Rezension: Julia Jessen – Alles wird hell

Einsam im Dunkeln

Inhalt

Ich weine weiter. Weil ich so aufgeregt bin. Und lüge. Ich habe das Gefühl, ganz dunkel zu werden. Ich fühle es so sehr, dass ich Angst habe, Grossmutter könnte es sehen. Wie ich immer dunkler werde. […]
Die Tränen habe ich abgewischt. Jetzt fühle ich mich wie eine Fee. Oder ein Zauberer. Ich habe ein Geheimnis. Und das werde ich behalten.

Oda geht durch ihr Leben. Sie geht ihren Weg, mal umgeben von Familienglück, in dem sie sich doch immer ein bisschen fremd fühlt, mal auf der Flucht davor – sei es wirklich oder nur durch ein Verhalten, das weit weg von den Erwartungen der anderen ist. So wirklich dazu gehört sie nie, ist stets in Gedanken, von denen sie glaubt, dass die anderen solche Gedanken wohl nie hätten, geschweige denn verstünden.

Und jetzt denke ich an das Dunkle. Die kleinen Geheimnisse, die wir haben. Und das Helle. Das, was alle sehen können. Und ich frage mich, ob es Menschen gibt, die immer nur hell oder immer nur dunkel sind. Und ob eine Familie nicht sichtbar sein müsste füreinander. Und ob alle hier in der Küche auch so vieles im Dunkeln haben wie ich. […]
Offensichtlich bin ich unsichtbar. Wütend. Abgetrennt. Und aufgeribbelt.

 

Rezension

Vom fünfjährigen Kind mit den kleinen Lügen über die Zeit als Teenager mit allen Aufmüpfigkeiten bis hin ins Alter begleiten wir Oda. Wir werden Zeuge ihrer Gedanken, ihres Haderns mit sich und der Welt. Wir erleben mit, wie sie um Entscheidungen ringt, sich im Leben hält und doch immer wieder für sich ausbricht. Auf ihre Weise. Sei es mit 5, 16, 40 oder 80, Oda geht immer ihren eigenen Weg – tief in sich drin. Und sie fühlt sich damit einsam, alleingelassen, auch unverstanden. Sie sammelt Lügen an im Laufe dieses Lebens, die sie begleiten, die die dunkle Seite des Lebens – nur ihres Lebens? – ausmachen.

Julia Jessen lässt Oda aus der Ich-Perspektive ihre Geschichte erzählen. Sie tut das in kurzen, klaren Sätzen, die das Buch einerseits hart machen, wohl als eine Art Schutzschild Odas fungieren, ihr alleingelassenes Inneres zu decken. Andererseits ist das Buch sehr feinfühlig, sehr tief, dringt in die tiefsten Ecken von Odas Denken und Fühlen ein, bringt die Fragen ihres Lebens ans Licht – nur für den Leser, für ihr Umfeld bleiben sie wohl meist im Dunkeln.

Alles wird hell ist nicht eine erzählte Geschichte im Sinne eines linearen Plots, es ist eine Ansammlung von Puzzleteilen aus einzelnen Etappen aus Odas Leben, die in Bruchstücken, wie sie in Odas Kopf auftauchen, erzählt werden. Es ist der Rückblick auf Odas Leben, erzählt im unmittelbaren Präsens, so dass wir jederzeit live vor Ort sind beim Lesen, miterleben, mitfühlen. Uns ab und an vielleicht auch hineinfühlen oder etwas für uns selber weiterdenken.

Julia Jessen ist mit Alles wird hell ein sehr sprachgewaltiger Roman gelungen. Die Sprache in ihrer schnörkellosen Art widerspiegelt auf eine Weise die in sich stimmige, auch rebellische, weil in sich selber verweilende, das Aussen nur betrachtende Art der Protagonistin. Sie gibt dem Roman, der ansonsten wenig Handlung und Spannung aufweist, eine Dynamik, zieht den Lesenden weiter. Ein gelungener Debütroman!

Fazit:
Wie viel Dunkel hat im Leben Platz und wo ist das Licht? Ein Roman über das Leben einer Frau, die immer ein bisschen abseits steht, trotzdem ihren Weg im Leben sucht und geht. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Julia Jessen
Julia Jessen, geboren 1974, hat ihr Literaturstudium abgebrochen und eine Ausbildung als Schauspielerin gemacht. Sie arbeitete zehn Jahre für Film und Fernsehen, spielte in mehreren Theaterproduktionen und unterrichtete an verschiedenen Schauspielschulen. 2010 gründete sie das »Kurswerk« in Hamburg für Schauspielunterricht und Persönlichkeits- und Präsenztraining. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Hamburg.

 

Angaben zum Buch:
JessenAllesTaschenbuch: 304 Seiten
Verlag: Verlag Antje Kunstmann GmbH (11. Februar 2015)
ISBN-Nr.: 978-3956140242
Preis: EUR 19.95 / CHF 28.90

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2 Kommentare zu „Rezension: Julia Jessen – Alles wird hell

  1. Hallo,

    ich bin durch’s googeln auf deine Rezension gestoßen und habe mir erlaubt sie im Sinne der Bloggervernetzung auf meinem Blog als Link aufzunehmen. Wenn du etwas dagegen hast, sag mir doch bitte Bescheid. Du findest den Link hier: http://booksinmyworld.de/rezension-alles-wird-hell-julia-jessen/

    Auch wenn ich deine Begeisterung für „Alles wird hell“ nicht ganz teilen kann, stimme ich dir in einigen Punkten durchaus zu. Definitiv ist es ein besonderer Roman!

    Liebe Grüße
    Evi

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    1. Liebe Evi, ich freue mich über die Verlinkung.

      Der Roman entsprach mir persönlich nicht, da ich wohl schlicht nicht die Zielgruppe bin. Trotzdem finde ich es einen guten Roman, einen, der in sich stimmig ist, bei dem Figuren, Sprache und Handlung ein gutes Ganzes ergeben und der Fragen berührt, welche die grossen und wichtigen des Lebens sind. Darum konnte ich ihn nur positiv beurteilen.

      Liebe Grüsse
      Sandra

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