Theodor Fontane: Es kann die Ehre dieser Welt

Es kann die Ehre dieser Welt
Dir keine Ehre geben,
Was dich in Wahrheit hebt und hält,
Muß in dir selber leben.

Wenn’s deinem Innersten gebricht
An echten Stolzes Stütze,
Ob dann die Welt dir Beifall spricht,
Ist all dir wenig nütze.

Das flücht’ge Lob, des Tages Ruhm
Magst du dem Eitlen gönnen;
Das aber sei dein Heiligtum:
Vor dir bestehen können.

Fontane kann es, Fontane darf es, Fontane trauen wir, wenn er etwas sagt. Wieso? Er kommt nicht nur mit weisen Ratschlägen daher, er sagt uns die Dinge auf den Kopf zu, die wir eigentlich selber wissen, aber doch immer wieder dagegenhandeln. Er kommt nie überheblich oder abwertend daher, er nennt die Dinge schlicht beim Namen und wir sitzen da, lesen es und denken: Ich hätte es eigentlich wissen sollen.

Aber von vorne. Was immer wir im Aussen suchen an Ehre, an Ruhm – es wird uns nie genügen. Von aussen wird nichts so sein, dass es uns hält oder gar hebt, dazu müssen wir in uns gehen. Wenn da nichts ist an Halt, an Erhebung, dann können wir im Aussen suchen, was wir wollen, es wird nichts nützen. Selbst wenn alle laut klatschen: Unser Zweifel bleibt.

Was immer von aussen kommt, ist flüchtig, selten von Dauer. Es mag ein kurzer Freudenmoment sein, doch dann ist dieser auch schon wieder vorbei. So sehr man sich drin suhlt, am nächsten Morgen wacht man ernüchtert auf und es ist nichts besser als am Tag davor – im Gegenteil. Das kurze Lob dient nur dem Eitlen, der es sich auf die Fahnen streichen will – nach aussen. Tief drin bleibt alles wie gehabt. Es gibt also nur eins: Sei so, wie du für dich sein willst und kannst. Und tue alles dafür, deine eigenen Massstäbe zu erfüllen, dir selbst als das beste Ich, das du sein kannst und das du sein willst, zu sein.

Dann wirst du den Applaus von aussen nicht mehr brauchen, denn er könnte nichts hinzufügen. Und wenn das nicht ist, kann er ausbleiben, denn er könnte nichts bringen, das dir nützen könnte. Für dich.

Wer sich selber eine Grube gräbt

Da geht eine Schweizer Bundesrätin an ein Konzert. Ein Rockkonzert auch noch. Und wäre das nicht schlimm genug, ist sie auch noch in einer christlichen Partei. Wo man doch weiss, dass diese Rocker hart und gottlos und überhaupt ganz böse Buben sind. Und wer denkt, damit sei der Zenit der Unmöglichkeit bereits erreicht, dem sei gesagt:

Schlimmer geht immer!

Besagte Bundesrätin erdreistete sich, sich Hörner aufzusetzen – Teufelshörner. Die christliche Partei, deren Aushängeschild die gute Frau ist, geht in Schnappatmung über. Das geht gar nicht. Das ist. Indiskutabel. Ein Verstoss. Eine Schande.

Und während das Foto der Bundesrätin, fröhlich lachend mit knallroten Teufelshörnern Sympathien ohne Ende einfuhr (ohne es darauf abgesehen zu haben, sondern einfach den Moment lebend), gräbt sich die Partei selber die Grube der Ewiggestrigen.

Mehr als ein Glimmstengel!

Helmut Schmidt ist tot. Gestorben mit 96 Jahren. Er war einer der ganz Grossen und einer der Guten. Das sieht man in der Betroffenheit, die sein Tod hervorruft. Alle schreiben, er sei ein Grosser, alle zollen ihm ihre Achtung. Man sieht eine grosse Achtung, eine grosse Betroffenheit. Aber…

Was überall überwiegt, sind Anspielungen aufs Rauchen. In gewissen Medien sieht man nur ein Rauchwölkchen neben den Daten, in anderen Karikaturen, in deren Mittelpunkt das Rauchen steht. Einige (die immer gleichen) Zitate liest man auch, aber auch hier überwiegen die, welche den Glimmstengel zum Thema haben.

