Medien und Moral

Es gibt wohl kaum etwas Schlimmeres, als wenn ein Kind stirbt. Schon die, welche davon Kenntnis haben, kriegen einen Stich, wie es für die Eltern sein muss, kann man sich wohl kaum vorstellen. Man kennt nur die Angst als Mutter oder Vater, es könnte so sein. Und die ist schon gross genug.

Stirbt ein Kind eines sogenannten Promi, wird das Ganze zum Ereignis, zum Happening, über das die nächsten Tage berichtet wird – erst über den Umstand an sich, danach assoziativ. Und wo berichtet wird, fallen Kommentare an. Einige wünschen den Hinterbliebenen Kraft, andere finden das doof und setzen einen Daumen nach unten (was Facebook bis heute nicht schaffte, hat die Kommentarfunktion der plakativsten Zeitung der Schweiz schon lange. Ob es gut ist? In solchen Fällen zweifelt man!). Einige finden, dass so viele Kinder sterben, wieso man so ein Brimborium um diese Promikinder macht, und Dritte haben sonst was zu mosern, wollen ihre Philosophien oder anderen Unverständlichkeiten loswerden.

An diesem Punkt ist das Kind, das nicht mehr lebt, vergessen. Es geht auch nicht mehr um die Eltern und ihr Leid. Wir sind nun schon weiter. Hier bringt sich jeder selber ins Spiel. Die Medien wittern Klickzahlen, die Kommentierenden wollen sich profilieren oder zumindest selber ins Spiel bringen.

Dass nicht über jedes Kind berichtet wird, liegt in der Natur der Sache: Die Medien erfahren selten davon. Würden sie davon erfahren, stellte sich für sie die Frage: Interessiert das die Leser? Tote Kinder sind immer ein Hingucker, da aber täglich sehr viele Kinder sterben, würden Zeitungen zu Büchern voller Berichte vom Tod. Das würde keiner mehr lesen wollen (und ertragen können). Wenn aber ein Promi betroffen ist, dann erfährt man davon und man hat mehrere Punkte, die ziehen: Ein totes Kind, einer, den man kennt und ein Thema, das man ausschlachten kann. Und das tut man dann. So lange und so weit es eben geht.

Kann man es verurteilen? Klar, man kann sagen, das sein reine Sensationshascherei, es sei Profitgier der Medien und ethisch verwerflich. Nur: Wie viele Klicks hätte ein Bericht, der einfach mal vom Leben des Promis berichtet, wie er seinen Sohn wickelt, ihm die Flasche gibt? Da würde man denken: Who cares, alles normal. Wenn nicht noch ein paar Fotos der Wohnung mit dabei wären oder sonstige Intimas: Absolut uninteressant. Stirbt das Kind aber, klickt jeder. Da wird es interessant.

Genau darauf bauen die Medien. Sie rechnen mit unserer menschlichen Neigung, mit unserer tief verwurzelten (wohl animalischen) Neugier. Wir wollen uns suhlen, wir wollen eintauchen, wir wollen im trüben fischen, wollen Abgründe sehen, wollen Emotionen geliefert kriegen. Das alltägliche Leben haben wir selber genug, gefragt sind die Ausbrüche. Und genau damit arbeiten Medien.

Ihnen einen Vorwurf zu machen, wäre eine Doppelmoral sondergleichen. Wir sind und bleiben Tiere. Wir haben Instinkte, wir haben Triebe. Wir können sie hinterfragen, wir können sie moralisch bewerten. Wir können sie zu einem gewissen Grade auch beherrschen, aber: Sie sind da. Von einem Profitunternehmen zu fordern, sie nicht mehr zu bedienen, wäre in der heutigen sehr wirtschaftslastigen Zeit wohl eher blauäugig. Man könnte bei sich selber anfangen und einfach nicht mehr draufklicken. Denn: Wenn keiner mehr klickt, stirbt – wegen mangelndem Interesse – das Interesse der Medien, solche Themen durch den Endloswolf zu drehen.

7 Kommentare zu „Medien und Moral

  1. Allerdings sollte es dann für die Medien auch „normal“ sein, wenn das Kind eines Promis stirbt, so tragisch das ist. Denn das kann allen Eltern passiert und die Tragik kennt keine Standesunterschiede.

    Du weisst, was ich meine?

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    1. Medien brauchen Klicks und Käufer. Sie tun alles dafür. ALLES. Das muss man wohl verstehen, gerade beim heutigen Mediensterben. Sie bringen also immer mehr und immer vermehrt das, was gelesen wird. Sich als Leser darüber aufzuregen bringt weniger, man kann selber entscheiden, wo man draufklickt. Aber klar: Es tut weh, sowas zu lesen. Und bei einigen kommen Erinnerungen hoch. Und natürlich Empathie. Zum Glück!

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      1. Das weiss ich Sandra. Ich meinte das als Hinweis auf die Logik der Medien-Normalität oder eben auf deren Unlogik.

        PS: Ich hab nicht geklickt. Nachdem ich die Schlagzeile am Kiosk gesehen habe, dachte ich „Mehr muss ich darüber nicht wissen und die armen Eltern haben mein Mitgefühl“.

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  2. „Man könnte bei sich selber anfangen und einfach nicht mehr draufklicken….“ Genau, das Gute an der Wirtschaftslastigkeit ist doch, dass der Markt alles regelt.Man müsste einfach auf nichts mehr klicken, nichts mehr kaufen, das man für falsch hält. Mit keiner Firma mehr etwas geschäften, die man verwerflicher Praktiken beschuldigt, kein Bordell mehr besuchen und so weiter Dann würden all diese Angebote verschwinden. Na ja, dann doch lieber bequem mit dem Finger auf die andern zeigen und sich selber weder einschränken noch den Konsequenzen unserer Kritik stellen müssen, wenn unser Moralfinger plötzlich Wirkung zeigen sollte.
    Stell Dir mal vor, wir könnten uns plötzlich nicht mehr über die andern erhaben fühlen, alle wàren gleich gut wie wir.

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    1. Wir sind nicht so gut. Wir haben Schwächen. Und sind Menschen. Das impliziert immer eine Fehlerquelle. Dann aber nach aussen zu deuten und auf Moralapostel zu machen?? Ok, vielleicht ist das auch wieder dem Menschen qua Menschen geschuldet.

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      1. Ich weiss, dass ich nicht so gut und in der Regel auch nicht besser als andere bin. Ich akzeptiere das auch – obwohl ich glaube, immer wieder zu versuchen, etwas besser zu werden.
        Doch gehe einfach unter die Leute und höre zu, was die Einen über die Andern lästern. Aber das weisst Du ja selber besser als ich.

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