Und alle schauen zu…

Gestern schaute ich eine Dok über einen ehemals gefeierten Pädagogen, der nun als pädophiler Vergewaltiger am öffentlichen Pranger steht. Der gute Mann kam irgendwann mal daher, redete, obwohl er im eloquent vertretenen Gebiet keine Abschlüsse oder sonstigen nachweisbaren Kenntnisse hatte, klug daher und wurde ernst genommen. Er trällerte öffentlich ein paar schlecht gereimte und lagerfeuerromantisch geklimperten Liedchen und spielte sich als grossen Pädagogen mit Durchblick und Herz für die Kinder auf, während er im Hintergrund denselben in die Hose griff. Da alles gut klappte, schrieb er ein paar Bücher, die zu Kassenschlagern wurden – Grundpfeiler der Pädagogik. Klappte ja so gut…

Eines seiner Opfer schrieb ein Buch. Der Fall flog auf, plötzlich war der Musterknabe ein Buhmann. Ein Grossteil seiner Opfer konnte mit dem Erlebten nicht umgehen, sie verfielen dem Alkohol und stärkeren Drogen. Ein paar Unbelehrbare finden, man könne ja immer noch selber entscheiden, was Erlebnisse mit einem machen, die Mehrzahl erklärt den einst hochgejubelten Pädagogen zum schwarzen Schaf der Nation (ich möchte nicht wissen, wie viele seiner ach so bahnbrechenden Erkenntnisse im heutigen Schulsystem federführend sind).

Nun könnte man sagen: Alles gut, man hat es aufgedeckt. Klar, die Opfer sind nun gefallen, rettet man wohl kaum mehr, aber immerhin kam es ans Licht. Was er tat, ist verjährt. Die Leben derer, die er zerstörte, sind im Eimer. Man wird das nicht mehr ändern können. Das ist traurig und sollte die Dringlichkeit zeigen, wieso Vergewaltigung keine Verjährung haben darf. Klar kann der Täter sagen, er hätte dazugelernt und sei nun an einem anderen Ort. Das Opfer hatte die Chance nicht immer. Und nein, es hat es nicht immer in der Hand, wie es mit dem Geschehenen umgeht. Gewisse Dinge übermannen, nehmen einem die Zügel aus der Hand. Wir sind nicht so willensbestimmt, wie wir gerne glauben würden. Würde diesbezüglich was geändert in der Gesetzgebung, hätte alles immerhin etwas Gutes gehabt – wenigstens für künftige Opfer.

Mich hat aber ein anderer Punkt verstört: Da waren Menschen rundherum. Und irgendwie schauten alle weg damals. Kann man machen, man verurteilt ja nicht gerne so schnell und ein etwas flaues Bauchgefühl ist noch kein Beweis. ABER: Sie rechtfertigten das Wegschauen noch heute. Versuchten es mit platten Sprüchen zu überspielen und verniedlichten ihre Rolle und was passierte. Amtsinhaber wollten plötzlich keine Amtspflichten mehr gehabt haben, gute Freunde redeten lieber über gemeinsame Fress- und Saufgelage als darüber, was der tolle Freund geleistet hat. Das eigene Wegschauen wird mit Handbewegungen weggewischt und mit hohlen Worten kleingeredet.

Für mich ist DAS eine Fortführung der Vergewaltigung. Klar verliert niemand gerne das Gesicht. Niemand steht gerne öffentlich hin und sagt: Ja, ich habe einen Fehler gemacht, ja, ich habe nicht hingeschaut, oder aber: Ja, ich WOLLTE es wohl nicht sehen. ABER: Wenn man es nun kleinredet, macht man das Opfer zum zweiten Mal zum Opfer. Man erkennt ihm seinen Opferstatus ab, indem man sagt: War alles nicht so schlimm, konnte ja keiner wissen. Und: Was keiner wusste, war quasi nicht da.

Es war da und man ahnte es. Man sah Unstimmigkeiten und hinterfragte im Stillen, liess aber alles laufen, weil alles andere a) Umtriebe gebracht hätte, und b) hätte unbequem werden können. Lieber ging man nett essen und trinken und jubelte auf den selbsternannten Superpädagogen.

Ich bin erschüttert. Unschuldige Kinder, die schon so Probleme mit der Welt hatten, wurden dem Löwen zum Frass vorgeworfen. Weil er so schön und überzeugend brüllte. Und man sah weg, wenn er sie verspeiste, tut es eigentlich noch heute. Um den eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen.