HelmutSchmidtHelmut Schmidt war bekennender Raucher. Hat ihm sein Zigarettenkonsum den Ruhm und die Achtung eingebracht, die er hatte? Wohl kaum. Es waren seine politische und menschliche Haltung, es waren seine Grösse, sein Mut, sein Einsatz für das, was ihm gut und richtig erschien. Damit traf er die Menschen, damit überzeugte er sie. Dass er es aus eigener Überzeugung heraus tat und nicht aus purem Opportunismus (dazu hätte er andere Haltungen einnehmen müssen dann und wann), machte ihn zu einer Ausnahmeerscheinung im heutigen Politdschungel und zu einem Menschen, den man mit gutem Gewissen verehren konnte.

Dann stirbt dieser grossartige Mensch und ganz viele finden sich ach so witzig, ach so kreativ, ach so innovativ, die Zigarette in den Mittelpunkt zu stellen. War sie wirklich alles, was ihn ausmachte? Was bewegt Menschen, andere Menschen auf etwas zu reduzieren, das niemals massgeblich war für ihren Stellenwert in der Gesellschaft? Ist das nicht im Grunde eine Herabwürdigung? Worauf gründet das? Neid? Mir fiele nichts anderes ein. Schade! Aber begreiflich. Er war ein ganz Grosser. Einer, der mit klarem Verstand und gutem Herzen agierte. Möge er in Frieden ruhen.

Mein Leben

Es gibt Tage, da hadere ich. Denke, was ich alles aus meinem Leben hätte machen können, sehe erfolgreiche Menschen, reiche Menschen, berühmte Menschen und dann mich. Denke, was ich hätte anders machen können und müssen, um vielleicht auch einen Weg einschlagen zu können, der mehr Reichtum, mehr Anerkennung, mehr Status gebracht hätte.

So zu denken taugt nicht dazu, sich gut zu fühlen, im Gegenteil, es zieht runter. Man sieht all das, was man nicht hat, sehnt sich an Orte, an denen man ist und vielleicht auch nie sein wird. Man hadert mit Wegen, die man gegangen ist aufgrund von Entscheidungen, die man getroffen hat. Damals hatte man Gründe für die Entscheidungen, heute sieht man nur noch das Ziel, die man so erreichte.

Wenn der erste Sturm der Aufregung vorbei ist, frage ich mich jeweils: Wo möchte ich gerade jetzt lieber sein als da, wo ich bin? Was möchte ich lieber tun als das, was ich tue? Und meistens komme ich dann zum Schluss, dass das, was ich tue, genau dem entspricht, was ich tun will (ausser wenn es grad ganz schlimm die Steuererklärung oder das Bad putzen ist). Ich komme zum Schluss, dass da, wo ich bin, der Ort ist, an dem ich sein will – wäre es anders, könnte ich es ändern und habe das in der Vergangenheit auch einige Male getan – oder eben gelassen.

Ich war in meinem Leben meistens in der wirklich glücklichen Lage, sehr frei entscheiden zu können, was ich tun will, womit ich mein Leben füllen möchte. Es gab kaum Grenzen, gab wenige Einschränkungen und wenn, dann keine, die ich hätte durchbrechen wollen. Ich war nie reich, auch nie berühmt, ich habe weder Status noch sonstige hochtrabenden Dinge, trotzdem habe ich das ganz grosse Glück, genau das tun zu können, was ich tun will. Und dabei erfahre ich von verschiedenen Seiten immer wieder wunderbare Reaktionen, teilweise von unerwarteter Seite Unterstützung, oft von ganz vielen Stellen Rückhalt, Zuspruch.

Wenn ich heute zurück schaue, habe ich viele verschiedene Dinge im Leben ausprobiert und auch durchgezogen und alle zusammen haben dahin geführt, wo ich heute bin. Mein Leben ist breit, ge- und erfüllt von den Dingen, die ich liebe. Ich habe im Yoga etwas gefunden, das ich als meinen Lebensweg anschaue, den ich weiter gehen, tiefer erforschen und daran wachsen kann. Die Philosophie begleitet mich dabei, ist sie einerseits Teil des Weges, andererseits auch Methode, den Dingen immer wieder neu auf den Grund zu gehen, sie nicht einfach hinzunehmen, sondern auf ihre Wirklichkeit hin zu prüfen. Die Literatur bringt Leichtigkeit, Kreativität und Spielerei ins Leben, lässt Geschichten entstehen, Welten sich entwickeln und neue Horizonte wachsen.

Alles in allem ist es einfach: Mein Leben. Und es ist gut, wie es ist. Es ist unbezahlbar.

Die Wissenschaft, die einer treibt

Wissenschaftliches Arbeiten erfordert die Einhaltung von gewissen Maximen, allen voran die Kenntlichmachung von fremden Zitaten. Es ist unwissenschaftlich, Passagen abzuschreiben oder auch nur schon in abgeändertem Wortlaut zu übernehmen, wenn man nicht offen legt, woher man die Gedanken hat. Das wird als Plagiat verschrien und führt zur Aberkennung der durch solche Arbeiten erlangten Titel.

