Szenen einer Ehe

Er, nennen wir ihn Heinrich, weilte gerade auf Geschäftsreise in fernen Landen. Die Lande waren so fern, dass Zeiten verschoben, Umstände anders waren und Teiche dazwischen lagen. Eines Abends rief der gute Mann seine Frau, nennen wir sie Claudia, an, und sagte ganz aufgeregt: „Du, ich muss dir unbedingt erzählen, was mir gestern Nacht passiert ist. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, ich konnte mich im ersten Moment kaum erholen von dem Anblick.“

Claudia ganz Ohr, dachte einerseits das Schlimmste, andererseits nur das Beste, auf alle Fälle erwartete sie etwas aussergewöhnlich Spannendes, so dass sie vor lauter Anspannung nicht mehr rausbrachte als: „Ach ja?“

Heinrich, seines Zeichens Mann und dazu kein schweigsamer, hub gleich zu erzählen an: „Wir hatten doch gestern Vollmond. Als ich rausschaute, sah ich aber keinen Mond, ich sah nur dessen Corona. Alles sonst war finster.“

Claudia konstatierte, dass mit Corona wohl kein Bier gemeint sei und der gute Mann somit wohl auch keinen Mann auf dem Mond erblickt hatte, sondern ihr von einer Mondfinsternis erzählte.

Als ob Heinrich ihre Gedanken gehört hätte, fügte er hinzu: „Das war eine Mondfinsternis. So etwas kommt nur selten vor.“

Claudia wartete.

Heinrich schwieg.

Claudia sagte nur vorsichtig: „Ach ja?“

Heinrich schwieg. Es hörte sich wie ein abwartendes Schweigen an, was natürlich nicht geht, da man Schweigen nicht hört oder wenn, dann nur dadurch, dass eben nichts gesagt wird, man also nichts hört. Als das Schweigen nicht enden wollte und so ein schweigendes Telefonat eher komisch ist, fragte Claudia mal vorsichtig nach: „Das war nun alles? Ich meine, kommt da noch was oder war das schon die Pointe?“

Auf der anderen Seite der Leitung hörte man ein ungläubiges Ausschnaufen. Heinrich verstand offensichtlich diese so unglaublich anmutende Ignoranz und nicht nachvollziehbare Gleichgültigkeit seinen so herausragenden Erlebnissen gegenüber nicht.

Claudia fragte sich noch immer, was denn nun das Spannende daran gewesen sei. Da war kein Mond. Also kein sichtbarer. Kann ja mal passieren.

9 Kommentare zu „Szenen einer Ehe

  1. Unfreiwillig komisch. Ich stelle mir dann Jack Lemmon vor, wie er total begeistert seine Frau, gespielt von der wunderbaren Shirley MacLaine, anruft und der Bildschirm in zwei Hälfen geteilt ist, um die Reaktionen der Beiden gegeneinander zu stellen 🙂

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  2. Vielleicht hätte es der Mann ein bisschen mit Lyrik versuchen sollen. 🙂

    „Regennacht.
    Kein Mond.
    Nie war er so schön.“

    (Aus: Toyotama, Tsuno: Gelöstes Haar, Gedichte aus dem Japnischen)

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    1. Ich kann mir gut vorstellen, dass das so viel besser angekommen wäre. Vielleicht hätte sie ihn aber auch pathetisch gescholten. Wer weiss schon, was bei Frauen so im Kopf rumschwirrt.

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  3. Hast du mich belauscht? Haha. Szenen meiner alten Ehe. Er, hat Mathe, Physik und Informatik studiert, ruft mich aus München an … wegen dem, äh, der Corona. Carola? Er ist extra wegen der Sonnenfinsternis dort hingefahren. Hätte ihn fast begleitet, allerdings um ins Deutsche Museum zu gehen. ;-))) War aber beruflich unabkömmlich.

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