20 Kommentare zu „Und alle schauen zu…

  1. Verjähren darf so etwas niemals und wenn der Täter keine Zahlungen leisten kann, muss der Staat einspringen, bis zum Lebensende und es darf nicht billig abzutun sein.Die Wegseher und Verharmloser werden sich im Spiegel ansehen müssen und dann mit ihrem Gewissen klar kommen. Die Wenigsten schaffen das bis zum Lebensende so etwas tatsächlich zu verdrängen. Ich persönlich bin lieber ein Querulant, bleibe unbequem und stelle Fragen, denn die tun mir nicht weh, aber Kinder sind für ihr ganzes Leben gebrochen, unabänderlich. Meine Strafe für solche Kreaturen wird in Europa nicht mehr angewendet und in diesem Fall bedaure ich das.

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  2. Darf ich eine Anekdote mit dir teilen?
    Wenn man über so etwas hypothetisch spricht,
    dann sind immer alle entsetzt und alarmiert.
    Natürlich duldet so etwas niemand.
    Doch leider musste ich erfahren dass Menschen,
    wenn sie konkret betroffen sind oft anders reagieren.
    In meiner Schule vergewaltigte der Direktor mehrere Kinder.
    Als das aufflog stand es auch in den Zeitungen.
    Die Folge dessen war dass uns die Lehrer beschwichtigten.
    Die Selben Menschen die sich vor der Kamera empört gaben,
    die man ihnen vor die Nase hielt als Interviews gestartet wurden,
    standen dann vor uns und erzählten ihren Schülern,
    wie viel dieser Mann für uns getan hat,
    dass diese Kinder doch gar nicht mehr so jung waren (13-14J),
    und dass sie es doch sicherlich freiwillig getan hätten.
    Übrigens wurden betroffene Kinder von diesem Mann bezahlt.
    So flog das Ganze dann auch auf als einige Eltern fragen stellen,
    als ihre Kinder das Geld für neue Klamotten aus eigener Tasche hatten.

    Was ich aber sagen möchte ist dass diese Lehrer keine „Buh-Menschen“ waren.
    Man hätte es zumindest nicht vermutet.
    Aber das Kollegiat hielt zusammen und die das anders sahen,
    die schwiegen eben einfach.
    In en Fernsehinterviews gaben sie sich betroffen.
    Aber menschlich spielten sie alles runter.
    Alle Lehrer taten dies.
    Oder sie hielten den Mund.

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    1. Das ist es ja, was ich anklage. Dieses Schweigen, das Runterspielen, das Verwischen der Tatsachen. Das sind für mich alles Mittäter. Wenn nicht damals beim Wegschauen, dann sicher jetzt, wenn sie nicht hin stehen und Fehler bekennen, die Tragweite des Geschehens nicht offen legen, sondern beschönigen.

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      1. Mich schockiert nur dass ich das gar nicht glauben würde.
        Wäre ich nicht eben selbst dabei gewesen.
        Nein, betroffen war ich nicht.
        Aber ich ging auf diese Schule.
        Meiner Lehrer waren keine Nazis oder sonstiges. Das waren völlig unterschiedliche, unauffällige Lehrkörper.
        Ganz normale Menschen eben.
        Genau solche die wenn sie so etwas hören betroffen sind oder zu den Fackeln rufen.
        Aber als das unter uns passierte sahen alle weg. Damit meine ich nicht dass Manche dem nicht gewachsen waren.
        Alle, durch die Bank, sahen sie weg, spielten es herunter und erklärten uns Kindern das werde falsch dargestellt.
        Wobei ich sagen muss dass dieser Direktor weit angesehen war.
        Sozial engagiert und weiß der Teufel.
        Sie haben ihn verteidigt und das ruhigen Gewissens…
        Nicht Einer sondern alle.

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        1. Ich habe es so schlimm nie erlebt, kenne aber mobbende Lehrer. Massiv. Da half nichts. Keine Einwände der Eltern, nichts. Die Lehrer waren an der Macht. Das ist sehr gefährlich. Bei den Kindern trifft es die Wehrlosesten, es zieht sich aber mittlerweile ja durch alle Schichten und Ebenen der Privatwirtschaft. Je höher die Position oder je angesehener, desto unhinterfragter das Handeln. Und nein, ich bin kein anarchischer Ultralinker, der gegen jegliche Obrigkeiten stänkert. Es braucht Menschen, die Visionen haben, es braucht Menschen, die umsetzen können. Alles gut. Was nicht gut ist, wenn man einfach wegschaut. Weil es bequemer ist. Ist aber nicht immer einfach.

