Stinkefinger

Bin ich allein, sehne ich mich nach Gemeinschaft, bin ich unter Leuten, fehlt mir die Einsamkeit. Es ist, als ob das Leben es nie recht macht oder als ob ich im Leben nie antreffe, was ich brauche. Ist das Leben falsch? Bin ich es? Gehe ich durchs Leben und spiele Hand im Schneckenloch oder hat dieses Leben einfach ein verdammt schlechtes Timing?

Eigentlich wollte ich ja ein Buch schreiben. Einen Roman. Ich weiss wie es geht, ich weiss, was ein guter Roman ist. Aber irgendwie gelingt es nicht. Nach wenigen Seiten ist meine Geschichte fertig, sofern ich überhaupt eine finde. Und wenn ich keine finde, überlege ich mir, wie ich eine finden könnte und ob ich dazu Notizen machen müsste. Ich überlege, ob ich die Notizen in ein Notizbuch schreiben oder gleich in den Computer tippen soll. Ich beschliesse, gleich ein Notizbuch zu kaufen. Am besten kaufe ich gleich mehrere, für den Fall, dass das erste voll ist, hätte ich gleich weitere greifbar. Im Bücherregal sähen sie sicher toll aus, so in Reih und Glied nebeneinander stehend. So weit ist es aber noch nicht, da ich beschliesse, dass Computer praktischer wäre. Ich schreibe schneller am Computer, sitze meist davor und da ginge es im Gleichen. Zudem lässt sich die Schrift besser lesen.

Nur habe ich den Computer nicht immer dabei und ihn immer mitschleppen ist doch eher mühselig. Also wäre ein Notizbuch für unterwegs gut, in das ich aufkommende Gedanken schreiben könnte, sie dann zu Hause abtippen. Allerdings klingt das so unromantisch und schon gar nicht kreativ. Kreativität muss doch frei sein. Ich stelle mir die anders vor als ödes Abtippen von popeligen Notizen.

Ich sehe mich – ganz Künstler – mit einem Schal um den Hals auf meinem Holzstuhl sitzen, den Kopf auf die Hand gestützt, nachdenklich. Und dann kommt die Idee und man sieht sie förmlich in meinen Augen blitzen. Ich stürze mich auf die Tasten, wühle mit einer Hand immer wieder in meiner zerzausten Frisur, um die richtigen Worten ringend, was mir noch einen kreativeren Ausdruck gibt. Und ich schreibe mein Buch. In der Vorstellung klappt das super. Und ich finde, das passt zu mir. Das bin ich, so will ich sein. Fehlt also nur noch die Idee für eine Geschichte für die Realität.

Andere wachsen im Krieg oder in einem Bergdorf auf. Sie können von Entbehrungen, Bomben oder kalten Nächten berichten. Bei mir war alles geheizt, nicht mal meine Eltern liessen sich scheiden. Sie haben meine Schriftstellerkarriere auf dem Gewissen, wenn mir nicht bald etwas einfällt, das ich schreiben könnte. Hätten sie mir eine problembeladenere Kindheit geliefert, könnte ich nun aus dem Vollen von Traumata und anderen Beschwerden schöpfen und das Publikum läge mir zu Füssen, würde sich wiedererkennen oder zumindest Mitleid haben. Wer will schon von idyllischen Familienausflügen im Sonntagskleid lesen, von heiler Welt mit zwei Elternteilen, die sich nicht mal übermässig stritten. Keine fliegenden Tassen, keine Eskapaden, keine Hungersnot oder Schläge. Einfach gähnende Langeweile. Kein Wunder habe ich keinen Fundus für Geschichten.

Und so sitze ich hier und merke, dass ich ganz schön in der Misere sitze. Nicht nur habe ich keine Geschichte zu erzählen, ich wüsste nicht mal, ob ich sie zuerst ins Notizbuch (von dem ich nun fünf Exemplare für den Fall der Fälle hier habe) oder gleich in den Computer schreiben soll. Zudem frage ich mich, wieso mir am Anfang all dieser Gedanken in den Sinn kam, dass ich weder allein noch in Gesellschaft glücklich bin, da das doch wahrlich überhaupt nichts mit meinem eigentlichen Problem zu tun hat. Und wenn ich nun so weiter nachdenke, dann hat der ganze Gedankenfluss wenig Sinn, er kam so über mich, ohne Ziel, ohne Grund, ergoss sich einfach über meine Finger in die Tastatur und steht nun da, schwarz auf weiss – mit ein paar roten und grünen Wellenlinien, mit denen mir das Programm sagen will, dass mein Deutsch nicht das sei, was es als richtig erachte.

