Rezension: Diane Brasseur – Der Preis der Treue

Ist Liebe teilbar?

„Geliebte“ – dieses Wort gefällt mir gar nicht. ich bringe es mit dem Getuschel meiner Klassenkameraden in der Grundschule in Verbindung.
Ich habe eine Geliebte, habe ein Verhältnis. Ich bin untreu.
Mehrmals täglich sage ich mir das, um mich selbst davon zu überzeugen. Ich habe das Gefühl, die Gedanken eines anderen zu denken.

Er ist 54, Pariser Anwalt, seit 19 Jahren verheiratet und er hat eine Tochter. Er liebt seine Frau, aber er vermisst Alix, wenn er nicht bei ihr ist. Alix ist 23 Jahre jünger und seine Geliebte seit einem Jahr. Unter der Woche wohnt er bei ihr in Paris, am Wochenende geht er heim zu seiner Frau und seiner Tochter nach Marseille. Er müsste sich entscheiden und stellt sich vor, wie die Dinge liefen, würde er sich entscheiden oder käme seine Frau hinter die Affaire. Er stellt sich vor, wie Alix mit ihm Schluss machen würde oder was passieren könnte, wenn er seine Frau verliesse. Und immer schiebt er die Entscheidung wieder hinaus.

Mit Alix kann ich die Zeit zwar nicht zurückdrehen, aber sie bietet mir, in einer Lebensphase, in der meine Perspektive sich verengt, die Chance, noch mal von vorn anzufangen. […] Es ist toll, sich sagen zu können: Das ist noch drin!

Der namenlose Ich-Erzähler beschreibt sein Leben zwischen zwei Frauen. Er denkt über die Liebe nach, über seine Beziehung zu seiner Familie und der zu Alix. Er spielt in Gedanken die verschiedensten Szenarien durch, um schlussendlich doch alles zu belassen, wie es ist. Er denkt die Gedanken der beiden Frauen, stellt sich ihre Reaktionen auf verschiedene Situationen vor, ohne je eine davon zu erleben. Er lebt zwei Leben, die beide seines sind. Und keines kann er sich vorstellen, zu verlassen. Er liebt seine Frau, er liebt Alix. Weihnachten steht vor der Tür, geplant ist eine Reise mit der Familie nach New York. Eigentlich er geeignete Zeitpunkt, endlich eine Entscheidung zu treffen.

In einer klaren Sprache, ohne grosse Sentimentalität, erzählt Diane Brasseur die Geschichte des Anwalts, der neben seiner Frau eine junge Geliebte hat. Dabei geht es nicht um Schuld, nicht um falsch oder richtig. Es geht um Gefühle, um Entscheidungen, um das Leben, das nicht immer erklärbar ist. Es geht um Entscheidungen, die man trifft, treffen muss und auch getroffen hat – und wie man damit umgeht.

Fazit:
Nachdenklich, dicht, sprachlich und inhaltlich packend. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Diane Brasseur
Diane Brasseur, 1980 geboren, ist in Straßburg aufgewachsen und hat einen Teil ihrer Schulzeit in Großbritannien verbracht. Nach ihrem Filmstudium in Paris begann sie, als Script Supervisor zu arbeiten, unter anderem für bekannte Regisseure wie Albert Dupontel und Olivier Marchal. Diane Brasseur lebt in Paris.

Angaben zum Buch:
BrasseurTreueTaschenbuch: 176 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (1. April 2015)
Übersetzung: Bettina Bach
ISBN-Nr.: 978-3423260695
Preis: EUR 14.90 / CHF 29.90
Zu kaufen in jeder Buchhandlung vor Ort oder online u. a. bei AMAZON.DE und BOOKS.CH

 

 

 

10 Kommentare zu „Rezension: Diane Brasseur – Der Preis der Treue

  1. Das gefällt mir.

    „in einer Lebensphase, in der meine Perspektive sich verengt…“: Wieso muß sich die Perspektive eigentlich verengen?.

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  2. Das kann es doch niemals sein! Ich kenne Leute mit 75, die so etwas nicht empfinden.

    Ich stelle mir vor: Das Leben rostet ein, bewegt sich lange schon in gewohnten Bahnen. Dann plötzlich ein Mensch neben sich, für den (noch) alles offen ist.

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    1. Es muss ja nicht generell so sein, aber in dem Fall, in der Geschichte, wird es so empfunden. Menschen sind verschieben und sie sehen die Welt unterschiedlich. Ich habe es schon oft gehört, dass das Leben anders gesehen wird, wenn man älter wird. Grad kürzlich hat Milena Moser darüber gesprochen, wie sich ihr Leben über 50 verändert hat – und auch der Blick darauf.

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  3. Ist Liebe teilbar? Im wörtlichen und weiteren Sinne ja, wenn die Betrachtung auch auf die Mutterliebe, die Liebe zu seinen Kindern, Geschwisterliebe u.ä. ausgedehnt wird.

    Aber DIE LIEBE im engeren Sinne, also die ganz große und einzige Liebe/Partnerschaft zwischen den beiden Geschlechtern… welche so viele Entbehrungen, Defizite, Sehnsüchte des menschlichen Lebens einfach zu eliminieren vermag, welche “Löcher im Herzen“ zu schließen vermag, welche tiefen ureigenen Lebenssinn stiftet, dauerhaft Lebensfreude und Lebensenergie generiert, das Leben leichter macht, weil sie beschwingt… Solch wahre große Liebe ist unteilbar !! Weil: sie ist edel, rein, in sich vollkommen, tief und dauerhaft. Sie schließt das bewusste oder gar vorsätzliche Zufügen von Schmerz und Enttäuschung dem gelieben Partner gegenüber aus. Sie kennt keinerlei “Ausschweifungssehnsüchte“, denn dies ist der ganz großen Liebe wesensfremd. Sie ist ja in sich schon erfüllt, in sich treu, macht demütig, ruht in sich… Sie begleitet tagtäglich solch glückliche Menschen, die so mit sich und der Welt im Reinen sind. Da kommen erst gar keine “dummen Gedanken“ auf.

    Ist das jetzt weltfremde Romantik von mir? Ich weiss auch nicht… Ich glaube aber, dass es sie gibt… und gar nicht mal so selten… jedoch seltener in den jungen Jahren. Da ist die Liebe, vor allem die des Mannes, zu sehr hormongeprägt und -gesteuert.

    Leider und überhaupt begegnet man solch idealen Lebenspartner – insbesondere was die gegenseitige ehrlich-tiefe lebenslängliche Liebe angeht – statistisch nur zweimal im Leben, wie ich in einer hochinteressanten Runde namhafter Soziologen mal staunend erfuhr.

    Manchmal denke ich, der wesentliche “kosmisch-philosophische Dasein-Sinn“ des Menschen ist die LIEBE… weil… was die LIEBE ist, was sie ausmacht … es müssen die wahren “Gottesteilchen“ sein.

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    1. So, wie du es beschreibst, klingt es nach göttlicher/utopischer Liebe. Ich kenne (Gott sei dank niemanden), der Liebe je so erlebt hat. Liebe ist unperfekt, wie alles andere menschliche, was aber nicht heisst, dass sie nicht tief und lebenslang sein kann.

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