Wie ist der Mensch?

Der Mensch ist von Natur aus böse, drum braucht es die Gesetze, den Staat, die diese Boshaftigkeit, die aus purem Egoismus entspringt, einzudämmen. Nur durch ein Netz an Regeln und Verhaltensmaximen schafft es der Mensch, einigermassen friedlich zu koexistieren. Noch schlimmer, er schafft es nicht mal dann. Kriege überfluten die Erde, Menschen, die auf eigene Macht und eigenen Profit aus sind, instrumentalisieren andere mittels wohlklingender Heilsversprechen oder angsteinflössender Prophezeiungen, den designierten Feind zu bekämpfen. Helfen tut es selten den Instrumentalisierten, sie sind Opfer des Systems. Helfen tut es denen, die das Geld und die Macht hatten, das anzuzetteln, was sie anzettelten. 

Eine schwarze Sicht? Pessimistisch? Mag sein. Ich tendiere ja in einer absolut blauäugigen Naivität immer wieder dazu, zu glauben, niemand wolle einem was Böses, die Welt sei gut und die Menschen wollen alle geliebt werden und lieben dementsprechend auch. Dass vor allem der zweite Teil so nicht stimmt, ist mir leider oft im Leben hautnah gezeigt worden. Wie oft wurde ich verletzt, wie oft musste ich erkennen, auf ein falsches Spiel, auf Intrigen, auf falsche Worte und Heuchelei hereingefallen zu sein oder gar manipuliert für eigene Zwecke eines anderen. Den Fehler suchte ich dann meist bei mir, dachte, mich nur falsch verhalten zu haben, nicht gut genug gewesen zu sein. Wenn ich das einmal nicht dachte, war mein Fehler immerhin, es nicht gesehen zu haben, auf etwas hereingefallen zu sein. Was nun schwerer wiegt, die eigene Naivität oder der Glaube an das eigene Versagen, bleibe dahingestellt.  Aber: eigentlich müsste ich es mal lernen und wissen: Der Mensch ist böse. 

Und doch stimmt das so nicht. Es gibt viele tolle Menschen. Liebe Menschen. Menschen, die zu unrecht in einen Topf geworfen werden mit denen, die lügen (zu andern, wohl aber auch zu sich selber), betrügen, hintergehen und ausnutzen. Wie oft im Leben stiess ich schon auf Engel, auf Menschen, die einfach nur toll waren. Also was nun? Ist der Mensch gut und wird böse? Oder ist der Mensch böse und es gibt gute Ausnahmen, Engel halt? 

Vermutlich ist beides in einem angelegt, in jedem von uns. Alles hat zwei Seiten, die diametral verschieden sind. Diese Komplementarität macht das Ganze erst ganz. Alles ist angelegt, die Ausprägung liegt in unseren Händen, ist aber meist gespurt durch Kultur, Erleben, Erziehung, Einflüsse sonstiger Art. Ich bin aber nach wie vor der Überzeugung, dass der Mensch grundsätzlich geliebt werden will. Und ich denke weiter, dass genau da der Knackpunkt liegt. Ist die Liebe da, das Gefühl, in dieser Welt angenommen, willkommen zu sein, dann ist man zufrieden – mit sich, mit der Welt. Wenn man aber in diesem Bereich einen Mangel sieht, sich im Nachteil sieht, traurig ist, nach Liebe sucht, sie vermisst… dann passiert was in einem. Dieser Mangel muss behoben werden, denn er ist nicht auszuhalten. Säuglinge gehen ohne Liebe ein. Kleinkinder entwickeln Ticks, werden krank, sterben ab und an auch. Liebe ist Lebenselixier, ist wohl sogar Leben. 

Was also tun, wenn sie fehlt, wenn man sich alleine fühlt, nicht wahrgenommen, nicht angenommen fühlt? Man muss diesen Schmerz, der in einem entsteht irgendwie behandeln. Dafür gibt es verschiedene Strategien:

1) Man lebt ihn aus. Weint, schreit, jammert, klagt – um dann wieder weiter gehen zu können. 

