmen, und der Überzeugung, dass alles ein Irrtum sein müsste. Das ganze Buch hängt an der zentralen Frage, viele Seiten erscheinen nur als Aufschieben der Antwort, ohne zur Spannung beizutragen. Dann häufen sich die Leichen, alles wird immer verworrener. Das Buch hat viele Schwächen und lässt doch nicht los. Leider ist die Auflösung dann doch sehr weit hergeholt und es bleibt ein leises Bedauern zurück. 3
C.J.Box: Blue HeavenAnnie und William, zwei Kinder, sehen, wie vier Männer einen fünften umbringen. Als die Männer bemerken, dass sie beobachtet werden, wollen sie die Zeugen aus dem Weg schaffen, doch es gelingt Annie und William, zu entkommen. Nur: Wo sollen sie hin? Und wem können sie trauen? 4
Nicola Upson: Mit dem Schnee kommt der TodDetective Chief Inspectro Archie Penrose wird von der Burgherrin auf die Insel St. Michael’s Mount eingeladen, um da an der Weihnachtsfeier, auf welcher für Flüchtlinge gesammelt werden soll teilzunehmen. Er bringt als Begleitung Josephine Tey und deren Freundin Martha Fox mit und ist zuständig für das Wohlergehen des Spezialgasts, Marlene Dietrich. Dass just an diesen Weihnachten auf der sonst so friedlichen Insel gleich zwei Morde geschehen, bringt alle durcheinander. Der Täterkreis ist beschränkt, da die Insel von der Aussenwelt abgeschlossen ist, nur: Wer war es, und: War das erst der Anfang?5
Günter Keil: Der Mörder im KopfInterviews mit Meistern der Spannungsliteratur, Autoren von Krimis und Thrillern über ihr Lieblings-Wc-Papier, politische Meinungen, Schreibprozesse, persönliche Interessen und mehr. Spannend, informativ, menschlich. 5
Sebastian Fitzek: Der HeimwegKlara will sich umbringen, denn sie hält das Leben mit ihrem gewalttätigen Ehemann nicht mehr aus. Aus verstehen baut sich bei ihrem Versuch ein Anruf zum Begleittelefon auf, dessen Nummer sie schon lange gespeichert hat. Jules bringt sie dazu, mit ihr zu reden, kann sie langsam von ihrem Vorhaben abbringen. Doch da ist noch die tödliche Gefahr, die auf sie lauert, weil ein Psychopath ihr angekündigt hat, sie umzubringen, wenn sie ihren Mann nicht verlässt. Auch ein Todesdatum hat er ihr genannt: Heute… Ein Katz- und Mausspiel, in welchem man bald nicht mehr weiss, wem man nun wirklich trauen kann, was Wahrheit, was Einbildung und was einer psychischen Krankheit entsprungen ist. Ein typischer Fitzek. 5
Simon Beckett: Versteckt. Dunkle GeschichtenDrei Kurzgeschichten, die in menschliche Abgründe leuchten. Etwas vorhersehbar, aber durchaus unterhaltsam. 3
David Baldacci: Long ShadowsEine Richterin aus Florida und ihr Bodyguard werden ermordet im Haus der Richterin. Ein neuer Fall für Amos Decker und seine neue Partnerin Francesca White. Decker, der keine Veränderungen mag, sieht sich mit zu vielen davon konfrontiert. Zudem erweist sich der Fall als komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Nicht nur sterben immer noch mehr Menschen, es gibt auch unterschiedliche Mordmethoden sowie eine Spur, die weit zurück in die Vergangenheit reicht. Und nichts will zusammenpassen.  5
Hubertus Borck: Die StrafeFranke Erdmann und Alpay Eloglu werden zu einem Brand gerufen. Es ist nicht der erste, doch langsam beschleicht sie die Ahnung, dass diese Brände keine Einzelfälle waren, sondern zusammenhängen. Die Frage ist nur: Wie und was will der Täter erreichen? Zudem: Wer steht noch auf seiner Liste? Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, ob sie den Mörder finden, bevor er sein nächstes Opfer anzündet. Anfangs eher schleppend und langatmig, mit wenig fassbaren Figuren, siegt die Neugier doch, die Antwort auf die offenen Fragen zu finden. Die Themen Sozialkritik und Klimabewusstsein wurden teils gut, teils etwas moralisierend verpackt.3.5
Josephine Tey: Der letzte Zug nach Schottland Als Inspektor Grant mit dem Zug nach Schottland fährt, um sich eine Auszeit zu nehmen, findet man im Abteil neben seinem eine Leiche. Nicht sein Business, Grant freut sich auf seine Zeit mit Fischen und Freunden. Doch da ist noch diese Zeitung, die er aus Versehen eingesteckt hatte, und die offensichtlich dem Toten gehört hatte. Auf ihr steht ein hingekritzeltes Gedicht. Was bedeutet es und wer war dieser Mann? Die Angelegenheit lässt Grant nicht los und schon bald steckt er mitten in Ermittlungen. Sehr literarische und poetische Sprache, bildhafte Beschreibungen und humorvolle Dialoge und Zwischenbemerkungen.
H.S.Palladino: Die den Schnee fürchten – abgebrochenEine Profilerin, die durch ein Fehlurteil ihre Stelle verloren hat und nun mit Drogenkranken und Wutgesteuerten arbeitet, hat Albträume und wird Zeugin eines Selbstmords, bei dem bald nicht mehr sicher ist, ob es wirklich einer war. Die Figuren bleiben blass, die Geschichte entwickelt sich nicht, sondern tritt an Ort, ich komme in keinen Lesefluss rein.

