Hanni Münzer – Nachgefragt

Hanni sehr schönes PortraitHanni Münzer hatte schon immer eine lebhafte Fantasie (zum Leidwesen von Eltern und Lehrern) und verschlang bereits als Sechsjährige jedes Buch. Nicht alles war jugendfrei. Aus der Leidenschaft zu lesen, entwickelte sich die Leidenschaft zu schreiben.
2013 veröffentlichte die in Wolfratshausen Geborene ihr Debüt Die Seelenfischer. Es war ein Experiment, das versehentlich gelang. Plötzlich war sie Autorin. Ihr neuster Roman: Honigtot.

Hanni Münzer hat sich die Zeit genommen, mir ein paar Fragen zu beantworten:

Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biographie erzählen?

Eine ganz normal Verrückte aus Bayern, glücklich verheiratet, zwei Kinder, ein Hund. Sie ist vorlaut, mit der Neigung zum zivilen Ungehorsam, erzählt gern schmutzige Witze (Spitzname:„Dirty Hanni“), nimmt sich aber selbst nicht zu ernst. Und sie liebt und lebt in ihren Geschichten.

Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für Ihr Schreiben?

Ich habe schon immer geschrieben. Da könnte man mich genauso fragen, was mich zum Essen, Trinken oder Lieben anhält. Schreiben ist für mich ein natürlicher Reflex, ich entkomme ihm nicht.

Es gibt diverse Angebote, kreatives Schreiben zu lernen, sei es an Unis oder bei Schriftstellern. Ist alles Handwerk, kann man alles daran lernen oder sitzt es in einem? Wie haben Sie gelernt zu schreiben?

„Talent ist zwar eine Voraussetzung, aber Können muss man sich hart erarbeiten.“ Das ist das Zitat eines fiktiven Musiklehrers aus meinem Buch „HONIGTOT“. Es ist wahr, für eine gute Geschichte muss man sich schinden. Recherche ist das A und O und: lesen, lesen, lesen. Man sollte nie aufhören zu lernen, vor allem von den Großen des Genres. Einen Schreibkurs habe ich nie besucht.

Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Schreiben Sie einfach drauf los oder recherchieren Sie erst, planen, legen Notizen an, bevor Sie zu schreiben beginnen?

Erst die Idee, dann die Recherche. Das ist der schönste Part: Ich marschiere mit der Liste der Bücher, die ich dazu lesen muss in meine Buchhandlung vor Ort, und komme mit doppelt so vielen wieder heraus. Mindestens. Bücher sind für mich wie Schuhe, ich muss sie alle haben. Hier endet die Vorbereitung. Ich gestehe: Am Anfang steht die Planung, am Ende regiert das Chaos.

Wann und wo schreiben Sie?

So oft ich kann, verschwinde ich in meinen Schreibkeller.

Hat ein Schriftsteller je Feierabend oder Ferien? Wie schalten Sie ab?

Ich muss nicht abschalten. Schreiben ist für mich Entspannung pur, mein Gehirn hat immer Ferien. Die Geschichten und Ideen suchen mich zu jeder Tages- und Nachtzeit heim. Oft treibt es mich mitten in der Nacht an den PC. Mein Mann schimpft. Ich höre erst auf zu schreiben, wenn er nach einer warmen Mahlzeit verlangt. Oder der Hund mir die Leine vor die Füße legt. Mein Mann behauptet ja, ich könne mich nicht „Abschalten“, weil ich im wahrsten Sinne des Wortes eine Schreibmaschine wäre. Stimmt nicht, ich genieße die Zeit mit ihm, meiner Familie, meinen Freunden, dem Hund, dem Garten, dem Sport. Nicht zuletzt mit einem guten Buch. Und tausend anderen Dingen …

Hanni mit HundWas bedeutet es für Sie, Autor zu sein? Womit kämpfen Sie als Schriftsteller, was sind die Freuden?

Ich habe das große Glück, dass aus einem Hobby, das für mich Berufung war, ein Beruf geworden ist, von dem ich derzeit sogar leben kann. Das Einzige, womit ich als Autor kämpfe, ist die Zeit. Sie zerrinnt mir zwischen den Händen.

