Determinismus – das Ende jeglichen Denkens?

Beim Determinismus geht man davon aus, dass jegliches Tun und auch Wollen von Verschaltungen im Gehirn vorgegeben ist. Wir kommen mit einer Hirnstruktur zur Welt, welche alle Möglichkeiten des Lebens auf dieser Erde beinhaltet, sich danach den vorgefundenen Gegebenheiten (Familie, Kultur, Region, etc.) anpasst. Es bilden sich aus den Möglichkeiten also reale Verschaltungen aus, welche der tatsächlichen Umwelt entsprechen.

Diese Verschaltungen sind zwar ein Leben lang veränderbar, allerdings nicht durch eigene Steuerung, sondern durch unsere Existenz in einer Umwelt, aus der Einflüsse auf uns treffen, welche wieder um etwas in uns bewirken.

Bei dieser Sicht der Dinge existiert so etwas wie ein freier Wille nicht, wir haben nicht die Wahl, wie wir uns verhalten, sondern wir tun es unseren Anlagen gemäss. In der aktuellen Literatur stellt sich die Frage, inwiefern wir noch verantwortlich gemacht werden können für unser Tun, wenn wir es nicht frei wählen konnten, sondern quasi als Marionette von Synapsen gesteuert waren. Da Verantwortung immer auf einer freien Wahl gründet, auf dem Umstand, dass man auch anders hätte wählen können, als man es tat, wird es schwer, bei der Negation dieser Wahl noch von Verantwortung und Verantwortlichkeit zu sprechen.

In einem milderen Sinne kennen wir das heute im Strafrecht bei den mildernden Umständen. Der Verweis auf eine schwere Kindheit oder den übermässigen Gebrauch von Alkohol oder Drogen sowie psychische Probleme soll die eingeschränkte Verantwortung des Handelnden begründen. Der Determinismus würde diese Sicht verabsolutieren, indem der Handelnde nie verantwortlich für sein Tun wäre.

Eine andere Frage, die viel diskutiert wird, ist die der Legitimität von Recht und Sanktionen: Wenn die Verantwortung für ein Tun wegfällt, steht das Rechtssystem auf dem Radar: Ist es legitim, einen Menschen für etwas zu verurteilen, wofür er gar nichts konnte? Darf ich einen Mörder lebenslang seiner Freiheit berauben, wenn er gar nicht die Wahl hatte, sein Opfer nicht umzubringen? Was würde eine solche Haltung für unsere Gesellschaft bedeuten? Hätte sie überhaupt eine Auswirkung?

Die Frage stellt sich auch schon im privaten Gebrauch: Kann ich mein Kind loben, wenn es etwas gut machte, oder tadeln, wenn es nicht gehorchte? Es hätte ja gar nicht anders gekonnt? Man könnte nun argumentieren, dass das Lob als äusserer Einfluss auf das Hirn wirkt, die Schaltungen beeinflusst und somit zu einem zukünftig besseren Verhalten führt. Dasselbe wäre bei der Frage zum Recht anzubringen.

In meinen Augen liegt dabei aber ein Denkfehler vor: Wenn wir nicht wählen können, was wir tun, können wir auch nicht wählen, ob wir tadeln oder nicht. Wir können nicht entscheiden, ob wir das Recht weiter so führen können, wie wir es tun, wir wären quasi hirngesteuert, das zu tun, was eben der Steuerung entspricht. Ein Determinismus im absoluten Sinne würde jegliches Hinterfragen von Tun und Wollen obsolet machen, ebenso die Reaktionen und deren Gründe auf das Tun anderer. Es bliebe ein „es ist was was es ist“ zurück und wir wären nur noch Beobachter eines mit uns selber ablaufenden Films. (Wobei natürlich auch das Hinterfragen wieder gesteuert und insofern nicht wirklich wählbar wäre – das Spiel liesse sich unendlich weiterspielen).

Eine solche Sicht behagt uns wahrlich wenig, sie entspricht auch nicht dem, was wir selber denken, dass wir es tun und können. Wir erleben uns als freie Wesen, die (in gewissen Grenzen) wählen können, was sie tun und lassen. Wir erleben uns als fähig, nachzudenken und die Gedanken selber zu entwickeln. Zwar gibt es durchaus Situationen, in denen wir uns wie gesteuert verhalten, dann nämlich, wenn Muster und Prägungen aus dem Unterbewussten auf uns wirken und uns zu Handlungen bewegen, welche wir bei genauerem Denken unterlassen hätten. Der Umstand aber, dass wir sie reflektieren könnten und können, deutet für uns darauf hin, dass wir durchaus anders hätten handeln können, hätten wir in dem Moment genauer hingeschaut. Und ebenso sind wir der Überzeugung, dass wir in vielen anderen Situationen genauer hinsehen und dann so handeln, wie es uns entspricht, wie wir handeln wollen – weil wir uns für diese Art des Handelns entschieden haben.

Nun gibt es die Stimmen, die behaupten, diese Möglichkeit der freien Wahl sei eine blosse Illusion, die nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass wir es gerne so hätten. Der Gedanke, blosse Marionetten zu sein, hat wenig Positives an sich. Nur: Allein die Ablehnung dieser Sichtweise macht sie noch nicht falsch.