Nele Neuhaus: In ewiger Freundschaft

Inhalt

«Seit zehn Tagen, seit sie seine Karriere, ja, sein ganzes Leben zerstört hatte, antwortete sie nicht mehr auf seine Mails und ging auch nicht ans Telefon… Seine Angst und sein Selbstmitleid hatten sich allmählich in Verärgerung verwandelt, dann war der Zorn gekommen und schliesslich der Hass… Letzte Nacht hatte er beschlossen, sie zur Rede zu stellen.»

Die erfolgreiche Literaturkritikerin Heike Wersch ist tot. Nachdem sie die Literaturwelt zünftig durcheinander gewirbelt hat mit ihren destruktiven Aktivitäten, wird sie erschlagen und ihre Leiche im Wald entsorgt. Im Zentrum der Ermittlungen stehen bald sechs Menschen, die seit Kindertagen befreundet sind und um die sich ein düsteres Geheimnis rankt. Doch der Kreis der Verdächtigen weitet sich schnell aus, als sich zeigt, dass sich das Opfer mit seiner Art im Leben mehr Feinde als Freunde gemacht hat. Dann kommt es zu einem weiteren Mord im Kreis der Verdächtigen. Ist das erst der Anfang einer Reihe? Und: Was steckt dahinter?

Gedanken zum Buch
Es ist lange her, dass ich so gefesselt war von einem Buch wie hier. Wo ich ging und stand, hatte ich das Buch in der Hand, es kam sogar so weit, dass ich damit in der einen, mit der anderen im Kochtopf rührte.

«Mal ganz abgesehen vom Inhalt, ist dieser Text sprachlich absolut überzeugend. Der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufgebaut, man ist beim Lesen sofort dich an den Figuren dran und kann sich mit ihnen identifizieren. Die Dialoge sind lebendig und authentisch, der Text entwickelt einen unglaublich starken Sorg, man will unbedingt wissen, wie es weitergeht… Sie ist eine Meisterin der Cliffhanger und bläht Handlungen nicht unnötig mit Nebensächlichkeiten auf.»

Was Nele Neuhaus hier einer ihrer Figuren in den Mund legt, hat sie selbst erfüllt. Man könnte anbringen, dass die Spannung darum so stark zunehmen konnte, weil sie anfangs etwas fehlte, doch dann nahm das Buch wirklich Fahrt auf und liess nicht mehr los. «In ewiger Freundschaft» ist der elfte Fall für das Ermittlerteam Pia Sander und Oliver von Bodenstein, es ist aber trotz diverser Anspielungen auf das Vorleben der Ermittlercrew als erstes lesbar, wenn ich auch am Anfang arg mit den vielen Namen (und es sind wirklich sehr viele) kämpfte. Das mag aber meinem in der Tat miserablen Namensgedächtnis geschuldet sein. Das Personenverzeichnis am Anfang des Buches hat mir da gute Dienste geleistet. So etwas möchte ich gerne bei jedem Buch haben.

Krimis sind landläufig eher der seichten Literatur zugeordnet, sie überhaupt Literatur zu nennen, wird in den gehobenen Literaturkreisen oft mit einem Nasenrümpfen begleitet. Das und einiges mehr aus der Literaturszene greift das Buch selbst auf, neben diversen anderen Eigenheiten und Machenschaften im literarischen Betrieb, insbesondere im Verlagswesen. In meinen Augen sind solche Zuordnungen fragwürdig und unsinnig. Nele Neuhaus ist es gelungen, einen spannenden Plot aus einem wirklich packenden Kriminalfall und verschiedenen Nebensträngen aus dem privaten Leben der Ermittler zu entwerfen. Das Buch verspricht Unterhaltung und Leservergnügen von der ersten bis zur letzten Seite. Was will man mehr?

Fazit
Ein fesselnder Krimi mit einem undurchschaubaren Fall und authentischen Figuren, ein Buch, das man am liebsten in einem Zug durchlesen möchte.

Zur Autorin
Nele Neuhaus, geboren in Münster / Westfalen, lebt seit ihrer Kindheit im Taunus und schreibt bereits ebenso lange. Ihr 2010 erschienener Kriminalroman Schneewittchen muss sterben brachte ihr den großen Durchbruch, heute ist sie die erfolgreichste Krimiautorin Deutschlands. Außerdem schreibt die passionierte Reiterin Pferde-Jugendbücher und Unterhaltungsliteratur. Ihre Bücher erscheinen in über 30 Ländern. Vom Polizeipräsidenten Westhessens wurde Nele Neuhaus zur Kriminalhauptkommissarin ehrenhalber ernannt.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Taschenbuch; 10. Edition (23. September 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 528 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3548067100

Hilary Mantel: Sprechen lernen

Inhalt

«All diese Erzählungen sind aus Fragen über meine frühen Jahre entstanden, wobei ich nicht sagen kann, dass ich durch das Übertragen meines Lebens ins Fiktionale Rätsel gelöst hätte – aber zumindest habe ich einzelne Teile hin und her geschoben.»

In sieben Kurzgeschichten tauchen wir ein in das Leben der Arbeiterklasse im England in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Es ist die Welt, in der auch Hilary Mantel aufwuchs.

