Wer hat es nicht schon erlebt im Leben? Er liebte, vertraute und wurde enttäuscht, wurde fallen gelassen. Lag dann da, sah zurück, fragte, was er übersehen hatte, fragte sich, ob er leichtfertig vertraut hat, hätte vorsichtiger sein müssen. Ist Vertrauen Leichtsinn? Müsste man immer auf der Hut sein? Liesse sich damit leben? Liesse sich damit lieben? Sich hingeben? Funktioniert Liebe ohne Hingabe? Funktioniert eine Liebesbeziehung, wenn man ständig lauert, auf der Hut ist? Was also tun? Wieder blind ins nächste Loch fallen? Die Dinge selber in den Sand fahren durch die eigenen Vorbehalte?
Was heisst es überhaupt, fallen gelassen zu werden? Man fühlt sich wohl fallen gelassen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie man sie sich selber ausmalt. Man fühlt sich verstossen, schlecht behandelt, wenn jemand anders agiert, als man sich das wünscht. Das hat mit dessen Gefühlen oft wenig zu tun, zumindest nicht mit denen gegen einen. Es hat wohl mehr mit diesem Menschen und mit den eigenen Erwartungen an ihn zu tun. Doch wie bedingungslos liebe ich, wenn ich etwas vom anderen erwarte, mich benachteiligt fühle, wenn das nicht eintritt? Dann ist doch der andere streng genommen nur eine Marionette meines Wollens, bricht er aus, bin ich enttäuscht. Was hat er falsch gemacht? Sein Fehler war, in einer Weise zu handeln, die nicht meinem Wollen entsprach.
Verstösst er gegen Dinge, die vorgängig ausgemacht waren, ist man im Recht. Man hat sich verlassen, hat auf eine Abmachung gebaut, die wurde gebrochen. Wenn man aber nur auf die eigenen Ansprüche baut, ohne die je geklärt zu haben: Mit welchem Recht ist man enttäuscht? Mit welchem Recht verletzt? Man selber hat die eigenen Ansprüche zur Regel erhoben, sie unumstösslich hingestellt, ohne dass der andere davon wusste. Vielleicht wusste man das selber nicht, bis etwas passierte. Merkte es erst, als es passiert war. Wie hätte es der andere wissen können? Der handelte vielleicht nach bestem Wissen und Gewissen, wollte alles richtig machen, machte in den eigenen Augen alles falsch. Und man selber sitzt da wie ein verwundetes Reh und leidet. Wer hat Schuld?
Schuld ist wohl das, was am meisten Zündstoff beinhaltet ohne dass es etwas löst. Was bringt es, zu wissen, wer nun falsch handelte, wer richtig? Die Gefühle sind da. Selbst wenn der andere alles richtig gemacht hat, leide ich. Selbst wenn er alles falsch machte, ohne es zu wollen, leide ich. Was ist Schuld? Ein Konstrukt, um früher christliche Ansprüche von Sühne und Absolution zu ermöglichen. Ein Konstrukt, um Strafe im rechtlichen Sinne zu rechtfertigen. Ein Konstrukt, das theoretisch praktisch ist, praktisch zu theoretisch ist.
Ich erwähnte die bedingungslose Liebe. Ich denke, Liebe ist nie bedingungslos. Kann sie nicht sein. Wäre sie es, würde sie zerstören. Man kann nicht unbeschadet lieben, egal, was der andere tut, lässt, einem antut. Das würde man nicht aushalten. Wichtig ist aber, sich der eigenen Bedingungen bewusst zu sein und sie auszusprechen. Was erwarte ich von meiner Liebe, von meinem Geliebten? Was brauche ich zum Leben, was möchte ich erfüllt haben. Weiss der andere das nicht, wie soll er anders leben, als ständig Enttäuschungen zu produzieren? Nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Unwissen, oft gar aus gutem Willen, alles richtig zu machen.
