Humor und Mitgefühl

Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Das impliziert, dass man lacht, obwohl es einem nicht gut geht. Trotzdem. Es klingt, als ob das gut ist so, gewollt.

„Niemand will dich weinen sehen, also lache, sonst stehst du alleine da. „

Diesen Rat erhielt ich als kleines Mädchen. Menschen wollen keine Probleme, die hätten sie schon selber, sie wollten Menschen, die feiern, fröhlich sind, positiv. Und wahrlich: Tauchen Probleme auf, reduzieren sich die Freunde oft. Man hört und sieht es überall.

Spass muss sein.

Muss er? Immer? Ist Ernst überholt? Antiquiert? Langweilig? Borniert? Sicher wohl abgelehnt.

Heute kann man alles durch den Kakao ziehen. Wer nicht lacht, hat den Witz nicht begriffen oder ist einfach zu steif. Humor kennt keine Grenzen und wo sie doch sind, werden sie gebrochen und die Brechenden fühlen sich als grosse Pioniere. Alle düsteren Themen werden plötzlich der Spasskultur anheim gegeben.

Szenenwechsel

Krieg, Unfrieden, Streitereien, Anonymität, Skrupellosigkeit, Unmenschlichkeit, Intoleranz. Ein paar Stichworte, die in der heutigen Gesellschaft häufig zu hören sind. Es gäbe derselben noch viele mehr. Keiner hört hin, keiner fühlt mit, jeder ist sich selbst der nächste, jeder schaut auf seinen Profit. Die Stimmen werden laut, man müsse wieder mehr für ein Miteinander einstehen, müsse wieder mehr am Leid der anderen teilnehmen, könne sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.

Kinder sterben, Alte verhungern, Kranke serbeln dahin. Nahrung fehlt, Geld fehlt, Würde fehlt. Wir sehen im Internet, TV und in Magazinen Bildern von Zerstörung, von Leid, von Tod. Wir blättern um, zappen weiter, klicken uns zur nächsten Seite. Unbeirrt,  nicht betroffen.

Wir seien abgebrüht, heisst es, wir seien abgestumpft durch die Überflutung durch Informationen. Unser Hirn müsse sich schützen, um nicht unterzugehen, es könne nur noch die wirklich wichtigen Dinge annehmen und darauf reagieren. Die Hürden werden höher gesetzt, es braucht immer noch mehr Blut, noch mehr Leid, noch mehr Gewalt, um etwas auszulösen.

Szenenwechsel

Ein Unglück passiert und man hört davon. Was nun?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht?

Einfach mal einen Witz machen, wer nicht lacht ist selber doof? Oder war das Unglück nur ein Witz? Man war ja nicht dabei… Würde man nun in Tränen ausbrechen, stünde man schön blöd da… Augen zu und durch, als hätte man nichts gesehen. Damit wahrt man das Gesicht und sollte was sein, kümmert sich sicher ein anderer… und war es was, macht sicher bald jemand einen Witz darüber und man kann noch zünftig lachen, um zu zeigen, dass man voll up to date und mit Humor gesegnet ist.

Ich könnte nun schreiben, dass es dieser Welt gut tun würde, wenn die Menschen wieder achtsamer mit sich umgehen, dass sie sich überlegen, wem gewisse Witze wirklich etwas bringen und ob sie nicht nur einfach deplatziert, weil auf dem Leid vieler Menschen aufgebaut sind. Ich könnte mir wünschen, dass Worte bewusster gewählt und Gefühle tiefer gespürt würden, könnte hoffen, dass das Mitgefühl wieder vermehrt Einzug hielte und man auch nach all den grässlichen Bildern überall nicht aufhören könnte, zu trauern, wenn Unrecht und Leid passieren. Ob das jemand lesen wollte?