Es ist nicht immer leicht, über die eigene Kindheit zu schreiben, vor allem dann nicht, wenn diese kompliziert und voller Widersprüche ist. Hilary Mantel hat in sieben Kurzgeschichten versucht, die Welt ihrer Kindheit auferstehen zu lassen. In einer Mischung aus Erlebtem, Erinnertem, Gefühltem und Fiktionalem hat sie mit ihrer eindrücklichen Sprache und mit dem ihr eigenen Witz, der dazu dient, die Tragik noch klarer offenzulegen, die Stimmung ihres Aufwachsens einzufangen versucht. Es ist ihr auf eine eindrückliche Weise gelungen.

Gedanken zum Buch

«Ich möchte diese Geschichten nicht autobiografisch, sondern autoskopisch nennen. Aus einer entfernten, erhöhten Perspektive blickt mein schreibendes Ich auf einen auf seine bloße Hülle reduzierten Körper, der darauf wartet, mit Sätzen gefüllt zu werden. Seine Umrisse nähern sich meinen an, aber es gibt einen verhandelbaren Halbschatten.»

Hilary Mantel betont, dass es sich bei den vorliegenden Kurzgeschichten nicht um autobiografische Texte handelt. Die Frage stellt sich, wieso ihr diese Einordnung wichtig ist, scheinen die Texte doch an ihre Autobiografie «Von Geist und Geistern» anzuschliessen, diese zu ergänzen.

„Es war ein kaputter, steriler Ort ohne Bäume, wie ein Durchgangslager, mit der gleichen hoffnungslosen Dauerhaftigkeit, die solche Lager anzunehmen pflegen.“

Sie schildert das Geschehen aus der Perspektive von Kinderaugen auf die Erwachsenen, es ist zugleich der Blick zurück als Erwachsene auf das eigene Kindsein. Es gelingt Hilary Mantel, die Atmosphäre der Welt ihres Aufwachsens plastisch werden zu lassen, fast fühlt man sich beim Lesen mittendrin.

Schonungslos, scharfsichtig und ohne Sentimentalität zeichnet Hilary Mantel das Bild einer Gesellschaft, sie zeigt, wie die Leben der Erwachsenen, die der Kinder prägen und formen. Sie tut das in einer unglaublichen Sprachgewalt, die messerscharf und in passgenauen Bildern arbeitet. Sie zeigt auf, wie ein aufwachsender Mensch sich verändert, um sich vor dem, was um ihn passiert, zu schützen. Sie zeigt auf, wie im Nachhinein Erinnerungen verblassen und erst wieder scharf werden, wenn man sie bewusst hinterfragt.

Leider blieben die einzelnen Protagonisten der Geschichten seltsam blass, quasi auf Distanz. Das könnte dem Umstand geschuldet sein, dass sie doch nur als Stellvertreter für die eigentlich Erlebende dienten und ihnen dadurch zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde beim Schreiben. Dies aber nur eine Spekulation und Anmerkung am Rande.

Fazit
Eine sprachgewaltige Autoskopie, die ein Porträt einer Zeit und einer sozialen Schicht aufzeigt.

Autorin und Übersetzer
HILARY MANTEL, geboren 1952 in Glossop, gestorben 2022 in Exeter, England, war nach dem Jurastudium in London als Sozialarbeiterin tätig. Für ihre Romane ›Wölfe‹ (2010) und ›Falken‹ (2013) wurde sie jeweils mit dem Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Bei DuMont erschien außerdem u. a. die Autobiografie ›Von Geist und Geistern‹ (2015) und zuletzt der dritte Band der Tudor-Trilogie ›Spiegel und Licht‹ (2020).

WERNER LÖCHER-LAWRENCE geboren 1956, ist als literarischer Agent und Übersetzer tätig. Zu den von ihm übersetzten Autor*innen zählen u. a. John Boyne, Meg Wolitzer, Patricia Duncker, Hisham Matar, Nathan Englander, Nathan Hill und Hilary Mantel.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG; 1. Edition (15. August 2023)
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 160 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3832168162

Lesemonat November

Was für ein trüber Monat das war. Konnte ich das Grau in Grau der Welt anfangs noch leichtnehmen, schlug es mir mehr und mehr auf die Seele. Ich merke, wie es mich runterzieht, ich immer mehr kämpfen muss, um etwas Leichtigkeit im Alltag zu spüren. Dinge gehen mir näher, belasten mich mehr. Ich dachte, dieses Jahr verschont er mich, der Winterblues, doch er zeigt sich unerbittlich.

Ich habe diesen Monat eine Weile wenig gelesen, mit vielen Büchern (wie mit dem Winter) gekämpft. Dann kam wieder mehr Lesefreude auf, ich hoffe, ich kann sie in den Dezember mitnehmen. Das Genre wird sich mehrheitlich ändern, ich habe mich wieder Krimis zugewandt und tauche immer mal wieder mit Freude in Kinderbücher ein. Ich freue mich, wenn ihr mich auch auf dieser Lesereise weiterbegleitet. Nun aber erst mal zu meinen Novemberbüchern:

Ich bin mit Homeira Qaderi nach Afghanistan gereist und blieb erschüttert zurück nach dieser Lektüre, die mir die Augen öffnete über Zustände, die ich zwar geahnt, aber nie in dem Ausmass gekannt habe. Ich bin mit Lizzie Doron in die Welt von Rivi eingetaucht, habe Paul Austers Baumgartner beim Weiterleben nach dem Tod seiner Frau beigewohnt. Ich las, wie man auch nach einer schwierigen Kindheit die Möglichkeit hat, sein Leben in die Hand zu nehmen (Levithan/Niven) und schwelgte mit Ronja im Leseglück (was für eine wunder-wunder-wundervolle Geschichte). Mit Kwiatowski fing ich den Kaugummidieb und fuhr mit dem Zug nach Malma, um eine Familiengeschichte zu ergründen. Mit Milo habe ich das Zimmer aufgeräumt und daneben gelesen, wie man solche wunderbaren Bücher macht.