Bräuchte ich nicht alle Finger zum tippen, würde ich dem Programm einen zeigen. Das macht man zwar nicht, aber das wäre mir gerade egal, denn ich merke, dass ich mittlerweile wütend bin ob all der nicht getroffenen Entscheidungen, ob all der Ideenlosigkeit und vor allem wegen meiner ach so doofen Kindheit, aus der sich nichts, aber auch gar nichts, und schon gar kein Roman machen lässt.

13 Kommentare zu „Stinkefinger

  1. Eine vermurkste, gewalttätige Kindheit ist kein Garant für gute Bücher mit literarischen Texten, die von einem, ja, eigentlich welchem Publikum aufgesogen werden? Und was sollten diese Geschichten beim Lesepublikum auslösen? Bedauern? Das will niemand der so etwas schreibt. Achtung und Respekt? Hat man sich lange verdient, bevor die Tastatur erste Flecken auf dem Bildschirm hinterlässt. Allenfalls rechnet der Autor mit einer gewissen Nachdenklichkeit, sofern sich diese einstellt. Nein, auch jemand mit schlimmen Kindheitserlebnissen schreibt nur aus einem Grund. Damit die Geschichten aus seinem Kopf herauskommen, denn dann herrscht diese angenehme friedliche Stille in einem Schreiber und es existiert wieder der Platz im Kopf, den man für neue Geschichten benötigt.

    Gefällt 3 Personen

  2. Dein Programm hat vermutlich keine grüne oder rote Linie unter „sehen“ im ersten Satz gemacht, denn das ist ja ein korrektes Wort, auch wenn sicherliche „sehne“ gemeint ist. Das Gefühl, das Du dann beschreibst, hat Kant die „ungesellige Geselligkeit des Menschen“ genannt, sie ist also wohl kein „Alleinstellungsmerkmal“, sondern eher typisch – zumindest für Menschen, die gerade keine anderen Sorgen haben *duck*.

    Dass Dein Leben keinen Stoff für eine literarische Darstellung biete, könnte ich – soweit ich es kenne – heftig bestreiten. Und da dabei die (miese) Behandlung durch andere eine nicht unwesentliche Rolle spielen würde, hätte so eine autobiographische Darstellung auch eine Verbindung zur Aussenwelt und wäre somit davor sicher, nur eine „Nabelschau“ („Was ich in meinem Leben bisher so dachte …“) zu werden. Aber ich würde nicht dazu raten. Du weisst, dass ich kaum Belletristik lese, ich interessiere mich aber schon für Biographien (eher nicht: Autobiographien). Was ich aber grundsätzlich schwach finde, ist Literatur, die (fast ausschliesslich) die privaten Erlebnisse des Autors leicht verfremdet wiedergibt. In den allerseltensten Fällen ist deren Biographie so spannend, dass sie für anderen von Interessen sein sollte. Und selbst wenn: Es zeugt in meinen Augen von einem katastrophalen Mangel an Phantasie, sein eigenes Leben zur Grundlage eines Romans zu machen … und sich dann vermutlich bereits beim zweiten über eine „Schreibblockade“ zu wundern. Zugegeben, viele aktuell hochgelobte Romane, Erzählungen, wohl auch Theaterstücke sind wohl nicht viel mehr als das: Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit durch den Autor. Deshalb gibt es wohl auch so viele davon. Und selbst grosse Literatur wie die „Buddenbrooks“ stellt ja nur wenig verfremdet eine persönliche Familiengeschichte dar. Aber dann kommt eben vielleicht auch noch die (nicht jedem gegebene) Fähigkeit zur literarischen Gestaltung hinzu. – Für einen eigenen Anfang in der Literatur halte ich so ein biographisches Vorgehen aber eher für bedenklich. Sich dagegen eine ganze Geschichte mit originellen, irgendwie interessanten Personen und Handlungen auszudenken und diese auch noch sprachlich gekonnt zu formulieren, halte ich schon für extrem anspruchsvoll. (Vermutlich ist es dieser Anspruch meinerseits an Literatur, womit sich meine „Abstinenz“ rechtfertigen liesse ;-)) – Hierfür wäre jedenfalls das Notizbuch ganz sinnvoll, weil man die Vorlagen für seine Figuren, Handlungen, ausgefallene Formulierungen etc. wohl eher „draussen“ findet.

