Tagesgedanken: Was ist wahr?

Kürzlich sass ich nachts auf der Terrasse, schaute in den schwarzen, wolkenbehangenen Himmel und den gelben Mond. Es sah aus, als führe der Mond durch die Wolken, als brause er förmlich in sie hinein, um auf der anderen Seite wieder rauszukommen. Ich war fasziniert. Ich wusste vom Verstand her, dass es andersrum ist, dass die Wolken zogen und der Mond stand. Doch hätte ich ohne dieses Vorwissen beim blossen Anblick nie an eine solche Möglichkeit geglaubt.

Nun ist es sicher gut, dieses Wissen, das man sich ja nicht selbst erarbeiten konnte, zu glauben, gilt es doch als aktuelle Wahrheit (auch wenn es vielleicht nur der derzeit gültige Irrtum ist). Es sei denn, ich hätte wirklich die Möglichkeit der eigenen Überprüfung, dann sollte ich das tun.

Mir kam der Gedanke, dass wir das im Leben auch oft so machen: Wir erleben etwas und beurteilen es. Wir sind an einem Anlass, jemand schaut uns auf eine Weise an, und wir denken: «Der hat was gegen mich.» Vielleicht fangen wir uns sogar an zu fragen, was wir getan haben, dass dies so ist, suchen nach Fehlern bei uns und steigern uns förmlich rein in dieses Nicht-gemocht-Sein. Leider gibt es hier kein allgemeingültiges Wissen, das hier helfen könnte, zudem sind wir mehr als überzeugt von unserer Sichtweise, schliesslich haben wir den Blick gesehen und sind nicht ganz blöd. Denken wir.

Wir haben eine beschränkte Wahrnehmung und wir sind oft durchdrungen von Ängsten und Verletzlichkeiten. Wir fürchten, nicht gemocht zu werden, und achten aus dieser Angst heraus darauf, wie andere auf uns reagieren. Wir neigen dazu, den eigenen Ängsten recht zu geben, sind sie doch unser Begleiter und damit eng vertraut. Unser so geprägter Blick sieht also schnell das, was zur Angst passt. Und wir sind verletzt.

In solchen Situationen kann es uns helfen, innezuhalten und uns zu fragen: Ist das wirklich wahr? Weiss ich, dass er mich nicht mag? Könnte es andere Gründe für den Blick geben? Oder hat er vielleicht gar nicht mich angeschaut? Und selbst wenn es so wäre: Sind hier nicht auch noch ganz viele Menschen, die mich mögen? Wäre der Abend nicht schöner, ich würde mich daran freuen als mich über den einen (von dem ich nicht mal weiss, ob meine Wahrnehmung stimmt) zu grämen?

«Wir müssen unsere Sinneswahrnehmungen beobachten und unsere Reaktionen darauf überprüfen.» (Epikur)

Es ist an uns, zu entscheiden, worauf wir unseren Fokus lenken und wie wir das, was wir sehen und erleben, behandeln. Nicht das, was ist, lenkt unsere Gefühle, sondern das, was wir daraus machen.

2 Kommentare zu „Tagesgedanken: Was ist wahr?

  1. Sandra: „jemand schaut uns auf eine Weise an, und wir denken: «Der hat was gegen mich.»

    Ja, das ist EINE Möglichkeit: Sich den ganzen Tag lang
    nen Kopf machen, was die Leute wohl von einem denken.

    Das setzt die Annahme voraus, daß sich die Leute
    für mich interessieren. Wer sagt denn, daß das
    der Fall ist? Sie haben genug mit sich selbst zu tun.

    🌸

    Sandra: „Wir fürchten, nicht gemocht zu werden“

    Es müssen dich und mich nicht alle Menschen
    mögen. Sie sind frei, zu mögen wen sie wollen.

    Warum denn sollten dich oder mich
    alle mögen? Das ist doch nicht nötig.

    Ein paar wird es geben, die dich mögen
    und ein paar werden auch mich mögen.

    🌸

    Das erinnerst mich an eine Zeit… da hatte ich mir vorgestellt:
    50% der Leute mögen mich und die andere Hälfte nicht.

    War jemand freundlich zu mir, war klar: Die Person gehörte zu der einen Hälfte. Und war eine Person unfreundlich zu mir, alles klar: Sie gehörte zur anderen Hälfte.

    Das funktioniert prima, weil man so recht gut
    akzeptieren kann, daß einen jemand nicht mag.

    Und schon ist das „Problem“ aus dem Kopf;
    man kann sich um andere Dinge kümmern.

    🌸

    Sinnvoll ist, daß ich mich selber mag.
    Sinnvoll ist, daß du dich selber magst.

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