Die größte Freude, die ich als Autor erlebe, ist der direkte Kontakt zu meinen Lesern. Gerade zu „HONIGTOT“ haben mich viele Leser angeschrieben, weil das Buch sie berührt hat, darunter auch einige Zeitzeugen. Für diese Sternstunden lebe und schreibe ich und dafür bin ich vor allem zutiefst dankbar. Kürzlich schrieb mir eine Leserin, meine erfundene Geschichte von Adam und Eva und der ersten Ameise Moriah aus „Honigtot“, habe es sogar als Hauptthema in die Predigt eines Pfarrers gebracht, der sie mit der Bergpredigt verknüpft hat. Wenn das mein alter Pfarrer Braun wüsste: Der ist daran verzweifelt, dass er mich nicht zum Glauben hinführen konnte.

Wie ist das Verhältnis zu den Verlagen? Hat sich das verändert in den letzten Jahren? Man hört viele kritischen und anklagenden Stimmen, was ist Ihre Sicht der Dinge?

 Diese Stimmen kenne ich nur vom Hörensagen. Verlage sind Unternehmen und müssen wirtschaftlich arbeiten, davon hängt die Zahl ihrer Arbeitsplätze ab. Die Konkurrenz ist groß und die veränderten Marktbedingungen machen es nicht leichter. Dass hier, wie in jeder anderen Branche auch, hart um und mit der Ware „Autor“ gefeilscht wird, ist nachvollziehbar. Es geht immer um Umsatz und Gewinn. Auch der Autor ist Unternehmer. Etwas Methusalix finde ich das Abrechnungssystem im Computerzeitalter. Verlage könnten wenigstens quartalsweise abrechnen. Doch vorwiegend gilt die jährliche Abrechnungsweise mit Zahlungsziel 30-60 Tage, selten die halbjährliche, für die muss man kämpfen. Ich für meinen Teil kann jedoch sagen, dass ich bei meinem Wunschverlag Piper untergekommen bin und sehr glücklich über die bisherige Zusammenarbeit bin.

Ihr Roman Honigtot greift ein historisches Thema auf. Was hat Sie an diesem Thema gereizt?

Alles. Wieviel Zeit haben Sie?

Die Erzählungen meiner Stiefoma weckten in mir sehr früh das Interesse für die deutsche Vergangenheit. Wir sind mütterlicherseits Sudetendeutsche, väterlicherseits stamme ich zu einem Drittel von einer mobilen, ethnischen Gruppe ab. (So nennt man jetzt politisch korrekt ‚Zigeuner‘). Denkt man an diesen unsäglichen 2. Weltkrieg hat man sogleich die Bilder von Tod und Zerstörung im Kopf: Rollende Panzer, marschierende Soldaten, Bombenhagel, verwüstete Städte und Landstriche, vor allem aber auch Auschwitz mit seinen entsetzlichen Leichenbergen.

Diese Bilder wollte ich nicht heraufbeschwören. Ich wollte zeigen, was der Krieg mit den Seelen der Menschen machte, die das braune Regime damals zu unerwünschten Kreaturen erklärt hat. Wie diese Familien die Zeit erlebten, wie sie fühlten und litten und ums Überleben kämpften.

Und ich wollte den mutigen Frauen jener Zeit ein Denkmal setzen.„Honigtot“ lebt von seinen starken Frauengestalten. Elisabeth, die wie eine Löwin um ihre Liebe und später um ihre Kinder kämpft, ihre leidenschaftliche Tochter Deborah, die, um ihren Bruder zu schützen, zu allem bereit ist, und ihre toughe Freundin Marlene, die Widerstandskämpferin. Sie stehen stellvertretend für all jene Frauen, die in der heutigen Zeit ebenso für ihre Liebe, ihre Familie und ihre Kinder kämpfen müssen. Das ist der eigentliche Irrsinn: Es gibt immer noch zu viel Krieg und Unrecht auf dieser Welt. Der Mensch bleibt sich in seinen schlechten Taten treu, er lernt nicht dazu.

Hatten Sie auch Bedenken deswegen?

Niemals. Der Feind der Erinnerung ist das Vergessen. Die Erinnerung, zu welch furchtbaren Taten der Mensch fähig ist, sei es aus Machtgier, ideologischer Verblendung oder, weil jemand wie Hitler und seine Helfershelfer das anarchistische Umfeld geschaffen haben, das diese Monster damals straffrei wirken ließ, muss wachgehalten werden. Ich bin nur eine kleine Stimme, aber es ist eine Stimme.

Im Roman sieht man sich mit einer sehr prägenden Vergangenheit konfrontiert – sie prägt sogar, wenn man die genauen Hintergründe nicht kennt. Kann man seiner Vergangenheit entkommen oder ist sie immer präsent?

Mein Buch behandelt ja auch die Themen Schuld und Sühne und die Frage: Gibt es so etwas wie eine Erbsünde? Wie sehr wirkt sich das geistige Erbe, das vier Generationen Frauen in „Honigtot“ einander weitergeben, aus? Ist die Schuld unserer Väter vielleicht unsere Erbsünde? Wird es unserer Generation der Kriegsenkel je möglich sein, diese Schuld zu büßen?

Kürzlich fragte mich jemand dazu sinngemäß: Wenn uns die historischen Ereignisse wie eine unaufhaltsame Strömung treiben, sind wir noch für unsere Taten verantwortlich?

Ja, das sind wir.

Woher holen Sie die Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt man viel, sieht man viel. Aber wie entsteht plötzlich eine Geschichte daraus? Was inspiriert Sie?

Inspirationen und Ideen kommen, wenn sie wollen, nicht, wenn ich es will. Ich bin ihnen daher hilflos ausgeliefert. Natürlich hat die Idee zu einer Geschichte viele Wurzeln, sie wächst durch die eigenen Gedanken, Erlebnisse und Begegnungen, Gefühle und Emotionen.

Auch folge ich einem unbändigen Trieb der Neugierde, lese gerne, unterhalte mich gerne, reise gerne und interessiere mich für alles, insbesondere die unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Es beschäftigt mich sehr, nachzuvollziehen, warum der einzelne Mensch ist, wie er ist. Woher kommt das Böse, wie entsteht das Gute? Wie vorher erwähnt, recherchiere ich mit Leidenschaft. Oft ergeben sich dadurch neue Anregungen, ich entdecke einen Namen, dessen Schicksal ich weiterverfolge, knüpfe Gedankenfäden, die ich weiterspinne. So entstehen Geschichten.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiographisch. Das stimmt sicher in Bezug darauf, dass man immer in dem drin steckt in Gedanken, was man schreibt. Wie viel Hanni Münzer steckt in Ihren Geschichten? Stecken Sie auch in Ihren Figuren? Gibt es eine, mit der Sie sich speziell identifizieren?

Das ist eine hinterlistige Frage. Ich liebe sie alle; auch die Bösen. Die Guten müssen ja in der Relation gut sein können. Natürlich habe ich besonders an meiner Protagonistin im „SEELENFISCHER“, der Journalistin Rabea Rosenthal, gefeilt, eine kämpferische Weltverbesserin mit Idealismus-Virus:-). Sie hat auf meiner Webpage sogar ihre eigene Form der Zehn Gebote. Mir steht auch der Jesuit Simone nahe. Er hat einen unmöglichen Kleidungsstil, kocht gerne, zitiert Shakespeare und erzählt noch unter Folter Jesuitenwitze. Besonders aber beschäftigen mich meine vier Protagonistinnen in „HONIGTOT“, ich kann sie nicht loslassen. (Siehe oben zum historischen Thema.)

Viele Autoren heute und auch in der Vergangenheit haben sich politisch geäussert. Hat ein Autor einen politischen Auftrag in Ihren Augen?

Nein, warum? Buch ist Buch und Meinung ist Meinung. Die habe ich auch, als Bürger. Ich wünsche mir weniger Politik und Staat und dafür mehr Volksentscheide. Die Iren haben es uns gerade wunderbar vorgemacht mit ihrer Abstimmung für die Homo-Ehe.

Was muss ein Buch haben, dass es Sie anspricht? Gibt es Bücher/Schriftsteller, die Sie speziell mögen, die sie geprägt haben?

Wenn ich könnte, würde ich Tag und Nacht lesen, meine Lektüre ist auch stark stimmungsabhängig. An melancholischen Tagen lese ich Orhan Pamuk, Michel Houllebecq, Toni Morrison. Aber oft will ich vor allem eines: lernen. Ach, es gibt so viele großartige Kollegen, deren Bücher mich berühren und zum Nachdenken anregen. Alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Es ist kein Geheimnis, dass ich J.R.R. Tolkien verehre, sein sprachliches Spektrum ist genial. Er hat im Ersten Weltkrieg als Soldat das Gemetzel an der Somme mitgemacht und seine Erlebnisse in der Ring-Trilogie verarbeitet. Ich bewundere auch Richard Adams. Sein „Watership down“ ist magisch. Adams engagiert sich stark für den Tierschutz. Tiere sind ebenso Gottesgeschöpfe und ich finde, eine Gesellschaft sollte sich auch daran messen lassen, wie sie mit seinen Tieren und der Natur umgeht. Ansonsten lese ich sehr bunt. Jane Austen, weil sie zeitlos ist, Mark Twain, wegen seiner scharfen Zunge, aber vornehmlich Biographien von Zeitzeugen wie die von Egon Hanfstängl oder Hannah Arendt. Sehr lehrreich ist Robert Dallek´s „Kennedy – Ein unvollendetes Leben“. Es lässt die Verknüpfungen von Militär und Wirtschaft in den USA aufscheinen, auf die bereits Eisenhower in seiner berühmten Abschiedsrede 1961 hingewiesen hat. Auch Evelyne Levers „Madame de Pompadour“ ist ein Leseerlebnis. Die Pompadour war eine bewundernswerte Frau mit einem starken Charakter, künstlerisch multibegabt und von hoher intuitiver Intelligenz. In der heutigen Zeit wäre sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau oder ein gefeierter Impressario geworden. Eine wenig differenzierte Welt erinnert sich heute an sie mit Vorliebe als Matratze eines Königs.Das ist traurig.

Wenn Sie einem angehenden Schriftsteller fünf Tipps geben müssten, welche wären es?

  1. Das Wichtigste: Nehmen Sie sich Zeit! Eine Geschichte muss wachsen.

  2. Recherche, Recherche, Recherche – aus Büchern, nicht aus dem Internet. Da steht zuviel Blödsinn.

  3. Bloß kein W-Lan am Arbeitsplatz …

  4. Sätze nicht überfrachten. Muss der Leser wirklich wissen, ob Ihre Figur, „lange, dunkle, leicht gelockte Haare“ hat, auf dem „schief ein avantgardistisch anmutendes Hütchen sitzt, dessen schillernde Pfauenfeder sich sacht im vom smaragdblauen Meer herüberwehenden Wind bewegt“? (Seufz, ich wünschte, ich würde das selber genauso beherzigen)

  5. Schreiben Sie keinen Thriller, wenn Sie kein Blut sehen können.

  6. Machen Sie sich auf Kritik gefasst, die Welt hat nicht auf ihr Buch gewartet…

Oh, das waren jetzt sechs …

Ich bedanke mich sehr herzlich für diese sehr ausführlichen, spannenden und aufschlussreichen Antworten.

5 Kommentare zu „Hanni Münzer – Nachgefragt

  1. Sehr unkonventionelle Antworten, interessant ist die Sicht auf Talent und das heutige Verlagssystem. So mancher Weltschriftsteller, der sich noch in Klassikern über Hütchen und Löckchen ausgelassen hat, wäre heute kommerziell untragbar, aber es ist wohl auch eine Frage des richtigen Augenblicks, den Leser zu einer Emotion zu leiten, damit er dann diese Kunstsätze als wichtig und schön erachtet 😉

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    1. Ob die Leistungsorientierung wirklich Talent fördernd ist, ist fraglich. Kommerz und Kunst sind selten dasselbe, trotzdem bleibt es in dieser Gesellschaft nicht aus, dass die, welche fördern, meist etwas daran verdienen wollen. Das heisst nicht, dass die, welche verlegt sind, nicht gut sind, allerdings ist auch der Umkehrschluss, dass die, welche es nicht sind, schlecht seien, falsch.

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  2. Sandra! „Talend“ mit d? Das hat doch nix mit „Ende“ zu tun … sondern ist bestenfalls der Anfang! 😉 … 

    Aber was mir bei dem Interview aufgefallen ist: Münzers Auffassung, die sie offensichtlich in ihrem historischen Roman als zentral darstellt, deckt sich m.E. mit dem, was Du in Deiner Diss (in der Originalfassung ;-)) zum Ausgangspunkt und als wichtig(st)es Argument genommen hast: Dass die Geschichte gerade der eigenen Familie, Bevölkerungsgruppe o.ä. so prägend für uns ist, dass es nicht weniger bedeutet, als jemanden zur „Un-Person“ zu erklären, wenn man diese Geschichte für ungültig, unwahr usw. erklärt.

    Hm, vielleicht sollte ich doch mal wieder Belle-Tristique (= „Schöne-Traurigkeit/Langeweile“) *duck* lesen …? 😉

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