Lügen und andere Wahrheiten

Heute las ich auf Facebook einen Spruch:

 Lüge keinen an, der dir vertraut.
Vertraue keinem, der dich belügt.

Er traf bei mir ins Schwarze, denn es gibt nichts, das ich mehr verabscheue als Lügen. Und ich mache wenig Unterscheidungen, worum es geht, Lüge ist Lüge. Es gibt Menschen, die zwischen weissen und schwarzen Lügen unterscheiden. Es gibt Menschen, die finden, ein körperlicher Betrug und die Lüge wiege mehr als einer auf anderen Ebenen. Ich sage nein. Denn in meinen Augen ist das Schlimme an Lügen nicht mal die Lüge an sich (wäre es so, wäre ihr Gegenstand ausschlaggebend), sondern das, was sie für die Beziehung zwischen zwei Menschen bedeutet.

Wenn einer lügt, gesteht er dem anderen das Recht nicht zu, mit der Wahrheit umzugehen. Dies entweder, weil er es ihm nicht zutraut, oder aber, weil er dessen Reaktion fürchtet. Was eine Beziehung in beiden Fällen wert ist, liegt auf der Hand: Nichts. Auf der anderen Seite steht der andere, welcher glaubt, was er hört. Irgendwann muss er merken: Es war alles eine Lüge (vielleicht auch nur ein Teil, wer weiss es so genau?). Einerseits sieht er sich beschissen vom andern, andererseits kommen nun die Selbstzweifel auf. Was erkenne ich überhaupt? Bin ich so naiv? So leicht zu täuschen?

Es gibt Aussagen, dass jeder Mensch täglich lügt. Mehrfach. So kleine Dinge wie „Die Spaghetti sind lecker!“, „Das Kleid steht dir toll!“, „Ich bin nur müde…..“ Ist das so? Ist die Wahrheit wirklich tödlich? Schnitzlers Traumnovelle verheisst nichts Gutes, denn als das Ehepaar wirklich ehrlich miteinander ist, driftet es ins Aus. Andererseits sagte bereits Thomas Mann:

 Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge.

Ich halte es mehr mit Thomas Mann (auch wenn ich Schnitzler sehr liebe und schätze, alles von ihm gelesen habe – von Thomas Mann übrigens auch). Ich mag keine Lügen. Der Gegenstand ist egal. Lüge ist Lüge. Ich kann nicht garantieren, dass ich gelassen reagiere auf die Wahrheit, die mir nicht gefällt, im Gegenteil. Ich bin sehr impulsiv und die Chance, dass das Temperament Purzelbäume schlägt, ist gross. Aber: Sollte ich die Lüge aufdecken, sind es keine Purzelbäume mehr, dann ist die Welt in Trümmern.

Wo fängt eine Lüge an? Gibt es verzeihbare Lügen? Ist Lügen nicht Respektlosigkeit dem andern gegenüber? Ist Lügen Feigheit? So oder so: Es verunmöglicht eine Beziehung auf Augenhöhe – eine andere ist in meinen Augen nicht erstrebenswert.

22 Kommentare zu „Lügen und andere Wahrheiten

  1. Lügen ist der Versuch eine Situation billig für sich zu entscheiden, die Rechnung dafür wird in die Zukunft transferiert, oder sogar als auflösbar angenommen. Leider ein Trugschluss. Ob ich immer die Wahrheit sage? Ich versuche nicht zu lügen, aber das ist nicht gleichbedeutend mit der Wahrheit. Was machst du, wenn dich Menschen in öffentlichen Positionen anlügen, wie Krankenkasse, Gericht, Versicherungen usw.? Wie reagierst du? Sagst du denen die Lüge auf den Kopf zu oder verschweigst du dein Wissen? Es ist eine Kunst und ein Fluch Menschen beim Lügen ertappen zu können.

