Gratiszeitungen – ein unverschämter Anspruch?

Ein Blogartikel regte mich heute zum Nachdenken an: Soll Musik gratis herunterladen dürfen und ist es legitim, Artikel in Zeitungen gratis lesen zu wollen? In meinen Augen sind das zwei voneinander getrennt zu betrachtende Themen. Im Falle der Musik gehe ich einig, dass es keine zwingende Begründung für den Gratisgenuss gezielter Musikstücke gibt. Ich möchte diesen Teil der Frage nicht weiter behandeln, mich aber dem anderen zuwenden.

Ich denke, das Thema ist um einiges komplexer als es auf den ersten Blick scheint und es berührt einige Nebenthemen. Man kann argumentieren, dass Journalisten, welche Artikel zu aktuellen Themen (und anderem) schreiben, ein Anrecht auf eine agemessene Entlöhnung ihrer Arbeit haben. Das ist unbestritten und steht nicht zur Diskussion (auch wenn fragwürdig ist, ob das in allen Fällen wirklich realisiert ist und wie eine „angemessene Entlöhnung“ konkret aussehen würde). Fraglich könnte höchstens sein, wer dafür zu sorgen hat, dass dies passiert: Der Leser, die Zeitung, dritte Möglichkeiten.

Diese Artikel sind berherbergen Information über das Geschehen in der Welt, nah und fern. Sie helfen, Meinungen zu bilden und zu diskutieren. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Bildung und Informationen in vielen Gebieten des Zusammenlebens und der (sozialen) Gerechtigkeit notwendige Grundlagen sind. Man hat herausgefunden, dass aktuelle Probleme (sozialer) Unegrechtigkeit mit einer breiten Informationsdichte und darauffolgendem öffentlichem Austausch behoben werden könnten (oder man zumindest in diese Richtung kommen könnte). Verschliesst man nun den nicht zahlungskräftigen Mitgliedern einer Gesellschaft den Zugang zu Informationen, schliesst man sie aus diesen Diskussionen aus. Der Kurzschluss, dass sie sowieso nichts Weiterbringendes zu sagen gehabt hätten, greift dabei zu kurz, da a) vorhandene Finanzmittel nichts über die Aussagekraft der Person aussagen und b) für eine wirkliche Gerechtigkeit die Sicht aller in der Gesellschaft interessant ist, da nur so auch die ganze Gesellschaft erreicht wird. Nun kann man sagen, dass eine privatwirtschaftliche Zeitung kein Interesse haben muss, umfassende Information zu gewährleisten und ein ökonomisches Unternehmen zuerst den eigenen Profit im Blick haben muss. Nur fragt man sich dann, wozu es eigenltich Zeitschriften gibt, wenn nicht dazu, eben Informationen zu bringen.

Man weiss (wissenschaftlich belegt), dass in Ländern mit freien Medien und gelebter Meinungsfreiheit Ausnahmezustände wie Hungersnöte, Unterdrückung und ähnliches weniger vorkommt und schneller beseitigt wird als in diktatorischen Ländern. Es gibt kein wirklich demokratisches Land (Demokratie hier weiter verstanden als blosser Blick auf Institutionen, Wahl und Abstimmung, sondern als öffentlicher Vernunftgebrauch – und austausch) Hungersnöte hat. Schaut man zum Beispiel auf die Hungersnot in Indien 1943, welcher zwischen 3-5 Mio. Menschen zum Opfer fiel, so sieht man, dass Indien dieses Problem selber beheben konnte. Zuerst waren nur die Oberen in Indien damit beschäfitgt, unrealistische Zahlen hin und her zuschieben über den Umfang der wöchentlichen Opfer. EIn Leitartikel von „The Statesman“ (Zeitung für Kalkutta) klagte diesen Missstand an und lenkte den Blick auf die Fehlverteilung der Nahrungsmittel, welche Grund für diese Not waren (nicht etwa Mangel an Nahrungsmitteln). Leider war es der inländischen Zeitung nicht möglich, wirklich laut zu werden, so dass keiner reagierte. Erst als ein Chefredaktor sich wagte, wirklich scharfe Artikel zu schreiben mit graphischen Darstellungen, kam Bewegung in die Regierungskreise British-Indiens und Hilsmassnahmen wurden ins Leben gerufen. Im Dezember endete die Hungersnot.*

Nun droht in der Schweiz keine Hungersnot, aber in anderen Ländern schon. Die globale Verantwortung und die Pflicht, zu helfen, sind das eine. Das andere sind die Probleme, die auch die Schweiz selber betreffen und die man in einer Demokratie nur lösen kann (oder es zumindest versuchen), wenn man breit darüber diskutieren kann, worum es geht, welche Gesichtspunkte betrachtet werden müssen und aufgrund dessen eine Deliberation stattfinden kann, welche zu einem durchsetzungsfähigken Resultat zur Verbesserung der Umstände führt. Ist der Zugang zu Informationen eingeschränkt, sogar stark eingeschränkt, werden immer mehr Menschen aus diesem Deliberationsprozess ausgeschlossen. Das Argument, wenn ihnen wirklich daran gelegen wäre, sich zu informieren, würden sie einen Weg finden, greift dabei nur schwach, da es nicht nur in ihrem Interesse ist, das zu tun, sondern eigenltich im Interesse aller sein sollte im Hinblick auf die Notwendigkeit umfassender Information.

