Wessen Leben lebe ich?

Was werden wohl die anderen denken?

Dieser Satz prägt so viele Leben, so viele Entscheide werden auf dieser Grundlage getroffen. Das eigene Glück, die eigenen Wünsche unterliegen oft dabei. Man vergisst sich förmlich im Streben danach, von den anderen geliebt zu werden. Was man zudem vergisst ist, dass die anderen immer noch ihr Leben haben, das sie leben. Sie werden das unsere nicht übernehmen, wenn wir es nach ihren Wünschen ausrichten. Zwar werden sie – wenn es gut kommt – kurz zustimmend nicken, doch ausbaden können wir das Ganze. Da sitzen wir dann und schauen buchstäblich in die Röhre, leben ein Leben, das den anderen zwar gefällt, uns aber nicht entspricht. Wozu? Das ist die Frage. Ob uns die anderen wirklich mehr lieben, wenn wir dies tun, bleibt zu bezweifeln.

Man denkt, sie müssten einen mehr lieben, weil man ja so sei, wie sie das von einem erwarten. Nur vergisst man dabei, dass jemand, der uns nur liebt, wenn wir genau so sind, wie er es möchte, es eigentlich gar nicht wert wäre, dass wir uns nach ihm richten. Wahre Liebe kann das nicht sein. Uns liebt er auch nicht, eher seine eigene Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist. Uns danach zu richten hiesse, uns ihm zu unterwerfen. Wieso? Weil er mehr wert wäre als wir? Weil er besser wüsste als wir, was richtig und was falsch ist? Wohl nur, weil wir selber uns als nicht wertvoll genug erachten, nach unseren eigenen Vorstellungen glücklich zu werden.

Wir wachsen oft so auf, dass wir uns geliebt fühlen, wenn wir die nötigen Leistungen erbringen. Diese Haltung übernehmen wir ins Erwachsenenleben und folgen ihr unreflektiert. Das muss nicht so bleiben. Meist braucht es einen Weckruf, meist einen, der schmerzt. Spätestens dann werden wir einsehen, was wir uns selber antun mit dieser Haltung. Wir werfen unser Leben weg, um das anderer zu leben. Wir setzen unser Glück aufs Spiel, um Erwartungen anderer zu erfüllen. Wozu? Für die illusionäre Hoffnung, dafür geliebt zu werden. Was wäre, wenn man den Schmerz nicht erst erleben müsste, sondern gleich das Leben in die eigenen Hände nehmen könnte?

Ein Kommentar zu „Wessen Leben lebe ich?

  1. Liebe Sandra, ich glaube, dass wir dem in unserer Biographie gar nicht entkommen können. Wir sind zunächst abhängig von andern und versuchen so zu sein, wie sie uns haben wollen. Das ist am Anfang auch nicht falsch, aber wir sollten uns rechtzeitig davon emanzipieren. Älter geworden wird diese Haltung des Gefallen-Wollens eindeutig hinderlich. Viele bleiben darin und viele fallen ins Gegenteil und werden Egoisten. Aber das ist nicht die Alternative. Das scheint die Lektion unserer Zeit zu sein, diesen falschen Alternativen zu entkommen.

    Der positive Hintergrund ist, dass wir mit allen verbunden und nie isoliert sind. Ich muss Du immer berücksichtigen. Aber die echte Alternative zu dem, was du so klar beschrieben hast, ist nicht das isolierte Ego, sondern das Wir. In diesem Wir kann und darf ich ganz authentisch Ich sein. Ich sollte zu mir stehen, aber nicht gegen, sondern mit anderen. Ich sollte meinen eigenen Weg gehen, aber mit dem Du, das genauso Ich sein darf. Und immer ist der Hintergrund das Wir. Das Ego führt in die Isolation und Einsamkeit, das authentische Ich führt in die Geborgenheit des Wir.

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