Minimalismus – Gesprächskultur

Ich habe kürzlich zum Thema Minimalismus geschrieben (HIER) und gesagt, dass ich das Thema sporadisch weiterverfolgen möchte. Heute habe ich mir Gedanken zu unserer Gesprächskultur gemacht.

Wenn man Gespräche genauer anschaut, merkt man oft, dass es mehr Menschen gibt in ihnen, die reden, als solche, die zuhören. Sagt einer etwas, spielen sich oft folgende Szenarien ab:

  • er wird mitten im Satz unterbrochen
  • Das Gegenüber feilt innerlich schon an der Antwort, bevor der Sprechende überhaupt zum Punkt kam
  • Das Gegenüber wartet ungeduldig ab, dass er Sprechende fertig ist, um dann nicht darauf einzugehen, sondern ein eigenes Thema zu bringen

Es gäbe wohl noch viele weitere Varianten, aber ich denke, mein Punkt wurde verstanden. Statt dem anderen seinen Raum zu lassen, drängen wir uns an ihm vorbei und stellen uns in den Mittelpunkt. Wir haben etwas zu sagen (glauben wir zumindest) und wollen damit gehört werden. Zum Zuhören fehlt da die Zeit, der Wille und die Geduld. Und schlussendlich auch der Respekt.

Nun könnte man sagen: Böse Nicht-Zuhörer, arme Sprechende. Das wäre wohl zu einfach. Eine Teilschuld liegt sicher auch bei den Sprechenden selber. Wie oft sprechen wir, nur damit gesprochen ist? Wir zerreden Banalitäten, die eigentlich keiner Erwähnung wert wären, breiten das sowieso Offensichtliche in allen Breiten und Tiefen aus, obwohl es schon jeder kennt. Wieso? Weil wir es können. Weil wir da was wissen. Und das wollen wir zeigen. Und ja, wir wollen sprechen, denn: Wer nicht spricht, der wird nicht wahrgenommen und wer nicht wahrgenommen wird, der existiert in einer Weise gar nicht. Er wird übersehen, überhört, er ist inexistent.

Wie viel Platz hätten wir für wichtige Themen, wenn die ganzen Offensitlichkeiten wegfielen? Ich sage nicht, dass wir fortan nur noch bierernst durchs Leben gehen müssen und uns nur noch mit den grossen Problemen der Menschheit beschäftigen dürfen, im Gegenteil. Humor und Witz machen das Leben erst lebenswert. Gerade, wenn es schwer ist.

Aber: Das Wetter sieht jeder selber und was in den Zeitungen steht, kann jeder, den es interessiert, nachlesen. Dass es im Sommer heiss ist und bei Regen nass, liegt in der Natur der Sache. All das erzählen wir uns aber gegenseitig. Um ja nicht still zu sein. Stille scheint bedrohlich, denn man könnte in ihr merken, dass man sich nichts zu sagen hat. Nichts zu sagen hat man sich nicht, wenn man sich nichts sagt, sondern dann, wenn man die Stille nicht erträgt und sie mit Unsäglichkeiten vollstopft.

Manchmal ist weniger mehr. Auch beim Sprechen.

6 Kommentare zu „Minimalismus – Gesprächskultur

  1. Wohl wahr, Sandra!
    Komme gerade von der Beerdigung eines herzenguten Menschens…
    Dort saß ich während der Zeremonie ganz still und hörte (wie alle) zu. Mir wurde (einmal wieder klar) wie wichtig auch „nur einfach zuhören (müssen)“ ist. Und es ist dann noch einmal anders, wenn das alles auf französisch vonstatten geht. Dann ist man nochmal konzentrierter.

    Beides ist wichtig. Sprechen und zuhören. In einem Gespräch sollte immer ein Ausgleich stattfinden. Ich mag es überhaupt nicht, wenn ich einen „Vortrag“ präsentiert bekomme. Es gibt Leute, die nur sich selbst reden hören möchten und andere nicht zu Wort kommen lassen.

    Und Du sagst es.
    Einfach drauflos plappern ist nervtötend.
    Ich finde es auch schön, wenn man einmal innehalten kann.

    In diesem Sinne, weniger ist mehr! Je suis d’accord avec toi ❤ 😘 bT!NA

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  2. Liebe Sandra
    Ich gebe dir völlig recht, weniger reden (twittern, oder was auch immer) sondern eben zuhören sind keine Tugenden mehr. Immer mehr ist nur noch aus der „Ich“ perspektive aktuell. Dies in allem Lebensbereichen, was sehr schade ist. Ich kann da nur mich auch kritisieren, less is more – muss dies wieder mehr zu Herzen nehmen!
    Danke für den guten Artikel!
    Liebe Grüsse

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  3. Das ist wohl wahr. Allerdings fühlen sich manche Menschen sehr unwohl mit einem Gegenüber, das einfach schweigt. Ich bin ganz schlecht in small talk und kann dann manchmal einfach gar nicht sagen. Muss man denn jedes noch so kurze oder zufällige Beisammensein (Fahrstuhl, Bus) mit Wort füllen? Ich glaube, manche nehmen mir das übel oder finden es zumindest sehr unangenehm.

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