Marlboro-Mann

Einsam reitet der Marlboro Mann durch die Prärie. Den Hut im Nacken, die Zigarette im Mundwinkel gibt er dem Pferd die Sporen und prescht dahin. Er verkörpert Abenteuer, Männlichkeit, Kraft und Wille. Frau kann dem kaum widerstehen, mit offenem Mund, einer dünnen Speichelspur aus dem Mundwinkel, sitzt sie da und starrt ihn an, starrt auf seine Muskeln, die am nackten Oberkörper spielen, gäbe ihre Schuhsammlung dafür, dürfte sie ihn nur einmal berühren. Frau ist in ihren Instinkten gefangen. Der Abenteurer, wild und stark zeugt von den besten Genen, er ist der Sieger im Genpool, der perfekte Erzeuger. Genau diese Gene braucht sie, um eine gesunde Brut auf die Beine zu stellen. Und selbst wenn sie aus dem Brütealter heraus ist, geben die Gene ihren Senf dazu bei der Wahl des Mannes. Noch immer ziehen die Signale, noch immer siegen die Instinkte, überrumpeln die Hormone.

Dann wäre da noch der liebe Nette von nebenan. Sieht gut aus, ist der Liebling der alten Damen im Haus, hat Manieren, Witz und Geist. Er ist ein guter Kumpel, Freund in allen Lebenslagen. Frau liebt es, bei ihm sein Herz auszuschütten, zieht mit ihm um die Häuser, immer offen für den einen Wahren, der im Sturm das Herz erobert, weil er so gar nicht lieb und nett ist. Wir lieben unseren netten Freund, würden ihn nicht hergeben, aber hin und weg, so ganz, das sind wir nicht, dazu brauchen wir den bösen Buben, der uns Spannung und Herausforderung verspricht.

Der böse Bube ist nicht nur böse, sonst würden wir ihm nicht verfallen, wir sind ja nicht doof. Er ist sehr charmant, sehr zuvorkommend, erzählt von seinen Abenteuern auf dem Marlboroross, erzählt von Sonnenuntergängen, denen er entgegen reitet, will uns mitnehmen, gehalten in den starken Armen. Wir sehen uns vor dem geistigen Auge in dieser romantischen Szene. Wir schauen ihm tief in die Augen, er schaut genauso zurück. Das Schicksal scheint besiegelt. Glücklich reiten wir schon mal imaginär gen Horizont, wähnen uns am Ziel angekommen, endlich den Mann gefunden zu haben, der all das hat und ist, was wir uns wünschen: Abenteuer, Stärke, Romantik, diese ach so wunderschönen Augen, den dazugehörenden begehrenden Blick, der uns einerseits anzieht, andererseits auszieht und uns sagt, wir seien die wunderbarsten Geschöpfe auf Erden. Er verspricht, uns die Welt vor die Füsse zu legen, die Sterne vom Himmel zu holen und uns auf Händen zu tragen. Wir sind ihm erlegen.

Nun ist der Abenteurer nicht umsonst Abenteurer, das Abenteuer des Eroberns verliert seinen Reiz, das nächste lockt. Er geht zur Tagesordnung über und ist, was er ist: Ein böser Bube, der dabei immer noch nicht böse im wirklichen Sinne ist, aber eben auch nicht der liebe Nette. Er will nicht täglich mit dem Gaul gen Sonnenuntergang reiten, schon gar nicht mit uns im Arm. Irgendwann ist auch mal gut und es reizt wieder, über Stock und Stein zu preschen, ohne Ballast im Arm, sondern mit den Kumpels im Schlepptau. Er findet Romantik toll, uns auch, aber alles zu seiner Zeit. Die Sterne bleiben am Himmel hängen, die Welt liegt nicht zu Füssen, zum getragen Werden sind wir zu schwer. Das zu beklagen hätte wenig Sinn, schliesslich und endlich wollten wir diesen wilden Abenteurer. Wir fuhren auf genau dieses Eigenwillige, dieses Ungestüme ab, was also hat uns bewogen, zu glauben, er sei nachher wie Wachs in unseren Händen? Und hätten wir es geglaubt, hätten wir ihn dann so anziehend gefunden?