11 Kommentare zu „Humor und Mitgefühl

  1. Ja, wir müssen mehr Mitgefühl entwickeln, helfen und unterstützen, wo Not herrscht – jeder nach seinen Möglichkeiten. Doch wir dürfen uns von all dem Irrsinn, der Not und dem Elend dieser Welt auch nicht einfach erdrücken lassen. Wegzappen braucht es auch, überhaupt nur soviel Last auzuladen, wie wir fähig sind, zu (er)tragen. Denn der Negativmeldungen sind so unendlich viele. Immer etwas mehr zu ertragen, kann man vielleicht trainieren. Doch die Verantwortung für sehr viel Elend tragen mächtige, korrupte Politiker, Gesellschaftsführer, Wirtschaftsführer. Da können wir Kleinen wenig bewirken. Ein Pfarrer soll zum „Gedenkanlass“ der Völkerschlacht von Leipzig bzw. zu Krieg, Terror etc. generell gesagt haben: „es töten sich Menschen, die sich nicht kennen im Auftrag von Menschen, die sich zwar kennen aber gegenseitig nicht töten“. Da müssten die Kleinen ansetzen, die, die im Auftrag Unbekannte töten. Das ist jedoch ein neues Kapitel.

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  2. Gute Anregungen zum Nachdenken, zur Reflexion.
    Ich hoffe, Dein Text wird von vielen Menschen gelesen.
    Es wird ein Stein ins Wasser geworfen und er schlägt Wellen, Wellchen…
    die irgendwo ankommen, derweil viele andere Energien unterwegs sind.
    So gibt es gesellschaftliche Tendenzen, die man mehr oder weniger wahrnimmt,
    es gibt in den peer groups Muster, in den Familien und in einem selbst.
    Ein, mehr oder weniger, munteres und unmunteres, Wechselspiel.
    Wo und wie, sich also positionieren?
    Woran sich orientieren?

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  3. Schöner Artikel. Ich habe diesen Spruch ja mit als Überschrift für meinen Blog. Insgesamt gebe ich dir Recht. Trotzdem glaube ich das Humor, der sogenannte Galgenhumor helfen kann Leichtigkeit ins Leben zu bringen. Es geht da ja nicht um das Lachen über Andere, sondern über sich selbst, jedenfalls habe ich es so verstanden.LG Xeniana

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    1. Humor ist wichtig und ich denke, ohne Humor wäre das Leben sehr schwer – für sich und im Miteinander. Ab und an frage ich mich aber dennoch, ob es nicht eine Grenze gibt, die nicht überschritten werden sollte oder ob Humor grenzenlos ist, man über alles und zu jeder Gelegenheit Witze machen kann, es auf die humorvolle Ebene transportieren darf.

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  4. „Könnte das Herz denken, stünde es still …“
    Ein Zitat von Portugals großem Dichter Fernando Pessoa, in dem sich – so meine ich – vieles von dem Guten & Schönen, was hier geschrieben & kommentiert wurde, fokussiert …
    Wie viel Platz lässt ein inhumanes krankes & waidwundes System, das sich auschließlich dem EGO verschrieben hat, einem ‚offenen Herzen‘ …?! Wie viel MitLEIDen lässt sich ‚wirklich‘ in Mitgefühl sublimieren, so dass – im buddhistischen Sinne – dieser destruktive Sog unsere Seehle nicht fatalistisch-trauernd macht …?! Ist Humor dann wirklich Humor, … wenn man/n trotzdem lacht ..?!
    Humor ist unsere Schutzschicht, ohne die wir dem allgemeinen Wahnsinn anheim fallen würden. Nicht von ungefähr sind es die Minderheiten, das Leben & Leiden in der ‚Diaspora‘, die kulturhistorisch die subtilsten Blüten von Witz & Humor trieben … Man/n denke ’nur‘ an den jüdischen Humor, an das ventilierende Witzepotential vieler ehemaliger Freigeister im Eisernen Betonsozialismus (als ‚bekennender Ostdeutscher‘ kann ich mehr als nur ein Lied davon zwitschern …) …
    Doch – wie Leider (beinahe) alles in diesem einen global-amöbenhaften & sich alles einverLaibenden System, wie es der entfesselte Kapitalismus nun mal ist – lässt jener unselige ‚Zeitgeist‘ selbst dem bedeutenden, weil revolutionärem Potential, von Humor & Witz nur noch eine kleine mediale harmlose ‚Spielfläche‘, weiß er doch die Menge grasender Kühe fest im Griff … ein wenig Mario Barth etc., ein wenig Sitcom, ein wenig dies & das, genügt ‚vollauf‘ …
    Und wem die Intensität der Schwingungsamplituden nicht ausreicht, kann ‚halt‘ nicht ‚mitreden‘ … mit der Mehrheit der ach-so-Normalen, erlebt mglw. ein Gefühl von Ausgegrenztheit, Unverstandensein, bis hin Selbstzweifel … So ’nivelliert‘ Zeitgeist den Wahren Freigeist … und schaufelt ‚fröhlich‘ & zul authals pfeifend weiter an seinem eigenen Grab …
    ‚Interessant‘ & symptomatisch übrigens, dass das kapitalistische System – im besagten Sinn – keinerlei Witz & (warmen) Humor hervorzubringen imstande ist … Wie auch?! Denn der ‚Spion, der aus der Kälte kam‘, kann die ‚Sonne‘ nicht kennen … nur als (uneingestandene) Sehnsucht des eigenen Seelenfrierens … Doch häufig führt dies Leider nur zu noch mehr ‚Neid, Missgunst und Gier, da er (instinktiv) ‚energetisch‘ bekämpft, was ihm ein Spiegel ist …
    Lieben Dank auch für den Max-Frisch-LinkWink, sehr anregend …