Es stellt sich also die Frage: Können wir überhaupt entscheiden, ob wir frei wählen können oder aber unser Denken und unsere Handlungen determiniert sind? Da die Sicht immer eine eigene von innen auf unser Handeln und Denken ist, sind wir die einzigen Stützen des Ergebnisses. Oder gibt es eine Sicht von aussen? Welchen Beitrag kann die moderne Hirnforschung leisten?

Unterm Strich erscheint die ganze Diskussion als eine rein akademisch-wissenschaftliche, als solche sehr theoretische und nur für einen klein Teil relevante. Im Alltag stellt sich uns die Frage, ob wir frei entscheiden, was wir tun oder nicht, kaum – wenn nicht gar nicht. Ich stelle sogar die These auf, dass eine Antwort darauf überflüssig ist, wenn es darum geht, eine lebenswirksame zu finden. Wieso?

Wir leben unser Leben auf eine Weise, die Entscheidungsfreiheit voraussetzt. Auf dieser baut unsere Sicht auf die Welt auf (unsere Urteile, unsere Begründungen, unsere Weltanschauungen, etc.), unser Rechtssystem fusst auf ihr (Strafe als Sühne und Wiedergutmachung) und unsere Sicht auf uns selber basiert auf ihr. Sollte sie eine reine Illusion sein, könnten wir an nichts etwas ändern, da alles so determiniert wäre, wie es ist, sogar unsere Illusion und das darüber Nachdenken, ob es eine Illusion ist. So lange keiner beweist, dass wir rein determinierte Wesen sind, die nichts selber in der Hand haben, so lange können wir also davon ausgehen, dass es anders ist. Und das bedeutet, dass alles, was wir tun, in unserer Verantwortung liegt – vorausgesetzt, wir sind mündige Wesen.

6 Kommentare zu „Determinismus – das Ende jeglichen Denkens?

  1. Liebe Sandra

    Ein interessanter und hoch spekulativer Ansatz, auch wenn er noch so wissenschaftlich begründbar ist. Wenn mein freier Wille eine Illusion ist, bin ich sehr dankbar für Illusionen. Sie allein gäben – unter dem Umstand des fehlenden freien Willens – meinem Leben Sinn und Richtung.

    Mit eme liebe Gruess

    Peter

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Peter
      Ich sehe das genauso. Die Illusion – so sie denn eine ist – wäre lebensnotwendig, denn das Leben verlöre jeden Lebenssinn anders. Und schlimmer noch: Wir wären diesem sinnlosen Dasein willenlos ausgeliefert. Damit verlören wir alle unsere definierte Würde, folgten wir Max Frisch bei seinem Diktum, dass die Würde des Menschen in seiner Wahl begründet sei. Und ja, in diesem Punkt folge ich Frisch uneingeschränkt.

      Ich grüsse dich herzlich
      Sandra

      Like

  2. Das Fazit ist modallogisch nicht zwingend; es könnte mit derselben Begründung auch diametral entgegengesetzt gelesen werden; dies obgleich es mir nicht behagt. Im Zuge der Vernetzung von Roboterisierung und künstlicher Intelligenz erhält die Brisanz von La Mettries „l‘homme machine“ einen dramatischen Höhepunkt, der weitere innovative Denkansätze erfordert.

    Gefällt 1 Person

  3. Führt sich der Determinismus nicht eigentlich selbst ad absurdum?

    Denn in letzter Konsequenz müsste der Determinismus ja so angelegt sein, dass ein denkender Mensch immer nur als Ergebnis den Determinismus bestätigen kann,
    oder alternativ gar nicht erst ein Nachdenken darüber überhaupt programmiert/möglich wäre?

    Gefällt 1 Person

    1. Gibt es den Determinismus, gibt es niemanden, der drüber nachdenken kann – er bedenkt sich dann durch vorgefertigte Synapsen selber. So quasi… 😉

      Gefällt 1 Person

  4. Hallo. Hat nicht die Physik spätestens sei Werner Heisenberg den Determinismus verworfen? Was es nicht unbedingt eingacher macht: Das Gehirn müsste in der Lage sein, die Wel der Existenz in Möglichkeiten „für sich“ zu nutzen. Eigentlich nach der Lehre der Physik wohl nicht sinnvoll, es wird ein absoluter Zufall in den Raum gestellt („Gott würfelt nicht“ Einstein als Gegenposition). Daher glaube ich auch nicht, dass man einen Quantencomputer bauen kann, denn auch hier müsste man aus der Unbestimmtheit Nutzen schalgen können.
    Aber: Die Natur hat Leben aus unbelebter Materie erschaffen, die evolutionsbiologischen Mechanismen haben irre Dinge wie Lebewesen geschaffen. Warum soll der Evolution dieses Kunststück nicht auch mit dem Gehirn gelungen sein, darf man sich allen Ernstes fragen, finde ich. Dem Menschen wird es beim Quantencomputer aber nicht gelingen, die Natur technisch zu überlisten.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar