Mascha Kaléko: Memento

Mascha Kaléko (1907 – 1975)

Memento

Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der anderen muß man leben.

(1945)

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Projekt „Lyrische Helfer“ – Ein Gedicht, wenn jemand gestorben ist oder schwer krank ist

Es gibt wenig, das schwerer wiegt, als der Gedanke an ein Leben ohne die, welche man liebt.

(Zitiert nach Mascha Kaléko, Sämtliche Werke und Briefe, S. 227)

9 Kommentare zu „Mascha Kaléko: Memento

  1. Widerspruch! So schön und schlicht das Gedicht auch ist – und natürlich auch wahr –: Man sollte nicht vergessen, dass diejenigen, die vor uns gehen, ganz sicher nicht wollen, dass wir hinterher unglücklich sind. Jeder hat seine Zeit auf Erden, der Tod ist unvermeidlich – und deshalb sollten wir froh über jeden Moment sein, den wir mit uns lieben Menschen verbringen konnten. Wenn einer von ihnen aber nicht mehr ist, sollten wir uns vielleicht nicht nur daran erinnern, was sie uns bedeute(te)n, sondern auch, wie unser Leben ohne sie ausgesehen hätte: Gerade in der Weihnachtszeit läuft ja immer mal wieder „Ist das Leben nicht schön?“
    Ausserdem sollte uns der sicherlich immer viel zu frühe Tod geliebter Menschen daran erinnern, dass wir die Zeit mit den Lebenden intensiv verbringen und uns ihnen widmen sollten: Egal, was man zu Weihnachten oder sonstwie an Geschenken aufhäufen mag: das Wichtigste, Grösste und „Teuerste“, das man verschenken kann, ist Lebenszeit – sie kehrt nicht wieder und wird immer knapper.
    Also, ich würde das Gedicht positiv deuten: Erinnere dich an die Zeit mit denen, die gehen mussten, trauere nicht zu lange, und vor allem: Nutze die Zeit, die vor Dir liegt und verbringe sie mit denen, die vielleicht einmal Dein Fortgehen betrauern werden. Denn deren Erinnerungen (und vielleicht einiges von dem, was wir getan haben) sind das einzige, was uns überdauern wird. (Aber eigentlich braucht es keine so „egoistische“ oder „egozentrische“ Sichtweise: „Hoffentlich bleibt von mir dies und das!“ … oder gar: „Hoffentlich werde ich so berühmt, dass mich keiner vergisst!“ … „Der Weise geht, ohne Spuren zu hinterlassen“, sagt Laotse – und er hat wohl recht, denn irgendwann sind auch die grössten Spuren „vom Winde verweht“, und die allermeisten Leute, die (historisch) bedeutend sind, sind dies ja nicht wegen ihrer grossen Menschenliebe oder ihren Werken geworden… und letztere überleben auch ganz gut, wenn da kein „bedeutender“ Name mit verbunden wird. Ergo: Alles Vanitas 😉 Lebe im Hier & Jetzt, und wenn es schwerfällt, denke an das Schöne in der Vergangenheit oder daran, wie du zukünftig anderen helfen kannst, eine schöne Zeit hier auf Erden so erleben und sich an Mitmenschen, uns, im Guten zu erinnern.
    (PS: „Du“ nicht unbedingt persönlich gemeint, sondern als die Person, an die sich das Gedicht wendet –– also eigentlich jeden.)

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    1. Natürlich bleiben immer die schönen Erinnerungen, wenn ein geliebter Mensch geht. Alles hat immer zwei Seiten im Leben, so auch der Abschied.

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  2. Hat dies auf Der Bücherflüsterer rebloggt und kommentierte:
    Hallo Sandra. “ Lyrische Helfer.“ Schöner Klang. Sende das doch einmal über Instagram. Dort gibt es zum Beispiel eine ältere Dame. Sie verlor während der Flut ganz viel. Unter anderem auch entsetzlich viele Bücher. Gerade auch Mascha Kaleko. Michael Krüger (Hanser Verlag) fragte vor einigen Jahren einmal. Können Bücher trösten? Aber ja. Ich würde Deinen Beitrag auch gerne teilen.

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