Hier die vollständige Liste:

Natalie Goldberg: Schreiben in Cafés. Kreatives SchreibtrainingEin Buch für alle, die schreiben wollen. Es geht mehr darum, ins Schreiben zu kommen, als eine technische Anleitung. Es ist ein motivierendes, persönliches, inspirierendes Buch mit vielen kleinen Tipps, die dazu führen, loszuschreiben, denn: Das wichtigste, um schreiben zu lernen, ist schreiben. – Eine Relektüre. Das erste Mal hat es mich mehr überzeugt, nun fand ich vieles zu esoterisch und «geplaudert». Trotzdem lesenswert.4
Homeira Qaderi: Dich zu verlieren oder michHomeira wächst in Herat, Afghanistan auf. Als Mädchen in einem rückständigen, konservativen, Frauen diskriminierenden Patriarchat lernt sie schnell, dass sie als Mädchen keine Rechte hat, dass sie als Mädchen nicht zählt. Als die Taliban ihr auch noch das Liebste nehmen, die Bücher und die Möglichkeit, zur Schule zu gehen, zeigt sich endgültig ihr Kampfgeist. Sie will sich diesem System nicht unterordnen. Dieser Widerstand führt zu einigen gefährlichen Situationen für sie und ihre Familie. Schlussendlich kann sie sich nicht mehr widersetzen, das Leben der ganzen Familie steht auf dem Spiel. Homeira wird verheiratet. Kurz scheint doch alles einen guten Lauf zu nehmen, doch dann wird alles noch schlimmer.4
Terézia Mora: Muna – abgebrochenDie Geschichte klang vielversprechend, eigentlich war der Anfang auch interessant, aber die endlosen Beschreibungen von Abschmink-, Massage- und anderen Programmen, zusammen mit anderen eher langweiligen Ausführungen haben mich gleich verloren. 
Jesse Falzoi: Creative Writing. Texte und Bücher schreiben16 Lektionen hin zum Schreiben eines Textes oder gar eines Buches. Es geht über die Entwicklung eines Plots über die des Protagonisten bis hin zum stimmigen Aufbau, alles mit Übungen zur praktischen Umsetzung sowie Ideen, wie man ins Schreiben kommt. 4
Lizzie Doron: Nur nicht zu den LöwenRivis Haus, in dem sie ihr Leben lang wohnte, wird abgerissen, sie muss raus. Sie fängt an zu schreiben. Sie schreibt Briefe an Menschen, die ihr Unrecht taten, schreibt über ihre Erinnerungen, ihre Herkunft, ihr Leiden, ihre Einsamkeit. Und sie kämpft. Gegen den Abbruch, dagegen, Opfer zu sein. Und immer liegt über allem die Möglichkeit, dass alles viel schöner war, als sie sich erinnert, und vielleicht kommt es auch schöner, als sie befürchtet.
Nach anfänglichem Kampf und Fast-Abbruch nahm das Buch Fahrt auf und zog mich in seinen Bann. 
4
Paul Auster: BaumgartnerFast zehn Jahre ist es her, dass Baumgartners Frau Anna gestorben ist. Zehn Jahre, in denen er scheinbar wie früher weiterlebte, und doch war nichts mehr wie früher. Baumgartner stürzt sich in die Arbeit, in immer neue Buchprojekte. Er liest alte Dokumente von Anna, erinnert sich an sie, ihre gemeinsame Geschichte, an das Leben, als es noch seines war. Eines Tages träumt er von Anna. Fast scheint ihm, der Traum wäre Wirklichkeit. Nach diesem Traum ist alles anders. Nun fühlt er sich frei, sein eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen. 4
David Levithan, Jennifer Niven: Nimm mich mit dir, wenn du gehstBea und Ezra wachsen bei ihrer Mutter und dem gewalttätigen Stiefvater Darren auf. Gewalt und Abwertungen sind an der Tagesordnung. Eines Tages ist Bea verschwunden. Keiner weiss wohin. Bis sie via Mail mit Ezra Kontakt aufnimmt. Im Mailaustausch kommen mehr und mehr die Schrecken des Aufwachsens zur Sprache, das Schreiben dient dem Erinnern, der Erkenntnis, dem Herausfinden, wer Bea und Ezra sind und was sie vom Leben erwarten (können und wollen). Und über allem steht immer die Frage: Wie geht es nun weiter? Wohin führt der Weg in Freiheit?4
Astrid Lindgren: Ronja RäubertochterRonja, die Tochter des grossen Räuberhäuptlings Mattis, kann sich nichts schöneres vorstellen, als im Wald herumzutoben. Sie kennt die Gefahren und stellt sich ihnen mutig entgegen. Eines Tages trifft sie auf Birk, den Sohn der gegenerischen Räuberbande. Das Verbot, einander sehen zu dürfen, wollen die beiden Räuberkinder nicht hinnehmen. Gemeinsam brechen sie in ein eigenes Leben auf. Damit stellen sie nicht nur ihr eigenes Leben auf den Kopf, sondern auch das der beiden Räuberbanden. Und: So ein Leben allein in der Wildnis ist gar nicht so einfach. 5
Kathleen Glasgow: How to make friends with the dark – abgebrochenTiger wächst bei ihrer Mutter auf. Obwohl die finanziellen Verhältnisse prekär sind, kommen sie immer klar, sie sind ein eingeschworenes Team. Als Tiger in einer Schublade versteckt Mahnungen findet, wird sie unsicher. Zudem ärgert sie sich immer mehr über deren Kontrollwahn, bis es zu einem Streit kommt. Und dann ist die Mutter tot. Tiger fühlt sich allein in dieser Welt.
Die Sprache zog mich nicht ins Buch, zudem ist es zu episch, zu langatmig, und müsste verdichtet werden. 
Michael Wrede, Annabelle von Sperber: …und dann? Wie Kinderbücher Gestalt annehmenWie entsteht eigentlich ein Kinderbuch? Welche Arten gibt es, was zeichnet sie aus? Wie sieht der Schreib- und Gestaltungsprozess aus und wie wird aus einer Geschichte schlussendlich ein Buch? Diese und weitere Fragen werden in diesem wunderschön gestalteten Buch behandelt. 5
Jürgen Banscherus: Ein Fall für Kwiatkowski. Die KaugummiverschwörungOhne Milch und seine Lieblingskaugummis geht gar nichts bei Kwiatkoski. Als diese plötzlich regelmässig aus dem nahegelegenen Kiosk gestohlen werden, kann er das nicht auf sich beruhen lassen: Er hat einen neuen Fall.
Kurzweilig, witzig und liebenswert.
5
Alex Schulman: Endstation Malma (r)Ein Mädchen fährt mit seinem Papa im Zug nach Malma. Ebenso tut es ein Ehepaar, welches Glück nur noch im Präteritum kennt, und eine junge Frau, die Antworten auf ihre Fragen sucht. *Endstation Malma», das sind drei Geschichten, die sich wie drei Stränge zu einem Zopf verbinden. Dreimal fahren wir als Leser mit den Protagonisten nach Malma, dreimal werden Zeugen von Beziehungen, ihren Tiefen und Abgründen und ihren Dynamiken. Wir nehmen Teil am Leben einzelner Menschen und machen uns mit ihnen auf die Suche nach den Antworten auf ihre brennenden Lebens-Fragen.4
Ole & Paul: UnfairMilo muss sein Zimmer aufräumen und er findet das unfair. Er steigert sich förmlich in dieses Gefühl hinein. Ein Spielzeugritter will ihn mit Tadel und guten Argumenten belehren und zur Vernunft bringen. Damit kommt er bei Milo nicht weit. Da mischt sich das Schlaf-Schaf ein. Es zeigt Milo, dass jeder einen anderen Blick auf die Welt hat und jeder seine eigenen Schwierigkeiten mit sich trägt. Es ist manchmal gar nicht einfach, zu sagen, was fair und was unfair ist. Und gibt es schlussendlich nicht etwas, das über allem steht und viel wichtiger ist?4