    Ich denke, der wunderbare Film von einem der leider wohl letzten großen Universalgelehrten unserer Zeit, Umberto Eco, ‚Der Name der Rose‘ wirft die bei Max Frisch (frisch) angeschnittenen Fragekomplexe auf, verwirbelt & klärt sie … Die Frage nach dem Humor Gottes (auch & gerade angesichts des Elends dieser Welt …) …
    Es ist ’semantisch‘ (um in seiner Sprache als Professor für Semiotik zu bleiben) bezeichnend, dass die universale Bibliothek, gehütet von einem Zerrbild des Glaubens, dem Fanatismus (der ja auch keinerlei Humor kennt … ’nur‘ den ‚heiligen kriegerischen Ernst‘ …), im Katakombengedärm das Eine Buch verbirgt – das Grundlagenwerk Aristoteles zur Komödie (sic!) – und mithin die andere Seite der Medaille …, denn die ‚Tragödie‘ ist bis heute – ‚hinlänglich gespielt‘ & bühnen-erfahren worden …
    Im semiotischen Showdown (vor dem Weltenbrand der Vernichtung diesen WeltenWissens) wird die (rhetorische) Frage aufgeworfen (Seelenzerstör(end)ter Fanatiker gegen Logos-Philosoph, Freigeist & ‚Sherlock Holmes‘ (Sean Connery):
    Hat Jesus gelacht?! … Und, wenn was dann … ?! (K)eine ‚konnotativ-komische(n)‘ Frage(n), wie ich finde … und dennoch (er)fühlens- & bedenkenswert …
    LG

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  5. Ein sehr schöner Beitrag, der zum Denken (und Fühlen) anregt.

    Ich finde die Worte „Komik ist Tragik in Spiegelschrift“ aus dem Songtext „ANNA“ sehr zutreffend. Differenzieren sollte man vor allem zeitlich: Wenn es angemessen ist, innehalten. Später kann man dann (wenn es die eigene Geschichte betrifft) versuchen, damit umzugehen und die Spannungen zu lösen. Wenn es um andere geht, ist Humor selten angemessen, kann aber auch einen Perspektivwechsel zeigen. Jedoch gilt auch hier, dass das Timing stimmen muss. Und vorher zu fragen, ob man die andere Seite aufzeigen darf, ist sicherlich immer eine gute Idee.

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  6. Das Leben wie ich es führe verstellt den Blick auf die Gesellschaft. Je klarer man Sie sieht, desto unschärfer wird die Bildmitte in der sich alle bewegen wollen. Jeder will für sich das Beste. Die Meisten jedenfalls. Und dies wird mit allen verfügbaren Mitteln angestrebt.

    Leider bedeutet das auch, dass sich jeder vom nächsten entfernt. Der Blick für andere verschwindet immer mehr.

    Da seh ich lieber unscharf. 😉

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