So gesehen kann ganz klar immer noch gesagt werden, dass jede Zeitung ihre Artikel teuer verkaufen darf, weil dahinter viel Arbeit steckt. Wenn aber Informationsjournalismus zum Statusobjekt der Schönen und Reichen verkommt, erfüllt er nicht mehr, was er eigentlich soll, sondern verkommt zum Selbstzweck der Selbstdarstellung mit zwar informativem Inhalt, welcher aber nicht mehr das Ziel erfüllt, dem das Ganze eigentlich geschuldet ist. Es wäre im Sinne aller, dass der Zugang zu Informationen über das Geschehen in dieser Welt allen zugänglich ist. Wie man das ermöglichen will, steht auf einer anderen Karte. Es gäbe bestimmt verschiedene Möglichkeiten, die machbar wären und bei welchen immer noch alle auf ihre Rechnung kämen.

*Siehe dazu Amartya Sen, Die Idee der Gerechtigkeit

2 Kommentare zu „Gratiszeitungen – ein unverschämter Anspruch?

  1. Hallo die Dame,

    ich betrachte die Diskussion um Zeitungen und die wirtschaftliche Seite der Zeitungen etwas fundamentaler.
    Wirtschaftlich gesehen bringen Zeitungen eine Dienstleistung. Wir sind neugierig zu erfahren, was in unserem Ort los ist und war, aber auch, was in der grossen weiten Welt passiert ist. Einmal vollkommen unabhängig von der (spannenden) Frage, warum uns das überhaupt interessiert.
    Daneben gibt es noch ein Unterhaltungsinteresse, auf das ja die Boulevardpresse vornehmlich abzielt (z.B. „Schnügel des Tages“, die Comics oder Witze – aber auch die Tittenschau des Mädels von nebenan im „Blick“).
    Je nach persönlicher Interessenlage wählen wir dann aus, welche Zeitung uns zusagt. Im Markt gibt es dann einen Grenzwert, was der Kunde bereit ist, für ein solches Produkt zu zahlen: Dabei wird ein traditioneller NZZ-Leser mehr für seine Zeitung bereit sein auszugeben als der durchschnittliche Blick-Leser.
    Soweit, so banal …
    Nun ist aber durch TV, 20 Minuten BlaA etc. die Situation eingetreten, dass grade (aber nicht nur) auf dem Boulevard-Niveau kostenlose Alternativen zur Zeitung aufgetaucht sind. Dabei wird bei denen konsequent weitergedacht, dass auch die bezahl-Zeitungen immer mehr von Werbung abhängig sind und immer weniger von den Lesern. Allerdings bestimmt die Zielgruppe (Anzahl erreichter Leser) den Preis, den man für eine Anzeige bekommen kann. Es ist logisch, dass solche Veröffentlichungen hauptsächlich im Boulevard anzutreffen sind.
    Da sich aber auch seriöse Medien immer mehr von der Werbung abhängig machten, sind sie nun in dem Dilemma, 2 Herren dienen zu müssen: Sie müssen eine grosse Menge an Lesern erreichen, um für Werbetreibende attraktiv zu sein und gleichzeitig noch ein Alleinstellungsmerkmal bieten, damit sie – und nur sie! – auch gekauft werden. Das hat in der Schweiz dazu geführt, dass abseits der Rignier-Presse ein Konzentrationsprozess stattgefunden hat – offenkundig vor allem, wenn man sich den Tagi anschaut und mit Luzerner Zeitung, der Bernerzeitung etc. vergleicht. Eigenständige Inhalte findet man dort fast nur noch im Lokalteil.
    Das ist letzten Endes der einzige Grund, warum diese Zeitungen noch gekauft werden, da im überregionalen Bereich auf einem Niveau berichtet wird, wo man im qualitativ kaum EInbusse erleidet, wenn man sich die Information aus dem Fernsehen holt.
    Wenn sich die NZZ nun im Internet hinter Bezahlschranken verbirgt verkennt sie ihre Leserschaft. Das Internet taugt informativ sozusagen nur für den Quicky – die schnelle Information. Warum ich vormals lieber zur NZZ als zum Tagi gegangen (meint gesurft) bin war, dass ich der NZZ ein grösseres Mass an Seriosität unterstellte. Allerdings denke ich nun nicht, ich verpasse etwas, wenn ich mich beim Tagi oder dem TV informiere, wenn ich die NZZ meide. Sie verliert dadurch nur meine Aufmerksamkeit.

    Was Du ansprichst ist etwas anderes: Du meinst, ein Recht auf Information zu haben. Dieses Recht gibt es so nicht. Aus politischen Gründen gab es in der Geschichte staatliches Radio und TV. Für die bezahlst Du aber auch an die Billag.
    Zeitungen sind dagegen Wirtschaftsunternehmen. Dass sie zur Zeit meiner Meinung nach (leider) sehr ungeschickt agieren und dass ich die Situation am Markt traurig finde steht dabei auf einem anderen Blatt.
    Was die Zeitungen nun über Copyright und Leistungsschutzrechte versuchen zu etablieren ist eine Art staatlicher Zuwendung, weil sie ihre Rolle masslos überschätzen.

    Auf der logischen Seite her ist die Idee, Information zu entlohnen schräg. Ein Datum, ob das eine Nachricht ist oder ein Musikstück oder ein Film wird öffentlich dadurch, dass sie veröffentlicht wird.
    Die Information selbst ist dadurch im öffentlichen Raum und per se beliebig verfügbar.
    Bei einem Musikstück, einer Software oder einem Film gibt es einen kreativen Prozess, der dazu führt, dass man Entlohnungssysteme geschaffen hat, um diese Leistung zu honorieren. Diese Systeme sind durchweg künstliche Gebilde, da es keine greifbare Ware gibt, die man bekommt, wenn man dafür bezahlt. Darum spricht man bei Software oder Musik oder DVDs auch von Lizenzen, die man erwirbt (darum ist der Begriff „Raubkopie“ falsch – man stielt nicht sondern begeht eine Lizenzverletzung). Was Verlage nun versuchen ist, für Nachrichten ein ähnliches künstliches Gebilde zu schaffen, wie es sie schon für Musik etc. gibt. Das kann sich eine Gesellschaft nicht bieten lassen – das gesamte Wissen, unsere gesamte Kultur ist Information. Diese nur gegen Lizenzgebühren zugänglich zu machen kann nicht im Interesse einer Gemeinschaft sein. Ähnliches gilt übrigens auch für Musikstücke und Bücher – dort hatten sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts die kommerziellen gegen die kulturellen Interessen durchgesetzt. Wobei man mit dem Kompromiss einer zeitlichen Befristung des Monopols bereit war zu leben. Durch die Erweiterungen der Schutzdauern auf nahezu unendlich sehe ich aber die Grenze überschritten, an der wir ein Primat der kommerziellen Interessen noch tolerieren können.

    Das so als meine 2 Cent zum Thema …

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    1. Ich möchte nun nicht urteilen, welche Sichtweise fundamentaler ist. Es sind verschiedene Aspekte, die in die Waagschale geworfen wurden.

      Danke für deine Sicht der Dinge. Von mir dazu nur soviel: Ich sage nicht, ich hätte ein Recht auf Information. Ich habe ein Recht auf Bildung. Was als Bildung zu verstehen ist, muss dabei definiert sein, ich denke, das aktuelle Geschehen ist durchaus von einer gewissen Wichtigkeit.

      Wenn man kurzfristig und eng analysiert, kann man dabei stehen bleiben, Zeitungen als Wirtschaftsunternehmen mit Profitstreben definieren und gut ist. Das ist eine legitime Sicht und auch eine richtige. Das habe ich so ja auch geschrieben (zumindest gedacht). Ich erwähnte nur auch die Wichtigkeit von Information im Hinblick auf die Lebensumstände (sozial, politisch und gesundheitlich), welche auf den ersten Blick vielleicht nicht sichtbar, in der heutigen Wirtschaftswissenschaft aber belegt ist. Die Verknüpfungen gehen da tief und das alles hier zu wiederholen wäre Rahmen sprengend. Ich kann nur auf Amartya Sen, Ökonomie für den Menschen, ders., Die Idee der Gerechtigkeit, Martha Nussbaum, Grenzen der Gerechtigkeit, und viele mehr verweisen. Sehr erhellende Gedanken zu aktuellen globalen Problemen wie Hunger, Armut, Sterblichkeitsrate. Aus all dem ergibt sich für mich die Wichtigkeit von Information. Das alles heisst noch immer nicht, dass man Zeitungen gratis haben muss oder Medienunternehmen verpflichtet wären, ihre Informationen gratis anzubieten. Trotzdem finde ich es halt bedenklich, wenn die Hürden hin zu einem Mindestmass an Information immer höher werden und ein immer breiterer Teil sich den vielleicht nicht mehr leisten kann.

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