Alex Schulman: Endstation Malma

Inhalt

«Diese legendäre Zugfahrt! Erzähl noch mal, wie das war! Sie haben die Geschichte so oft wiederholt, voreinander wie auch vor anderen. Einmal hat sie gesagt, sie wisse allmählich selbst nicht mehr, was daran stimme und was nicht, Oskar dagegen erinnert sich an alles.»

Ein Mädchen fährt mit seinem Papa im Zug nach Malma. Ebenso tut es ein Ehepaar, welches Glück nur noch im Präteritum kennt, und eine junge Frau, die Antworten auf ihre Fragen sucht. *Endstation Malma», das sind drei Geschichten, die sich wie drei Stränge zu einem Zopf verbinden. Dreimal fahren wir als Leser mit den Protagonisten nach Malma, dreimal werden Zeugen von Beziehungen, ihren Tiefen und Abgründen und ihren Dynamiken. Wir nehmen Teil am Leben einzelner Menschen und machen uns mit ihnen auf die Suche nach den Antworten auf ihre brennenden Lebens-Fragen.

Gedanken zum Buch

«Harriet sucht nach Anzeichen von Verärgerung in seinem Blick oder in seinen Bewegungen. Heute achtet sie besonders darauf, denn dass sie diese Reise unternehmen, liegt an ihr, sie fühlt sich deshalb in ihrer Schuld. Nur ihretwegen steht Papa jetzt dort, sie trägt die Verantwortung dafür…»

Nach der Trennung der Eltern bleibt Harriet bei ihrem Vater, ihre Schwester geht mit ihrer Mutter fort. Harriet weiss, dass ihr Vater auch lieber ihre Schwester bei sich gehabt hätte, sie hörte es bei einem Streit der Eltern. Harriet hat Mitleid mit ihrem Vater, weil er sich mit ihr abfinden musste, und sie versucht fortan, ihm alles recht zu machen. Sie fühlt sich verantwortlich für seinen Schmerz, seine Probleme, und auch dafür, wenn die Welt für ihn nicht rund läuft.

