Schule heute – eine Ode

Ich habe ab und an kritisch über Schulen geschrieben, das System hier hinterfragt und auch sonst den Finger drauf gehalten. Das soll aber nicht drüber hinwegtäuschen, dass ich weiss, dass wir hier unglaublich privilegiert sind. Unsere Kinder haben eine Schule und sie können hingehen. Sie haben die Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten. Vielleicht wissen sie es im jugendlichen Übermut nicht immer oder schätzen es gering, aber: Es ist viel mehr, als ganz viele Menschen auf dieser Welt haben.

Ich lebe in einer Schweizer Grossstadt, in einem Kreis mit vielen Ausländern. Wir hatten mit vielem zu kämpfen in der Schulzeit. Rassismus, Gewalt, Mobbing. Schulrückstände kriegte man gratis dazu. Trotzdem gibt es Menschen, die schon hier aufgewachsen sind, immer noch hier leben und heute ihre Kinder hier zur Schule schicken. Kann es so schlecht sein hier?

Wir haben hier keine heile Welt. Aber wir wissen es. Das ist oft mehr als die ganze Ignoranz möglicher Probleme. Man kann hier die Augen nicht verschliessen vor den potentiellen Schwierigkeiten und Brennpunkten, denn sie sind da. Und weil man das weiss, hat man sich drauf eingestellt. Und das ist grossartig.

Hier rutscht nichts einfach so durch, Probleme werden ernst genommen und Lösungen gesucht. Wir hatten in der Mittelstufe einige Probleme, sie wurden erkannt und gelöst. Die Oberstufe ist ein Lichtblick. Nicht alle Regeln sind immer schlüssig und toll, aber: Es gibt Regeln und es gibt Menschen, die sich Gedanken machen. Die Situation der Schulen ist nicht leicht heute. Eltern nehmen ihre Erziehungsaufgabe nicht mehr ernst, sind aber schnell dabei, Mängel in der Schule zu finden – und gar mit Anwalt anzuklagen. Als Lehrer und als Schule muss man sich absichern. Um ja keine Angriffsfläche zu bieten. Damit gerät man ein wenig in die Situation der Pharmaunternehmen, die jede – wenn auch unwahrscheinliche, aber doch mögliche – Nebenwirkung auflisten müssen, um ja nicht angreifbar zu sein. So ungeniessbar auf diese Weise Medikamente sind, so unübersichtlich werden Schulordnungen. Aufgeblasen durch all die Möglichkeiten.

Wir können noch so viel hinterfragen und unsinnig finden: Die Zeit ist, wie sie ist. Von jetzt auf gleich werden wir sie nicht ändern. So bleibe ich dankbar für die Schule, die mein Sohn besucht, weil da Lehrer sind, die sich kümmern, die Probleme erkennen, die reagieren. Ich mag nicht jede Regel gut finden, aber ich weiss: Es ist ein Privileg. Mein Kind hat eine gute Schule, hat gute Lehrer, kann sich entfalten und geht seinen Weg. Und das sollte auch mal gesagt sein.

9 Kommentare zu „Schule heute – eine Ode

  1. Interessant zu lesen, dass sich das Verhalten der schweizer Eltern nicht von dem der deutschen unterscheidet. Natürlich nicht allgemein, aber die Charakteristik der die Schule in die Verantwortung drängenden Erziehungsberechtigten stimmt in einigen Fällen schonmal überein.
    An der Uni setzt sich dieser Trend übrigens fort. Zumindest in Düsseldorf werden – bedingt durch die immer jüngeren Erstsemester – Elternsprechtage eingerichtet, wo die Helikopter-Eltern Dozenten zufolge die selben Ansprüche formulieren wie schon zu Schulzeiten: Die Uni muss erziehen, wir haben die Kinder ja schon gezeugt.

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    1. Eltern schieben die Erziehung ab und suchen die Verantwortung dann bei andern. Das ist natürlich problematisch, für alle Beteiligten. Lehrer sehen sich Aufgaben gegenüber, die eigenltich nicht zu ihrem Berufsfeld gehören und gleichzeitig sind sie immer in der Gefahr, das Versäumnis der Eltern auch noch zu bezahlen, indem diese, sobald etwas nicht wie von ihnen gewünscht, läuft, nicht mal vor dem Schritt zum Anwalt zurückschrecken, um Noten umzubiegen (ich habe es kaum geglaubt, als ich es gehört habe, muss aber in der Tat vorkommen…). Kein Wunder müssen sich Schulen immer mehr schützen und dafür Regeln aufstellen, Absicherungen einbauen und ähnliches.

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      1. Es ist schlicht notwendig geworden, sich rechtlich auf eventuelle Elternbeschwerden einzustellen. Das ist neben der Tatsache, ärgerlich zu sein, auch bedenklich. Kinder und Jugendliche bekommen durch das Verhalten ihrer Eltern vielleicht die Haltung anerzogen, beim geringsten Widerstand, der sich ergibt, eine Instanz einzuschalten, die die eigenen Interessen durchboxt.
        Ich denke, das geht mit diesem in manchen Zusammenhängen schon fast absurd anmutenden Freiheitsideal einher. Pflichten und Aufgaben, werden als Einschränkungen empfunden und dementsprechend darauf reagiert: Petitionen (beispielsweise).

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        1. Wie hat doch kürzlich jemand in einem Leserbrief geschrieben: „Gut aufpassen und mit wenig Aufwand viel Stütz verdiene“. Es ging darum, zu beobachten, ob ihr Vater oder war es der Schwiegervater, im Altersheim „fehlerfrei“ betreut, gepflegt, ernährt wird.
          Es scheint nicht ganz unwahrscheinlich, dass halt heute alles dem „zu Geld kommen“ unterordnet wird. Ich verweigere mich dem. Um Geld streiten? Nie!

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          1. Zum Thema „Erben“ schrieb ich kürzlich auch. Oft entstehen genau da Streitereien. Man hat nix dafür getan, hat aber das Gefühl mehr zu verdienen… Man ist nicht zufrieden, dass was kommt, man denkt, es könnte mehr sein. Ich denke, das ist die Grundkrankheit heute: Mangelnde Zufriedenheit mit dem, was ist, der Vergleich mit dem, was sein könnte… und für diesen Konjuktiv nimmt man jedes Mittel in kauf.

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    1. Oh ja. Schon an der alten Schule wurde es gegen Schluss besser, nun in der Oberstufe hat er wirklich tolle Lehrer und eine gute Klasse. Ich bin unendlich froh, geht es ihm in der Schule nun gut!

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