2) Man stürzt sich in Aktivitäten, die einen so ablenken, dass man vergisst, dass da ein Schmerz war.

3) Man betäubt sich – mit Drogen, mit Alkohol, mit Essen, mit irgendeinem Surrogat, das hilft, zu vergessen, zu verdrängen

4) Man fügt anderen Schmerz zu, weil man sich dann kurz Befriedigung verschafft, der eigene Schmerz überdeckt ist vom Triumph, über den anderen gesiegt zu haben, ihm auch weh getan zu haben. Der Schmerz des anderen löst den eigenen Triumph aus, der kurzzeitig den eigenen Schmerz vergessen lässt. 

Ich denke, Punkt 4 ist häufig vertreten. Vor allem in Fällen, wo mal Liebe war, nun keine mehr ist. Und wenn es dem anderen noch gut geht, dann erst recht. Kann doch nicht sein, dass der zufrieden ist, man selber nicht. Dem muss man schnell ein wenig das Leben schwer machen. Ihm eins reinwürgen. Dann fühlt man sich gleich besser. Leider nicht für lange. Doch das merkt man erst später. Und dann ist natürlich wieder der andere schuld. Oder die Nachbarn. Oder der Postbote. Oder der Mitarbeiter, Chef, die Politik, das System, die ganze Welt. Man selber? Besser mal suchen, wer es noch sein könnte. Nur wird man im Aussen nie finden, wer es wirklich war, so dass man selber endlich zufrieden ist. Man wird auch nie die Liebe finden, die man sucht, wenn man so agiert, weil man immer nur noch verbissener wird, nur noch härter. Anziehend ist das nicht. Liebenswert noch weniger. Zwar wären gerade die Menschen die, welche eben am meisten Liebe bräuchten, um aus ihrer Spirale zu kommen. Aber leider stossen sie mit ihrem Verhalten alle weg. 

Es gibt einen Satz in Bezug auf Kinder:

Nimm mich dann in die Arme, wenn ich es am wenigsten verdient habe. 

Genau der tritt auch hier in Kraft. Da es aber schwer fällt, den in den Arm zu nehmen, der einen gerade mal so richtig in die Tonne gehauen hat, kann man kaum aus seiner Haut. Man kann sich aber bewusst sein, dass dieses in die Tonne hauen mehr mit dessen Problemen zu tun hatte als mit der eigenen Person. Und mit dem Denken vielleicht für sich selber ein wenig Frieden finden. Und dem anderen wünschen, dass er irgendwann seine Probleme in den Griff kriegt, einsieht, dass nur er selber für sich zufrieden sein kann. Und wenn er es nicht ist, liegt das selten an den anderen. Es ist die eigene Einstellung zu dem, was um einen und mit einem passiert.

Klar gibt es Schicksalsschläge, klar gibt es Ungerechtigkeiten. Das Leben ist oft hart, unfair und gemein. Es ist oft voller Hürden, Fallen und Löcher. Und doch: es gibt auch viel schönes und wir haben es in der Hand, was wir sehen wollen, worauf wir unser Befinden stützen wollen. Damit sage ich nicht, das Schwere solle man ausblenden, das wäre nicht gut, denn verdrängen hilft nie, sondern schafft nur unbewusste Strategien, die meist in die Irre führen. Das Schwere soll man angehen, es bearbeiten und verarbeiten, immer im Bewusstsein, dass es nicht alles ist, nicht das ganze Leben, dass da noch viel Schönes ist. 

Diese Sicht hilft übrigens auch prima, wenn man über jemanden flucht, schimpft, dem alles Böse wünscht, ihm am liebsten irgendwie an den Karren fahren würde, denkt, das gäbe einem Befriedigung. Tut es nicht. Zumindest nicht für lange. Am meisten hilft, zu denken: Was kann ich für mich tun und nicht, was kann ich gegen den anderen tun. 