«Da haben wir sie, in all ihrer Pracht, die grossartige Geschichte, wie sie sich kennenlernten. Immer haben sie sie als etwas durch und durch Romantisches erzählt. Doch jetzt, angesichts der Ereignisse am Abend zuvor, fällt Oskar plötzlich auf, dass ihre Geschichte genauso begonnen, wie sie geendet hat: mit einer Lüge.»

Max Frisch sagte einst, wir erzählen uns Geschichten, die wir dann für unser Leben halten. So geht es auch unserem Paar in dieser Erzählung. Sie lebten ein (gemeinsames) Leben und haben verschiedene Versionen von Geschichten. In glücklichen Zeiten waren es romantische, jetzt, im Angesicht der Krise, sind es ernüchternde. Die Frage ist schlussendlich: Welches ist  die richtige Geschichte? Gibt es überhaupt diese eine richtige Geschichte oder erzählen wir Geschichten je nach Stimmungslage und Situation anders? Sind vielleicht alle Versionen richtig, weil sich ein Leben nur durch einen Kontext erfahren lässt, welcher der Geschichte und dem Leben eine Form und einen Sinn gibt? Was passiert, wenn wir uns unsere Geschichten bewusst anders erzählen, als sie sich aktuell richtig anfühlen?

«Sie dachte wieder an ihre Mutter. Seit Jahren hatte sie keinen Gedanken an sie verschwindet. An dem Tag, an dem sie vor zwanzig Jahren aus ihrem Leben getreten war, hatte sie beschlossen, sie auszuradieren… Doch jetzt erschien sie ihr plötzlich in neuen Erinnerungsbildern, die ihr keine Ruhe liessen.»

Wir neigen oft dazu, unliebsame Erinnerungen aus dem Gedächtnis zu streichen. Wir verdrängen das Schmerzhafte, lassen nur dem Schönen Platz, um das Schwere aus der Vergangenheit nicht in die Gegenwart tragen zu müssen. Meist gelingt das nur vordergründig. Tief drin wirkt die Vergangenheit weiter, sie setzt sich fest, treibt ihr Unwesen im Unbewussten und bricht irgendwann wieder hervor. Nicht selten dann mit einer Gewalt, die vieles durcheinander wirbelt.

«Nur ein einziges Mal im Leben geschieht es, dass man einen Blick auf sich selbst erhascht. Und dies, und nur dies, wird entweder zum glücklichsten oder zum schrecklichsten Moment des eigenen Lebens.»

Drei Lebensgeschichten, eine Zugfahrt. Dass die drei Erzählstränge zusammenhängen, ist von Anfang an offensichtlich. Das tut der Spannung keinen Abbruch, da jede Geschichte viele offene Fragen mit sich bringt: Was haben die Protagonisten erlebt, wie wurden sie, wer sie sind, und wie hat die eine Geschichte die andere geprägt. Im Zentrum steht immer die Grundfrage, wie Verhaltensweisen, Muster und Eigenschaften in Familien weitervererbt werden. Für die Antworten dieser Fragen gilt: Einsteigen, Platz nehmen, lesen.

Das Buch scheint in seinem Erzählfluss das Thema aufzugreifen. Wie eine Dampflokomotive fährt die Geschichte schnaubend, etwas zäh an, nimmt dann mehr und mehr Fahrt auf, um schlussendlich mit Volldampf aufs Ende zuzusteuern.

Fazit

Ein tiefgründiger, vielschichtiger Roman darüber, wie Familien und Beziehungen prägen. Bewegend, warmherzig, zum Nachdenken anregend.

David Levithan, Jennifer Niven: Nimm mich mit dir, wenn du gehst

Inhalt

«Vielleicht hatte ich einfach genug davon, immer alle zu enttäuschen. Hatte die Nase voll davon, dass jeder von mir zu erwarten schien, ich würde eines Tages genau das tun, was ich jetzt getan habe – einfach verschwinden. »

Bea und Ezra wachsen bei ihrer Mutter und dem gewalttätigen Stiefvater Darren auf. Gewalt und Abwertungen sind an der Tagesordnung. Eines Tages ist Bea verschwunden. Keiner weiss wohin. Bis sie via Mail mit Ezra Kontakt aufnimmt. Im Mailaustausch kommen mehr und mehr die Schrecken des Aufwachsens zur Sprache, das Schreiben dient dem Erinnern, der Erkenntnis, dem Herausfinden, wer Bea und Ezra sind und was sie vom Leben erwarten (können und wollen). Und über allem steht immer die Frage: Wie geht es nun weiter? Wohin führt der Weg in Freiheit?

Gedanken zum Buch

««Ist bei euch zu Hause irgendetwas vorgefallen? Gibt es Probleme?»

Da verliess mich meine Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit. Ich konnte ja schlecht antworten: Bei uns zu Hause gibt es immer Probleme. Das wäre ja wie eine Einladung gewesen, bei mir noch weiter nachzuhaken. Und dann hätte ich noch mehr Probleme bekommen.»

Kinder, die zu Hause Gewalt erleben oder in prekären Verhältnissen aufwachsen, schämen sich oft dafür. Die Täter müssen ihnen oft nicht mal einbläuen, nach aussen den Schein zu wahren, die Scham und oft auch Schuldgefühle, selbst der Grund für diese Zustände zu sein, hindern sie am Reden. Und dann ist da noch die Angst: Angst, es könnte noch schlimmer werden, wenn jemand von all dem erfährt. Angst, dass die Gewalt sich potenziert und sich noch mehr auf ihnen entlädt. Diese Angst kann nur weniger werden, wenn sie lernen, zu vertrauen. Wenn sie merken, dass es Menschen gibt, die nichts Böses wollen, die da sind, die gut sind. Dabei ist Gewalt nie nie nur äusserlich, sie dringt tief in die Kinderseele ein und richtet da viel Unheil an. 