Und ab und an weiss man selber nicht, was man sich wünscht. Und merkt erst durch das Handeln des anderen, dass man das, was passiert ist, gerade nicht wollte. Weil es Bedürfnisse verletzte, die einem elementar waren. Man leidet, zürnt. Möchte wegrennen, dem anderen vorher ins Gesicht schreien, was er einem angetan hat, traut sich nicht, schliesst sich ein, tief in sich. Verletzt. Verwundet – oft auch sich selber. Hört nicht mehr die Liebe, die Schwüre. Glaubt sie nicht. Wie kann der andere lieben, wenn er einem das antat. Und würde man hinschauen, merkte man: Er hat nichts gegen einen getan. Er hat nur nicht das getan, was man selber gebraucht, gewünscht hätte. Vielleicht wusste er es sogar, dass man es brauchte, aber vielleicht hatte er keine Wahl. War es seine Schuld? Was bringt mir wegrennen? Gewinne ich? Gewänne ich nicht mehr, schaute ich hin, sähe meinen Anteil, nähme ihn an und liebte weiter, liesse lieben?
Hi Cosima1973
Danke für deinen Blog! Deine Zeilen haben mich dazu gebracht, auch wieder mal darüber zu denken, was ich will, und was ich von meiner Liebe erwarte.
Ich kann viel von meinem vergangenen Leben darin erkennen. Ja – ich stimme dir zu – in der Liebe gibt es viele Fallen und Tiefen. Weiss nicht, ob sich jemand glücklich schätzen kann, der diese nicht erlebt hat. Aus meiner Sicht gehören solche Tiefpunkte dazu, dass man sich selber auch weiter bringt, wenn dann mal die Zone des Schmerzes durchschritten ist.
Ich würde es kurz zusammenfassen in einem Satz: Ich darf von meiner Liebe nicht mehr erwarten als ich ihr zumuten möchte und kann.
Wichtig ist wohl, seine eigenen Erwartungen zu kennen und diese auch mitzuteilen. Wenn diese dann gemeinsam respektiert werden – ja dann bleibt es hoffentlich dabei: und sie leben und lieben sich noch immer…
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Sag mal, Biostratus, hast Du auch einen Blog? Wäre schön, da wär‘ ich gleich Abonnent. Bei Twitter vertreten?
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Die Fallen der Liebe. Ja, ein rationaler Zugang zur Liebe ist nicht immer oder nie voll bewusst möglich. Eventuell reißt einen die Leidenschaft unverhofft in einen Rausch, der sich der Vernunft entzieht. Die Verliebtheit ist noch keine Liebe, aber evtl. Strudel, aus dem man schwer wieder herauskommt. Dann besser ein Planwirtschaftsmodell? 😉 Nein, Liebe stellt, wie Du schreibst, Bedingungen, wenn sie auf Vernunft beruht, das darf und muss sie tun. Teuflisch ist, dass der Mensch auch eine nicht leicht erklärbare Neigung zum Irrationalen hat. Vielleicht hast Du auch eine Idee, warum das so ist?
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@zeitspiegel
Hi Zeitspiegel – nein – ich hab keinen Blog und kein Twitter aktiv. Aber danke fürs Kompliment! Bin froh wenn ich auf Gedanken reagieren kann 😉 Selber käme wohl nicht so viel interessantes…
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So kann nur jemand schreiben, der selbst so manches erlebt, erliebt hat, geliebt und enttäuscht wurde, der sich fallen lassen und hingeben kann – und der dann nicht zwischen Euphorie und Resignation steckenbleibt, sondern sich Gedanken machen, daraus lernen, zweifeln und reifen kann. Liebe funktioniert nicht ohne Fallenlassen und Hingabe. Und das funktioniert nur durch Vertrauen. Wenn dieses Vertrauen begründet ist, dann ist es sogar eine Art Sicherheit. Zu wissen, ich kann nur in deine Arme fallen. Umgekehrt, wenn ich weiss, dass du mir vertraust, werde ich dieses Vertrauen nicht enttäuschen, zumindest nicht willentlich. Natürlich kommen dann die oft erwähnten Ecken und Kanten, Hingabe und Vertrauen hat ja nichts mit einer rosaroten Brille zu tun. D.h., es kommt noch was Wichtiges dazu, nämlich Offenheit und Ehrlichkeit. Ja, ich habe Ecken und Kanten, aber ich lasse dich sogar hinter diese Ecken schauen. Einfach weil du es bist. Weil du der einzige Mensch bist, vor dem ich nichts zu verbergen habe, und vor dem ich auch gar nichts verbergen muss. Natürlich gibt es auch dann keine Garantie – aber ein Leben mit Garantie wäre kein Leben.
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