#abcdeslesens – K wie „Das Karussell“ (Rainer Maria Rilke)

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weisser Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
Nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiss ein Junge
und hält sich mit der kleinen heissen Hand,
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weisser Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber –

Und dann und wann ein weisser Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel.

Das Karussell erschien im Buch «Neue Gedichte». In ihnen fehlt mehrheitlich das lyrische Ich, der Schwerpunkt liegt auf dem Gesehenen. Das neue Sehen, das Rilke immer wichtiger wird, zeigt sich in diesen Gedichten gut: Es geht um das genaue Hinsehen, er will nicht einfach gedankenlos vorübergehen und dabei als Blick erhaschen, sondern das Ding an sich, wie es da ist, genau sehen. Das Ding löst sich dabei oft aus dem Alltagszusammenhang und kann eine neue Beziehung eingehen. Das gibt dem Leser Raum für Deutungen, ermöglicht eine Subjektivität des Interpretierens und appelliert an das schöpferisches Vermögen des Lesers.

Die in diesem Sehen und daraus Gedichte Schaffen sich zeigende Liebe zu den Dingen hat Rilke von Paul Cezanne, in dessen Bildern er die Liebe zum Tun an sich erkannte, nicht in der Darstellung von Gegenständen. Aus dem Fokus auf das Ding und nicht ein Ich oder ein Gefühl eines solchen Ichs resultiert ein sachliches Sagen, welches für diese Gedichte bezeichnend ist, im Gegensatz zu den oft emotionalen Gedichten der Vergangenheit. Worum geht es in diesem Gedicht?

Ein Karussell dreht sich Runde um Runde, die immer gleichen Figuren erscheinen. Sie drehen sich im Kreis, ohne Ziel, dienen dem reinen Vergnügen der darauf Reitenden und der Zuschauer. Ein roter Löwe ist zu sehen, einer mit Zähnen und einer Zunge, was zusammen mit seiner roten Farbe für die Aggressivität, die Kraft und Macht dieses Tieres spricht. Das Blau des Mädchens deutet auf dessen Unschuld, auch Schwäche. Es sitzt auf einem Hirsch, dem Tier, das für Mut und Stärke steht, auch für Verantwortung, wozu passt, dass das Mädchen aufgeschnallt ist.

Das Weiss des Jungen deutet auf seine Unschuld hin. Seine Hand ist heiss, er sitzt auf dem Machttier. Ob er nach der Macht greifen will? Steht er schon für die potentielle Gefahr, welche von erwachsenen Jungen ausgehen kann, wenn sie Macht übernehmen, Aggressionen schüren oder ausleben?

Und immer wieder kommt ein weisser Elefant. Unschuld, Friede, Reinheit in unseren Breitengraden, Trauer in asiatischen Ländern (deren Philosophie Rilke nicht fremd war). Die Wiederkehr des Tieres übernimmt die Bewegung des Karussells in die Sprache. Der Rhythmus des Gedichts tut dasselbe. Wir fühlen uns beim Lesen selber auf dem Karussell, tragen es mit unserem Atem voran. Ziellos wie das Karussell selber, einfach dem Ende des Drehens entgegen lesend. Und vielleicht sind auch wir vom Lesen atemlos.

Sieht man im Karussell das Leben, so zeigt sich, dass vieles sich immer weiterdreht, ohne Unterbruch. Verschiedene Phasen lösen sich ab, eine nach der anderen kommt neu in den Blick, immer wieder erleben wir Wiederholungen. Der Trost an diesem Kreislauf liegt darin, dass das, was kommt, auch wieder geht. Das gilt für die schönen Momente, aber auch für die schwierigen. Und immer wieder wird es gut. Und wir lächeln. Und vergessen vielleicht, dass das Ganze ein zielloses, ein blindes Spiel ist, das in sich aber doch eine Schönheit trägt. Wie dieses Gedicht.

Zum Autor
René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke wird am 4. Dezember 1875 in Prag, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte, geboren. Glücklich kann man seine Kindheit wahrlich nicht nennen. Erst wollte die Mutter ihn eigentlich als Mädchen sehen, steckte ihn in entsprechende Kleider, später sollte er eine Militärlaufbahn anstreben, was gar nicht seinem Naturell entsprach und ihn entsprechend unglücklich machte. Nach sechs Jahren konnte er krankheitsbedingt abbrechen. Der nachfolgende Besuch der Handelsakademie wurde auch abgebrochen, dies wegen einer unstatthaften Beziehung zu einem Kindermädchen. Es folgte ein Studienbesuch und dann kam es zu der Begegnung, die wohl sein Leben am massgeblichsten geprägt hat: Lou Andreas-Salomé trat in sein Leben und änderte gleich mal seinen Namen hin zum (wie sie fand) männlicheren Rainer.

Rilke ist ein Nomade, wohnt an keinem Ort lange, hält es mit keiner Frau lange aus, mag Beziehungen eher auf Distanz als in der Nähe. Seine einzige und wirkliche Liebe scheint der Dichtung zu gehören. Immer wieder um seine Gesundheit kämpfend wurde 1926 bei Rainer Maria Rilke Leukämie diagnostiziert. Er stirbt am 29. Dezember 1926 in der Nähe von Montreux und wird am 2. Januar darauf im Bergdorf Raron beigesetzt, nahe seines letzten Wohnortes. Den Spruch für seinen Grabstein hat er selber verfasst:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

8 Kommentare zu „#abcdeslesens – K wie „Das Karussell“ (Rainer Maria Rilke)

  1. Das letzte Zitat. Wunderschön. Im Moment fallen mir diese Momente des Abschiedes besonders auf. Das mag an meiner derzeitigen Literatur liegen. Dem Herbst. Der Abwesenheit unseres großen Sohnes. Das alleine kann es aber nicht sein. Die Mahnung die sich hinter solchen Zeilen verbirgt ist es wohl. Ich persönlich ziehe ganz viel Mut und Trost aus solchen Textpassagen. Deine Auswahl ist einfach schön.

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    1. Freut mich sehr, dass es bei dir was zum Klingen bringt. Abschied ist ein Thema, das vielleicht mit zunehmendem Alter auch mehr Gewicht bekommt, weil man selber schon einige erlebt hat, weil man aber auch immer bewusster wahrnimmt, dass man sich irgendwann auch selber verabschiedet.

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