Richard David Precht: Anna, die Schule und der liebe Gott

Mit Fakten, Zahlen und Parolen gegen den Bildungsnotstand

Ein gerechtes Bildungssystem, das jedem die gleiche Chance gibt, nach seinen Möglichkeiten davon zu profitieren – an diesem Massstab muss sich jede Schule und jedes Bildungssystem in Deutschland messen lassen.

Richard David Prechts Vorgabe an ein Bildungssystem ist hoch und in der heutigen Zeit kaum erfüllt. Obwohl alle von einer Bildungskrise sprechen, scheint keiner wirklich was dagegen tun zu wollen, schon gar nicht, wenn das Tun hiesse, neue Wege zu beschreiten, alte Muster – darunter fallen Noten, Frontalunterricht, Jahrgangsklassen und vieles mehr – zu durchbrechen und ganz neue Lernstrukturen in neuen Lernumgebungen zu schaffen.

Um den Missstand in Deutschland aufzuzeigen, reist Precht durch die Zeiten, zeigt verschiedene falsche Massnahmen und politischen Entscheide auf, verweist oft polemisierend Politiker und deren Fehlurteile. Dem gegenüber fährt er mit diversen Schulmodellen auf, welche andere Wege propagierten, die Khan Universität, Mastery Learning nach Carleton Washburne und Maria Montessoris Ansatz sind nur einige der vielen.

Aus der grossen Fülle von Fakten und Modellen resultiert immer wieder dieselbe Einsicht: Es läuft alles falsch und man sollte daran gehen, dies zu ändern. Kinder sollen als ganze Wesen wahrgenommen und in ihren Stärken gefördert werden. Da die Welt sich schnell verändert, soll der Schwerpunkt bei allem sein, aus Kindern selbständige Wesen zu machen, die selber denken und wissen, wie sie lernen und sich damit den immer wieder neuen Gegebenheiten anpassen können.

Weil keiner definitiv wissen kann, was die Zukunft bringt, wird es in unseren Schulen allgemein weniger darauf ankommen, was wir unseren Kindern beibringen. Wichtiger ist, sie erfolgreich dazu zu ermächtigen, sich möglichst viel selbständig beizubringen.

Kinder sollen lernen, sich eigene Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Sie sollen lernen, miteinander Dinge zu erarbeiten, dabei aber auch die eigene Kreativität einzusetzen. Projekten und Fächerübergreifende Zusammenhangsvermittlung ist nachhaltiger in der Wissensvermittlung als blosse Faktenpaukerei nach Fächern aufgeteilt und auf Prüfungen ausgerichtet. Wichtiger als das Alter sind die persönlichen Fähigkeiten, die darüber entscheiden sollen, in welchen Klassenverbänden Kinder sein sollen. Ihre Leistungen sollen nicht durch Zahlen, sondern durch persönliche Einschätzungsberichte bewertet werden und die Weggabelungen sollen nicht zu früh passieren und sich dann nicht auf eine Quersumme durch alle (und oft mit unnützem Wissen überhäuften) Fächer stützen. Ganztagesschulen sollen helfen, allen Kindern dieselbe Ausgangslage und Möglichkeit zu gewähren, da so keine ungleichen Chancen durch unterschiedlich motivierte und ausgestattete Elternhäuser zum Tragen kämen. Schule soll so auf das Leben vorbereiten und helfen, aus Kindern zufriedene Menschen zu machen, die sich in Beruf, Gesellschaft und politischem Miteinander zurechtfinden.

Diese durchaus nachvollziehbaren Forderungen stellt Precht an die Politiker und Verantwortlichen des deutschen Bildungswesens. Er bettet sie ein in eine Vielzahl von Verweisen auf die unterschiedlichsten Theorien, Philosophen, Pädagogen einerseits und Tadel und Polemik gegen Politiker, Lehrer, Elternhäuser, falsche Strukturen und viel Schlechtes mehr andererseits. Es fehlt dem Buch der rote Faden, man sieht sich einem Hin und Her zwischen Forderungen und Fehlläufen ausgesetzt. Ein klares Ziel und dessen konkrete Umsetzung geht unter in dem, was er den Schulen selber vorwirft: Faktenschlacht und Vermittlung unwesentlicher Inhalte, die im Moment des Lesens markig klingen und dem Autoren den Anschein von Belesenheit und breitem Wissen attestieren sollen, der Sache selber aber nicht wirklich zuträglich sind.

Fazit:
Ein gut lesbares Buch über ein aktuell brennendes Thema, bei dem weniger mehr gewesen wäre, das aber viele bedenkenswerten Ansätze für eine Verbesserung der heutigen Schul- und Bildungssituation vermittelt.

Zum Autor:
Richard David Precht
Richard David Precht wird 1964 in Solingen geboren. Nach dem Abitur studiert er Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte und promoviert 1994 in Germanistik mit der Dissertation Die gleitende Logik der Seele. Ästhetische Selbstreflexivität in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Precht arbeitet fünf Jahre als Wissenschaftlicher Assistent in einem kognitionspsychologischen Forschungsprojekt, hält danach Vorträge und Vorlesungsreihen an unterschiedlichen Universitäten und Kongressen und wird 2011 Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg, 2012 Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin. Daneben schreibt er für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften Essays, moderiert seit 2012 die Sendung „Precht“ im ZDF. Von ihm erschienen sind unter anderem Wer bin ich – und wenn ja, wieviele? (2007), Liebe . Ein unordentliches Gefühl (2010), Die Kunst, kein Egoist zu sein (2010), Warum gibt es alles und nicht nichts (2011), Anna, die Schule und der liebe Gott (2013).

PrechtSchuleAngaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag (22. April 2013)
ISBN-Nr: 978-3442312610
Preis: EUR 19.99; CHF 23.90

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