«Im Hinterkopf habe ich immer diesen fetten, nagenden Zweifel, der mir zuruft: Das schaffst du nicht. Du wirst scheitern. Du wirst immer bei allem scheitern, egal, was du tust, denn so ist es mit dir, das bist du, du bist eine Versagerin, eine Loserin, ein Nichts.»

Wenn ein Kind oft und lange hört, was es alles falsch macht, dass es zu nichts taugt, dass es nichts wert ist, brennt sich das ein. Die realen Stimmen mögen aus dem Leben verschwunden sein, doch sie wirken tief drin weiter. Sie setzen sich in Glaubenssätzen fest, die immer wieder auftauchen, die sagen: «Du bist nicht genug, du schaffst das nicht.“

«Wenn du daran gewohnt bist, dass alle Menschen mies mit dir umgehen, fällt es dir schwer, damit klarzukommen, wenn jemand einfach nur nett zu dir ist. Deine instinktive Reaktion ist dann, alles kaputtzumachen. Davonzurennen.»

Vertrauen bildet sich in der Kindheit. Das Aufwachsen in einem liebevollen Umfeld hilft dabei, einerseits Selbstvertrauen aufzubauen, andererseits auch auf andere Menschen zu vertrauen. Fehlt beides, steht man oft auf unsicherem Boden. Man zweifelt an sich und der Welt, kann kaum glauben, dass jemand einen liebt, dass jemand bei einem bleibt. Der möglichen Enttäuschung kommt man gerne zuvor, indem man selbst aus Beziehungen und Situationen flieht, bevor man gehen muss, weil der andere einen wegstösst.

Mit all dem hat vor allem Bea zu kämpfen, aber auch Ezra ist betroffen. Wir begleiten die beiden Jugendlichen auf ihrem Weg in ein eigenes Leben, das frei ist von all der Gewalt und seelischen Grausamkeit ihres Aufwachsens. Wir begleiten zwei junge Menschen dabei, herauszufinden, dass es möglich ist, auszubrechen und das eigene Leben in die Hand zu nehmen.  

Fazit
Ein packendes Buch zu einem wichtigen (und schwerwiegenden) Thema, das gerade bei Betroffenen viel auslösen kann. Darum: Eine Triggerwarnung ans Ende des Buchs zu stellen, ist etwa gleich sinnvoll wie ein Regenschirm, der einen zu Hause erwartet nach einem Spaziergang im strömenden Regen. Aber auch ein Buch, das Mut macht, das Hoffnung gibt, weil es Wege aufzeigt, weil es zeigt, dass viel möglich ist. Trotzdem.

(Jugendbuch, ab 14 Jahren)

Paul Auster: Baumgartner

Inhalt

«Sie fehlt mir, das ist alles. Sie war die Einzige auf der Welt, die ich jemals geliebt habe, und jetzt muss ich herausfinden, wie ich ohne sie weiterleben kann.»

Fast zehn Jahre ist es her, dass Baumgartners Frau Anna gestorben ist. Zehn Jahre, in denen er scheinbar wie früher weiterlebte, und doch nichts wie früher war. Baumgartner hält nur den Schein aufrecht, er stürzt sich in die Arbeit, in immer neue Buchprojekte. Anna war Dichterin und Übersetzerin. Eines Tages geht er in ihr Arbeitszimmer, das bis heute aussieht, wie sie es verliess. Er findet ihre Manuskripte, liest sie. Er erinnert sich an Anna, an ihre gemeinsame Geschichte, an das Leben, als es noch seines war. Das Leben gibt es nicht mehr, ein neues stellt sich nicht ein. Bis er eines Tages von Anna träumt. Nach diesem Traum ist alles anders. Nun fühlt er sich frei, sein eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen. Wohin es ihn wohl führen wird?

Gedanken zum Buch

«…Zeit ist jetzt das Wesentliche, und wie soll er wissen, wie viel ihm noch bleibt. Nicht nur, wie viele Jahre, bis er ins Gras beisst, sondern wichtiger, wie viele Jahre tätigen, produktiven Lebens, bevor sein Geist oder sein Körper oder beide ihn im Stich lassen und er zu einem schmerzgepeinigten, verblödeten Trottel wird, der nicht mehr lesen und schreiben kann, der vergisst, was vor vier Sekunden jemand zu ihm gesagt hat, und schlicht keinen mehr hochkriegt, ein Horror, an den er gar nicht denken will.»

Professor Seymor T. Baumgartner, so heisst unser Held, ist Pragmatiker. Er geht durchs Leben und sucht nach Lösungen für alles, was ansteht. Wir begleiten den Phänomenologen durch seinen Alltag, folgen ihm bei seinen Erinnerungen durch seine Kindheit, sein Aufwachsen, seine Beziehung mit Anna, und sind schliesslich Zeugen seines Umgangs mit deren Tod. Er ist älter geworden. Er vergisst Dinge, Missgeschicke passieren. All dem begegnet er mit Selbstironie. Er nimmt sich selbst nicht zu ernst. Damit kommt er mit allem gut zurande, nur mit einem nicht: Dem Verlust von Anna.

