Wir sind ja ach so gleichberechtigt

Kürzlich las ich im Netz einen Entsetzensschrei:

Frau Merkel trägt seit Jahren dasselbe Hemd zum Wandern.[1]

Ein paar Tage früher hatte man sich über die Farbwahl ihres Kleides lustig gemacht, die Bezeichnungen für die Farbe erstreckten sich auf der ganzen Klaviatur der Kakophonie. Und sind es nicht die Kleider, über die man spottet, so ist es die Frisur, die Handhaltung oder eine andere Äusserlichkeit.

Das erinnert mich an den Auftritt unserer Bundesrätin Leuthard bei der Eröffnung des neuen Basistunnels. Damals war es der Mantel, der die Medienwelt in Fahrt brachte. Er sähe aus wie ein Emmentaler Käse, war noch fast der netteste Kommentar.[2]

Wieso wird eigentlich bei Frauen stets so ein Aufhebens gemacht, Männer marschieren daneben mausgrau und unbehelligt durch? Hat man je einen Kommentar wegen farblich unpassenden Krawatten, falschen Socken, zu kurz geratenen Hosen, schrecklichen Schuhen gelesen? Was ist bei den netten Altherren, welche sich ihre restlichen drei Haare mit Uhu Sekundenkleber dreimal um die Glatze kleben? Muss viel besser sein als Frau Merkels Schnitt, denn auch dieses Highlight an Haarstyling schafft es kaum je in die Medien. Donald Trump stellt wohl die Ausnahme der Regel dar, seine Frisur war wohl in aller Munde – was aber eben nur die Ausnahme, nicht die Regel ist.

Unterm Strich bleibt: Während bei Männern mehrheitlich deren (erbrachte oder ausbleibende) Leistung Thema ist, wird bei Frauen jeder Millimeter abgecheckt. Und dies nicht nur von Männern, Frauen machen da fröhlich mit. Sie gefallen sich oft in der Rolle derer, die auf Frauen in der Öffentlichkeit schiessen aus dem Hinterhalt. Frauensolidarität sucht man vergebens.

Wir Frauen können uns nicht immer als arme Opfer der nicht vorhandenen Gleichberechtigung darstellen. Wenn Frauen wirklich fair behandelt werden wollen, wenn sie aufgrund ihrer Leistung bewertet und nicht wegen Äusserlichkeiten bevorzugt oder diskriminiert werden wollen, wäre ein Schritt auf dem Weg sicher, selber mit gutem Vorbild voran zu gehen. Was kümmert Frau Merkels Frisur, Robe oder Handhaltung? Und schon gar ihr Wanderhemd? Sie soll Politik betreiben, keine Modeschau bestreiten. Messt sie an ihren Taten, da gäbe es wahrlich genug zu schreiben. Oder ist es schlicht einfacher, einen Kalauer über ein Kleid zu machen, als politische Vorgänge vernünftig zu diskutieren?

Wer nun in diesem ganzen Artikel eine Haltung für oder gegen die Politik Angela Merkels gelesen haben sollte, soll bitte nochmals lesen. Es findet sich nichts, da es mir hier rein darum geht, wie Frauen und Männer Männer und Frauen bewerten. Es geht mir um die Haltung Menschen gegenüber. Und die unterscheidet sich im Hinblick aufs Geschlecht noch zu sehr.

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[1] Hier haben wir das Hemd

[2] Ich hatte das HIER kurz angetönt

10 Kommentare zu „Wir sind ja ach so gleichberechtigt

  1. Mir kommt dieser „viel(e) Lärm um nichts“ ebenso wie die widerliche „Hofberichterstattung“ über „unseren“ (seit 1918 in DE abgeschafften) Adel oder die Allüren von Stars und Sternchen nur noch als Ablenkungsmanöver vor; Dummheit (der „Berichtenden“) allein kann es nicht sein, dafür gibt es zu wenige „statistische Ausreisser“: Sollen die Leute doch dumm bleiben und sich über Merkels Hemd „aufregen“ – Hauptsache, keiner stellt „Muttis“ Politik zugunsten der obersten 1% in Frage (denen ganz zufällig auch diese Medien gehören…)!
    Dass – wie Du vollkommen zurecht kritisierst – bei Frauen dann noch die „Äusserlichkeitskarte“ gezogen wird, zwigt mE nur, wie verzweifelt die Medien- und Meinungsmacher nach Ablenkungsthemen suchen, trotz Aufklärung, Emanzipation oder Feminismus. (Gegenbeweis: im Ostblock gab es solche Berichte nicht, und entsprechende „Presse-Organe“ aus dem Westen galten offiziell als „Schmutz-und-Schund-Literatur“ ;-))

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  2. Danke Sandra, für deine Ausgewogenheit. Es ist wirklich ein Skandal, wie Männer Frauen behandeln, genauso wie Frauen Frauen und Männer Männer behandeln. Dass Männer im Allgemeinen nicht an ihrem Äußeren, sondern an ihrer Leistung beurteilt werden, ist allerdings nur scheinbar ein Vorteil.

    Ersteres hängt daran, dass Männermode nur im Minimalismus von Details variieren darf, und mann sich, der bifurkalen Männerlogik entgegenkommend, nur zwischen Mausgrau und Nachtschwarz entscheiden muss. Dass der phallische Strick um den Hals sogar bunt sein darf – aber nicht allzu bunt natürlich – lässt ersteres nur noch deutlicher hervortreten.

    Und das mit der Leistung ist ja eher ein Jammer. Die Konzern-Alphatiere können nur dann erfolgreich sein, wenn sie ihre Untertanen – pardon Mitarbeiter – fies behandeln. Mit Menschlichkeit z.B. ist keine Leistung zu erbringen.

    Eins hab ich noch vergessen: wie sich Frauen und Männer selbst beurteilen und behandeln. Frauen definieren sich über ihre Figur, die mit modischen Raffinessen zurechtgerückt werden muss. Was schon deshalb Unsinn ist, weil Männer verschiedene Vorlieben haben. Und Männer definieren sich eben über Arbeit und Leistung, d.h. nicht über sich selbst, sondern über ihre „Produkte“ (anale Phase nannte das Freud). In der Wirtschaft wie im Bett. Performance statt Charakter, oder so. In der Wirtschaft sind die größten Leistungsträger oft auch die größten A…löcher. Ausnahmen gibt es, auch großartige, aber die bestätigen nur die Regel.

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  3. also bei der Trump-Kritik gehts auch nur um Frisur, Haarfarbe, Körperhaltung, Kleidung, Vorliebe für Gold etc und nicht um die Agenda.
    Ich frage mich: Ist Donald vielleicht eine Frau? (Ob Angela vielleicht ein Mann ist, frage ich nicht).

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      1. ach nee! Und wie war es zB bei Sarkozy? Bei uns hier tragen die Regierenden keinen Schlips und posieren vor roten Wänden – es ist das, was sie als Linke auszeichnet. …Was bleibt, ist die Farbe der Weste, pflegte mein Mann zu sagen, und lieh sich von mir eine grün-rot-karierte Strickweste für den nächsten TV-Auftritt (es ging um Wirtschaftspolitik). Und tatsächlich: alle kommentierten die Weste ….

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