    Also, warum nicht vielleicht eher mit kurzen Geschichten anfangen. Da muss man keinen grossen Bogen schaffen und langen Atem haben, Gestalten sich entwickeln lassen, möglichst mehrere unvorhergesehene Wendungen einbauen … aber es muss schon andererseits irgendwie „auf den Punkt“ sein. Dummerweise ist das minutiöse Beschreiben von Unauffälligem durch Handke (u. vermutlich andere) schon abgenutzt, sonst wäre das noch eine Alternative.

    Du weisst ja, ich fände einen Krimi, der skurile Situationen bringt, dabei schamlos, aber witzig gängige Vorlagen persifliert und Personen karikiert … vielleicht gar nicht so schlecht. Der wäre vielleicht auch (finanziell) erfolgreicher als ein weiterer Entwicklungsroman und vielleicht sogar Grundlage für eine Verfilmung? Dann hätte man vermutlich immerhin soviel Geld verdient, dass man das nächste Projekt mit viel Ruhe angehen könnte?

    Man kann sich natürlich auch in Weltgegenden begeben, wo gerade viel „Spannendes“ passiert, es müssen ja nicht gleich Kriegsgebiete sein. Aber das kommt wohl vorerst eher nicht in Frage und setzt – meiner Meinung nach – auch voraus, dass man sich lange und intensiv darauf vorbereitet und auf Land & Leute einlässt, um nicht irgendwelchen Unsinn zu erzählen. (Aber selbst das schaffen ja Autoren, die bspw. in einem „fernen Land vor langer langer Zeit“ – z.B. der DDR – aufgewachsen sind und darüber Romane schreiben, welche mit der Realität des Lebens dort weniger zu tun haben, als Gullivers Reisen mit Ethnologie … 😉 )

    So, war das jetzt ein hilfreicher Kommentar? Naja, eher nicht … wohl auch nur so ein „Gedankenstrom“ … 😉

    Like

    1. Das war ja beinahe ein Roman – du solltest dir überlegen, ob du nicht einen solchen schreiben willst, da du doch immer viel ausführlicher schreibst, als ich es je könnte – ich abe immer schon genut zu tun, das dann zu lesen – vermutlich komme ich drum nicht zum schreiben 😉

      Gefällt 3 Personen

  3. So wie es dir mit dem Schreiben geht, geht es mir mit dem Malen. Keine persönlichen schwarzen Löcher, die es mit wütig kraftvollen Pinselstrichen auf die Leinwand zu bringen gilt. Auch ich träume von körperlich und geistig erschöpfenden kreativen Schüben, welche die Nacht zum Tag und allesrundum vergessen machen.
    Tatsächlich sitze ich in meinem Malzimmer vor leerer Leinwand und forsche in mir nach Gefühlen, welche sich lohnen ausgedrückt zu werden.
    Ich kann dich sooo gut verstehen. Schön, deine Zeilen zu lesen und zu erfahren, dass ich nicht allein bin mit diesem Elend.
    Ooh, ein Elend gefunden….ob sich das malerisch umsetzen liesse?

    Gefällt 2 Personen

  4. Genug Bücher sind geschrieben, kommen eh alle bei Endstation „Tonne“ an, so habe ich für mich beschlossen, dass mein Blog mein „Buch“ sei. Das läuft prächtig, habe schon einige meiner Leser persönlich kennengelernt und die Kommentare passen mir bestens ins Romanschreibertagesgeschehen!
    Gruß von Sonja

    Gefällt 1 Person

  5. Du schreibst über mich und mein Leben. Und hast vergessen zu erwähnen, dass besagte Notizbücher natürlich nicht von Migros stammen, sondern echte Moleskines sein müssen, weil alle grossen Schriftsteller eben solche verwendet haben.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar