Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Ein Satz, der schön klingt, einleuchtet und so oft mit Füssen getreten wird. Wie selten kümmert man sich im Alltag um die Würde des Menschen, um die Würde seiner Mitmenschen? Man geht durchs Leben, meist mit sich und seinen Belangen beschäftigt, fügt im besten Falle den Nächsten keinen Schaden zu, im allerbesten gar keinem. Oft ist das eher Zufallsprodukt, weniger gezielt so getan, es kam schlicht nicht dazu. Wenn man sich ständig fragen müsste, ob das, was man tun, sagen, nicht sagen wollte die Würde des anderen antasten könnte, müsste man sich zuerst fragen, worin diese Würde bestände und wie sie zu verletzen wäre. Dabei könnte man sich sicherlich auf einen eigens dafür angefertigten Katalog zu erfüllender Kriterien berufen, den irgendwelche klugen Köpfe erstellt und hoffentlich auffindbar publiziert haben. Mangels Kenntnis desselben wäre das ganze wohl ein Denken der Gedanken, das jegliche Handlung lahmlegen würde, da man zu keinem Ziel käme.
Max Frisch kam zu folgendem Schluss:
Die Würde des Menschen liegt in der Wahl.
Wer wählen kann, ist frei. Er kann sich entscheiden. Wahl bedingt aber Verfügbarkeit. Was, wenn diese nicht da ist? Ist meine Würde in Gefahr, wenn im Laden, Gurken aus sind und ich Tomaten nehmen muss? Wohl kaum. Es geht um wichtigere Dinge. Doch wie frei ist man wirklich in seiner Wahl? Wie oft ist man Pflichten unterworfen, die man kaum ablegt? Was, wenn die eigene Wahl die anderer torpediert? Dann geraten Rechte in Konflikt. Wer gewinnt ihn, was passiert mit dem Verlierer?
Du sollst nicht töten.
Hier scheint keine Wahl zu bleiben. Das Leben ist ausserhalb der Wahlmöglichkeiten. Sowohl das eigene Leben, wie oft scheint, wie vor allem auch das anderer. Der Mensch soll nicht Herr sein über Leben und Tod. Was aber, wenn einer die Würde des Menschen – anderer Menschen – mit Füssen tritt? Hat er dann sein eigenes Leben verwirkt? Gibt es eine Rechtehierarchie, in der die Verletzung des höheren Rechtes die eigenen tiefer gelegenen ausser Kraft setzt? Kann man die Todesstrafe damit rechtfertigen, dass der, welcher sie erhält, vorher höher gestellte Rechte anderer mit Füssen trat? Verwirkt er damit seine eigenen? Und wenn nicht, was ist die angemessene Strafe für deren Missachtung?
Was ist höher einzustufen, Würde oder Leben? Ist ein Leben, egal wie gelebt, egal unter welchen Umständen, mehr wert als die Würde? Oder ist ein würdeloses Leben nicht mehr lebenswert und damit wertlos? Kann man die beiden Werte überhaupt in die Waagschale werfen? Muss man nicht sogar, da sie so eng zusammen hängen?
Ich würde auch etwas Frischs Zitat umformulieren: Die Moral gründet auf Wahlfreiheit. Somit letzlich auch die Schuldfrage. Moralisch handeln zu können ist ein Privileg. Oder etwa nicht?
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Die Wahl wäre eigentlich ein Menschenrecht, geht man davon aus, dass sie die Würde begründet. So gesehen wäre sie kein Privileg, sondern müsste möglich gemacht werden, um allen Menschen ein (menschen)würdiges Leben zu gewähren. Moral gründet auf (Wahl)Freiheit. Wenn man nicht wählen kann, wie man handelt, kann man auch nicht moralisch handeln und im gleichen Sinne auch nicht schuldig werden. So gesehen würde ich es nicht als Privileg anschauen (im allgemein konnotierten Sinn), sondern als dem Menschen qua seiner Fähigkeiten und als Mensch zugestandenen Möglichkeiten gewünscht, erhofft und im Sinne eines guten Lebens als gut zu führendes Leben gefordert.
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Das ist zu idealistisch gedacht. So komfortabel lässt sich das Leben nicht gestalten.
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Da ist kein Idealismus drin, das ist schlicht nur Theorie und Begriffserklärung. Idealismus wäre es dann, wenn ich behaupten würde, das sei die Welt, wie sie praktisch existiert oder aber den Anspruch vertreten würde, dass wir uns nun gleich (und mit viel Aussicht auf Erfolg) dran machen sollten, das so umzusetzen.
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