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    1. Ich denke, Lüge zu vermeiden, ist wie die Quadratur des Kreises.
      Um das mit einem Beispiel zu untermauern: Ich nahm mal vor 15 Jahren an einem Seminar teil (Erweckung des inneren Kindes (ich lüge nicht)): Da erzählte eine sehr intelligente und gleichzeitig ansehnliche Frau in ihren Dreissigern, wie sie ihren Partner anlog. Sie unterstützte ihn nämlich heimlich, weil er ihre Hilfe sonst nie angenommen hätte.
      Ihr Partner gedieh, bekam Halt und wurde gut im Beruf…das weiß ich noch von damals.
      Ich hatte damals und auch heute eine Hochachtung vor dieeser Frau!!!
      Es ging ihr einzig um das Gedeihen ihres Partners und sie nutzte dafür die geeigneten Mittel.
      Habe ich das jetzt richtig erzählt? Ohne daß jetzt falsche Vorstellungen aufkommen?
      Diese Frau verzichtete auf den Ertrag ihres Tuns. Daß sie tätig war, wird ihr Partner sicher nie erfahren und auch keiner im direkten Umfeld,. Sie tat das nicht zur Selbsterhöhung oder um anderen (ausser uns, die sie nie mehr sehen würde) zu imponieren. Das war schöpferische, schöne, liebevolle, wärmende Intelligenz. Eine Intelligenz am rechten Ort!
      Wenn ihr Partner irgendwann davon erfahren sollte, dann ist damit umzugehen! Aber im Moment war das, was sie tat, eine Unumgänglichkeit.

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      1. Es ist wohl in der Tat nicht so einfach, Lügen schlicht zu bewerten. Bei deinem Beispiel könnte man höchstens anmerken, dass sie durch ihr Tun ein Ungleichgewicht schaffte, indem sie sich über ihn stellte. Sie wollte ihn an einen Punkt bringen (wollte er wirklich dahin?) und dachte, er schafft das nicht allein (war das wirklich so?) und wusste, er nimmt keine Hilfe an (vielleicht hatte er Gründe? Vielleicht fand er es wichtig, es allein zu schaffen?)

        Ist das nun gut? Gut gemeint? Wieso durfte er in seinem Leben nicht selber bestimmen? Für sie (und euch) war das Resultat gut. Seine Version kennen wir nicht.

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        1. Sicher war das eine „Manipulation“ von Ihrer Seite. Sie stellte sich faktisch über ihn.
          Ich umschrieb sie als sehr intelligent, weil sie instinktiv wusste, daß es in diesem Fall keine andere Möglichkeit als eine subtil-heimliche Aktion von Ihrer Seite gab.
          Ich denke auch, daß er „dorthin“ wollte, es aber „nicht konnte“.
          Leider habe ich die ganzen Zusammenhänge von damals nicht mehr im Kopf. Aber ich war damals auch sicher nicht einfach „von einer guten Tat“ zu überzeugen, dachte nicht simplifiziert. Manipulation am eigenen Leib kannte ich zudem nur zu gut.

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  2. Es gibt Menschen, die lügen, obwohl sie wissen, dass man weiß, dass sie lügen, und es gefällt ihnen. Wie du schreibst, wird damit ein Kontakt auf Augenhöhe vermieden. Die Lüge als legitimes Machtmittel zur Untermauerung der Autorität, dort wo es um Machtanspruch und Hierarchie geht.

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  3. Lügen ist Alltag.
    Ein jeder lügt, schon allein dann, wenn er nicht die ganze Wahrheit sagt oder ausweicht.
    Ich finde am Lügen erstmal nichts Schlimmes. Muß ich jeden Gedanken ausdrücken, den ich habe, auch auf die Gefahr, jemand zu verletzen? Meine Gedanken sind ja nicht eherne, unumstössliche Gesetze, wieso sollte ich sie immer direkt äussern?
    Was hast Du damit gewonnen, wenn Du jedes Mal, wenn Du Gerhard doof findest, das ausdrückst? Nein, das machst Du nicht! Das lässt Du nicht zu.

    Ich unterscheide.
    Soll ich meinen Partner über Gebühr mit all meinem Mist belasten? Nein, ich sage ihm vornehmlich dann Dinge, wenn er mich damit besser einordnen kann.
    Schweigen zu bestimmten Dingen ist in der Partnerschaft unerlässlich!! Es gibt ja noch genug, was man sehr intensiv miteinander teilen kann.
    Anlügen im engeren Sinne ist natürlich nicht drin. Da mache ich Abstriche. Ich hatte mal eine Partnerin, die mir ganze Szenarien vorlug – anderen gegenüber auch.
    Das führt zu starken Irritationen.

    Wo mich Lüge zur Zeit stark beeinträchtigt, ist im Job. NIE erfahre ich dort die ganze Wahrheit hinter Maßnahmen und Entschlüssen. NIE! Aber so ist Berufswelt, man lässt den abhängigen Angestellten immer im Ungewissen.