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          1. Oh, dazu kann ich was sagen.
            Meine Lehrer haben mich auch gemobbt.
            Das war nicht die selbe Schule sondern die Grundschule. Der Direktor warf ein Auge auf meine Mutter und eine der Lehrerinnen hatte wohl eine Affäre mit ihm.
            In Folge versuchte sie mir das Leben schwer zu machen.
            Ich weiß noch dass ich einmal in Gedanken versunken war und kurz lachen musste.
            Da meinte diese Lehrerin zu den anderen Kindern, sie sollen sich diesen Idioten ansehen der schon wieder grundlos lacht.
            Ich müsse dich behindert sein.
            Sie animierte die anderen Kinder bewusst dazu sich über mich lustig zu machen.
            Das ging soweit dass sie sich dafür einsetzte damit auf eine Sonderschule kommen würde, wo ich ja hingehöre.
            Es gelang ihr zwar nicht aber sie war sehr engagiert.
            Eine ihrer Kolleginnen gab mir dann sogar schlechtere Noten.
            Gut, es war nur die Religionslehrerin.
            Aber ich war das einzige Kind mit einer Fünf. In Religion. Und ich bin Österreicher.
            Fünf ist bei uns die schlechteste Note.
            Weil ihr meine Schönschrift nicht genügte.

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          2. Ich habe meinen Lehrer in der Grundschule in Deutsch verbessert. Vor versammelter Elternschaft und Schulpflege. Er hat mich lächerlich gemacht, Prüfungen gefälscht, mich ausgelacht, verspottet – die restlichen Jahre mit ihm waren ein Graus. Er wollte mir auch einreden, ich solle es gar nicht erst versuchen, ans Gymnasium zu gehen, ich sei eh zu doof. Zum Glück hat mein Papa damals interveniert. Und sich eingesetzt.

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  3. Willst du wissen was das perverseste ist?
    Wir Kinder glaubten das.
    Ich glaubte das.
    Deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen.
    Warum hatten sie keines?
    Ja, ja, wir sind ja alle keine Kinder mehr.
    Wir sind ja schon groß.
    Die wissen ja was sie tun.
    Sicherlich wollten sie das.
    Die erzählten uns das so seelenruhig dass wir ihnen reflexartig zustimmten.
    Mit diesen Reden dass wir doch schon alt genug sind.
    Ich realisierte das gar nicht als Kind.
    Man kann seinen Lehrern doch glauben?

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  4. Er stand übrigens nur auf kleine Jungs.
    Manchmal hat er ihnen einen – und manchmal sie ihm.
    Das ist fast ein bisschen explizit aber da gibt es nichts zu beschönigen.
    Das sind Details die jeder wusste als diese Kinder sich öffneten.
    Als wir auf Skikurs waren, holte er sie sogar auf sein Zimmer.
    Niemand stellte das in Frage.
    Er köderte sie mit Pornographie, die et ihnen oft noch in seinem Büro zeigte.
    Ein Freund erzählte mir das sogar und ich glaubte ihm nicht.
    Als man ihn abholte schrie er noch herum,
    bevor er ihn den Knast gehen würde,
    hängt er sich eher auf.
    Auf den ganzen Gängen konnte man ihn hören.

    Das – wurde beschönigt.

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    1. Es wird oft beschönigt. Ich schau grad nen Krimi. Anderer Fall und Fiktion. Aber nicht weit hergeholt. Zeigt einfach auch: Täter werden so oft geschützt. Man will nicht vorschnell urteilen. Man will sich nicht angreifbar machen. Man fürchtet um seinen Ruf. Man möchte keinen Ärger haben.

      Und damit nimmt man in Kauf, dass Dinge passieren. Dass man sie damit selber ermöglicht, blendet man aus.

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  5. Es ist aber auch zu einfach zu sagen, die meisten schauen weg! Viele tun es, weil man unter Umständen selbst mit dem Gesetz in Konflikt kommen kann, denn die deutsche Rechtsprechung bzw. Gesetze sind für Verbrecher gemacht! Ganz schnell wird der Spieß umgedreht! Denn Pädophile sitzen auch in den Gerichten.

    Wie es vor Gericht zugeht, durfte ich durch eine Rettungsaktion meiner Mutti für ein Hündchen miterleben. Es war schrecklich und als das Hundekind wieder zurück bei ihrer Besitzerin war, war es 2 Tage später Tod.

    Sorry, dass ich dieses Beispiel mit einem Hund bringe, aber diese Aktion hat ein Vermögen gekostet und meine Mutter war BEINAHE vorbestraft, eben weil der Spieß umgedreht wurde. Es war seelisch und psychisch eine schwere Zeit.

    Wenn man sich dann vorstellt, dass es in bestimmten Religiösen Gruppierungen völlig legitim und normal ist, dann ist das für die Täter noch zusätzlich ein Freifahrtschein!