«Er denkt an Mütter und Väter, die um ihre toten Kinder trauern…, und wie sehr ihr Leid den Folgeerscheinungen einer Amputation gleicht, gehörte doch das fehlende Bein oder der fehlende Arm einmal zu einem lebenden Körper, wie der fehlende Mensch einmal zu einem anderen lebenden Menschen gehörte…»

Nachdem er schon viele philosophische Bücher geschrieben hat, befasst er sich aktuell mit Kierkegaard. Das ist wohl kein Zufall, handelt doch eines von dessen berühmtesten Werken von Krankheit und Tod. Baumgartner versucht, den Verlust seiner geliebten Frau wissenschaftlich zu erfassen, er zieht den Vergleich mit einer Amputation und dem Phantomschmerz, den der Betroffene sein Leben lang fühlt. Das Gefühl, dass ihm eine Hälfte (und wohl im wahrsten Sinne des Wortes die bessere) wegfiel und ihn unvollständig zurückliess, lässt nicht nach.

Knapp zehn Jahre nach Annas Tod träumt er einen Traum, in dem Anna lebt und zu ihm spricht. Obwohl er weiss, dass dies alles nicht Realität ist, hat es auf ihn eine Wirkung: Er ist frei für ein Weiterleben. Musste er sich zuerst all den Erinnerungen stellen, um an den Punkt zu kommen? Brauchen gewisse Dinge einfach ihre Zeit, die für jeden Menschen anders sind?

Fazit
Grossartige Literatur von einem wahren Meister seines Fachs. Das Buch ist still und leise, nie pathetisch, ohne Kitsch und Sentimentalität. Obwohl das Thema traurig ist, Baumgartner eigentlich ein Leidender, besticht das Buch durch eine Leichtigkeit, eine Hoffnung, die zwischen den Zeilen mitschwingt, dass das Leben doch gelebt werden will und soll und es auch wird. Wie nur soll so ein Buch enden? Auch das ist Paul Auster wunderbar gelungen. Ich ziehe meinen Hut!

Lizzie Doron: Nur nicht zu den Löwen

Inhalt

«Ich wollte, dass man versteht, dieser Ort ist nicht nur ein Zuhause, es ist eigentlich ein Museum, oder wenn Sie so wollen, eine Gedenkstätte für alles, was mir im Leben passiert ist. Und noch passieren wird.»

Rivis Haus, in dem sie ihr Leben lang wohnte, wird abgerissen. Sie verliert ihr Zuhause, sie muss raus. Rivi fängt an zu schreiben. Sie schreibt Briefe an Menschen, die ihr Unrecht taten, schreibt über ihre Erinnerungen, ihre Herkunft, ihr Leiden, ihre Einsamkeit. Und sie kämpft. Gegen den Abbruch, dagegen, Opfer zu sein. Doch bei all dem Leiden liegt die Möglichkeit, dass alles viel schöner war, als sie sich erinnert. Und wer weiss, vielleicht wird die Zukunft auch schöner, als sie im Moment befürchtet. 


Gedanken zum Buch

«Ich war ein Mädchen, das die meiste Zeit schwieg, doch tatsächlich wollte ich mein ganzes Leben lang reden, wollte nichts lieber als das. Und jetzt kommt der Tag, und ich rede, oder schreibe vielmehr.»

Rivi hat lange das gemacht, was andere für sie bestimmt haben. Sie liess sich – auf eine manchmal fast erzürnend naive Weise – umherschieben, an der Nase herumführen und hinhalten. Sie spielte das Spiel der Männer mit, die mit ihr ein leichtes hatten. Nun ist der Moment, das zu ändern. Die Aussicht, dass ihr Zuhause abgerissen werden soll, dass sie fremden Bestimmungen weichen muss, weckt ihre Widerstandskräfte, lässt sie endlich ihre Stimme entdecken. Sie will kämpfen. Und sie will aufräumen mit ihrer Vergangenheit und den Menschen, die diese geprägt haben.

«Grosser Gott, wusstest du, dass die Vergangenheit niemals etwas ist, das aus und vorbei ist?»

Auch wenn vergangene Zeiten und was in ihnen geschehen ist, vorbei sind, greifen sie in die Gegenwart hinein. Sie hinterlassen ihre Spuren, prägen das Denken, Fühlen und Handeln. Durch Verdrängen wird man die Vergangenheit nie los, man muss sich ihr stellen. Das will Rivi tun. Sie tut es auf ihre Weise, indem sie Briefe schreibt und den Menschen aus ihrer Vergangenheit ihre Sicht darlegt.

«Diese Idee des Schreibens hat Besitz von mir ergriffen, mein Kopf rast vorwärts, oder besser, rückwärts, und du kennst mich, meine Obsessionen und ich schwenken keine weisse Fahne, ehe die Aufgabe nicht bewältigt ist.»

Einmal angefangen, kann sie nicht mehr aufhören. Immer weitere Gedanken gehen ihr durch den Kopf, immer mehr will sie zu Papier bringen und an die entsprechenden Menschen schicken. Fast scheint es, als ob ein Ventil aufgegangen ist und sich nun alles ergiesst, was vorher angestaut war.

Fazit

Ein Buch in Briefen, Fragmente von Lebenserinnerungen werden zusammengetragen und adressiert. Nach anfänglichem Kampf und Fast-Abbruch nahm das Buch Fahrt auf und zog mich in seinen Bann.