Wo noch halten

Und wieder sitze ich da. Und weiss nicht, was kommt. Denke an die Zeit zurück. An die Erzählungen, wie er sich freute, als er erfuhr, dass ich zur Welt gekommen und ein Mädchen bin. Durch ganz Winterthur sei er gelaufen, hätte alle auf alles eingeladen in seiner Freude. Ein Mädchen. Seine Tochter. Und ich war/bin seine Tochter. Ich bin ein Papakind. Er ist mir ein wunderbarer Papa. Als Kind baute er mit mir, balgte mit mir, zeigte mir die Welt. Oft seine, die er für die einzig richtige hielt, aber wer tut das nicht ab und an.

Ich erinnere mich, wie ich später in die Stadt ging, Kieselsteine an sein Fenster schoss. Er zeigte mir die neue Ausgabe des Landboten, an der er bastelte. Erklärte mir die Welt von Layout und Typografie. Und kam mit mir zum Plattenladen, wo ein Album darauf wartete, von mir besessen zu werden.

Er fuhr mich zu Verabredungen, holte mich von Parties. Ein Anruf genügte, er holte mich von der Schule ab – samt Veloverlad für die faule Tochter. Er half mir beim Auszug und bei vielen Umzügen danach. Er kam mich besuchen und war immer da. Er ist der Mensch, auf den ich bau. Immer baute. Bauen konnte. Sonst auf wenige im Leben.

Heute Morgen der Anruf.

Papa liegt im Spital.

Der Boden rutschte unter den Füssen weg, das Herz fiel in die Magengrube. Da sitzt es noch. Untersuchungen, Ungewissheit. Warten. Aus einem Tag bleiben sind 4 geworden. Biopsie ist das Damoklesschwert, das am Himmel hängt.

Ich schiebe hartnäckig die Gedanken weg, die kommen. Sie scheinen mir den Meister zeigen zu wollen. Angst macht sich breit. Ja, ich bin schon gross. Ich lebe seit 22 Jahren mein eigenes Leben. Und doch ist er der, der da ist. Er ist die Institution für mich. Ich habe ihn schon mal fast verloren. Das darf nicht sein. Nicht jetzt.

Verstummt

Ich wollte es
in Gedichten schreiben,
eine Geschichte spinnen.

Wollte Worte reihen,
dass sie Bilder werden –
sie in Farbe tauchen.

Allein: es schweigt.

16 Kommentare zu „Wo noch halten

  1. Das bewegt mich tief. Ich stehe quasi auf der anderen Seite, ich bin Vater einer 25-jährigen „Papa-Tochter“, für die ich auch immer da sein werde.
    Sie war aber auch für mich da, als ich vor fast zwei Jahren zur Krebs-Operation musste.
    Ich wünsche Dir viel Kraft und Deinem tollen Papa alles Gute.

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    1. Lieber Jean-Pierre, durch sein Alter ist das Bewusstsein sicher da, dass es nicht ewig weiter gehen wird, aber ja, nun ist diese „Einsicht“ akuter.

      Danke für deine Worte!

      Sandra

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  2. Bleibe DU stark.
    Gebe Du HALT.
    Sende ihm Deine POSITIVEN Gedanken.
    Sie werden Deinem Vater KRAFT geben.
    Deine HOFFNUNG wird ihn TRAGEN, Ihr seid miteinander VERBUNDEN!

    Je t’embrasse ma soeur d’âme
    Envoye mes pensées
    Et je pense à toi
    bT!NA

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      1. … und natürlich war dies für ihn das Wertvollste, dass Du bei ihm warst und ihm Halt gegeben hast!

        Ganz liebe Grüße von mir an Dich – habe in meiner Mittagspause gerade ein paar poetische Momente. Vielleicht habe ich noch die Zeit, etwas darüber zu schreiben. We’ll keep in touch my Dear 😍 TAKE CARE bT!NA

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