Irgendwann merken wir: Aus einem Abenteurer macht man keinen zahmen Lebensbegleiter, wir ziehen die Konsequenzen und lassen ihn frei. Wir schwören uns, nie mehr auf den wilden Abenteurer reinzufallen, wissen, wir kommen damit nicht klar, wissen, das geht nie gut. Wir kennen nun all die Vorzüge des lieben Netten, die uns in der ganzen Abenteuergeschichte doch gefehlt haben, die uns nach dem bitteren Ende wieder auffingen, die uns wieder Hoffnung gaben, doch nicht ganz falsch gewickelt zu sein in unseren Träumen, Ideen, romantischen Phantasien. Wir wissen, dass es doch noch Männer gibt, die Sonnenuntergänge mögen, die für einen da sind, die Sterne pflücken toll finden. Wir ziehen wieder mit ihm um die Häuser, freuen uns am Leben.

Und dann sehen wir IHN. Er steht an der Bar. Wild und verwegen. Er blickt uns an, wir blicken zurück und träumen von Abenteuer, von Sonnenuntergängen und starken Armen. Und wir sind sicher: Dieses Mal ist alles anders.

8 Kommentare zu „Marlboro-Mann

  1. Abgesehen davon dass es unzählige davon gab. Ist der nicht ganz romantisch und abenteuerlustig auf Lungenkrebs und von Schläuchen umschlungen gen weissem Licht entfleucht?

    Aber unrecht hast ja nicht. Ich steh auch eher auf ne wilde Rittersfrau. Die Prinzessin ist auf Dauer zu anstrengend langweilig. 😉

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  2. Du hast recht. Auch bei uns Männern ist das nicht wirklich anders. Aber es gibt sie wirklich noch. Nur die Hoffnung nicht aufgeben. Hoffen wir mal, das der oder die richtige nicht schon da war oder ist und wir es nur nicht sehen!!!

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  3. Der Marlboro-Mann… wirklich ein sehr schönes und gutes Bildnis/Gleichnis der Lebenswirklichkeit in Bezug der „Anziehungskräfte“ zwischen den Geschlechtern. Wieder so wunderbar geschrieben; das Lesen wahrer Genuss.

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  4. Gibt übrigens auch Studien zum Marlboro-Man-Syndrom: Heisst hier “Nice Guy” Sterotyp und meint, dass Frauen zwar vorgeben, nette Männer zu mögen, aber dann doch mit dem Arschloch ausgehen. 🙂

    Proponents of the nice guy stereotype argue that women often say they wish to date kind, sensitive men, but, in reality, still choose to date macho men over nice guys, especially if the macho men are more physically attractive. We investigated the relationship between men’s agreeableness, physical attractiveness, and their dating success across different relationship contexts. One hundred and ninety-one male college students completed a computerized questionnaire to assess their levels of agreeableness and aspects of their dating history. Twenty college-aged women rated the men’s photographs for attractiveness. Results supported the nice guy stereotype. Lower levels of agreeableness predicted more less-committed, casual, sexual relationships.
    http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11199-006-9075-2

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    1. Ich habe von dem Syndrom eben auch gehört, habe es auch schon oft um mich herum gesehen. Ich könnte mir vorstellen, dass das vor allem in jungen Jahren zieht, weil man dann selber noch auf der Suche ist und der Abenteurer aussieht, als ob er gefunden hätte (seine Art zu leben).

      Ich persönlich mag lieb und nett, da ich Beziehungen lieber im Miteinander denn als ständigen Wettkampf lebe – kann aber gut sein, dass dies die Erkenntnis des „Alters“ ist 😉

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  5. Scheint ein sehr verbreitetes Syndrom zu sein. Jetzt suchen wir nur noch nach dem/der Netten, mit dem/der man auch Abenteuer erleben kann. Bin überzeugt davon, dass es die gibt. Es muss ja zwischen Lungenkrebs und Schlafkrankheit auch noch andere Varianten geben. Wünsche also alles Gute bei der Suche!

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    1. Das bleibt zu hoffen, dass es dazwischen noch was gibt, ansonsten würde die Menschheit wohl bald aussterben – böse Zungen könnten dabei sagen, dass dies für die Welt da draussen eine Wohltat wäre 😉

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