    Wie Du sagst liebe Sandra, es ist dringend notwendig, dass Missbrauch sehr hart bestraft wird! Aaaaaber, dann kommen die Psychologen ins Spiel, ich brauche glaube ich nichts mehr dazu sagen!

    LG Babsi

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  6. Es ist nicht zu einfach zu sagen die Meisten schauen weg.
    Genau das ist passiert und Ich war dabei.
    Keine Ahnung ob das nur in meinem Fall so war.
    Aber genau so ist es passiert.
    Sie sahen einfach weg.
    Wie gerne würde ich behaupten die Sache wäre komplizierter.

    Und ja, was du da sagst dass manche dann eben Angst um ihren Job haben,
    das ist schon irgendwie verständlich.
    Jedoch gebe ich zwei Dinge zu bedenken.

    Erstens sollte das Seelenheil dieser Kinder wichtiger als die eigene Anstellung sein.
    Dann kommt eine lange Schweigepause.

    Zweitens hatten diese Menschen nicht nur Angst um ihren Job.
    Sondern sie haben es aktiv vertuscht.
    Sie haben es vor uns Kindern heruntergespielt.
    Seelenruhig waren sie dabei.

    Es ist ein Unterschied Angst zu haben und nicht zu wissen wie man sich verhalten soll,
    oder aktiven Täterschutz zu betreiben.
    Das kann man genau so einfach sagen.
    So schwer das auch zu glauben ist.

    War das was ich sagte deutlich?
    Sie hatten nicht einfach Angst und darum ist es einfach zu sagen,
    alle würden wegsehen.
    Sie haben es aktiv und mit Engagement vertuscht.

    Einfach alle haben das getan.

    So einfach gesagt und es ist doch die Wahrheit.

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  7. Wäre ich nicht dabei gewesen würde ich genauso denken.
    Glauben dass sie einfach nur Angst hatten.
    Nicht wussten was sie sagen sollen.
    Das es zu einfach ist zu sagen sie sahen einfach weg.
    Aber ich habe gesehen wie sie wegsahen.
    Ich habe gesehen wie ruhig sie dabei waren.
    Ich habe gesehen wie sie es vertuschten.
    Nicht nur aus Angst sondern aus Solidarität mit dem Täter.

    Das meine ich nicht böse sondern aufklärend.

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  8. Unbeteiligt zuschauen bzw. Wegschauen,
    darüber ist erst diese Tage ein Beitrag im TV gekommen, der im Anschluß von einem Psychologen analysiert wurde.

    Demgemäß ist es in uns Menschen (leider) verwurzelt, dass wir, wenn wir viele sind (bspw. in einer S-Bahn oder auf einem öffentlichen Platz) und KEINER etwas tut, auch dazu neigen, zum Zuschauer zu werden.
    Es ist wohl in unseren Genen so verankert, dass wir genau DANN eben nicht nach vorne gehen und helfen bzw. einschreiten, sondern uns der Masse anschließen.
    Für jedes Opfer steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ihm geholfen wird, mit der Abnahme der Zahl der Unbeteiligten.

    Als ich diese Aussage und Analyse vergegenwärtigte, war ich geschockt und habe mich gefragt, ob ich wirklich auch SO entsetzlich funktionieren würde???

    Ich hoffe NICHT!

    Cordialement bTINA

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    1. Dss hatten wir im Psychologiestudium. Die Chance auf Rettung sinkt mit der steigenden Anzahl Anwesender. Jeder denkt, der andere kann ja, und keiner will sich blamieren.

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  9. Ja natürlich, hätten alle Lehrer zusammen etwas dagegen unternommen, dann wäre sicher alles anders gelaufen!
    Mein Comment sollte nur aufzeigen, dass dir Gerechtigkeit, die wir uns erdenken vor Gericht ganz anders läuft.
    Es gibt ja genug Missbrauchsfälle in der unmittelbaren Nachbarschaft, von vermeintlich rechtschaffenden Bürgern, es ist eben sehr schwer dies nachzuweisen.
    Natürlich bin ich der Meinung, man muss nicht nur hinschauen sondern aktiv werden! Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass man sich bewusst sein muss dann die Bereitschaft zu haben auch unter Umständen seine Existent zu riskieren und dafür gibt es genug Beispiele!
    Die Anspielung mit den Psychologen, war auf den Täterschutz bezogen.

    Missbrauch egal wo, wann und wie ist grausam und für die Opfer sicher ein lebenslanger Alptraum, dem man eben nicht entrinnen kann.

    LG Babsi

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