Wie gut, war Thomas Mann kein Wissenschaftler. Er müsste seinen Titel als Schriftsteller zurückgeben. Thomas Mann arbeitete mit grossen Notizkonvoluten. Er schrieb oft Geschichte, die ein anderer schon mal geschrieben hatte. Tristan und Isolde, Der Erwählte, Doktor Faustus, Jakob – alles keine neuen Ideen, neu war nur seine Umschreibung, seine Adaption des Themas. Dadurch, dass er vor allem seinen Arbeitsprozess am Doktor Faustus sehr genau dokumentierte, wurde ersichtlich, dass in diesem Werk sehr vieles nicht neu war, sondern teilweise sogar Wort für Wort abgeschrieben. In der Literaturwissenschaft trägt dieses Vorgehen den Namen Montagetechnik. Thomas Mann schrieb ganze Passagen aus dem Volksbuch ab, bediente sich bei Nietzsche, bemühte Theodor Adorno um musiktheoretische Ausführungen, die er fast Wort für Wort undeklariert übernommen hat. Daraus entstand, was man heute als letzten grossen Roman Thomas Manns bezeichnet.

Nun könnte man denken, dass der arme Herr Nietzsche einfach ungefragt seiner Ideen beraubt wurde. Der hätte sich aber gar nicht wehren dürfen, tat er es doch selber gleich. Er schrieb unter anderem bei seinen zweiten Unzeitgemässen Betrachtungen bei Schopenhauer, Wagner, Schiller und Grillparzer ab. Auch da oft wortgenau. Während er andere Autoren offensichtlich und kenntlich zitierte, erschien das Gedankengut der oben genannten annektiert und als quasi eigener Gedankenfluss. Wie gut, kann ihm kein Titel mehr aberkannt werden. Er sässe bitterlich weinend in Sils Maria und sähe die Menschen mit Finger auf ihn zeigen. Man könnte in Anbetracht auf seine geistige Verfassung vermuten, dass es ihm egal wäre und ihn nur zu einer weiteren bitterbösen und doch treffenden Tirade gegen die Zustände der Welt verlockte.

Kürzlich diskutierte ich mit meinem Sohn über Shakespeare. Er fand es gemein, dass man munkelt, dieser hätte seine Werke nicht selber geschrieben. Der sei nun tot und als grosser Mann bekannt, man solle ihm den Ruhm lassen. Wäre es in der heutigen Zeit so, wäre er aber auch dafür, dass man den rechtmässigen Schreibern den Ruhm ihres Tuns zuteil werden liesse, diesen dem sich mit falschen Federn Schmückenden aberkenne. Dieses Denken scheint  im Menschen von klein auf angelegt.

Die undeklarierte Aneignung fremden Gedankenguts ist alles andere als eine Lappalie. Indem man ehrlich kundtut, wer Gedanken ursprünglich hatte, respektiert man dessen Leistung und geht ehrlich mit dem Eigentum anderer um. Niemand erfindet das Rad neu und dass man sich dann und wann auf andere beruft, um eigene Gedanken zu stützen, liegt in der Natur der Sache. Während man bei den Grossen wie Thomas Mann und Friedrich Nietzsche gewillt ist, grossmütig die Augen zu schliessen und ihren Ruf unangetastet lässt, zumindest ihre Grösse nicht schmälert, geht man mit Menschen unserer Zeit sehr hart ins Gericht. Wieso? Weil man es kann? Weil sie noch leben? Rachebestreben einer auf Gerechtigkeit pochenden Gesellschaft? Und wieso war es den Abschreibenden so wichtig, einen Titel zu erhaschen, wenn sie ganz offensichtlich nicht gewillt waren, die formalen Anforderungen zu erfüllen? Geltungssucht? Opportunismus, Machtstreben? Wo liegen die Gründe?

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Um allen Regeln gerecht zu werden, sei darauf verwiesen, dass ich beim Schreibprozess Thomas Manns aus meiner eigenen Schrift zitierte (die immerhin 554 Fussnoten auf 128 Seiten verteilt und somit alles zugeordnet hat, was nur irgendwie zuzuordnen war) und bei Nietzsches Schreibprozess den Artikel von Thomas Fries und Glenn Most, Von der Krise der Historie zum Prozess des Schreibens: Nietzsches zweite Unzeitgemässe Betrachtung, im Hinterkopf hatte.