Milena Moser: Das wahre Leben

Was vom Leben bleibt, wenn man die Masken ablegt

Eine Siedlung in Zürich Seebach, ein Projekt des Miteinanders. Hier treffen problematische Jugendliche auf die an MS erkrankte Yogalehrerin Nevada, zu ihnen stösst Erika Keiner, eine sich als nichts und nichtig empfindende Frau aus gutem Hause, dem sie gerade den Rücken gekehrt hat, um ihr eigenes Leben zu finden.

Man kannte Max und Erika als eingespieltes Paar, das reibungslos funktionierte. Jeder Seitenblick sass, jede Berührung, jede halblaute Bemerkung. Es war gar nicht unbedingt so, dass diese Intimität, diese Vertrautheit gespielt war, es war mehr so, dass sie sich nur in Gesellschaft an sie erinnerten. Erika dachte, dass sie schuld sei an dieser Entfremdung.
Sie fühlte sich nicht geliebt, weil sie nicht liebenswert war. Das musste es sein.

Doch Erika verlässt nicht nur Max – wobei sie nicht mal sicher weiss, ob sie ihn wirklich verlassen kann oder nur, wie er sagt, eine Auszeit nimmt –, sie verlässt auch Suleika, ihre Tochter, für die sie sich insgeheim schämt, zu der sie keinen Zugang mehr findet, weil diese ihn vielleicht nicht will und sich unter Fettschichten davor schützt.

Auch Nevada sucht ihr eigenes Leben, eine Möglichkeit, mit den ständig stärker werdenden Schmerzen umzugehen. Als sie sich in einem Projekt mit schwierigen Jugendlichen wiederfindet, merkt sie, dass sie nicht alleine steht mit ihrer Behinderung, dass nicht alle anderen gesund waren, nur sie krank.

Nevada hatte verstanden, dass, in unterschiedlichem Ausmass, jeder versehrt war. Den einen war es bewusst, den anderen nicht. Die einen litten darunter, die anderen merkten es nicht. Die einen kämpften dagegen an, die anderen liessen es laufen.

Das wahre Leben ist ein modernes Märchen über die Schwierigkeiten des Lebens und die wundersamen Heilkräfte, die es ertragbarer machen. Es ist ein Märchen, das von Menschen handelt, die kein alltägliches Leben führen, in denen man sich aber trotzdem wiedererkennt, weil sie mit denselben Ängsten und Gefühlen zu kämpfen haben, wie man selber. Es ist ein Märchen des möglichen Miteinanders in Siedlungen, in dem jeder seinen Platz hat und jedem geholfen wird, weil alle hinschauen und helfen wollen. Es ist ein Märchen von Menschen, die ihre Fehler haben und lernen, dass Fehler zum Menschsein dazugehört. Die Menschen sehen in Zürich Seebach, dass sie, wenn sie sich ihren Schwächen stellen, ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und damit glücklich sein können. Das Leben ist nachher nicht rosarot und ohne Probleme, aber es ist ein „wahres Leben“, das sich durch diese Wahrheit gut anfühlt.

Das wahre Leben erzählt eine Geschichte, bei der man sich beim Lesen wünscht, dass sie kein Märchen sei, sondern Realität. Man möchte die Koffer packen und in dieses Zürich Seebach ziehen, im Kopf hat man es lesenderweise bereits getan. Milena Moser ist ein Buch gelungen, das man nicht mehr aus der Hand legen mag, weil man tief und tiefer in die Geschichte eintauchen will. Es ist ein Buch, das man aber doch immer wieder beiseite legt, damit die Geschichte nicht zu schnell endet. Die Liebe, mit der Milena Moser ihre Figuren zeichnet, die feinfühlige Art, mit der sie aus deren Leben erzählt, lassen vor den Augen des Lesers eine Welt entstehen, die sich real anfühlt. Man ist geneigt zu sagen, dass hier eine Autorin zugange war, die ihr Handwerk versteht, die es vermag, Märchen zumindest für eine kurze Zeit real erscheinen zu lassen.

Fazit:
Ein einnehmender, feinfühliger Roman, in den man eintaucht und nicht mehr auftauchen möchte. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Milena Moser
Milena Moser wurde 1963 in Zürich geboren und absolvierte nach dem Besuch der Diplommittelschule eine Buchhändlerlehre, lebte danach in Paris, wo drei unveröffentlichte Romane entstanden. Zurück in der Schweiz schrieb sie für Schweizer Rundfunkanstalten und verfasste Bücher, welche keinen Verlag fanden, so dass sie kurzerhand zusammen mit Freunden den Krösus Verlag gründete, in welchem ihr erstes Buch Gebrochene Herzen sowie Die Putzfraueninsel erschienen, zweiteres wurde zum Bestseller und später verfilmt. 1998 führte Milena Mosers Weg nach San Francisco, wo sie mit ihrer Familie acht Jahre lebte, danach wieder in die Schweiz zurückkehrte. Milena Moser wohnt in Aarau als freie Autorin und führt in ihrem Schreibatelier Menschen in die Welt des Schreibens ein. Des Weiteren begleitet sich Schulklassen beim Verfassen eines gemeinsamen Romans. 2011 folgte, zusammen mit der Musikerin und Freundin Sibylle Aeberli, der Sprung auf die Bühne, Die Unvollendeten war ein voller Erfolg, ein zweites Bühnenprojekt ist in Planung. Von Milena Moser sind unter anderem erschienen Die Putzfraueninsel (1991), Das Schlampenbuch (1992), Artischockenherz (1999), Sofa,Yoga, Mord (2003), Möchtegern (2010), Montagsmenschen (2012), Das wahre Leben (2013).

MoserLebenAngaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Verlag Nagel & Kimche AG (26. August 2013)
ISBN-Nr.: 978-3312005765
Preis: EUR  19.90 / CHF 29.90
Erhältlich bei jeder Buchhandlung vor Ort sowie online bei AMAZON.DE und BOOKS.CH.

 

 

9 Kommentare zu „Milena Moser: Das wahre Leben

    1. Müsste soeben erschienen sein. Milena liest am Mittwoch im Kaufleuten Zürich, da ist Buchpremiere. Ich wünsche dir einen wunderbaren Geburtstag morgen und das Geschenk wird dir gefallen. Mich hat in letzter Zeit kaum mehr ein Buch begeistert, das hier war einfach mal wieder toll.

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