4 Kommentare zu „Wie ist der Mensch?

  1. Das klingt eingangs sehr bitter und die Bitternis zieht sich durch den Text, auch wenn der Versuch unternommen wird, sie abzustreifen. Da ist der starke Wunsch, dass alles heil sein möge. Und gerade dort zeigt sich der Kern des Menschen, in diesem Wunsch. Hier liegt er offen, doch bei vielen Menschen ist er verschüttet, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht gelingt es, ihm – dem einzelnen Menschen – in einer Begegnung zu helfen, diesen Wunsch wiederzuentdecken, freizulegen. Dabei helfen zu wollen, ist ein guter Anfang. Nicht missionarisch, besitzergreifend, sondern geduldig und gewiss, dass es ihn gibt, diesen Wunsch nach Frieden und Liebe.

    Vielleicht ist es dieser jedem Menschen innewohnende Wunsch, der zu allen Zeiten hat Religionen entstehen lassen? Und dennoch gibt es auch die andere Seite, die sich im Menschen ausbreiten kann. Sie verspricht ihm sein Heil und Glück in der Macht, die ihm behilflich sein soll, es sich zu nehmen, was er zu vermissen glaubt.

    Zusagen des Adonai

    Friede sei in deinem Herzen,
    Liebe für die ganze Welt,
    lässt dich dulden alle Schmerzen,
    schenkt dir Kraft, die dich erhält.

    Hoffnung auf die gute Wende,
    Achtung stets vor Gottes Plan,
    lenkt die Arbeit deiner Hände,
    führt dich an dein Ziel heran.

    Dankbarkeit für solches Leben,
    Vertrauen in die Ewigkeit,
    bindet dich in Gottes Weben,
    macht dich für den Weg bereit.

    © Gerhard Falk

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    1. Danke Gerhard, für diesen tollen Kommentar und dein Gedicht.
      Ich sehe es genau so. Ist mein Text bitter? Bin ich es? Ich denke nicht. Ab und an vielleicht erstaunt über die Auswüchse, die die andere Seite annehmen kann. Ich stimme dir aber zu: Der Wunsch ist wohl überalll da. Jeder möchte im Grunde seines Herzens in Liebe und Harmonie leben. Doch ab und an ist da wohl diese zweite Stimme, die sagte, mit Macht, mit Unterdrückung gar, mit gelebtem Egoismus auf Kosten anderer käme man an ein Ziel, das noch erstrebenswerter sein könnte.

      Ich bin aber überzeugt, dass am Schluss die Liebe siegt. So oder so. Und dankbar für die Menschen, die in meinem Leben diesen Wert hochhalten und damit das Leben so lebenswert machen.

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  2. Nun, ich persönlich setze das „Böse“ meistens in Anführungsstriche, denn ich glaube wir modern-zivilisatorischen Menschen bauen unsere ganzen Lebenskonstrukte auf dem falschen Bein auf. Bedeutet: das „Böse“ ist gar nicht das Böse, sondern das Normale. Das ist ähnlich wie unsere Unart Regen und Sturm prinzipiell als „schlechtes“ Wetter abzuqualifizieren. Meines Wissens nach ist das auch längst alles wissenschaftlich bewiesen, das „Böse“ war zuerst da, nur durch dieses „Böse“ (a.k.a. „Normale“) haben wir es in unserer Entwicklungsgeschichte bis ins Jahr 2012 geschafft. Das Gute, die Liebe, das Einfühlungsvermögen, all das ist erst als Reaktion auf unser ursprünglich „böses“ Verhalten entstanden. Als Gegengewicht um die Innen zu schützen, während wir die außerhalb unserer Sippe aus dem Weg schaffen müssen.
    Klar, lustiger wird das Leben dadurch auch nicht, wenn man das „Böse“ nun also als das Normale bezeichnet. Aber es nimmt viel Druck aus der Geschichte, denn wir Menschen neigen uns an künstlichen Standards zu orientieren, für die wir gar nicht geschaffen sind. Wenn mich jemand verletzt, komme ich mit der Verarbeitung inzwischen daher relativ gut klar. Sage ich mal so, mal sehen was da noch so kommen mag in Zukunft…

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