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      1. Es gibt vielleicht keine absolute Wahrheit, aber in gewissen Situationen gibt es sie durchaus. Wenn ich etwas tue und sage, ich habe es getan, dann ist das die Wahrheit. Das kann man nicht wegdiskutieren. Ebensowenig kann man wegdiskutieren, dass es eine Lüge ist, wenn ich dann sage, ich hätte es nicht getan.

        Ich liebe ja Philosophie, aber das hier ist eigentlich ziemlich praktisch, oder? 😉

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        1. Wenn ich etwas sage und dann später behaupte, es nicht gesagt zu haben, das ist unvergleichlich schwieriger. Manchmal habe ich Worte noch im Ohr, aber abgestritten wird der Wortlaut trotzdem. Dennoch kann die andere Person recht haben.

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      2. So sagt man. Daß da irgendwo ein Kern sei.
        In einer Therapie versucht man oft auf den eigentlichen Kern eines Gefühls zu stossen. Man schält und schält und heraus kommt oft z.b. statt Wut eine Trauer oder ähnliche Funde.

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  4. Man kann auch viel zerstören, wenn man ehrlich ist.
    Etwa das Vertrauen.
    Ich kannte mal jemand, die bestimmte Dinge kritisierte (Lippenform, Stimmlage, Gewicht,…) und jedes Mal sagte: „Ich sage doch nur, was ich denke!“.
    Andere fanden dagegen folgendes an mir gut: Lippenform, Stimmlage, Gewicht…es gab da offenbar sehr unterschiedliche Perspektiven.

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    1. Da hast du sehr wohl recht. Man sollte wohl nicht alles sagen, vor allem nicht, wenn es nichts bringt, nur verletzt oder gar zerstört. Wo ist aber die Grenze zwischen Feigheit (ich lüge, weil sie sonst nur wütend würde) und Schutz (ich lüge, weil es wirklich die beste Lösung für alle ist)?

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      1. Tja, das ist genau die Krux, mit der wir im Leben nunmal konfrontiert sind. Sandra, Lügen ist viel elementarer mit dem Leben verknüpft als du wahrhaben willst: Pflanzen, Tiere gaukeln vor, also ein natürliches Grundprinzip. Menschen natürlich mehr und viel komplexer. Die eigene Perspektive auf die Wirklichkeit ist eine Lüge. Das weisst du als philosophisch bewanderte mehr als ich. Ich finde, man sollte eher den Mut aufbringen, wenn man eine Lüge entdeckt, die einem misfällt, dies dann auch offensiv zur Sprache zu bringen.
        Die Hoffnung auf Menschen, die sich immer so „wahrhaft“ verhalten, wie du es dir erträumst, ist utopisch.

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      2. Wo ist aber die Grenze zwischen Feigheit (ich lüge, weil sie sonst nur wütend würde) und Schutz (ich lüge, weil es wirklich die beste Lösung für alle ist)?

        In manchen Fällen verzichte ich auf Klärung, lüge somit, weil Auseinandersetzung gewöhnlich zu nichts anderem führt ausser Zersetzung.
        Kommen Klärungsgründe zu häufig vor, kommt man nicht um Zerwürfnisse herum. Dann ginge und geht es ums Eingemachte.

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        1. Etwas machen und nichts davon erzählen – das ist wohl noch keine Lüge. Etwas machen und sagen „Ich habe das nicht gemacht“ ist immer eine. Die Frage bleibt: Wann ist diese Lüge relevant, wann kann man sie vernachlässigen? Und schlussendlich bleibt halt beim Belogenen das Gefühl zurück, dass der andere denkt, einen einfach anlügen zu können. Wie auch immer seine Motivation war. Und genau da frage ich mich dann: Ist die Grösse der Lüge wirklich relevant oder drückt das Lügen an sich nicht auch schon viel aus? Aber vermutlich ist es wirklich utopisch zu erwarten, dass man immer die Wahrheit gesagt kriegt. Im Berufsleben ist man davon wohl schon überzeugt, im Privaten agieren genauso Menschen.

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  5. „Und schlussendlich bleibt halt beim Belogenen das Gefühl zurück, dass der andere denkt, einen einfach anlügen zu können“.

    Dann denkt er halt das! Lass ihn das denken.

    Einer Frau gefiel es einst sehr, daß ich so grundehrlich war. Was ich sagte, war ich.
    Im Englischen heißt das wohl: „What you see is what you get“.
    Es war meine Naivität, es kam aus mir raus, es war ich. Und wenn ich mein Leben darzustellen begann, zeigte es mich AUCH DA, in dem Aussparen, Umwerten, dem So-Sehen, dem Film und der Story.

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